Predigt GZ „mittendrin“ und Wenschtkirche, Sonntag, 7. Januar 2024

Gottesdienst für den ersten Sonntag nach Epiphanias

Text: 1.Kor 1,26-31

„Als Gott eine Frau fand“ – so heißt eine schöne Geschichte von Susanne Niemeyer. Da eröffnet Gott seinen Engeln, dass er Mensch werden möchte und dafür eine Frau braucht. Die Engel sind ent­setzt: Was Gott nur immer mit diesen Menschen hat? Sie haben es im Himmel doch so gut ohne sie! Aber Gott besteht auf seinem Wunsch, also bringt ihm der Erzengel Gabriel drei geeignete Kandidatin­nen. Die erste ist eine Heilige: trinkt nicht, flucht nicht, liest erbauliche Gedichte und hat nichts mit Männern. „Langweilig“, stöhnt Gott. Die zweite hat promoviert in Psychologie, Astrophysik und vergleichender Religionswissenschaft und kennt sich bestens aus in den aktuellen theologischen Diskussionen. „Anstrengend“, winkt Gott ab. Also vielleicht die dritte: Opfert sich auf für die Hilfsbe­dürftigen und erhebt keinen Anspruch auf ein Privatleben. Man nennt sie auch den Engel des Viertels. „Engel hab ich hier schon genug“, brummt Gott. „Aber was ist denn mit der da?“ – „Die?“, sagt Gabriel, „Die heißt Maria, und sie ist absolut gewöhn­lich: Sie war mittelgut in der Schule, hat keine besonderen Gaben und keinen Ehrgeiz, auch kein Ehrenamt, und sie ist bisher noch nicht mal als besonders gläubig aufgefallen. Außerdem hat sie schon einen Freund, so einen biederen Handwerker. Die willst du doch wohl nicht?“ Aber Gott lächelt: „Perfekt“, murmelt er, „sie ist per­fekt.“ Fast könnte man meinen, dass er verliebt ist. Gabriel dagegen schwant nichts Gutes. „Er sollte aufpassen“, denkt er, „er sollte wirk­lich aufpassen. Am Ende gerät noch das ganze schöne Bild von ihm ins Wanken.“

Könnte sein, dass unser heutiger Predigttext die Autorin zu dieser Geschichte inspiriert hat. Er steht im ersten Brief des Paulus an die Korinther, in Kapitel 1:

Seht doch, Brüder und Schwestern, auf eure Berufung. Nicht viele Weise nach dem Fleisch, nicht viele Mächtige, nicht viele Vornehme sind berufen. Sondern was töricht ist vor der Welt, das hat Gott er­wählt, damit er die Weisen zuschanden mache; und was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er zuschanden mache, was stark ist; und was gering ist vor der Welt und was verachtet ist, das hat Gott erwählt, was nichts ist, damit er zunichtemache, was etwas ist, auf dass sich kein Mensch vor Gott rühme. Durch ihn aber seid ihr in Christus Jesus, der für uns zur Weisheit wurde durch Gott und zur Gerechtigkeit und zur Heiligung und zur Erlösung, auf dass gilt, wie geschrieben steht: »Wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn!«

In den Versen zuvor hat Paulus die Korinther an das „Wort vom Kreuz“ erinnert. Gott ist tatsächlich Mensch geworden, besagt die­ses Wort, und zwar mit letzter Konsequenz: bis zum grausamen und schändlichen Tod am Kreuz. Und das bringt in der Tat „das ganze schöne Bild von ihm ins Wanken“. Gott wird Mensch und stirbt als solcher einen Verbrechertod. Für jüdische Menschen ist das ein un­überwindliches Ärgernis. Für alle anderen, besonders für die Gebilde­ten, ist es einfach nur dummes Zeug. Aber für die, die es annehmen und sich dadurch verändern lassen, ist es Gottes Kraft und Weisheit. So kehrt Gott alle irdischen Maßstäbe um und zer­schlägt damit lustvoll das Bild, das die Men­schen sich von ihm ma­chen. Und so macht er aus den Schwachen die wahrhaft Starken und aus den Unwissenden die wahrhaft Wei­sen.

Um das zu erkennen, sagt Paulus, müsst ihr euch nur selber an­schauen: Wer gehört denn alles zu eurer Gemeinde? Okay, es gibt da ein paar Leute mit Geld, Bildung und Einfluss: Crispus, den Synago­genvorsteher, Erastus, den Stadtkämmerer, Phoebe, die Patro­nin, Gaius, in dessen großem Haus ihr euch trefft, aber das war’s auch schon fast. Alle anderen sind kleine Leute: Handwerker, Hausbedienstete, Hafenarbeiter, Sklaven, viele Frauen unter ihnen, die in einer Männergesellschaft nichts gelten. Und gerade euch hat Gott erwählt, damit ihr zu ihm gehört!

So war Gott schon immer, erzählt uns die Bibel: Schon als er die Welt erschuf, tat er das aus dem Nichts, ohne an irgendwas Vorhande­nes anzuknüpfen. Unter allen Völkern der Welt suchte er sich ausgerechnet Israel aus, eine kleines unbedeutendes Volk von Halb-Nomaden­. Unter all den stattlichen Söhnen Isais machte er ausgerechnet den kleinen David zum König. Ausgerechnet ein Mäd­chen aus Naza­reth, einem Kaff, das keiner kannte, wurde die Mutter Jesu. Und Jesus war es dann, der nicht die Wohlanständigen, nicht die Spitzen der Gesellschaft in seine Nachfolge rief, sondern Fischer, Zöllner und Prostituierte. In den frühen christlichen Gemeinden setzte sich das fort – wie in Korinth. Gott hat also offenbar eine Vor­liebe für die Armen, die Schwachen, die Unscheinbaren, für die, die nach den Maßstäben der Welt nichts gelten, die übersehen werden und keine Chance haben. Und er macht etwas aus ihnen – nach sei­nen Maßstä­ben: Er befreit sie von ihrer Schuld, er ermöglicht ihnen ein Leben nach seinem Willen, er lässt sie ihm recht sein, er macht sie weise und stark im Glauben.

Aber nun stellt sich mir eine Frage: Nehmen wir mal an, Paulus würde nicht an die Korinther, sondern an die Klafelder schreiben – würde er auch uns als Beispiel dafür nehmen, wie Gott Menschen erwählt?

Soziologisch betrachtet sieht es bei uns deutlich anders aus als in Korinth. Zwar lassen sich die Spitzen der Gehalts- und Einfluss-Pyra­mide auch bei uns eher selten blicken. Aber nicht wenige von ihnen sind trotzdem Kirchenmitglieder, und ohne ihre Steuern und Spen­den sähe es finanziell noch viel düsterer aus. Auch die unteren Schich­ten, die in Korinth das Gros der Gemeindeglieder stellten, beteiligen sich bei uns kaum am Gemeindeleben. Eher betrachten wir sie als Empfänger von Unterstützung, sammeln für sie im Klingelbeu­tel oder kochen für sie beim Mittagstisch. Bei uns bildet eher die gut bürgerliche Mittelschicht das Fundament: Menschen mit Haus und Familie und ordentlichem Einkommen, mit Gemein­sinn und mit Wurzeln in der christlichen Tradition. Wenn man uns als „töricht, schwach und gering“ bezeichnen würde, dann würden wir uns wohl eher beleidigt fühlen.

Und doch hat Gott auch uns nicht anders erwählt als die Korinther. Er hat es nicht deshalb getan, weil schon unsere Eltern, Großel­tern, Urgroßeltern treue Christen waren. Auch nicht deshalb, weil wir uns in der Bibel auskennen und vertraut sind mit der christli­chen Überliefe­rung. Und er hat es auch nicht deshalb getan, weil er uns braucht mit dem, was wir können und haben, oder weil wir uns engagie­ren und dabei viel Zeit, Kraft und Geld einsetzen. Denn wenn Gott Menschen erwählt und beruft, ob reich oder arm, stark oder schwach, klug oder dumm, dann tut er das immer ohne Bedingun­gen und Voraussetzungen. So war es bei Abraham, bei David, bei Maria, so war es in Korinth, und so ist es auch bei uns. Denn was sollten wir dem geben, der alles aufgegeben hat, um für uns am Kreuz zu sterben? Was sollten wir dem geben, der uns alles schenkt: Weisheit, Gerechtigkeit, Erlösung, Leben, das den Tod über­windet? Durch ihn, durch seine Gnade und Liebe sind wir, was wir sind, aber ohne ihn sind wir nichts.

Damit wir das nicht vergessen, wendet Gott sich immer wieder ge­rade denen zu, bei denen das besonders deutlich wird: denen, die nichts haben und nichts gelten in dieser Welt. Natürlich liebt Gott alle Menschen, auch die Reichen und Mächtigen. Aber das heißt nicht, dass er in den Verteilungskonflikten dieser Welt neutral bleibt. Nein, er ergreift bewusst Partei – für die Armen, die Schwa­chen, die Unterdrückten. Das macht die Bibel unmissverständlich deutlich, von Anfang bis Ende. Und von uns, die er in Jesus Christus in seine Nachfolge gerufen hat, von uns erwartet er, dass wir es ihm gleich tun.

Unser Platz ist also nicht bei den oberen Zehntausend, auf dass von ihrem Besitz und Einfluss etwas für uns abfallen möge. Nein, Gott schickt uns zu denen, die ganz unten sind. Zu den vielen, die in prekä­ren Verhältnissen leben und nicht wissen, wie sie über die Run­den kommen sollen. Zu denen, die abgehängt und chancenlos an unserem Bildungssystem scheitern. Zu den Geflüchteten, die hier leben, aber noch nicht wirklich angekommen sind. Zu denen, die einsam und isoliert ihr Dasein fristen und keinen Menschen haben, der für sie da ist. Und zu denen, die ich sonst noch alle aufzählen könnte, auch wenn ich nur unsere nähere Umgebung betrachte.

Natürlich kann sich keiner von uns um alle diese Menschen küm­mern. Und natürlich will ich denen nicht noch mehr aufladen, die sich schon für viele und vieles einsetzen. Ich möchte uns nur zu auf­merksamem Hinschauen ermutigen: Wo begegne ich Menschen, bei denen ich merke: hier bin ich mit meinen Gaben genau der Richtige, der helfen kann? Und dann nur zu! Denn genau dazu hat mich Gott berufen. Amen.

Ihr Pastor Martin Klein