Predigt Tal- und Wenschtkirche, Sonntag, 1. Oktober 2023

Gottesdienst zum Erntedankfest

Text: Lk 12,16-21

Und Jesus sagte ihnen ein Gleichnis und sprach:

Es war ein reicher Mensch, dessen Land hatte gut getragen. Und er dachte bei sich selbst und sprach: „Was soll ich tun? Ich habe nichts, wohin ich meine Früchte sammle.“ Und sprach: „Das will ich tun: Ich will meine Scheunen abbrechen und größere bauen, und will darin sam­meln all mein Korn und meine Güter und will sagen zu meiner Seele: Liebe Seele, du hast einen großen Vorrat für viele Jahre; habe nun Ruhe, iss, trink und habe guten Mut!“ Aber Gott sprach zu ihm: „Du Narr! Diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern. Und wem wird dann gehören, was du bereitet hast?“ So geht es dem, der sich Schätze sammelt und ist nicht reich bei Gott.

Immer, wenn ich die Geschichte vom reichen Kornbauern höre oder lese, muss ich an ein Bild aus meiner alten Kinderbibel denken: Da steht der stolze und frohgemute Bauer, einen prall gefüllten Geldsä­ckel in der Hand, während seine Knechte im Hintergrund die Re­kordernte einbringen. Aber über ihm an der Wand ist ein Stun­den­glas zu sehen, und in dem verrinnen soeben die letzten Körnchen Sand: „Diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern; und wem wird dann gehören, was du bereitet hast?“

So kennen wir ihn: den reichen Kornbauern als warnendes Bei­spiel. Aber es wäre ja mal zu fragen, was er denn eigentlich falsch macht. Darf man denn keine Vorräte sammeln und sie dann in Ruhe genie­ßen? Doch, darf man! Weder Kleingärtner noch Großbau­ern sollten sich durch diese Geschichte von ihrem löbli­chen Tun abhalten las­sen. Der Fehler, den der reiche Bauer macht, liegt woanders. Er liegt darin, dass er über all diese Dinge ein reines Selbstge­spräch führt. Er fragt sich selbst um Rat: „Was soll ich tun?“ Er gibt sich auch selbst die Ant­wort: „Das will ich tun: Ich will ab­brechen, bauen, sammeln und so weiter.“ Und schließ­lich ist er auch der ein­zige Nutz­nießer des guten Rats, den er sich selber erteilt: „Habe nun Ruhe, iss, trink und habe guten Mut!“ So hat er sich das jedenfalls vorgestellt. Aber dann mischt Gott sich ein und enttarnt das Selbstge­spräch als reine Fiktion.

Der Bauer bedenkt nicht, dass er es nicht sich selbst, sondern Gott verdankt, dass er überhaupt „ich“ sagen kann. Gott ist es doch, der ihn geschaffen hat und täglich am Leben erhält. Wenn das nicht so wäre, hätte er weder seine große Ernte einbringen kön­nen, noch könnte er sich jetzt Ge­danken machen, was damit geschehen soll. Weil er daran überhaupt nicht denkt, des­halb nennt Gott ihn einen Narren.

Wenn das so ist, kann man den Spieß allerdings auch umdrehen. Denn es sind ja nicht nur die Reichen, deren Gedanken ständig ums eigene Ich kreisen. Deshalb erlaube ich mir, zur Ergän­zung noch das „Gleichnis vom armen Kornbauern“ zu erzählen. Das steht so nicht in der Bi­bel, aber ich denke, es könnte da stehen:

Es war ein armer Mensch, dessen Land hatte schlecht getragen. Und er dachte bei sich selbst und sprach: „Was soll ich tun? Ich habe nichts, womit ich über den Winter kommen kann.“ Und sprach: „Das will ich tun: Ich will das bisschen, was ich noch habe, verkaufen oder verschen­ken. Dann will ich einen Strick nehmen, zum nächsten Baum gehen und sagen: Liebe Seele, du hast in dieser Welt sowieso keine Zukunft mehr. Also mach deinem Leben lieber schnell ein Ende statt langsam zu verhungern, dann wirst du Ruhe haben!“ Aber Gott sprach zu ihm: „Du Narr! Sieh dir doch die Vögel unter dem Himmel an: Die säen und ernten auch nicht, aber ich ernähre sie doch. Meinst du, dass ich nicht auch dir das geben kann, was du zum Le­ben brauchst?“

Beide, der Reiche und der Arme, sind im Grunde keine freien Men­schen: Der eine ist in sei­nen tollen Plänen gefangen, der an­dere in seinen schlimmen Sorgen. Aber beide vergessen darüber Gott, auf den alles ankommt.

Ich weiß nicht, wer eher unserer aktuellen Befindlichkeit entspricht: der reiche oder der arme Bauer. Denn einerseits geht es uns ja im­mer noch recht gut. Laut Umfragen sind die meisten Deutschen mit ih­ren materiellen Verhältnissen zufrieden. Die Energiepreise sind schon wieder gesunken, und die schlimmsten Folgen des Klimawan­dels toben sich bis jetzt eher woanders aus. Anderer­seits klafft aber auch hierzulande die Schere zwischen reich und arm immer wei­ter auseinander. Viele haben Angst vor Überfremdung und sozialem Abstieg, fühlen sich be­drängt vom ökologisch notwendigen Struktur­wandel und von gesellschaftlichen Veränderun­gen und wählen des­halb AfD. Fachkräftemangel und marode Infrastruktur machen uns zu schaffen. Und auch bei Kirchens müssen wir damit rechnen, dass es bald erst richtig abwärts geht mit der Zahl der Pfarrer und der Mit­glieder und mit den Finanzen. Aber wie auch immer die Lage ist bzw. wie auch immer wir sie empfinden, auch wir neigen da­bei zu reinen Selbstgesprä­chen. „Hauptsache, mir geht’s gut“ oder „Wir zuerst“ lautet dann die Devise, egal, ob es um uns als ein­zelne, als Staat oder als Gemeinde geht. Und von der übrigen Wirk­lichkeit nehmen wir nur das wahr, was unsere eigene Sicht der Dinge bestä­tigt. So wird im­mer nur Eigenlob auf Eigenlob ge­häuft oder Frust auf Frust, und von einer realistischen Einschät­zung unserer selbst und unserer Welt entfernen wir uns im­mer mehr.

Deshalb möchte ich uns gern da herausholen. Ich möchte, dass aus unse­ren Selbstge­sprächen Zwiegespräche werden.

Dazu gehören Zwiegespräche mit unseren Mitmenschen, und zwar gerade mit solchen, die vielleicht ganz anders denken und le­ben als wir und mit denen wir uns nicht sowieso jeden Tag unter­halten. Die erkennen nämlich manchmal viel besser, was wir haben oder was uns fehlt, und ge­le­gentlich wissen sie sogar eine Lösung für unsere Probleme, die uns selber nie eingefal­len wäre.

Aber vor allem gehören dazu Zwiegespräche mit Gott. Zumindest dann, wenn es stimmt, dass unsere Zukunft als Einzelne, als Volk und als Kir­che letztlich in Gottes Hand liegt. Wenn das nicht nur ein Satz für fromme Reden sein soll, dann müsste in unserem Le­ben auch irgendwo deutlich werden, dass wir mit Gott rechnen. Wie das geschehen soll, das kann und will ich niemandem vorschrei­ben. Ich möchte nur einfach ein paar Fragen stellen.

Zu­nächst, was uns per­sönlich angeht: Wo können wir Atem holen, wenn uns bei der tägli­chen Mühe die Puste ausgeht? Wem kla­gen wir unser Leid, wenn sonst keiner zuhört? Und wo bedanken wir uns, wenn uns etwas gut ge­lungen ist?

Dann auch, was uns als Kirche betrifft: Hat der Satz, dass Gott seine Kirche erhält, eigentlich Folgen für unsere Zukunftsprogno­sen und für die Art, wie wir mit ihnen umgehen? Woher nehmen wir die Leitbil­der dafür, wie un­sere Kirche in Zu­kunft aussehen soll? Haben wir den Menschen et­was ande­res zu bieten als Ver­eine oder Wohl­fahrts-Verbände – viel­leicht sogar mehr?

Und auch von unseren Politikern und Wirt­schaftsleuten würde ich mir häufigere Zwiegesprä­che mit Gott wünschen. Es gibt mehr Chris­ten unter ihnen als man auf den ersten Blick vermu­tet. Aber leider ist davon im politischen und ökonomischen Alltag nur we­nig zu sehen. Da dominieren die Selbstdarsteller, die entweder ihre Er­folge vor sich her tragen oder ihre Misserfolge schönre­den. Wäre es da so falsch, wenn sie einfach mal für einen Mo­ment still wären, sich ehrlich machten und zugäben, dass sie bei weitem nicht alles so im Griff haben, wie sie meinen oder vorge­ben? Dass sie al­les, was wirklich wichtig ist, ganz und gar nicht sich selber verdan­ken – egal ob sie es Gott zuschreiben oder nicht? Ich denke, das könnte man­ches bewirken, manches Ge­töse überflüssig machen und viel schnel­ler zur Sache kom­men las­sen: Was können wir tun und wie können wir’s anpacken? Auf dieser Basis könnte dann vielleicht sogar eine Ampel-Koali­tion funktionieren.

Und noch ein letztes: An den Anfang unserer Zwiegespräche mit Gott gehört der Dank. Denn Grund zum Danken gibt es immer, egal, ob es uns gerade gut oder schlecht geht. Den reichen Kornbau­ern hätte das Danken bescheiden gemacht, und es hätte ihm den Blick geöffnet für das, was er mit seinem Reichtum Gutes tun könnte. Und meinen armen Kornbauern hätte es auf andere Gedan­ken ge­bracht: „Die Ernte war schlecht, aber ich bin noch da, Gott sei Dank, ich bin gesund, und mit Gottes Hilfe werde ich einen Weg finden, wie es weitergehen kann.“ Deshalb möchte ich auch allen, die heute hier sind, Mut zum Danken machen. Ich bin über­zeugt, dass wir alle mindestens einen Grund haben, um Gott dankbar zu sein. Also lasst uns diesen Sonntag, diesen Erntedankgottesdienst dafür nutzen! Gott wird es freuen, und uns wird es gut tun – da bin ich ganz sicher. Amen.

Ihr Pastor Martin Klein