Predigt vom 8. März 2009

GOTTESDIENST FÜR DEN SONNTAG
REMINISZERE

Talkirche, 8.3. 2009
mit
Einführung von Katrin Breitweiser und Lukas Hermeling ins Presbyteramt
Pfr.
Dr. Martin Klein
Text: Mk 12,1-12

In unseren globalisierten Zeiten fällt es
Ihnen sicher nicht schwer, sich folgendes vorzustellen:

Ein großer deutscher Industrie-Konzern hat
ein neues Werk in – sagen wir mal – Südamerika gebaut. Man hat viel
investiert, das Werk nach dem neusten Stand der Technik ausgerüstet,
Personal eingestellt und geschult und schließlich auch das Management
mit einheimischen Kräften besetzt. Die sollen nun eigenständig wirtschaften
und lediglich einen Anteil vom Gewinn an den Mutter-Konzern abführen.
Alles scheint bestens geregelt, die deutschen Experten rücken ab
und dem Vernehmen nach laufen Produktion und Absatz gut. Nur: Es
vergeht ein Jahr nach dem anderen, aber aus dem neuen Werk gehen
keine Gewinne ein, kein einziger müder Euro. Nach einigem Abwarten
wird man in der Konzernzentrale unruhig. Man hat schließlich viel
rein gesteckt in dieses Werk, und die Aktionäre fragen, wo ihre
Dividende bleibt. Also wird viel telefoniert und gemailt und die
Vorlage der Bilanzen verlangt, aber es kommt keine Rückmeldung.
Interne Wirtschaftsprüfer werden hingeschickt, aber die werden unfreundlich
abgewiesen und erhalten keine Akteneinsicht. Schließlich reist eine
hochrangige Delegation an mit dem Vize-Konzernchef an der Spitze.
Das wird nun endlich Eindruck machen, denkt man. Aber die Delegation
hat kaum das Gelände betreten, da kommt der Werkschutz, zwingt die
ganze Gesellschaft mit vorgehaltener Waffe in einen Kleinbus und
fährt sie umgehend zurück zum Flughafen. Anschließend werden alle
wegen angeblich ungültiger Visa des Landes verwiesen – der Innenminister
war der Werksleitung noch einen Gefallen schuldig.

Ein unglaublicher Vorgang, oder? Was meinen
Sie, was die Konzernspitze in Deutschland nun tun wird? Sicher Ähnliches
wie jener Weinbergbesitzer, von dem Jesus mal erzählt hat:

Ein Mensch pflanzte einen Weinberg und
zog einen Zaun darum und grub eine Kelter und baute einen Turm und
verpachtete ihn an Weingärtner und ging außer Landes. Und er sandte,
als die Zeit kam, einen Knecht zu den Weingärtnern, damit er von
den Weingärtnern seinen Anteil an den Früchten des Weinbergs hole.
Sie nahmen ihn aber, schlugen ihn und schickten ihn mit leeren Händen
fort. Abermals sandte er zu ihnen einen andern Knecht; dem schlugen
sie auf den Kopf und schmähten ihn. Und er sandte noch einen andern,
den töteten sie; und viele andere: die einen schlugen sie, die andern
töteten sie. Da hatte er noch einen, seinen geliebten Sohn; den
sandte er als letzten auch zu ihnen und sagte sich: „Sie werden
sich vor meinem Sohn scheuen.“ Sie aber, die Weingärtner, sprachen
untereinander: „Dies ist der Erbe; kommt, lasst uns ihn töten, so
wird das Erbe unser sein!“ Und sie nahmen ihn und töteten ihn und
warfen ihn hinaus vor den Weinberg. Was wird nun der Herr des Weinbergs
tun? Er wird kommen und die Weingärtner umbringen und den Weinberg
andern geben.

Wenn man das so liest und hört, fragt man
sich vor allem eins: Was ist das für ein Weinbergbesitzer, der in
fast unerschütterlichem Gleichmut einen Boten nach dem anderen und
schließlich sogar seinen geliebten Sohn ins Verderben schickt, obwohl
er damit absolut nichts erreicht? Schon die oben erwähnte Konzernführung
wird sich wahrscheinlich auf der nächsten Aktionärsversammlung unbequeme
Fragen anhören müssen: Warum habt ihr die Sache bloß so lange schleifen
lassen? Warum habt ihr nicht früher ernsthaft durchgegriffen? Aber
dieser Weinbergbesitzer setzt da noch einen drauf. Er scheint der
lebendige Beweis für die These zu sein, dass realitätsblinde Gutmenschen
für die Gesellschaft mindestens genauso gefährlich sind wie notorische
Bösewichter. Denn es zeigt sich ja hier wieder mal, dass man mit
Geduld und Zurückhaltung bei hartnäckigen Übeltätern nichts erreicht,
außer dass ihre Verbrechen immer dreister werden und die Gewalt
immer mehr eskaliert.

Jesus will allerdings weder den Spruch „Vertrauen
ist gut, Kontrolle ist besser“ illustrieren, noch geht es ihm um
die Frage, ob man Kriminalität besser auf die harte oder auf die
weiche Tour bekämpft. Vielmehr spielt Jesus hier deutlicher als
sonst auf sich selber an, auf seine Sendung und sein Schicksal.
Viele Ausleger meinen deshalb, dass dieses Gleichnis erst nach Jesu
Tod und Auferstehung entstanden sein kann. Ich denke aber, dass
es in den Zusammenhang, in dem es bei Markus steht, gut hineinpasst.

Es sind die letzten Tage vor dem Passahfest,
die letzten Tage Jesu in Jerusalem. Sein umjubelter Einzug hat beim
Hohen Rat, der jüdischen Autonomiebehörde im römisch besetzten Judäa,
Anstoß und Besorgnis erregt: „Wieder einer, der sich für den Messias
hält! Nicht nur, dass er damit Gott lästert, er beschwört auch politische
Unruhen herauf. Wenn die eskalieren, dann schlagen die Römer zu,
und es gibt Hunderte, wenn nicht Tausende von Toten in der überfüllten
Stadt.“ Dass Jesus dann im Tempelhof auch noch Wechselstuben demoliert
und Opfervieh verjagt, bestätigt die schlimmsten Befürchtungen.
Und man kommt zu dem Schluss: Dieser Jesus muss weg, ehe er noch
Schlimmeres anrichtet,  möglichst ohne großes Aufsehen, weil
er so viele Anhänger hat.

In diese gespannte Lage hinein erzählt nun
Jesus dieses Gleichnis. Er kann sich ausrechnen, was seine Gegner
vorhaben. Er weiß, dass er sterben muss. Aber er flieht nicht, und
er nimmt auch nichts von dem zurück, was er gesagt und getan hat.
Im Gegenteil: er spitzt es noch zu. Von der Wahrheit, wie er sie
sieht, kann und will er keine Abstriche machen.

Die Hohenpriester, Schriftgelehrten und Ältesten
aus dem Hohen Rat, begreifen sofort, dass Jesu Gleichnis auf sie
gemünzt ist. Der „Weinberg“ war ein altes biblisches Bild für das
Volk Israel. Deutlich spielt Jesus auf den Jesaja-Text an, den wir
vorhin als Schriftlesung gehört haben. Aber während Jesaja den Weinberg,
also das ganze Volk anklagt, weil es keine Frucht bringt, trifft
der Vorwurf Jesu die Weinbergpächter, also die Führungsschicht,
die vor Gott für sein Volk Verantwortung trägt. Die, so lässt er
durchblicken, hat noch nie auf Gottes Boten gehört: den Propheten
Amos hat sie des Landes verwiesen, Jesajas Mahnungen in den Wind
geschlagen, Jeremia fast ums Leben gebracht. Noch vor kurzem hat
sie für Johannes den Täufer keinen Finger gerührt, als Herodes Antipas
ihn einkerkern und enthaupten ließ. Jahrhunderte lang hat Gott eine
Engelsgeduld bewiesen, hat nichts unversucht gelassen, um die Oberen
seines Volkes zu warnen und zur Umkehr zu rufen. Aber nie wollten
sie die unbequeme Wahrheit hören, immer sind sie nur ihren eigenen
Interessen gefolgt, wollten ihre Macht, ihren Besitz, ihre Privilegien
sichern. All ihre Sorge um Ruhe und Frieden im Land ist für Jesus
nur vorgeschoben. In Wahrheit geht es ihnen einzig und allein um
sich selbst.

Und so trifft nun Jesus das gleiche Schicksal
wie alle Propheten vor ihm. Er stellt sich mit ihnen in eine Reihe,
aber zugleich ist er mehr als sie: er ist der geliebte Sohn, er
redet nicht nur die Wahrheit, er ist Gottes Wahrheit für die Menschen.
Viele im Volk spüren diese Wahrheit, aber die Oberen, in ihrer egoistischen
Logik gefangen, nehmen sie nicht wahr. Sie können dafür sorgen,
dass Jesus stirbt, und sie werden es tun. Aber Gottes Wahrheit können
sie nicht zerstören – im Gegenteil: indem sie Jesus verurteilen,
richten sie über sich selbst.

Wie das geschehen ist, das deutet das Bibelwort
an, dass die christliche Gemeinde später an Jesu Gleichnis angefügt
hat:

Habt ihr denn nicht dieses Schriftwort
gelesen: »Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der ist zum
Eckstein geworden. Vom Herrn ist das geschehen und ist ein Wunder
vor unsern Augen«?

Die jüdischen Oberen, die römischen Henker,
sie alle glaubten mit Jesus fertig zu sein. Ausgestoßen hatten sie
ihn aus dem Volk Gottes, beseitigt war der Störenfried, und seine
Anhänger würden sich zerstreuen. Aber sie haben alle nicht damit
gerechnet, dass Gott das letzte Wort spricht. Dass er Jesus auferweckt
von den Toten, dass er damit bestätigt: dieser Verstoßene, dieser
angebliche Gotteslästerer ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen
habe. Und so wird Jesus zum Grundstein eines neuen Tempels, zum
Begründer eines neuen Gottesvolkes, zu dem jetzt nicht mehr nur
Israel gehört, sondern Menschen aus aller Welt. Für dieses neue
Gottesvolk tragen nun andere Menschen die Verantwortung. Ob sie
ihr besser gerecht werden?

Und damit bin ich bei uns, heute und hier
in diesem Gottesdienst. Zwei Menschen aus unserer Gemeinde werden
heute ins Presbyteramt eingeführt. Auch sie werden damit Pächter
im Weinberg, übernehmen Verantwortung für das Volk Gottes, Abteilung
Ev.-Ref. Kirchengemeinde Klafeld – eine Verantwortung die wir anderen
Mitglieder des Presbyteriums schon eine längere oder kürzere Weile
tragen. Werden wir ihr gerecht? Sorgen wir so für die Glieder dieser
Gemeinde, kümmern wir uns so um die materiellen Dinge, die dafür
nötig sind, dass wir damit vor Gott bestehen können, wenn er nach
dem Ertrag unserer Arbeit fragt? Wir sollten nicht denken, dass
man bei Kirchens Papst oder mindestens Bischof sein muss, um vom
Machtvirus angesteckt zu werden. Auch so mancher einfache Pfarrer
oder Presbyter hat schon sein Amt missbraucht, um sein eigenes Geltungsbedürfnis
zu befriedigen, und es nach Kräften ignoriert, wenn die Gemeinde
dabei Schaden erlitten hat.

Ich habe zwar nicht den Eindruck, dass wir
im Moment in dieser Gefahr stehen. Im Gegenteil: Diesem Presbyterium
ist es in den letzten Jahren in seltener Weise gelungen, persönliche
Wünsche und Interessen zurückzustellen und auch unpopuläre Entscheidungen
einmütig zu treffen, um damit letztlich dem Wohl der ganzen Gemeinde
zu dienen. Dieses gute Einvernehmen ist ein hohes Gut und verdient
den Respekt der ganzen Gemeinde. Und wir sind auch zuversichtlich,
dass die beiden neuen Leute sich mit ihren Gaben gut in diese Gemeinschaft
einfügen werden. Aber wir dürfen uns nicht darauf ausruhen. Wir
müssen uns immer wieder neu fragen, jeder für sich persönlich und
auch im Gespräch miteinander, ob wir mit unserem Handeln Gott die
Ehre geben und das Beste für die uns anvertrauten Menschen tun.
Wenn wir uns dabei an Jesus ausrichten, an der Wahrheit Gottes,
die er verkörpert und zu uns bringt, dürften wir auf der richtigen
Spur sein.

Und natürlich gilt das alles nicht nur für
das Leitungspersonal im Weinberg des Herrn, sondern für jeden Christen,
der seinen Glauben bewusst im Alltag leben will. Uns allen hat Gott
etwas anvertraut: Gaben und Aufgaben. Uns allen begegnet er immer
wieder mit Liebe und Geduld, nicht, damit wir sie schamlos ausnutzen,
sondern damit wir sie zum Maßstab unseres Handelns machen. Und dann
möchte er auch die Früchte sehen, die daraus wachsen: in der Familie,
im Freundeskreis, bei der Arbeit und in der Freizeit, in der Politik
und gerade auch in der Wirtschaft, von der anfangs die Rede war.
Warum sollten wir ihm diese Früchte vorenthalten?

Amen.

Predigt vom 1. März

GOTTESDIENST FÜR DEN SONNTAG
INVOKAVIT

Wenschtkirche, 1.3. 2009
Pfr. Dr. Martin Klein
Text:
Mt 4,1-11

Da wurde Jesus
vom Geist in die Wüste geführt, damit er von dem Teufel versucht
würde. Und da er vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte,
hungerte ihn. Und der Versucher trat zu ihm und sprach: „Bist du
Gottes Sohn, so sprich, dass diese Steine Brot werden.“ Er aber
antwortete und sprach: „Es steht geschrieben: »Der Mensch lebt nicht
vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund
Gottes geht.«“

Da führte ihn
der Teufel mit sich in die heilige Stadt und stellte ihn auf die
Zinne des Tempels und sprach zu ihm: „Bist du Gottes Sohn, so wirf
dich hinab; denn es steht geschrieben: »Er wird seinen Dengeln deinetwegen
Befehl geben; und sie werden dich auf den Händen tragen, damit du
deinen Fuß nicht an einen Stein stößt.«“ Da sprach Jesus zu ihm:
„Wiederum steht auch geschrieben: »Du sollst den Herrn, deinen Gott,
nicht versuchen.«“

Darauf führte
ihn der Teufel mit sich auf einen sehr hohen Berg und zeigte ihm
alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit und sprach zu ihm: „Das
alles will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest.“
Da sprach Jesus zu ihm: „Weg mit dir, Satan! denn es steht geschrieben:
»Du sollst anbeten den Herrn, deinen Gott, und ihm allein dienen.«“
Da verließ ihn der Teufel. Und siehe, da traten Engel zu ihm und
dienten ihm.

Es gibt viele
Menschen, auch viele Christen, die können mit dieser Geschichte
nichts mehr anfangen. Der Teufel als Person, die herzutreten und
sprechen kann? Das ist doch finsterer Aberglaube! Oder ein Jesus,
der Stimmen hört und Visionen hat – vielleicht gar hervorgerufen
durch Hunger oder Einsamkeit? Das würde ihn für rational denkende
Menschen nicht gerade vertrauenswürdig machen. Und selbst wenn Jesus
tatsächlich so etwas erlebt hätte, warum hätte er anderen davon
erzählen sollen? Wenn man schon vierzig Tage in der Wüste verbringt,
dann will man doch wohl allein sein mit sich oder mit Gott, und
das geht sonst keinen etwas an. Für viele Ausleger der Geschichte
bleibt demnach nur das moralische Vorbild übrig: „So wie Jesus in
der Versuchung standhaft blieb, so auch ihr, seine Nachfolger!“
Aber das allein kann’s auch nicht sein; denn Jesu Versuchungen sind
ja sehr speziell, ganz auf den „Sohn Gottes“ zugeschritten. Unsere
Glaubensprüfungen sehen ganz anders aus, und man könnte uns kaum
damit locken, Steine in Brot zu verwandeln oder ohne Fallschirm
von einem Turm zu springen. Also hat schon so mancher gedacht, dass
man diesen Bibelabschnitt getrost ad acta legen kann – ein Stück
Mythologie, uns nicht mehr zugänglich und unerheblich für das tägliche
Christenleben.

Eins allerdings
macht mich nachdenklich: Je mehr die biblische  Versuchungsgeschichte
aus unserer Wirklichkeit verschwindet, desto mehr beschäftigt sie
offenbar unsere Phantasie. Man beachte dazu nur mal die erfolgreichsten
Büchern und Filmen der letzten Jahrzehnte, denn dort begegnet uns
das Thema „Versuchung“ auf Schritt und Tritt: Saurons Ring, der
auch die Stärksten schwach werden lässt und unter seine Herrschaft
zwingt. Darth Vader, der Luke Skywalker auf die „dunkle Seite der
Macht“ ziehen will. Harry Potter, der Lord Voldemort bekämpft, aber
auch ein Stück von dessen Seele in sich trägt. Batman, der Verbrecherjäger
im Fledermauskostüm, der den bösen „Joker“ anscheinend nur besiegen
kann, wenn er ebenso wie er über Leichen geht. In immer neuen Variationen
stehen sie sich hier gegenüber: die guten, aber angefochtenen Helden
und das personifizierte Böse. All diese Geschichten spielen in Phantasie-Welten.
Anscheinend haben sie mit unserem Alltag wenig zu tun. Und doch
fiebern Millionen von Menschen in der ganzen Welt mit, bis das Gute
am Ende den Sieg behält. Offensichtlich sind uns diese fernen Welkten
also doch sehr nah. Wie kommt das?

Es liegt wohl
daran, dass es ein Urinstinkt von uns Menschen ist, mit einer Macht
des Bösen zu rechnen, auch wenn wir sie uns nicht als Person vorstellen.
Und dazu kommt, dass dieser Urinstinkt gerade in den letzten hundert
Jahren reichlich Nahrung erhalten hat. Wir selbst oder unsere Eltern
und Großeltern haben es ja erlebt, dass auch die löblichsten Ziele
und die anständigsten Menschen auf übelste Weise korrumpiert werden.
Was für eine erstrebenswerte Sache wäre zum Beispiel eine klassenlose
Gesellschaft, in der jeder Mensch gleich viel gilt – aber wie viele
Millionen Menschen sind gestorben, um sie herbei zu zwingen! Oder
nehmen wir die Schergen des NS-Regimes: einerseits tierlieb, musik-
und kunstbeflissen, vorbildliche Ehemänner und Familienväter, andererseits
eiskalte und brutale Verbrecher! Es braucht offenbar nicht viel,
um aus einem vernünftigen, zivilisierten Menschen ein Ungeheuer
zu machen, das schlimmer ist als jedes Raubtier. Und wer von uns
kann die Hand dafür ins Feuer legen, dass er gegebenenfalls nicht
auch zu allem fähig ist? Wer kann garantieren, dass er sich nicht
verführen lässt, wenn nur das Angebot verlockend genug ist?

Und deshalb faszinieren
uns all die Beutlins, Potters oder Batmans, all die Buch- und Filmgestalten,
die verführbare Sterbliche sind wie wir selber und es trotzdem schaffen,
den Teufelskreis des Bösen zu durchbrechen und standhaft zu bleiben
gegen alle Versuchungen. Denn so wären wir ja auch gern. Und deshalb
träumen wir uns mit ihrer Hilfe für ein paar Stunden in eine bessere
Welt, in der das Gute über das Böse triumphiert. Doch wenn wir das
Buch zuklappen oder den Kinosaal verlassen, müssen wir enttäuscht
zur Kenntnis nehmen, dass es das alles nur in Mittelerde gibt oder
in einer weit entfernten Galaxie.

Nun behauptet
allerdings die biblische Versuchungsgeschichte, dass es wenigstens
einmal anders war. Dass wenigstens ein Mensch, der in dieser ganz
realen Welt gelebt hat, „versucht war wie wir, doch ohne Sünde“.
Diese Geschichte nimmt, denke ich, nicht für sich in Anspruch, eine
einmalige, wirkliche Begebenheit aus dem Leben Jesu zu schildern.
Aber sie verdichtet in einer kurzen Erzählung, was den Lebensweg
Jesu insgesamt ausgezeichnet hat. Sie versteht sich als das Vorzeichen,
unter dem alles steht, was die Evangelien über Jesus berichten.
Deshalb ist sie eine wahre Geschichte – jedenfalls für alle, die
glauben, dass Jesus tatsächlich Gottes Sohn ist. Und was in ihren
modernen Variationen an Wahrheit steckt, das haben sie von ihr geborgt.
Grund genug, nun doch noch einmal genauer hinzuschauen: Was sagt
denn die Versuchungsgeschichte über die Macht des Bösen, über Jesus
und damit auch über uns?

Zunächst zeigt
sich, dass der Teufel auch bei Jesus genau weiß, wo er ihn packen
muss, wenn er ihn überhaupt zu packen bekommen will: Nicht bei irgendwelchen
Schwächen, sondern gerade bei dem, was ihn stark macht: dass er
Gottes Sohn ist, von Gott gesandt, um der Welt das Heil zu bringen.
Das hat sein Vater im Himmel ihm gerade erst zugesprochen bei der
Taufe im Jordan. Und in diesem Bewusstsein, bewegt vom Geist Gottes,
hat er sich auf den Weg in die Wüste gemacht. Der Teufel weiß das
und nutzt es aus: „Bist du Gottes Sohn, so sprich, dass diese Steine
Brot werden.“

Es geht hier nicht
nur darum, dass Jesus mit seinen göttlichen Fähigkeiten seinen akuten
Hunger stillt. Das wäre billig: Ich zaubere mir ein bisschen Brot,
und schon bin ich satt! Nein, hier sind noch andere Dinge mit im
Spiel: Israel in der Wüste, von Gott mit Brot vom Himmel versorgt.
5000 Menschen, die Jesus satt werden lässt, ausgehend von fünf Broten
und zwei Fischen. Bei Johannes wollen sie ihn dafür zum König machen.
Und genau darin liegt die Versuchung: „Du, Jesus, du, der Sohn Gottes,
du könntest nicht nur deinen eigenen Hunger stillen, sondern den
Hunger von der Erde tilgen. Brot für die Welt – du könntest es wahr
machen, ganz ohne Spendensammlung. Alle werden satt. Alle bekommen,
was sie zum Leben brauchen – und du bist es, der es ihnen gibt.
Sie werden dich lieben dafür, sie werden dich verehren, sie werden
alles tun, was du willst, wenn du nur weiter ihre Bedürfnisse befriedigst:
Mach uns ruhig zu Sklaven, aber mach uns satt! Und dann werden sie
dir bedingungslos folgen, was auch immer du ihnen befiehlst.“

Aber Jesus sagt
nein. So will er nicht Sohn Gottes sein. Denn wer den Menschen auf
seine materiellen Bedürfnisse reduziert, und sei es mit edlem humanitärem
Anstrich, der nimmt ihm seine Würde, seine Freiheit. Er verleugnet,
dass der Mensch nicht vom Brot allein lebt, sondern von jedem Wort,
das aus dem Mund Gottes geht. Durch dieses Wort ist der Mensch Gottes
Ebenbild, sein lebendiges Gegenüber. Als solches hat er auch ein
Recht, satt zu werden, das ist wahr. Aber er muss dafür nicht jede
Hand lecken, die ihn füttert. Das ist unter seiner Würde. Diesem
Wort Gottes bleibt Jesus gehorsam, und damit hat der Teufel die
erste Runde verloren.

Beim zweiten Mal
stellt er es noch schlauer an: „Du bist Gottes Sohn“, sagt er, „aber
alles, was du Gutes sagst und tust, wird nichts helfen, solange
die Menschen dir das nicht abnehmen. Sie glauben nun mal nur, was
sie sehen. Also brauchen sie ein Zeichen, ein Wunder, das man nicht
irgendwie anders erklären kann und das nur der Sohn Gottes vollbringen
kann. Dann bist du „Jesus Christ Superstar“, dann werden sie an
deinen Lippen hängen, dir alles glauben, was du ihnen von Gott erzählst
– und das willst du doch, oder? Also stürz dich ruhig hinunter in
den Tempelhof – vor all den vielen Menschen, die da jeden Tag herumlaufen!
Dein Vater im Himmel wird schon dafür sorgen, dass du heil unten
ankommst.“ Und zum Beweis zitiert nun auch der Teufel die Bibel:
„Er wird seinen Engeln deinetwegen Befehl geben; und sie werden
dich auf den Händen tragen, damit du deinen Fuß nicht an einen Stein
stößt.“ Psalm 91,11 und 12. Ein schöner Vers, zur Zeit der beliebteste
aller Taufsprüche. Aber nicht alles ist immer und überall Wort Gottes,
nur weil es in der Bibel steht. Es kann jederzeit verdreht, missbraucht
und zur Lüge werden und damit dem Bösen dienen. Erschreckend für
alle, die die Bibel lieben und ehren, aber doch nicht zu leugnen!

Jesus weiß das,
und deshalb fällt er nicht darauf herein. Er weiß, dass Gott sich
nicht dazu zwingen lässt, nach unseren Wünschen ins Weltgeschehen
einzugreifen. Er weiß, dass Gott nicht mal eben die Naturgesetze
außer Kraft setzt, um unsere Sensationsgier zu befriedigen. Und
deshalb versucht er es gar nicht erst. Wieder will er den Menschen
die Freiheit des Glaubens lassen, statt sie zu überwältigen und
zum Gehorsam zu zwingen.

Nach zwei Versuchen
muss der Teufel einsehen, dass alle Verschleierungstaktik und Verführungskunst
bei Jesus versagt. Also versucht er es nun direkt und unverhüllt:
„Alle Reiche der Welt will ich dir geben, wenn du niederfällst und
mich anbetest!“ Herrschaft über die Welt – wer das Matthäusevangelium
zum wiederholten Mal liest, der weiß ja, dass es am Ende genauso
kommt: „Mir ist gegeben alle Macht im Himmel und auf Erden“, sagt
der auferstandene Christus. Na also, könnte der Teufel sagen, darauf
läuft es doch sowieso hinaus! Warum dann nicht die Abkürzung nehmen?
Warum sich nicht gleich zum Weltherrscher aufschwingen? Warum  nicht
den Vater im Himmel um zwölf Legionen Engel bitten und damit die
römische Armee vernichten? Warum sich von Herodes schikanieren und
von Pilatus kreuzigen lassen statt an ihre Stelle zu treten? Warum
dieser Weg durch Niedrigkeit und Leiden, durch Blut, Schweiß und
Tränen? Warum soll der Sohn Gottes sterben müssen? Er allein von
allen Menschen hätte das doch nicht nötig, wenn es stimmt, dass
er zugleich wahrer Gott ist!

Aber die Geschichte
von der Versuchung will uns deutlich machen: Wenn Jesus diesen Weg
durch Leiden und Tod nicht gegangen wäre, wenn er des Teufels Angebot
angenommen hätte, dann wäre aus ihm vielleicht der größte Herrscher
geworden, den die Welt je gesehen hat. Aber Tod und Sünde hätten
ihre Macht behalten. Die Trennung zwischen Gott und den Menschen
wäre bestehen geblieben. Und selbst wenn er ohne die Kriege und
Verbrechen aller anderen „großen“ Herrscher ausgekommen wäre, würden
wir heute bestenfalls ehrfürchtig sein Grab pflegen. Aber wir hätten
keine Hoffnung, dass wir je Böses mit Gutem überwinden könnten.
Und wir hätten keinen Grund zu dem Glauben, dass Gottes Liebe stärker
ist als der Tod.

Doch Jesus hat
es getan, er hat das Böse und Tod besiegt, indem er sie erlitten
hat. Und deshalb kann uns doch gelingen, was unseren Buch- und Filmhelden
gelingt – jedenfalls den Normalsterblichen unter ihnen: Wir können
zum Bösen Nein sagen. Wir müssen der Versuchung nicht erliegen,
so verlockend sie uns auch erscheinen vermag. Wir müssen nicht mit
dem Strom schwimmen, wenn wir überzeugt sind, dass er uns und andere
ins Unglück stürzt. Wir können Gott mehr gehorchen als den Menschen,
selbst wenn diese Menschen die Macht haben, uns leiden und sterben
zu lassen. Und wenn es uns in dieser Welt auch nie ganz gelingen
wird, uns von dem Bösen fern zu halten, in das wir mit verstrickt
sind, so können wir doch in dem Bewusstsein leben, dass dieses Böse
längst besiegt ist, dass all seine Angriffe nur noch Rückzugsgefechte
eines geschlagenen Heeres sind. Mit Martin Luther gesprochen: „Der
Fürst dieser Welt, / wie sauer er sich stellt, / tut er uns doch
nichts; / das macht, er ist gericht’t: ein Wörtlein kann ihn fällen.“
Und dieses Wörtlein lautet Jesus Christus – Gottes Sohn, unser Retter.

Amen.

Predigt vom 15.2.2009

GOTTESDIENST FÜR DEN SONNTAG
SEXAGESIMAE

Talkirche, 15.2. 2009
Pfr. Dr. Martin Klein
Text:
Lk 8,4-8

Als nun eine
große Menge beieinander war und sie aus den Städten zu Jesus eilten,
redete er in einem Gleichnis: Es ging ein Sämann aus, zu säen seinen
Samen. Und indem er säte, fiel einiges auf den Weg und wurde zertreten,
und die Vögel unter dem Himmel fraßen’s auf. Und einiges fiel auf
den Fels; und als es aufging, verdorrte es, weil es keine Feuchtigkeit
hatte. Und einiges fiel mitten unter die Dornen; und die Dornen
gingen mit auf und erstickten’s. Und einiges fiel auf gutes Land;
und es ging auf und trug hundertfach Frucht. Als er das sagte, rief
er: Wer Ohren hat zu hören, der höre!

In unseren Zeiten,
wo so viel von „Effizienz“  und „Nachhaltigkeit“ die Rede ist,
kann man über einen solchen Bauern nur den Kopf schütteln. Was für
eine Vergeudung von wertvollem Saatgut! Es wird zwar nicht gerade
gesagt, dass drei Viertel der Saat verloren gehen, aber auf jeden
Fall gewinnt man den Eindruck, dass mehr verloren geht als Frucht
bringt. Einem Bauern, der so unwirtschaftlich arbeitet, würde selbst
die EU sofort die Subventionen streichen.

Aber wenn wir
das Gleichnis so verstehen, haben wir noch nicht richtig hingehört.
Bei näherer Betrachtung erweist sich die verschwenderische Aussaat
nämlich als hochgradig wirksam: Der Same, der auf gutes Land fällt,
geht auf und bringt hundertfache Frucht! Auf ein Saatkorn kommen
also hundert Getreidekörner bei der Ernte. Zur Zeit Jesu galt ein
siebenfacher Ertrag als normal und ein zehnfacher als gut. Hundert
Körner hatte man vielleicht mal in einzelnen Ähren, aber ein hundertfacher
Gesamtertrag wäre eine absolute Rekordernte gewesen. Da hätte man
den Verlust von so viel Saatgut problemlos verschmerzen können.

Jesus hat diese
Geschichte wohl als Trost für sich und seine Jünger erzählt. Denn
er hat zwar nach den Evangelien ständig vor großen Menschenmengen
gepredigt; aber diejenigen, die ihm tatsächlich nachgefolgt sind,
waren ein kleines Häuflein. Nüchtern betrachtet, war das nicht gerade
überwältigend. Erst recht nicht, wenn man wie Jesus davon ausging,
dass der Anbruch des Reiches Gottes unmittelbar bevorstand. Aber
Jesus ließ sich nicht entmutigen. Er sah in den kleinen Anfängen
schon die große Zukunft: in der aufsprießenden Saat schon die hundertfache
Frucht, im winzigen Senfkorn schon den Baum, in dem die Vögel Nester
bauen, in der kleinen Schar seiner Anhänger schon die Menschenmassen,
die aus allen Himmelsrichtungen ins Reich Gottes strömen.

Wenn schon Jesus
bei seinen Predigten so große „Streuverluste“ hinnehmen musste,
dann ging es den christlichen Verkündigern nach Ostern natürlich
erst recht so: Nur ein kleiner Teil ihrer jüdischen Landsleute ließ
sich für den Glauben an Jesus Christus gewinnen. Die meisten dagegen
lehnten diesen Glauben strikt ab. Es sah so aus, als ob Gott selber
ihnen den Weg zum Verstehen verbauen würde. Und die Gleichnisse
Jesu wirkten nicht mehr als Verstehenshilfen, sondern als Verschlüsselungen,
in deren Geheimnisse nur wenige Einblick erhielten. Bei Lukas liest
sich das dann so:

Es fragten ihn
aber seine Jünger, was dies Gleichnis bedeute. Er aber sprach: Euch
ist’s gegeben, die Geheimnisse des Reiches Gottes zu verstehen,
den andern aber in Gleichnissen, damit sie es nicht sehen, auch
wenn sie es sehen, und nicht verstehen, auch wenn sie es hören.

Noch eine Generation
weiter stellte sich das Problem schon wieder anders dar. Jetzt hatte
man nicht mehr nur die Gläubigen und die Ungläubigen im Blick, sondern
auch die, deren Glaube nach guten Anfangen wieder verloren ging,
die sich für eine Weile zur christlichen Gemeinde hielten, aber
dann wieder wegblieben. Nun sah man auch ihr Schicksal im Gleichnis
Jesu angesprochen und gab ihm deshalb folgende Deutung:

Das Gleichnis
aber bedeutet dies: Der Same ist das Wort Gottes. Die aber auf dem
Weg, das sind die, die es hören; danach kommt der Teufel und nimmt
das Wort aus ihrem Herzen, damit sie nicht glauben und selig werden.
Die aber auf dem Fels sind die: wenn sie es hören, nehmen sie das
Wort mit Freuden an. Doch sie haben keine Wurzel; eine Zeitlang
glauben sie, und zu der Zeit der Anfechtung fallen sie ab. Was aber
unter die Dornen fiel, sind die, die es hören und gehen hin und
ersticken unter den Sorgen, dem Reichtum und den Freuden des Lebens
und bringen keine Frucht. Das aber auf dem guten Land sind die,
die das Wort hören und behalten in einem feinen, guten Herzen und
bringen Frucht in Geduld.

Es ist gut, dass
diese Deutung im Evangelium steht. Denn sie liest zwar mehr in die
Worte Jesu hinein als ursprünglich damit gemeint war, aber dafür
spricht sie die Situation an, die sich seitdem nicht mehr grundlegend
geändert hat. Sie weiß darum, wie schwierig das mit dem Glauben
ist: dass er bei sehr vielen erst gar nicht zustande kommt, dass
er bei vielen nur ein Strohfeuer bleibt, dass er bei vielen weiteren
von anderen Dingen erstickt wird und dass er nur bei wenigen echte
Früchte trägt. Um das bestätigt zu finden, muss man sich nur ein
wenig in der eigenen Gemeinde umschauen oder auch einen Blick in
die kirchlichen Umfragen und Statistiken werfen.

Eins allerdings
wird in der alten Deutung des Gleichnisses noch nicht so klar. Dort
wird das Schicksal der Samenkörner des Wortes Gottes verschiedenen
Menschentypen zugeordnet: es gibt Weg-Typen, Fels-Typen, Dornen-Typen
und Guter-Boden-Typen. Aber ich glaube, so einfach geht das nicht.
Das menschliche Ich ist viel zu kompliziert und vielschichtig, als
dass man es einfach in eine von vier Schubladen stecken könnte.
Deshalb glaube ich, dass alle vier Typen in jedem von uns stecken
– vielleicht in unterschiedlichem Mischungsverhältnis, vielleicht
auch so, dass der eine oder andere Typ nur in uns schlummert und
noch nicht aktiviert worden ist, aber auf jeden Fall so, dass jeder
von uns mal Weg, mal Fels, mal Dornen und mal guter Boden sein kann.
Trotzdem möchte ich Ihnen diese Typen so  vorstellen, als wären
es einzelne Individuen. Sie mögen dann selber entscheiden, in welchen
Anteilen sie bei Ihnen vorkommen – oder auch nicht.

Da sind also zum
einen die Weg-Typen. Für mich sind das die, die alles, was sie hören
und sehen, erst einmal kritisch durchdenken müssen – auch das, was
sie über den christlichen Glauben erfahren. Das ist ja auch gut
und richtig so. Nur wenn es dabei bleibt, dann wird aus dem kritischen
Verstand so eine Art Teflon-Schicht. An der perlt alles ab, was
in das Innerste gelangen möchte. Weg-Typen können deshalb über die
christliche Religion bestens Bescheid wissen. Sie können die Bibel
für großartige Literatur halten, fasziniert sein von der Kirchen-
und Theologiegeschichte, mit Begeisterung kunsthistorisch wertvolle
Kirchen besichtigen und doch nie ein einziges Wort Gottes in ihr
Herz gelassen haben. Vielleicht stehen Theologen sogar in der größten
Gefahr, solche Weg-Typen zu sein. Deshalb sage ich mir und allen
von Ihnen, die diesen Typ bei sich entdecken: Der Glaube will und
soll unser Denken und Wissen erfassen, aber er ist mehr als das.
Er will uns ganz durchdringen und verändern. Erst dann kann er wachsen
und Frucht bringen.

Dann sind da die
Fels-Typen. Für mich sind die so ziemlich das Gegenteil von den
Weg-Typen. Denn bei ihnen kommt der Glaube gerade nicht über den
Verstand, sondern über das Gefühl. Fels-Typen wollen den Glauben
nicht durchdenken, sondern erleben. Sie sind begeistert von meditativer
Musik und Kerzenschein, von Kirchentagen und Taizé-Wallfahrten.
Von solchen Erlebnissen kommen sie beschwingt und voller Enthusiasmus
zurück und zehren auch noch eine Weile davon, aber die Hitze des
Alltags lässt ihr frisches Glaubensgrün rasch verdorren. Entweder
kommen sie dann zu dem Schluss, dass der Glaube für den Alltag nichts
taugt, oder sie hetzen von einem Glaubens-Event zum nächsten, müssen
die Dosis ständig steigern und verlieren allmählich den Kontakt
zur Wirklichkeit. Auch ein solcher Glaube bringt keine Früchte,
die wirklich nahrhaft sind.

Am weitesten verbreitet
sind wohl heutzutage die Dornen-Typen. Sie entstammen dem so genannten
christlichen Abendland, sind getauft, konfirmiert und kirchlich
getraut, gehen hier und da auch mal zum Gottesdienst. All das hat
durchaus ein kleines Glaubenspflänzchen in ihnen wachsen lassen.
Aber es führt ein kümmerliches Schattendasein. Denn da gibt es ja
so vieles, was wichtiger ist. Der Beruf, die Familie, die Altersvorsorge
– das sowieso. Aber dann will man ja auch noch etwas für die Gesundheit
tun und etwas von der Welt sehen und das Leben genießen, und man
tut das so, als hätte Gott mit alledem gar nichts zu tun. Also wird
das Glaubenspflänzchen zwar ab und zu gegossen – zu Weihnachten
oder auch öfter – und man käme nie auf die Idee, es einfach auszureißen
und wegzuwerfen. Aber es welkt vor sich hin und gedeiht nicht wirklich.
Dabei könnte es all die anderen Lebensinhalte befördern und befruchten,
wenn man es nur ließe. Es könnte Kraft für die täglichen Pflichten
geben, Entscheidungshilfe leisten, Lebensfreude vertiefen und manches
mehr. Aber dazu brauchte es Platz zum Wachsen, und den bekommt es
nicht – schade!

Und dann sind
da noch die Typen, die es eigentlich gar nicht gibt: die Gutes-Land-Typen.
Es gibt sie deshalb nicht, weil der gute Bogen anders als beim Acker
nicht einfach da ist. Gott muss diesen Boden überhaupt erst in uns
schaffen. Aber das will er tun, und zwar bei jedem von uns. Bei
uns allen kann das Wort Gottes auf gutes Land fallen, wachsen und
Frucht bringen, wenn wir es nur lassen. Dann kann unser Glaubenspflänzchen
in unseren Gefühlen tiefe Wurzeln schlagen, die niemand mehr herausreißen
kann. Es kann aber auch die nötige Festigkeit und Biegsamkeit entwickeln,
indem wir unseren Glauben immer neu durchdenken und ihn immer besser
verstehen lernen. Und es kann schließlich hundertfache Frucht bringen,
wenn wir erkennen, dass der Glaube nicht in eine Ecke unseres Lebens
gehört, sondern mitten hinein. Er kann und will in der lästigen
Pflicht genauso zu Hause sein wie im reinen Vergnügen. Er trägt
uns durch frohe und durch schwere Stunden. Und am Ende werden wir
staunen über die große Ernte, die wir mit unserem Glaubensleben
eingefahren haben. Auf das Erntedankfest, das Gott dann mit uns
feiern wird, dürfen wir uns jetzt schon freuen.

Amen.

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Predigt vom 14. Dezember

GOTTESDIENST FÜR DEN DRITTEN
ADVENT

Talkirche, 14.12. 2008
Pfr. Dr. Martin Klein
Text:
Mt 11,2-6

Als aber Johannes
im Gefängnis von den Werken Christi hörte, sandte er seine Jünger
und ließ ihn fragen: „Bist du es, der da kommen soll, oder sollen
wir auf einen andern warten?“ Jesus antwortete und sprach zu ihnen:
„Geht hin und sagt Johannes wieder, was ihr hört und seht: Blinde
sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote
stehen auf, und Armen wird das Evangelium gepredigt; und selig ist,
wer sich nicht an mir ärgert.“

Wenn einer im
Gefängnis sitzt, dann hat er viel Zeit zum Nachdenken. Auch Johannes
dem Täufer geht es so. Sein Landesherr, der Vierfürst Herodes Antipas,
hat ihn in den Kerker werfen lassen, weil Johannes sich allzu deutlich
zu seinem Ehebruch mit der Frau seines Bruders geäußert hatte. Da
sitzt er nun, den drohenden Tod vor Äugen, und kommt ins Grübeln
über die spärlichen, aber aufregenden Nachrichten, die ihn erreichen.

Er kann sich noch
gut an diesen Jesus aus Nazareth erinnern, den er im Jordan getauft
hat – so wie viele andere auch. Jetzt zieht Jesus durch Galiläa,
spricht wie Johannes von der anbrechenden Herrschaft Gottes und
heilt dem Vernehmen nach Kranke und Besessene. Ein Teil seiner früheren
Anhänger folgt nun Jesus. Sie sind überzeugt: Jesus ist derjenige,
den Johannes angekündigt hat. Der, der nach ihm kommt, der stärker
ist als Johannes, so dass er nicht wert ist ihm die Schuhe zu tragen.
Der nicht mit Wasser sondern mit Feuer taufen wird. Der, durch den
Gottes Herrschaft auf Erden anbrechen wird.

Aber Johannes
selber ist da nicht so sicher. Seine Frage an Jesus macht das deutlich.
Sie zeigt, dass Johannes sich noch nicht einfach als Vorläufer Jesu
versteht, wie es sich den Evangelisten später im Rückblick darstellte.
Er hatte einen angekündigt, der nach ihm kommen sollte, das ist
wahr. Aber Jesus ist ganz anders, als Johannes sich das vorgestellt
hat. Keiner, der erst einmal tüchtig aufräumt unter den verdorbenen
Führern des jüdischen Volkes, dieser Schlangenbrut, mit Herodes,
dem hinterlistigen Fuchs, an der Spitze. Keiner, der die Axt schwingt
gegen die Bäume, die keine gute Frucht bringen. Keiner, der die
Spreu vom Weizen trennt und sie dann ins Feuer wirft. Nicht der
kommende Richter, der Gottes Zorngericht an allen Gottlosen vollzieht.
Nein, für Jesus bedeutet Gottes Herrschaft zuerst Heil und erst
dann Gericht. Er hält zwar Distanz zu den Mächtigen, aber er greift
sie nicht an. Er vernichtet die Sünder nicht, sondern spricht ihnen
Gottes Vergebung zu. Er kann also nicht der sein, der da kommen
soll. Und trotzdem: Das, was Jesus sagt und tut, könnte er nicht,
wenn Gott nicht mit ihm wäre. Also entweder Jesus ist der Kommende,
und Johannes hat sich falsche Vorstellungen von ihm gemacht. Oder
er ist es nicht, sondern nur ein weiterer Bote des Kommenden. Oder
er ist ein falscher Prophet.

Johannes muss
darüber Klarheit haben, bevor es mit ihm zu Ende geht. Deshalb schickt
er seine Leute zu Jesus und lässt ihm die Frage überbringen, die
ihm auf den Nägeln brennt: „Bist du es, der da kommen soll, oder
sollen wir auf einen andern warten?“

Die Juden haben
diese Frage für sich mit Nein beantwortet. Sie warten bis zum heutigen
Tag auf einen anderen, wenn sie denn überhaupt glauben, dass da
noch einer kommt. Und sie haben für ihr Nein gute biblische Gründe.
Keine der Verheißungen, die von einem kommenden Retter sprechen,
lässt sich eins zu eins auf Jesus übertragen: Er hat nicht Israels
Feinde besiegt, er hat kein Friedensreich aufgerichtet, er hat nicht
Gericht gehalten über die Welt. Wie kann er da der Messias oder
der Menschensohn sein?

Viele unserer
Zeitgenossen beantworten die Frage auch mit Nein. Nicht weil sie
auf einen anderen warten, sondern weil sie nicht glauben können,
dass da überhaupt einer kommt. „Retter der Welt“, ob sie nun James
Bond, Frodo Beutlin oder Jesus Christus heißen, gibt es für sie
nur in Büchern und Filmen – oder vielleicht noch in Wunschträumen
über künftige US-Präsidenten. Den wirklichen Jesus aber halten sie
bestenfalls für einen bewundernswerten Menschen, von dem man viel
lernen kann, irgendwo einzusortieren zwischen Buddha und Gandhi.
Auch ein Großteil unserer Kirchenmitglieder, vielleicht auch ein
Teil von Ihnen sieht das so.

Und doch: Dass
die eben erwähnten Bücher und Filme so erfolgreich sind, dass ein
Barack Obama solche Hoffnungen weckt, das zeigt ja, dass wir uns
im Grunde unseres Herzens nach so jemandem sehnen: Nach einem, der
das Böse besiegt und dem Guten zum Durchbruch verhilft. Nach einem,
der unsere aus den Fugen geratene Welt wieder ins Lot bringt. Nach
einem, der wieder gerade biegt, was wir verbrochen haben. Könnte
es sein, dass dieser jemand doch schon längst gekommen ist? Könnte
es sein, dass Jesus Christus doch mehr ist als nur die Hauptfigur
im immer noch meistgekauften Buch aller Zeiten?

Werfen wir dazu
noch einmal einen Blick auf seine Antwort an Johannes den Täufer.
Zunächst könnte man denken, dass diese Antwort gar keine ist, dass
Jesus der Frage ausweicht. Statt einfach Ja oder Nein zu sagen,
verweist Jesus auf das, was geschieht: „Blinde sehen und Lahme gehen,
Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf, und Armen
wird das Evangelium gepredigt.“ Alles Dinge, die jeder hören und
sehen kann. Und alles Dinge, die Johannes längst weiß. Von Jesu
Taten hat er ja schon einiges gehört. Wie soll ihn diese Antwort
weiterbringen?

Ich denke, er
soll erkennen, dass hinter den Worten Jesu auch Verheißungen der
Propheten stecken. Andere als die, die für Johannes bisher im Vordergrund
standen, aber genauso wichtige. Zum Beispiel diese aus Jesaja 35:
„Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben
geöffnet werden. Dann werden die Lahmen springen wie ein Hirsch,
und die Zunge der Stummen wird frohlocken.“ Oder die aus Jesaja
61: „Der Geist Gottes des HERRN ist auf mir, weil der HERR mich
gesalbt hat. Er hat mich gesandt, den Elenden gute Botschaft zu
bringen, die zerbrochenen Herzen zu verbinden, zu verkündigen den
Gefangenen die Freiheit, den Gebundenen, dass sie frei und ledig
sein sollen; zu verkündigen ein gnädiges Jahr des HERRN und einen
Tag der Vergeltung unsres Gottes.“ Johannes soll sich hinein nehmen
lassen in das, was um Jesus herum und durch ihn geschieht. Er soll
erkennen, dass sich darin zu erfüllen beginnt, was die Propheten
angekündigt haben. Und dann soll er darauf vertrauen, dass Gott
diesen Anfang auch zum Ziel bringt: „Selig ist, wer sich nicht an
mir ärgert“, wer nicht an mir irre wird.

Ob Johannes mit
der Antwort Jesu etwas anfangen konnte, ist uns nicht überliefert.
Aber aufgeschrieben ist sie ja auch nicht als Antwort an Johannes,
sondern an uns. Auch wir können uns nur berichten lassen, was andere
von Jesus gehört und gesehen haben. Insofern sind wir in keiner
anderen Lage als Johannes. Natürlich sind wir zeitlich viel weiter
von Jesus entfernt als er, aber das würde nur etwas ausmachen, wenn
sich das, was Jesus beschreibt auf seine Erdenzeit beschränken würde.
Aber das alles geschieht ja bis heute. Immer noch werden im Namen
Jesu Menschen gesund an Leib und Seele. Immer noch gehen Menschen
plötzlich die Augen auf, und der Glaube an Jesus Christus wird ihre
Sache. Und vor allem: Immer noch wird den Armen das Evangelium gepredigt
und den Gefangenen gesagt, dass sie frei sein sollen. Den Armen
und Gefangenen im wörtlichen Sinne, aber auch denen, die arm sind
an Gefühlen, an Freude, an Geduld, an Gelassenheit, an Selbstvertrauen;
denen die gefangen sind in Angst, Trauer, Verzweiflung und Selbstsucht.
Ihnen allen sagen auch heute noch Menschen im Namen Jesu: ihr seid
reich, ihr seid frei, weil Gott euch liebt. Auch ich sage Ihnen
das heute Morgen, und ich muss es auch mir selber immer wieder sagen.
Mehr Antwort bekommen wir nicht. Aber diese Antwort kann ausreichen,
wenn wir uns auf sie einlassen. Glücklich sind wir, wenn wir das
tun und nicht daran irre werden.

Amen.