Predigt vom 15.2.2009

GOTTESDIENST FÜR DEN SONNTAG
SEXAGESIMAE

Talkirche, 15.2. 2009
Pfr. Dr. Martin Klein
Text:
Lk 8,4-8

Als nun eine
große Menge beieinander war und sie aus den Städten zu Jesus eilten,
redete er in einem Gleichnis: Es ging ein Sämann aus, zu säen seinen
Samen. Und indem er säte, fiel einiges auf den Weg und wurde zertreten,
und die Vögel unter dem Himmel fraßen’s auf. Und einiges fiel auf
den Fels; und als es aufging, verdorrte es, weil es keine Feuchtigkeit
hatte. Und einiges fiel mitten unter die Dornen; und die Dornen
gingen mit auf und erstickten’s. Und einiges fiel auf gutes Land;
und es ging auf und trug hundertfach Frucht. Als er das sagte, rief
er: Wer Ohren hat zu hören, der höre!

In unseren Zeiten,
wo so viel von „Effizienz“  und „Nachhaltigkeit“ die Rede ist,
kann man über einen solchen Bauern nur den Kopf schütteln. Was für
eine Vergeudung von wertvollem Saatgut! Es wird zwar nicht gerade
gesagt, dass drei Viertel der Saat verloren gehen, aber auf jeden
Fall gewinnt man den Eindruck, dass mehr verloren geht als Frucht
bringt. Einem Bauern, der so unwirtschaftlich arbeitet, würde selbst
die EU sofort die Subventionen streichen.

Aber wenn wir
das Gleichnis so verstehen, haben wir noch nicht richtig hingehört.
Bei näherer Betrachtung erweist sich die verschwenderische Aussaat
nämlich als hochgradig wirksam: Der Same, der auf gutes Land fällt,
geht auf und bringt hundertfache Frucht! Auf ein Saatkorn kommen
also hundert Getreidekörner bei der Ernte. Zur Zeit Jesu galt ein
siebenfacher Ertrag als normal und ein zehnfacher als gut. Hundert
Körner hatte man vielleicht mal in einzelnen Ähren, aber ein hundertfacher
Gesamtertrag wäre eine absolute Rekordernte gewesen. Da hätte man
den Verlust von so viel Saatgut problemlos verschmerzen können.

Jesus hat diese
Geschichte wohl als Trost für sich und seine Jünger erzählt. Denn
er hat zwar nach den Evangelien ständig vor großen Menschenmengen
gepredigt; aber diejenigen, die ihm tatsächlich nachgefolgt sind,
waren ein kleines Häuflein. Nüchtern betrachtet, war das nicht gerade
überwältigend. Erst recht nicht, wenn man wie Jesus davon ausging,
dass der Anbruch des Reiches Gottes unmittelbar bevorstand. Aber
Jesus ließ sich nicht entmutigen. Er sah in den kleinen Anfängen
schon die große Zukunft: in der aufsprießenden Saat schon die hundertfache
Frucht, im winzigen Senfkorn schon den Baum, in dem die Vögel Nester
bauen, in der kleinen Schar seiner Anhänger schon die Menschenmassen,
die aus allen Himmelsrichtungen ins Reich Gottes strömen.

Wenn schon Jesus
bei seinen Predigten so große „Streuverluste“ hinnehmen musste,
dann ging es den christlichen Verkündigern nach Ostern natürlich
erst recht so: Nur ein kleiner Teil ihrer jüdischen Landsleute ließ
sich für den Glauben an Jesus Christus gewinnen. Die meisten dagegen
lehnten diesen Glauben strikt ab. Es sah so aus, als ob Gott selber
ihnen den Weg zum Verstehen verbauen würde. Und die Gleichnisse
Jesu wirkten nicht mehr als Verstehenshilfen, sondern als Verschlüsselungen,
in deren Geheimnisse nur wenige Einblick erhielten. Bei Lukas liest
sich das dann so:

Es fragten ihn
aber seine Jünger, was dies Gleichnis bedeute. Er aber sprach: Euch
ist’s gegeben, die Geheimnisse des Reiches Gottes zu verstehen,
den andern aber in Gleichnissen, damit sie es nicht sehen, auch
wenn sie es sehen, und nicht verstehen, auch wenn sie es hören.

Noch eine Generation
weiter stellte sich das Problem schon wieder anders dar. Jetzt hatte
man nicht mehr nur die Gläubigen und die Ungläubigen im Blick, sondern
auch die, deren Glaube nach guten Anfangen wieder verloren ging,
die sich für eine Weile zur christlichen Gemeinde hielten, aber
dann wieder wegblieben. Nun sah man auch ihr Schicksal im Gleichnis
Jesu angesprochen und gab ihm deshalb folgende Deutung:

Das Gleichnis
aber bedeutet dies: Der Same ist das Wort Gottes. Die aber auf dem
Weg, das sind die, die es hören; danach kommt der Teufel und nimmt
das Wort aus ihrem Herzen, damit sie nicht glauben und selig werden.
Die aber auf dem Fels sind die: wenn sie es hören, nehmen sie das
Wort mit Freuden an. Doch sie haben keine Wurzel; eine Zeitlang
glauben sie, und zu der Zeit der Anfechtung fallen sie ab. Was aber
unter die Dornen fiel, sind die, die es hören und gehen hin und
ersticken unter den Sorgen, dem Reichtum und den Freuden des Lebens
und bringen keine Frucht. Das aber auf dem guten Land sind die,
die das Wort hören und behalten in einem feinen, guten Herzen und
bringen Frucht in Geduld.

Es ist gut, dass
diese Deutung im Evangelium steht. Denn sie liest zwar mehr in die
Worte Jesu hinein als ursprünglich damit gemeint war, aber dafür
spricht sie die Situation an, die sich seitdem nicht mehr grundlegend
geändert hat. Sie weiß darum, wie schwierig das mit dem Glauben
ist: dass er bei sehr vielen erst gar nicht zustande kommt, dass
er bei vielen nur ein Strohfeuer bleibt, dass er bei vielen weiteren
von anderen Dingen erstickt wird und dass er nur bei wenigen echte
Früchte trägt. Um das bestätigt zu finden, muss man sich nur ein
wenig in der eigenen Gemeinde umschauen oder auch einen Blick in
die kirchlichen Umfragen und Statistiken werfen.

Eins allerdings
wird in der alten Deutung des Gleichnisses noch nicht so klar. Dort
wird das Schicksal der Samenkörner des Wortes Gottes verschiedenen
Menschentypen zugeordnet: es gibt Weg-Typen, Fels-Typen, Dornen-Typen
und Guter-Boden-Typen. Aber ich glaube, so einfach geht das nicht.
Das menschliche Ich ist viel zu kompliziert und vielschichtig, als
dass man es einfach in eine von vier Schubladen stecken könnte.
Deshalb glaube ich, dass alle vier Typen in jedem von uns stecken
– vielleicht in unterschiedlichem Mischungsverhältnis, vielleicht
auch so, dass der eine oder andere Typ nur in uns schlummert und
noch nicht aktiviert worden ist, aber auf jeden Fall so, dass jeder
von uns mal Weg, mal Fels, mal Dornen und mal guter Boden sein kann.
Trotzdem möchte ich Ihnen diese Typen so  vorstellen, als wären
es einzelne Individuen. Sie mögen dann selber entscheiden, in welchen
Anteilen sie bei Ihnen vorkommen – oder auch nicht.

Da sind also zum
einen die Weg-Typen. Für mich sind das die, die alles, was sie hören
und sehen, erst einmal kritisch durchdenken müssen – auch das, was
sie über den christlichen Glauben erfahren. Das ist ja auch gut
und richtig so. Nur wenn es dabei bleibt, dann wird aus dem kritischen
Verstand so eine Art Teflon-Schicht. An der perlt alles ab, was
in das Innerste gelangen möchte. Weg-Typen können deshalb über die
christliche Religion bestens Bescheid wissen. Sie können die Bibel
für großartige Literatur halten, fasziniert sein von der Kirchen-
und Theologiegeschichte, mit Begeisterung kunsthistorisch wertvolle
Kirchen besichtigen und doch nie ein einziges Wort Gottes in ihr
Herz gelassen haben. Vielleicht stehen Theologen sogar in der größten
Gefahr, solche Weg-Typen zu sein. Deshalb sage ich mir und allen
von Ihnen, die diesen Typ bei sich entdecken: Der Glaube will und
soll unser Denken und Wissen erfassen, aber er ist mehr als das.
Er will uns ganz durchdringen und verändern. Erst dann kann er wachsen
und Frucht bringen.

Dann sind da die
Fels-Typen. Für mich sind die so ziemlich das Gegenteil von den
Weg-Typen. Denn bei ihnen kommt der Glaube gerade nicht über den
Verstand, sondern über das Gefühl. Fels-Typen wollen den Glauben
nicht durchdenken, sondern erleben. Sie sind begeistert von meditativer
Musik und Kerzenschein, von Kirchentagen und Taizé-Wallfahrten.
Von solchen Erlebnissen kommen sie beschwingt und voller Enthusiasmus
zurück und zehren auch noch eine Weile davon, aber die Hitze des
Alltags lässt ihr frisches Glaubensgrün rasch verdorren. Entweder
kommen sie dann zu dem Schluss, dass der Glaube für den Alltag nichts
taugt, oder sie hetzen von einem Glaubens-Event zum nächsten, müssen
die Dosis ständig steigern und verlieren allmählich den Kontakt
zur Wirklichkeit. Auch ein solcher Glaube bringt keine Früchte,
die wirklich nahrhaft sind.

Am weitesten verbreitet
sind wohl heutzutage die Dornen-Typen. Sie entstammen dem so genannten
christlichen Abendland, sind getauft, konfirmiert und kirchlich
getraut, gehen hier und da auch mal zum Gottesdienst. All das hat
durchaus ein kleines Glaubenspflänzchen in ihnen wachsen lassen.
Aber es führt ein kümmerliches Schattendasein. Denn da gibt es ja
so vieles, was wichtiger ist. Der Beruf, die Familie, die Altersvorsorge
– das sowieso. Aber dann will man ja auch noch etwas für die Gesundheit
tun und etwas von der Welt sehen und das Leben genießen, und man
tut das so, als hätte Gott mit alledem gar nichts zu tun. Also wird
das Glaubenspflänzchen zwar ab und zu gegossen – zu Weihnachten
oder auch öfter – und man käme nie auf die Idee, es einfach auszureißen
und wegzuwerfen. Aber es welkt vor sich hin und gedeiht nicht wirklich.
Dabei könnte es all die anderen Lebensinhalte befördern und befruchten,
wenn man es nur ließe. Es könnte Kraft für die täglichen Pflichten
geben, Entscheidungshilfe leisten, Lebensfreude vertiefen und manches
mehr. Aber dazu brauchte es Platz zum Wachsen, und den bekommt es
nicht – schade!

Und dann sind
da noch die Typen, die es eigentlich gar nicht gibt: die Gutes-Land-Typen.
Es gibt sie deshalb nicht, weil der gute Bogen anders als beim Acker
nicht einfach da ist. Gott muss diesen Boden überhaupt erst in uns
schaffen. Aber das will er tun, und zwar bei jedem von uns. Bei
uns allen kann das Wort Gottes auf gutes Land fallen, wachsen und
Frucht bringen, wenn wir es nur lassen. Dann kann unser Glaubenspflänzchen
in unseren Gefühlen tiefe Wurzeln schlagen, die niemand mehr herausreißen
kann. Es kann aber auch die nötige Festigkeit und Biegsamkeit entwickeln,
indem wir unseren Glauben immer neu durchdenken und ihn immer besser
verstehen lernen. Und es kann schließlich hundertfache Frucht bringen,
wenn wir erkennen, dass der Glaube nicht in eine Ecke unseres Lebens
gehört, sondern mitten hinein. Er kann und will in der lästigen
Pflicht genauso zu Hause sein wie im reinen Vergnügen. Er trägt
uns durch frohe und durch schwere Stunden. Und am Ende werden wir
staunen über die große Ernte, die wir mit unserem Glaubensleben
eingefahren haben. Auf das Erntedankfest, das Gott dann mit uns
feiern wird, dürfen wir uns jetzt schon freuen.

Amen.