Predigt vom 14. September

GOTTESDIENST ZUM KARTOFFELBRATFEST

17. Sonntag nach Trinitatis
FeG
Sohlbach, 14.9. 2008
Pfr. Dr. Martin Klein
Text: Eph 4,1-6

Das, was ich hier
in der Hand halte, liebe Geschwister, ist eine Kartoffel, eine der
nahrhaftesten Pflanzen der Welt.

Jetzt denken Sie
wahrscheinlich: „Dat wesse mir och, dat dat en Duffel es, do bruche
mr kin Pasduur zoo!“

Nun, ich weiß
natürlich, dass Sie das wissen. Aber versetzen Sie sich doch mal
300 Jahre in die Vergangenheit! Stellen Sie sich vor, Sie hätten
diese exotische Pflanze aus dem fernen Amerika noch nie im Leben
gesehen. Dann würden Sie wahrscheinlich ganz anders denken: „Wat?
Dat ronzlije, drecklije Denge sull mer easse kunn? Dat kaasde oos
net verzälln!“ Weil die Siegerländer Bauern damals so dachten, musste
die Obrigkeit sie zu ihrem Glück zwingen und den Kartoffelanbau
befehlen. Mit großem Erfolg allerdings. Denn schon bald wurde die
Kartoffel das Siegerländer Grundnahrungsmittel – von den
„Pellduffeln“ bis zum „Riewekooche“. Wahrscheinlich hätte es unsere
Gegend ohne die Kartoffel nie zu einer „Provinz voll Leben“ gebracht,
sondern wäre heute ein ziemlich entvölkerter Landstrich. Deshalb
wird die Kartoffel ja auch mit einem eigenen Fest bedacht – nicht
nur in Sohlbach und Buchen.

Vielleicht rutscht
jetzt mancher schon im Geiste unruhig hin und her und fragt sich,
warum der Pastor eigentlich heute eine Predigt über Kartoffeln hält.
Wo bleibt denn da der geistliche Nährwert?

Keine Sorge, auf
den komme ich sofort! Denn außer Land und Leute zu nähren, gelingt
der Kartoffel hier und heute noch etwas, das sonst äußerst selten
passiert: dass nämlich Landes- und Freikirchler, evangelische Gemeinden
und örtliche Vereine gemeinsam Gottesdienst feiern. Das schaffen
wir weder zu Weihnachten, noch zu Ostern, noch zu Pfingsten. Fast
sieht es so aus, als seien die Kartoffeln, die wir alle essen, und
vielleicht noch der Dank an Gott dafür, der einzige gemeinsame Nenner,
auf den wir uns verständigen können. Dann wär’s allerdings nicht
viel, was wir gemeinsam haben, und das wäre traurig. Aber gottlob
ist es anders, auch wenn uns das vielleicht nicht immer bewusst
ist. Es gibt nämlich eine Einheit zwischen allen Christenmenschen,
die so tief bzw. so hoch reicht, dass wir sie überhaupt nicht auflösen
können. Davon spricht der Bibelabschnitt, der für heute zum
Predigen vorgeschlagen ist. Er steht im Epheserbrief, im vierten
Kapitel. Dort schreibt ein Schüler des Apostels Paulus in dessen
Namen folgendes:

So ermahne
ich euch nun, ich, der Gefangene in dem Herrn, dass ihr der Berufung
würdig lebt, mit der ihr berufen seid, in aller Demut und Sanftmut,
in Geduld. Ertragt einer den andern in Liebe und seid darauf bedacht,
zu wahren die Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens: ein
Leib und ein Geist, wie ihr auch berufen seid zu einer Hoffnung
eurer Berufung; ein Herr, ein Glaube, eine Taufe; ein Gott und Vater
aller, der da ist über allen und durch alle und in allen.

Auch damals, am
Ende des ersten Jahrhunderts nach Christus, war die Einheit der
Christen schon gefährdet; sonst müsste diese Ermahnung hier nicht
stehen. Weit verstreut waren die kleinen christlichen Gemeinden.
Sie standen unter äußerem Druck und waren deshalb in der Gefahr,
nur die eigenen Probleme zu sehen und die Gemeinschaft mit den auswärtigen
Geschwistern zu vergessen. Und außerdem: Die Generation, die Jesus
und die Anfänge noch erlebt hatte, starb jetzt allmählich aus. Deshalb
mussten die Christen sich darüber klar werden, was ihre gemeinsame
Basis war und wie man sie in Zukunft festhalten sollte. Darüber
gab es natürlich verschiedene Ansichten und entsprechend manchen
Streit.

Das ist seitdem
leider nicht anders und nicht besser geworden, trotz der ganz anderen
Situation, in der wir leben. Deshalb kann es wohl auch uns nicht
schaden, darauf zu hören, was der Epheserbrief zu sagen hat, um
die Einigkeit der Christen zu stärken.

Ich fange dazu
am besten von hinten an: „Es ist ein Gott und Vater, der da ist
über allen und durch alle und in allen“. Ein Gott hat Himmel
und Erde geschaffen. Einer durchdringt und umfasst alles, was lebt.
Einer ist der Vater aller Menschenkinder. Einer nur lässt die Kartoffeln
wachsen und „gibt Speise reichlich und überall“ (an der schlechten
Verteilung – nebenbei bemerkt – sind wir schuld). Darauf
können wir uns rasch verständigen – auch mit Juden und Muslimen.
„Wir glauben doch alle an denselben Gott“, sagen wir dann gern.
Und das ist ja auch richtig: Wenn es nur einen Gott gibt, dann müssen
auch alle, die ihn verehren, diesen einen Gott meinen. Nur glauben
sie damit noch lange nicht alle dasselbe. Denn dazu müssten sie
ja Gott in seiner ganzen Größe erfassen können. Das kann aber keines
seiner Geschöpfe – so wie ein Fisch das Meer nicht erfassen kann,
in und von dem er lebt. Was wir von Gott erkennen, ist immer nur
ein kleiner Ausschnitt. Und diese Ausschnitte mögen sich vom einen
zum andern überschneiden, aber sie decken sich nie völlig. Nur der
Glaube an den einen Gott kann also die Einheit der Christen nicht
begründen – erst recht keine Einheit aller Religionen.

Dazu muss noch
etwas kommen: „ein Herr, ein Glaube, eine Taufe“. Der „Herr“ ist
Jesus Christus, der Mensch gewordene Sohn Gottes. Der „Glaube“ ist
das Vertrauen auf Gottes Liebe, die sich darin zeigt, dass er unser
Menschsein auf sich genommen hat. Und die Taufe ist das sicht- und
spürbare Zeichen dafür, dass wir zu diesem Herrn gehören und den
Glauben an ihn teilen. Auch damit ist der eine Gott und Vater nicht
zur Gänze erfasst. Aber mehr brauchen wir über ihn gar nicht zu
wissen. Dass Gott die Liebe ist, und dass wir das an Jesus Christus
erkennen können, darauf zu vertrauen genügt im Leben und im Sterben,
das ist die Einheit, die uns alle verbindet. Und diese Einheit können
wir gar nicht zerstören, selbst wenn wir uns in noch so viele Konfessionen
zerspalten. Denn sonst müssten wir ja Gott selbst zerteilen können,
und das ist unmöglich.

Wir sind also
längst eins, sagt der Epheserbrief. Wir mögen unseren Glauben verschieden
leben und gestalten, wir mögen uns als Kirchen und Gemeinden unterschiedlich
organisieren, wir mögen uns aufgrund ganz menschlicher Probleme
streiten oder aus dem Weg gehen, aber es gibt für uns alle nur den
einen Christus, den einen Glauben, die eine Taufe, den einen heiligen
Geist, der uns mit Gott und untereinander verbindet. Das – und nicht
das Kartoffelbratfest – ist der eigentliche Grund, warum wir hier
gemeinsam Gottesdienst feiern. Aber auch, wenn wir alle in unserer
„eigenen“ Kirche sitzen, hier in der FeG oder in der Talkirche oder
im Wenscht oder in Buschhütten oder zu Hause vorm Fernsehgottesdienst
oder wo auch immer – auch dann haben wir teil an dem einen großen
Lobpreis Gottes, der die ganze Welt umspannt; auch dann werden unser
Dank und unsere Bitten ein Stück des einen großen Gebets, das zu
den Ohren Gottes dringt; auch dann gehören wir zum einen Leib Christi.

Na schön, denkt
jetzt vielleicht mancher, wenn das so ist, dann kann ja alles so
bleiben. Dann können wir Christen uns ruhig weiter gegenseitig belehren,
beneiden oder beargwöhnen – wenn wir irgendwie doch alle eins sind,
ist das ja gar nicht so schlimm. Das wäre aber falsch gedacht. Denn
wenn wir alle eins sind, dann muss das auch Konsequenzen haben –
ganz konkret im alltäglichen Christenleben. Und diese Konsequenzen
benennt uns der Ephesertext gleich zu Beginn: „ertragt einander
in Liebe“, heißt es da, „wahrt das Band des Friedens“, zeigt euch
der Berufung zum einen Leib Christi würdig, indem er „in Demut,
Sanftmut und Geduld“ miteinander umgeht.

Mir hat es von
diesen Ermahnungen vor allem eine angetan: „ertragt einander“. Dadurch
wird nämlich deutlich, dass es hier nicht um künstliche Harmoniesucht
geht, nicht darum, dass wir um des lieben Friedens willen alle Differenzen
unter den Teppich kehren. Wenn mich an meinen Mitchristen etwas
stört oder ärgert, soll ich das weder runterschlucken noch verdrängen,
sondern ich soll es erst einmal schlicht – ertragen. Erst wenn das
gelingt, kann ich anfangen zu verstehen, und erst wenn ich verstehe,
kann ich Störendes überwinden, Streit begraben und mit meinem Gegenüber
auch ganz praktisch einig werden.

Wahrscheinlich
müssen wir, die wir heute hier zusammen sind, uns in vielerlei Hinsicht
erst noch im „einander Ertragen“ üben. Das gilt zwischen Kirchengemeinde
und FeG, auch wenn wir uns Gott sei Dank schon näher gekommen sind
und einander besser verstehen als in vergangenen Zeiten. Das gilt
aber auch innerhalb unserer Kirchengemeinde, in der die Sohlbach-Buchener
aufgrund der belastenden Entscheidungen der letzten Jahre noch nicht
wirklich ankommen konnten. Auch da sind wir nach meinem Gefühl mit
dem „einander Ertragen“ schon vorangekommen. Vielleicht können wir
nun so langsam damit beginnen, einander auch zu verstehen und uns
dann gemeinsam auf den Weg machen. Schließlich ist es nach Epheser
4 auch eine Hoffnung, zu der wir berufen sind: dass nichts
mehr uns trennen möge, weder von Gott noch voneinander. Und an Gott
soll’s nicht liegen, dass diese Hoffnung in Erfüllung geht.

Amen.