Predigt Tal- und Wenschtkirche, Sonntag, 6. März 2022

GOTTESDIENST FÜR DEN SONNTAG INVOKAVIT

Text: 2. Kor 6,1-10

Als Mitarbeiter aber ermahnen wir euch, dass ihr nicht vergeblich die Gnade Gottes empfangt. Denn er spricht: »Ich habe dich zur will­kommenen Zeit erhört und habe dir am Tage des Heils geholfen.« Siehe, jetzt ist die willkommene Zeit, siehe, jetzt ist der Tag des Heils!

Und wir geben in nichts irgendeinen Anstoß, damit dieser Dienst nicht verlästert werde; sondern in allem erweisen wir uns als Diener Gottes in großer Geduld: in Bedrängnissen, in Nöten, in Ängsten, in Schlägen, in Gefängnissen, in Aufruhr, in Mühen, im Wachen, im Fasten, in Lauterkeit, in Erkenntnis, in Langmut, in Freundlich­keit, im heiligen Geist, in ungefärbter Liebe, in dem Wort der Wahr­heit, in der Kraft Gottes, mit den Waffen der Gerechtigkeit zur Rechten und zur Linken, in Ehre und Schande; in bösen Gerüchten und guten Ge­rüchten, als Verführer und doch wahrhaftig; als die Unbekannten, und doch bekannt; als die Sterbenden und siehe, wir leben; als die Gezüchtigten, und doch nicht getötet; als die Trauri­gen, aber allezeit fröhlich; als die Armen, aber die doch viele reich machen; als die nichts haben, und doch alles haben.

An einer Stelle im Predigttext bin ich besonders hängengeblieben: „Wir geben in nichts irgendeinen Anstoß“, sagt Paulus. – Schaffen Sie das? Gelingt es Ihnen, es immer allen recht zu machen? Immer so zu reden und zu handeln, dass alle mit Ihnen einverstanden sind, dass niemand etwas auszusetzen oder zu kritisieren hat? Können Sie im­mer nur Harmonie verbreiten – ich meine jetzt nicht nur beim Singen und Musizieren, da ist es schon schwer genug, sondern überhaupt?

Ich sag’s Ihnen gleich: Ich jedenfalls bin nicht so wie Paulus oder wie die anderen „Mitarbeiter Gottes“, mit denen er sich hier zusammen­schließt. Ich schaffe es nicht, in nichts ir­gendeinen Anstoß zu geben. Zwar hat die Lebenserfahrung, einschließlich 31 Ehejahren und 25 Jahren Pfarrerdasein, mir ein wenig Übung darin verschafft, anderen nicht zu sehr auf die Zehen zu treten. Aber wenn man mich auf dem falschen Fuß erwischt, passiert es eben trotzdem. Und selbst wenn ich aus meiner Sicht allen Anstoß vermieden habe, gibt es im­mer noch Menschen, die Anstoß an etwas neh­men, was ich so gar nicht gesagt oder jedenfalls nicht so gemeint habe.

Und noch was: Schaffen Sie es, immer geduldig zu sein? Immer ru­hig und gelas­sen zu bleiben, auch wenn Ihnen etwas oder jemand furchtbar auf die Nerven geht, auch wenn die Umstände oder die „lieben“ Mitmen­schen Ihnen übel mitspielen?

Ich jedenfalls schaffe auch das nicht. Wenn Paulus sagt: „in allem erweisen wir uns als Diener Gottes in großer Geduld“, dann wüsste ich wirklich gern, wie er das macht. Zwar bilde ich mir ein, dass ich ein relativ geduldiger Mensch bin, aber irgendwann reißt auch bei mir der Faden. Ich muss zwar weder Schläge, noch Gefängnis, noch Aufruhr erdulden wie Paulus. Selbst unter dieser Pandemie, mit der ich so langsam die Geduld verliere, leide ich ja nicht wirklich. Vergli­chen mit dem, was Paulus alles auf­zählt oder was die Menschen in der Ukraine gerade durchmachen, geht es bei meinen Geduldsproben eher um lächerlichen Kleinkram. Aber ge­rade der nervt mich manchmal ganz entsetzlich. Dann fahre ich aus der Haut oder lasse den Besserwisser raushängen, und eh ich’s mich versehe, diene ich nicht mehr Gott, sondern mei­nem eigenen Ego.

Und erst recht schaffe ich es nicht immer, den Spagat auszuhalten zwi­schen der Wirklichkeit, die vor aller Augen ist, und der ganz ande­ren Wirklichkeit Gottes. Paulus und seinesgleichen scheinen das zu können: Sie dienen Gott „als die Unbekannten, und doch be­kannt; als die Sterbenden und siehe, wir leben; als die Trauri­gen, aber alle­zeit fröhlich; als die Armen, aber die doch viele reich ma­chen; als die nichts haben, und doch alles haben“. Aber wie kriege ich das hin? Wie soll ich für Gottes Wahr­heit eintreten in einer Zeit, in der so viel gelogen und betrogen wird? Wie soll ich den Sieg des Lebens verkündi­gen in einer Welt, wo viele Menschen so früh, so brutal und so sinnlos sterben müssen? Wie soll ich die frohe Bot­schaft des Evange­liums glaubhaft vermit­teln, wenn da so vieles ist, was mich und andere traurig macht? Wie soll ich die auf vielerlei Weise Armen dieser Erde überzeugen, dass sie bei Gott unermesslich reich sind? Es gibt zwar Menschen, die so überzeugend auftreten können, dass man ihnen auch den größten Blödsinn glaubt. Manche von denen werden sogar in hohe Ämter gewählt. Aber zu denen ge­höre ich nicht. Zu denen will ich auch gar nicht gehören. Denn ich möchte ja nicht, dass die Menschen mir glauben. Ich möchte dass sie Gott glauben und darauf vertrauen, dass es wahr ist, was er ihnen sagt.

Aber gibt es irgendeinen Grund, warum jemand eine so verrückte Botschaft glauben sollte: Die Welt mit Gott versöhnt – trotz aller Unversöhnlichkeit, der Friede längst geschlossen – trotz allem Streit, allem Krieg rings um uns her, die Gerechtigkeit ein für alle Mal er­wirkt – trotz des all des Unrechts, das zum Himmel schreit? Was ist daran glaubhafter als an den Postwurfsendungen, die uns von Zeit zu Zeit ins Haus flattern? Außen steht „Herzlichen Glückwunsch – Sie haben gewonnen!“ Aber eigentlich will uns nur mal wieder irgend­eine Lotterie das Geld aus der Tasche ziehen.

Nein, kein Mensch kann das Evangelium aus eigener Kraft glauben. Niemand kommt von sich aus dazu, sich auf diese verrückte Bot­schaft zu verlas­sen. Wenn sie trotzdem Glauben findet, dann nur aus einem einzigen Grund. Paulus benennt ihn gleich zu Beginn des Predigt­tex­tes: „Jetzt ist die willkom­mene Zeit, jetzt ist der Tag des Heils!“

Also: gerade jetzt ist diese Bot­schaft dran. Gerade jetzt ist sie das eine, was die Welt drin­gend erfahren muss. Und dass sie es erfährt, dafür sorgt Gott selbst, in dem er seine Boten ausschickt. Denn der Zustand der Welt zeigt ja, wie bitter nötig sie diese Botschaft hat, wie dringend sie Gottes Heil und Gottes Gnade braucht. Wer oder was könnte sie denn sonst retten? Die UNO? Die NATO? Noch zwan­zig Weltklimakon­ferenzen? Bill Gates mit seiner Stiftung? Irgend­welche Superhelden, die es nur im Kino gibt? Oder hilft nur, schlicht nicht mehr hinzusehen und sich einzure­den: „Alles wird gut“?

Nein, wenn Gott nicht die Welt rettet, die er geschaffen hat und liebt, dann kann sie keiner retten. Also kann ich nur entweder verzweifeln – oder es Paulus und den anderen „Mitarbeitern Gottes“ glauben, dass die Welt schon gerettet ist, dass Gott in Christus war und so die Welt tatsächlich mit sich versöhnt hat. Von mir aus könnte ich das nicht. Aber es ist ja die willkommene Zeit, der Tag des Heils. Und des­halb macht Gott es möglich, dass ich seinen Boten Glauben schen­ken kann.

Ein solcher Bote will auch ich sein. Ich will von Gottes Gnade, von seinem Heil reden und entsprechend handeln, so gut ich kann. Und wenn etwas davon bei den Menschen ankommt, zu denen ich rede und an denen ich handle, dann will ich es nicht meinen Fähigkeiten zu­schreiben, sondern Gottes gutem heiligen Geist, der durch mich wirkt.

Es wird auch weiterhin passieren, dass ich dabei Anstoß errege – gewollt oder ungewollt. Auch bei Paulus war es übrigens so, trotz seiner Worte, gerade in Korinth. Aber wenn es schon nicht ohne An­stoß geht, dann mögen es wenigstens Anstöße zum Nach- und Umden­ken sein: Anstöße, die etwas bewegen und so letztlich zum Guten füh­ren.

Und ich werde auch weiterhin immer mal wieder die Geduld verlie­ren. Aber wenn es schon so ist, dann möge Gott mich von der Palme schnell wieder runterholen und mir die Gelassen­heit geben, die Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, und im Übrigen da­rauf zu vertrauen, dass letztlich alles in sei­nen Händen liegt.

Aber ich will nicht nur von mir reden. Denn man muss nicht Pastor oder sonst irgendwie hauptamtlich werden, um Bote und Diener Got­tes zu sein. Alle anderen Christenmenschen, die heute hier sind, kön­nen das ge­nauso gut. Wir alle haben gute Gaben von Gott bekom­men, die wir für ihn einsetzen können – der eine die, die andere jene. Aber streng genommen muss man gar nichts haben und gar nichts können, um ein Mitarbeiter Gottes zu sein. Es reicht, sich offen zu halten für Got­tes Liebe. Es reicht, diese Liebe für das Beste und Wich­tigste zu hal­ten, was einem Men­schen zuteilwerden kann. Und dann kann jede und jeder schlicht und einfach den Rat des Kirchenva­ters Augustin befolgen: „Liebe – und dann tu, was du willst!“ Wetten, dass die Welt dann ein besserer Ort wird? Amen.

Ihr Pastor Martin Klein