Predigt, Sonntag, 3. März 2024, Tal- und Wenschtkirche

Gottesdienst für den Sonntag Okuli

Text: 1. Petr 1,13-21

Darum umgürtet die Lenden eures Denkens, seid nüchtern und setzt eure Hoffnung ganz auf die Gnade, die euch dargeboten wird in der Offenbarung Jesu Christi. Als gehorsame Kinder gebt euch nicht den Begierden hin, in denen ihr früher in eurer Unwissenheit leb­tet; son­dern wie der, der euch berufen hat, heilig ist, sollt auch ihr heilig sein in eurem ganzen Wandel. Denn es steht geschrieben: »Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig.«

Und da ihr den als Vater anruft, der ohne Ansehen der Person einen jeden richtet nach seinem Werk, so führt euer Leben in Gottesfurcht, solange ihr hier in der Fremde weilt; denn ihr wisst, dass ihr nicht mit vergänglichem Silber oder Gold erlöst seid von eurem nichtigen Wandel nach der Väter Weise, sondern mit dem teuren Blut Christi als eines unschuldigen und unbefleckten Lammes. Er ist zwar zuvor ausersehen, ehe der Welt Grund gelegt war, aber offenbart am Ende der Zeiten um euretwillen, die ihr durch ihn glaubt an Gott, der ihn von den Toten auferweckt und ihm die Herrlichkeit gegeben hat, so dass ihr Glauben und Hoffnung zu Gott habt.

Wer auch immer diesen Brief im Namen des Apostels Petrus ge­schrieben hat, er war jedenfalls keiner, der sich mit halben Sachen zufrieden gibt. „Ihr sollt heilig sein in eurem ganzen Wandel“ – das verlangt er von den Christen in Kleinasien, an die er sich wendet. Und er tut es mit großer Selbstverständlichkeit. Christ sein und heilig sein, das ist für ihn ganz dasselbe.

Können wir das noch irgendwie nachvollziehen? Ich könnte hier ja mal eine Umfrage dazu machen: „Empfinden Sie sich in Bezug auf Ihren Lebenswandel als heilig oder streben Sie es wenigstens an?“ Was würden Sie darauf antworten? Wahrscheinlich ungefähr folgen­des: „Heilig? Ich? Nie im Leben! Sicher, ich bemüh mich. Ich lebe nach den Zehn Ge­boten, so gut ich kann. Ich glaube an Gott, ich setze mich ein für die Ge­meinde, ich versuche meine Mitmenschen freundlich und anstän­dig zu behandeln. Aber heilig? Das bin ich nicht. Das möchte ich, glaube ich, auch gar nicht sein. Überhaupt: Gibt es Heilige nicht nur bei den Katholiken? Und muss man dafür nicht schon tot sein?“

So in etwa. Und wenn doch jemand meine Frage allen Ernstes mit Ja beantwor­ten würde? – „Heilig? Ja, passt schon! Ein Heiliger zu sein, das ist mein großes Ziel, und ich bin da schon ein gutes Stück voran­ge­kommen.“ – Dann wäre „ein bisschen überspannt“ wohl noch ei­ner der freundlicheren Kommentare.

Tja, so ist es. Bezüglich der Qualität unseres Lebenswandels eher tief zu stapeln, das ist uns in Fleisch und Blut übergegangen. Alles an­dere gilt als selbstgerecht und unbescheiden und außerdem als tak­tisch unklug – es könnte ja jemand was rauskriegen! Aber seltsam: Von anderen, beson­ders von den Inhabern höherer Ämter, erwarten wir dann doch die Einhaltung moralischer Qualitätsstandards, die wir für uns selber so hoch nie hängen würden. Und wenn dann solche Menschen mit Vor­bildfunktion auch nur verdachtsweise irgendwas verschuldet haben, dann sind Häme und Entrüstung groß und der Rück­tritt nur eine Frage der Zeit. Bei Annette Kurschus waren es sieben Tage, wie die Siegener Zeitung stolz vermeldete. Nein, es geschieht in unserem Lande wirklich nicht viel, was das Etikett „hei­lig“ verdient. Wo sollen Vorbilder dafür auch herkommen, wenn die meisten von uns erst gar keinen Ehrgeiz entwickeln, ein vorbildliches Leben zu füh­ren? In einem solchen Umfeld kann eben bestenfalls Scheinheiligkeit gedei­hen.

Aber zurück zum ersten Petrusbrief: Auch damals waren die Men­schen nicht grundsätzlich anders als heute. Wieso heißt es dann dort trotzdem: „Ihr sollt heilig sein“? Und wie kommt man dazu, das für einen selbstverständlichen Ausdruck christlichen Lebens zu hal­ten?

Nun, heilig ist nach biblischem Sprachgebrauch erst einmal Gott selbst. Und davon abgeleitet ist alles heilig, was ganz und aus­schließlich zu Gott gehört. In diesem Sinne gibt es im Alten Testa­ment heilige Orte, wo Gott in besonderer Weise gegenwärtig ist, oder heilige Geräte, die ausschließlich zum Gebrauch in einem solchen Heiligtum bestimmt sind. Und in beiden Teilen der Bibel werden Menschen, die zu Gott gehören, als heilig angesprochen und zum Heiligsein aufgefordert. Der klassische Kernsatz dazu steht im dritten Buch Mose und wird in unserem Predigttext zitiert: „Ihr sollt hei­lig sein, denn ich bin heilig, spricht der Herr.“ (Lev 19,2)

Also: Für den ersten Petrusbrief sind Christen Menschen, die ganz und gar zu Gott gehören. Und bevor es um den Lebenswandel geht, heißt das erst mal: Christen sind Menschen, die ihre Hoffnung ganz und gar auf die Gnade Gottes setzen. Denn damit fängt der Text ja an: „Setzt eure Hoffnung ganz auf die Gnade, die euch dargeboten wird in der Offenbarung Jesu Christi.“ Und zu dieser Hoff­nung auf Gottes Gnade haben wir allen Grund. Denn sie ist uns ja schon zuteil gewor­den. Wir sind schon erlöst, wie es ein paar Verse später heißt. Wie man damals einen Sklaven von seinem Herrn loskaufen und ihm die Freiheit schenken konnte, so hat Gott uns losgekauft aus der Sklave­rei der Ichsucht und Gottlosigkeit – nicht mit Geld, auch nicht nur mit guten Worten, sondern mit dem Einsatz seines eigenen Le­bens. Er wurde in Jesus Christus Mensch, wie es schon immer sein Plan war. Er ließ sich schuldlos umbringen und starb so an unserer Stelle den Tod, den wir verdient hätten. Und so besiegte er den Tod, indem er Jesus von den Toten auferweckte, und er gab damit auch uns Hoff­nung, die über den Tod hinausreicht.

Das wisst ihr alles schon, sagt der erste Petrusbrief seinen Lesern. Er erinnert sie dazu an die Bekenntnisformeln, die sie mal gelernt ha­ben, als sie getauft wurden. Und wir wissen es auch. Die Älteren haben es noch mit den Worten des Heidelberger Katechismus ge­lernt: „Was ist dein einziger Trost im Leben und im Sterben? Dass ich mit Leib und Seele im Leben und im Sterben nicht mir, sondern meinem getreuen Heiland Jesus Christus gehöre. Er hat mit seinem teuren Blut für alle meine Sünden vollkommen bezahlt und mich aus aller Gewalt des Teufels erlöst; und er bewahrt mich so, dass ohne den Willen meines Vaters im Himmel kein Haar von meinem Haupte fallen kann, ja, dass mir alles zu meiner Seligkeit dienen muss. Da­rum macht er mich auch durch seinen Heiligen Geist des ewigen Le­bens gewiss und von Herzen willig und bereit, fortan ihm zu le­ben.“ Unsere heu­tigen Konfirmanden lernen es so nicht mehr, und manch­mal finde ich das schade. Aber natürlich erfahren auch sie etwas dar­über, was es mit dem Leben, Sterben und Auferstehen Jesu auf sich hat und was es für uns bedeutet.

Nur, ob Heidelberger oder anders, wir machen oft so wenig aus dem, was wir da gelernt haben. Wir trauen uns nicht, für uns in Anspruch zu nehmen, was wir doch längst sind. Wir sind erlöst, wir gehören zu Gott, wir sind heilig. Und Gott hat teuer dafür bezahlt: mit dem Le­ben seines Sohnes, mit seinem eigenen Leben. Da müssten wir doch alles daran setzen, dieses kostbare Leben nun auch entsprechend zu führen! Stattdessen begnügen wir uns allzu schnell mit „ich schaff’s nicht, aber ich bemüh mich“. Dabei wissen wir doch, dass es gar nicht gut ist, wenn es in einem Arbeitszeugnis heißt: „Herr Meier war stets bemüht …“!

Wenn ich das sage, dann will ich damit keinen Druck oder Zwang ausüben. Wir müssen und können uns das Geschenk des Heils nicht verdienen – weder im Voraus noch im Nachhinein. Ich habe zu viele Menschen gekannt, die gemeint haben, sie müssten sich der Gnade Gottes doch irgendwie würdig erweisen, und die schlimm dar­unter gelitten haben, dass sie das nicht schafften. Auch ich selber habe zu Zeiten dazu gehört und möchte auf keinen Fall dahin zurück. Ich denke nur, wenn uns wirklich mal aufginge, wie groß Gottes Ge­schenk an uns tatsächlich ist, dann müsste uns keiner mehr zwingen. Sondern dann wäre uns dieser Erweis unserer Dankbarkeit das Selbstverständlichste von der Welt. Und dann wäre uns „heilig sein in unserem Wandel“ nicht zu viel gesagt, sondern das einzig ange­messene Ziel.

Aber jetzt noch mal ganz konkret: Was können wir für uns ganz per­sönlich aus dem ersten Petrusbrief lernen? Was kann ich uns allen für unser tägliches Leben mit auf den Weg geben?

Zuerst und vor allem gilt dies: Lebt, was ihr seid. Ihr gehört ganz und gar zu Gott, also stellt nun auch euer Leben ihm ganz zur Verfügung. Nicht nur durch Beteiligung am Gemeindeleben, als ehrenamtliche Mitarbeiter oder zumindest als Gottesdienstteilnehmer. Sondern auch als Eheleute, als Eltern und Großeltern, im Beruf und in der Freizeit oder im Ruhestand. All das gehört zu eurem Leben, und es soll auch weder der Beruf, noch die Familie, noch die nötige Erholung darun­ter leiden, dass ihr zu Jesus Christus gehört. Nur bitte lasst Gott in keinem Bereich eures Lebens außen vor. Wenn ihr ar­beitet, egal wo und für wen, dann tut es in Gottes Namen. Und wenn ihr euch aus­ruht und die schönen Dinge des Lebens genießt, dann vergesst nicht, Gott dafür zu danken.

Dann greife ich noch das Bild auf, mit dem unser Text beginnt: „Umgürtet die Lenden eures Denkens“. Klingt etwas verunglückt, okay. Wir würden vielleicht eher sagen: „Krempelt innerlich die Är­mel hoch“. Seid bereit, anzupacken, was anliegt. Konzentriert euch auf das Wichtige und Wesentliche, aber das setzt dann auch ent­schlossen in die Tat um. Vertraut den neuen Wegen, auf die der Herr euch weist, und lasst allen Ballast zurück, der euch am Vorankom­men hindert. Und wenn das Alter sich bemerkbar macht und die Kräfte nachlassen, dann nehmt auch das aus Gottes Hand und macht mit seiner Hilfe auch daraus das Beste.

Und als Letztes sei mit dem ersten Petrusbrief noch gesagt: „Seid nüchtern“. Folgt nicht irgendwelchen Wunschbildern – weder von der Gemeinde oder der Kirche im Ganzen, noch von euch selber, son­dern nehmt alles, wie es ist: mit seinen Stär­ken und Schwächen, mit seinen Chancen und Risiken. Seht nicht immer nur schwarz, auch wenn ihr meint, dafür Anlass zu haben. Sondern rechnet ganz nüch­tern mit der menschlichen Unzuläng­lichkeit, aber auch mit den unbe­re­chenbaren Möglichkeiten des hei­ligen Geistes und mit der Unver­brüchlichkeit von Gottes Verheißun­gen. Dann wird auch die Zukunft trotz allem, was uns Sorgen macht, eine gute Zeit, die unter Gottes Segen steht. Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, der wird unsere Herzen und Sinne bewahren in Jesus Christus. Amen.

Ihr Pastor Martin Klein