Predigt Tal- und Wenschtkirche, Sonntag, 10.05.2020

Gottesdienst für den Sonntag Kantate

Text: 2. Chr 5,1-14 in Auszügen

Als alle Arbeit vollbracht war, die Salomo am Hause des Herrn tat, versammelte er alle Ältesten Israels, alle Häupter der Stämme und die Fürsten der Sippen Israels in Jerusalem, damit sie die Lade des Bundes des Herrn hinaufbrächten aus der Stadt Davids, das ist Zion. Und es versammelten sich beim König alle Männer Israels zum Fest. Und es kamen alle Ältesten Israels, und die Leviten hoben die Lade auf und brachten sie hinauf samt der Stiftshütte und allem heiligen Gerät, das in der Stiftshütte war.

Aber der König Salomo und die ganze Gemeinde Israel, die bei ihm vor der Lade versammelt war, opferten Schafe und Rinder, so viel, dass es niemand zählen noch berechnen konnte. Und die Priester brachten die Lade des Bundes des Herrn an ihre Stätte, in den inners­ten Raum des Hauses, in das Allerheiligste. Und es war nichts in der Lade außer den zwei Tafeln, die Mose am Horeb hineingelegt hatte, die Tafeln des Bundes, den der Herr mit Israel geschlossen hatte, als sie aus Ägypten zogen.

Und alle Leviten, die Sänger waren, nämlich Asaf, Heman und Jedutun und ihre Söhne und Brüder, angetan mit feiner Leinwand, standen östlich vom Altar mit Zimbeln, Psaltern und Harfen und bei ihnen hundertzwanzig Priester, die mit Trompeten bliesen. Und es war, als wäre es einer, der trompetete und sänge, als hörte man eine Stimme loben und danken dem Herrn. Und als sich die Stimme der Trompeten, Zimbeln und Saitenspiele erhob und man den Herrn lobte: »Er ist gütig, und seine Barmherzigkeit währt ewig«, da wurde das Haus erfüllt mit einer Wolke, als das Haus des Herrn, sodass die Priester nicht zum Dienst hinzutreten konnten wegen der Wolke; denn die Herrlichkeit des Herrn erfüllte das Haus Gottes.

Was für ein Fest! Endlich gibt es für den Herrn ein festes Haus in Jerusalem. Endlich gibt es einen angemessenen und bleibenden Platz für die heilige Lade, das Zeichen des Bundes zwischen dem Gott Israels und seinem Volk. Endlich ist man nicht mehr auf das Provisorium eines transportablen Heiligtums angewiesen – „Stifts­hütte“ heißt es bei Luther, „Zelt der Begegnung“ wäre der passen­dere Ausdruck. Denn darum geht es: um einen Ort, an dem Gott wohnt und an dem sein Volk ihm begegnen kann. Da war ein Zelt praktisch, solange man in der Wüste unterwegs war. Aber nun ist Israel schon lange sesshaft geworden. Da braucht es auch für Gott einen festen Wohnsitz, und der ist nun endlich fertig.

Das muss gefeiert werden, denkt sich der König Salomo – dem Herrn zu Ehren natürlich; aber wenn ein bisschen Ruhm auch auf ihn, den Bauherrn, abfällt, hat er sicher nichts dagegen. Also wird geklotzt und nicht gekleckert: Das ganze Volk ist eingeladen (na ja, jedenfalls die männliche Hälfte), die Fürsten und Ältesten voran. Die Priester, die sonst gestaffelt nach Abteilungen Dienst tun, sind alle­samt im Einsatz. So viele Tiere bringen sie zum Opfer dar, dass sie keiner mehr zählen kann. Ein priesterlicher Posaunenchor tritt auf, 120 Mann stark. Und die Leviten, berühmte Psalmdichter unter ihnen, stimmen einen Lobgesang nach dem andern an, begleitet von Saiten- und Schlaginstrumenten. Aus feinstem Stoff sind ihre Gewän­der. Was für ein Anblick, was für ein Klang! Aber das ist noch nicht der Höhepunkt. Der ist erst erreicht, als Gott selbst seine neue Wohnung in Besitz nimmt. Seine Wolke erfüllt den Tempel, wie sie den Berg Horeb umhüllte, wie sie Israel voranging auf dem langen Weg durch die Wüste. Selbst die Priester müssen dafür ihren Dienst unterbrechen: „Der Herr ist in seinem heiligen Tempel. Es sei stille vor ihm alle Welt!“ (Hab 2,20)

Was für ein Fest! Die Chronikbücher sind zwar erst Jahrhunderte nach den Ereignissen entstanden und neigen gern zur Übertreibung. Trotzdem fangen sie etwas ein von der Pracht und dem Glanz, von der Begeisterung und Hochstimmung, die damals in Jerusalem ge­herrscht haben müssen.

Was für ein Fest! Auch wir müssten heute eigentlich eins feiern.  Unsere Kirchen sind zwar nicht neu, aber fast zwei Monate lang konn­ten wir uns hier nicht zum Gottesdienst versammeln. Das gab’s noch nie in der 122-jährigen Geschichte der Kirchengemeinde Kla­feld, weder im ersten noch im zweiten Weltkrieg, und wenn die Kir­che mal zu war wegen Renovierung oder wegen der Heizkosten, dann gab es wenigstens Ausweichmöglichkeiten. Aber jetzt waren alle Kirchen und Gemeindehäuser dicht, in ganz Deutschland, ja, fast in ganz Europa, sogar zu Ostern. Okay, es gab Fernseh- und YouTube-Gottesdienste, auch aus der Talkirche, und wir haben viele  positive Rückmeldungen dazu bekommen. Aber auf die Dauer ist ein Gottesdienst daheim auf dem Sofa, allein oder mit der Kleinfamilie, eben doch kein Ersatz – zumal ja auch nicht jeder die technischen Möglichkeiten hat.

Nun ist dieser Zustand zu Ende. Wir dürfen wieder zusammen sein und sind es heute zum ersten Mal. Da wäre eigentlich ein Fest­gottes­dienst fällig. Mit vollen Bänken natürlich. Und nicht nur mit Orgelklang, sondern mindestens mit Gesangs- oder Posaunen­chor, am besten mit beidem. Und danach ein Empfang mit Sekt und Häppchen – schließlich haben wir noch einen gut von der ausgefalle­nen Presbyter-Einführung.

Stattdessen dürfen wir noch nicht mal singen, und statt Sekt gibt es hinterher noch nicht mal Kaffee. Wir müssen Abstand halten, die Teilnehmerzahl beschränken und in maskierte Gesichter schauen. Und wir müssen für das alles ein schriftliches Konzept vorweisen können, sonst macht das Ordnungsamt uns die Kirche wieder zu. Das Virus ist eben immer noch da, und wir müssen weiter wachsam sein. Kein Wunder, dass da mancher lieber noch zu Hause bleibt – aus Vorsicht oder auch aus Protest. Und so brauchen wir heute noch nicht mal die 130 bzw. 50 Plätze, die wir hätten.

Da mag man neidisch werden, wenn man den biblischen Bericht von der Tempeleinweihung liest. Was hatten die es damals gut! Aber  wenn das alles wäre, was der Text uns vermitteln kann, dann hätte ich heute wohl besser nicht darüber gepredigt. Nein, ich denke, er hat uns durchaus mehr zu sagen als das – etwas, das man vielleicht erst auf den zweiten Blick erkennt. Denn eins fällt mir auf bei dem, was die Chronik uns erzählt: Da wird ein Wahnsinns-Aufwand getrie­ben, da demonstriert der König seinen ganzen sagenhaften Reich­tum und alle zeigen, was sie können, aber für das Entscheidende genügt offenbar etwas ganz Schlichtes. Denn wann erscheint die Wolke im Tempel? Wann erfüllt die die Herrlichkeit des Herrn das Haus Gottes? Nicht als der Tempel vollendet ist seiner Pracht. Nicht als ganz Israel sich versammelt. Nicht als die Lade ins Allerheiligste getragen wird. Nicht als unzählige Opfertiere sterben. Sondern erst als der Lobgesang erklingt, und zwar einstimmig, wie eigens betont wird.

Nicht, dass das einfach wäre! Jeder, der zu einem Chor gehört, weiß, dass echte Einstimmigkeit besonders anspruchsvoll ist. Da muss man als Sänger schon sehr konzentriert sein, gut stützen und gut auf die anderen hören. Und auf 120 Naturhörnern stelle ich mir das noch viel schwerer vor. Aber darauf kommt es, glaube ich, nicht an. Wichtig ist, dass hier etwas geschieht, wofür es den ganzen riesigen Auftrieb gar nicht gebraucht hätte. Einstimmig singen oder spielen, einstimmig Gott loben, das kann eben auch einer allein. Und wo das geschieht, da ist Gott gegenwärtig – nicht nur damals im Tempel von Jerusalem, sondern überall.

Natürlich spricht das nicht gegen Chor- oder Gemeindegesang. Im Gegenteil: Es gibt kaum etwas, das ich gerade so sehr vermisse, und ich glaube, vielen hier geht es ähnlich. Und es bedeutet auch nicht, dass man in der Kirche nur einstimmig singen sollte – obwohl es das ganze Mittelalter hindurch so war und noch Dietrich Bonhoeffer es so gesehen hat. Aber es heißt: Wenn Gott gelobt wird mit Worten und Musik, dann ist er da – egal, ob da nur einer leise vor sich hin singt oder ob der Klang vieler Stimmen eine Kathedrale füllt. Auch egal, ob jemand nur brummen kann oder ob die Gemeinde eher schräg als schön klingt. Hauptsache wir tun zum Lob Gottes, was wir können, auch mit unseren Stimmen. Denn dann erfahren wir seine Gegenwart.

Deshalb bin ich überzeugt: Gott ist auch heute Morgen hier in der Talkirche – auch wenn unser Gotteslob hinterm Mundschutz eher verhalten klingt, auch wenn anhaltende Sorge und Anspannung un­sere Festlaune dämpft. Und deshalb Gott sei Dank, dass wir wieder zusammen Gottesdienst feiern können. Denn auch wenn notfalls einer allein Gott loben kann – besser geht es allemal gemeinsam mit anderen. Und auch wenn Einstimmigkeit im musikalischen Sinne dabei nicht immer erreicht wird – einstimmig sind wir doch in der gemeinsamen Ausrichtung auf Gott, dem wir hier begegnen.

Wo gesungen und musiziert wird, da ist Gott. Das zeigt uns der Be­richt von der Tempeleinweihung, und das erfahren wir auch hier im Gottesdienst. Aber ich denke, es gilt sogar, wenn wir ganz woanders sind und wenn uns gerade gar nicht bewusst ist, dass wir Gott loben durch unsere Musik. Denn dass wir Musik machen können, das ist ja Gottes Gabe – ich würde sogar sagen: seine schönste Gabe an uns, seine Geschöpfe. Singen und Musizieren – das hat auch die Wissenschaft längst festgestellt – tut deshalb einfach gut – denen, die’s tun, und auch denen, die es hören.

Viele bewegende Beispiele dafür gab es ja gerade in der letzten Zeit: von Opernarien auf dem Balkon über Bläserserenaden auf Plätzen und Wiesen bis zu virtuellen Chören und Konzerten im Internet. Viele Menschen sind dadurch getröstet worden, haben Angst und Sorge überwunden und wieder Mut gefasst. Längst nicht alle waren da im Namen Gottes zugange, und trotzdem war er, glaube ich, verbor­gen am Werk, um uns durch diese Krise zu helfen. Ja, „der Herr ist gütig, und seine Barmherzigkeit währt ewig“. So haben die Leviten damals zu Recht gesungen. Und so mögen auch wir es im­mer wieder erfahren – gerade in diesen Zeiten und gerade durch die Gabe der Musik.

Also, mit Paulus gesprochen: „Singt Gott dankbar in euren Herzen“. Das zumindest geht immer. Und wo es geht, da singt es auch laut hinaus – hoffentlich bald auch wieder in der Kirche. Ich jedenfalls freu mich schon darauf – und über alle, die dann mitsingen! Amen.

Ihr Pastor Martin Klein