GOTTESDIENST FÜR DAS OSTERFEST
Talkirche, 13.4. 2009 Pfr.
Dr. Martin Klein Text: Lk 24,13-35
Es ist Ostern
in Siegen, morgens um neun. Ein schöner, lauer Frühlingstag hat
begonnen, wie man ihn sich zu Ostern wünscht. Deshalb hat Herr Hinz,
Bankangestellter und Presbyter in einer evangelischen Kirchengemeinde,
beschlossen, heute mal zu Fuß zum Gottesdienst zu gehen. Als er
das Haus verlässt, hört er vom Dach eine Amsel singen, und aus dem
Vorgarten leuchten ihm die Osterglocken entgegen. Frohgelaunt macht
er sich auf den Weg zur Kirche.
An der nächsten
Ecke trifft er Frau Kunze. Er kennt sie gut aus dem Gottesdienst,
denn die alt gediente Frauenhilfsfrau ist sie fast jeden Sonntag
da. „Frohe Ostern, Frau Kunze!“ begrüßt er sie. „Na, ist das nicht
ein herrlicher Frühlingsmorgen?“ – „Ach, Herr Hinz, ich kann mich
da heute gar nicht so richtig drüber freuen.“ Erst jetzt sieht Herr
Hinz, dass Frau Kunze tatsächlich ziemlich bedrückt aussieht. „Gerade
wenn ich sehe, wie jetzt wieder alles zu blühen anfängt, muss ich
an meinen Mann denken. Sie wissen ja, dass unser Garten sein Ein
und Alles war. Er hatte sich so auf die Gartenarbeit gefreut, als
er letztes Jahr in den Ruhestand ging, aber dann bekam er diesen
Herzinfarkt, und nun ist er schon drei Monate tot. Jetzt sitze ich
ganz allein in dem großen Haus, und ich weiß gar nicht, ob ich es
mir auf Dauer noch leisten kann, wo ich doch jetzt weniger Rente
kriege. Mein Sohn kann mir auch nicht helfen: Seiner Firma sind
die Aufträge weg gebrochen, und er rechnet jeden Tag mit der Kündigung.
Und meine älteste Enkelin kommt im Sommer aus der Schule. Sie müsste
sich mal langsam um eine Lehrstelle kümmern, aber sie hängt nur
rum und weiß überhaupt nicht, was sie will. Und wenn ich sie drauf
anspreche sagt sie: Ach, Oma, was hab ich denn in dieser Welt noch
für eine Zukunft! Ist das nicht bitter? Ich hab immer geglaubt,
mit Ehrlichkeit, Fleiß und Gottvertrauen kommt man gut durchs Leben.
Aber jetzt kommt es mir manchmal so vor, als ob Gott uns im Stich
gelassen hätte, und ich frage mich, womit wir das verdient haben.“
Dass Frau Kunze
ihm auf einen harmlosen Gruß so rückhaltlos ihr Leid klagen würde,
darauf war Herr Hinz nicht gefasst. Als sie fertig ist, hat sich
seine gute Osterlaune verflüchtigt. Er muss an letzten Montag denken.
Da hatte er als zuständiger Sachbearbeiter einem ortsansässigen
Betrieb weitere Kredite verweigern müssen. Sicher, er kannte die
Argumente dafür: miserable Bilanzen, viel zu hohe Betriebskosten,
kaum Entwicklungspotential und dann noch die schlechte Lage auf
dem Finanzmarkt. Aber trotzdem hatte er sich dabei ziemlich mies
gefühlt. Die Firma würde pleite gehen und schon wieder zwanzig Leute
ihre Arbeit verlieren. Und dann fällt ihm noch die letzte Presbyteriumssitzung
ein: Wieder 3 % weniger Gemeindeglieder als im letzten Jahr, und
der Haushalt nur noch mit Rücklagen zu decken. Für dringende Investitionen,
auch um Energie zu sparen und das Klima zu schonen, fehlt das Geld.
Es sei denn eins der beiden Gemeindehäuser wird geschlossen und
verkauft – aber was das dann für einen Aufstand gibt! Herr Hinz
ertappt sich einmal mehr bei dem Gedanken, warum er sich eigentlich
immer noch für eine Kirche abrackert, die nur noch Löcher stopft,
sich ständig unglaubwürdig macht, und deshalb gerade bei jungen
Menschen auf kein Interesse mehr stößt. Weil ihm das so durch den
Kopf geht, versucht er gar nicht mehr, Frau Kunze aufzumuntern.
Er sagt nur: „Ich kann Sie gut verstehen, Frau Kunze, mir geht es
oft ganz genauso.“ Und so setzen sie ihren Weg zur Kirche fort,
nun beide in dunkles Grübeln versunken.
Plötzlich hören
sie, wie sie von der Seite jemand anspricht: „Guten Morgen und frohe
Ostern! Warum machen Sie denn so traurige Gesichter?“ Da sehen sie
erst, dass noch jemand neben ihnen hergeht. Sie waren so in ihre
trüben Gedanken vertieft, dass sie gar nicht mitbekommen haben,
wie er zu ihnen gestoßen ist. Sie haben ihn beide noch nie gesehen,
aber er hat ein freundliches Gesicht, das Vertrauen erweckt.
„Na, Sie scheinen
ja wenig davon mitzubekommen, was zur Zeit los ist, wenn Sie noch
so fröhlich sind“, sagt Herr Hinz. Seine eigene gute Laune von vorhin
hat er bereits gründlich vergessen. „Die Wirtschaftskrise. Die Klimakatastrophe.
Überall Krieg, Terror und Elend. Und keiner weiß ein Mittel dagegen,
auch die Kirche nicht – die wird immer kleiner und geht pleite.
Manchmal frage ich mich, warum ich eigentlich noch an einen Gott
glaube, der anscheinend auch nichts dagegen tun kann und von dem
deshalb niemand mehr etwas wissen will.“ Und Frau Kunze fügt hinzu:
„Ich mache mir große Sorgen um die Zukunft meiner Enkel. Und ich
vermisse meinen Mann so sehr. Manchmal habe ich das Gefühl, dass
mein Glaube mit ihm gestorben ist.“
„Ganz so ahnungslos,
wie Sie denken, bin ich nicht“, sagt der Fremde. „Aber haben Sie
denn ganz vergessen, dass heute Ostern ist?“
„Dass Ostern ist,
wissen wir selbst“, sagt Herr Hinz. „Wir sind ja schließlich auf
dem Weg zur Kirche. Aber das ändert auch nichts an der Lage.“
„Vielleicht doch“,
entgegnet der Fremde. „Erinnern Sie sich doch mal, wie es den Jüngern
Jesu ging, nachdem er gekreuzigt worden war: Die waren wahrhaftig
auch in keiner angenehmen Lage. Jesus hatte gesagt, dass mit ihm
Gottes neue Welt anbrechen würde, also Friede und Gerechtigkeit
für alle und Leben in Fülle. Zum Zeichnen dafür hatte er Kranke
geheilt und sich mit Armen und Rechtlosen an einen Tisch gesetzt.
Das hatte seine Anhänger überzeugt. Sie hatten ihm bedingungslos
vertraut und darauf gewartet, dass Wirklichkeit werden würde, was
Jesus sagte. Aber jetzt war plötzlich alles vorbei. Der Hohe Rat
hatte Jesus verhaftet, die Römer hatten ihn wie einen Verbrecher
hingerichtet – und nichts war geschehen. Keine Legion Engel war
ihm vom Himmel zu Hilfe geeilt, und die Erde hatte sich nicht aufgetan,
um seine Widersacher zu verschlingen. Selbst seine Freunde hatten
seine Sache verloren gegeben und sich in alle Winde verstreut. Aus
der Traum von Gottes neuer Welt!
Aber dann geschah
das Wunder von Ostern: Nichts hatte sich äußerlich seit Jesu Kreuzigung
verändert. Und trotzdem stellten sich dieselben Leute, die sich
eben noch enttäuscht verkrochen hatten, in aller Öffentlichkeit
hin und behaupteten: Gott hat Jesus von den Toten auferweckt. Nichts
konnte sie von der Überzeugung abbringen, dass ihnen tatsächlich
der lebendige Jesus erschienen war. Vorher hatten sie es nicht zusammenbringen
können: die Hoffnungen, die Jesus geweckt hatte, und seinem schmachvollen
Tod. Aber jetzt ging ihnen der Zusammenhang auf: Wenn es wirklich
Jesus war, der erschienen war – und davon waren sie überzeugt –,
dann musste Gott Jesus von den Toten auferweckt haben. Und das hieß:
Gott steht zu dem, was Jesus gesagt und vorgelebt hat. An ihm, seinem
Reden und Wirken, lässt sich tatsächlich erkennen, wie Gott ist.
Wenn sich aber Gott so zu Jesus bekannt hatte, dann galt das auch
für seinen Tod. Den Jüngern wurde bewusst: Auch an seinem Ende,
als er machtlos war gegen Verrat, Spott, und Misshandlung, war er
so wie Gott. Als Jesus starb, verzichtete Gott auf seine Allmacht
und wurde genauso macht- und hilflos gegen Unrecht, Leiden und Tod
wie wir Menschen. Und als Jesus auferstand, da zeigte sich: Gerade
dadurch, dass Gott sich in Unrecht, Leiden und Tod hineinbegab,
hat er sie überwunden. Mit dieser Gewissheit konnten Christen zu
allen Zeiten die Welt so ertragen, wie sie ist. Und sie gab ihnen
zugleich die Kraft, sich gegen den Tod und für das Leben einzusetzen,
damit die Welt nicht so bleibt, wie sie ist.
Ich denke, dass
gilt auch für Sie beide: Äußerlich ändert die Osterbotschaft nichts
an Ihrer Lage, das ist wahr. Aber ich glaube, dass darin eine große
Kraft liegt, die vieles ändern kann, wenn man sich ernsthaft darauf
einlässt. Wäre das nicht auch für Sie eine Aussicht für die Zukunft?“
Nach dieser langen
Rede des Fremden herrscht eine Zeitlang nachdenkliches Schweigen.
Dann sagt Frau Kunze: „Ich weiß nicht, ob ich das alles verstanden
habe. Aber mir fallen manche Momente ein, wo ich mich besonders
traurig und einsam gefühlt habe. Oft hat mich dann ein Bibelwort,
ein Gesangbuchvers oder auch der Besuch einer guten Freundin getröstet.
Vielleicht war mir Gott in solchen Momentan tatsächlich besonders
nahe.“ Und Herr Hinz meint: „Doch, das kenne ich auch. Wenn ich
nach einer anstrengenden Arbeitswoche besonders niedergeschlagen
bin, dann wird mir der Gottesdienst als Ruhepol besonders wichtig,
und ich spüre, wie er mir Kraft gibt für das, was in der kommenden
Woche ansteht.“
Während sie so
noch eine Weile weiterreden, kommen sie schließlich bei der Kirche
an. „Es hat gut getan, sich mit Ihnen zu unterhalten“, sagt Herr
Hinz. „Kommen Sie doch mit zum Gottesdienst, dann können wir nachher
noch weiterreden!“
„Danke“, sagt
der Fremde, „ich muss weiter. Aber vielleicht begegnen wir uns trotzdem
im Gottesdienst wieder. Leben Sie wohl!“ Und bevor sich Frau Kunze
und Herr Hinz noch richtig von ihm verabschieden können, ist der
Fremde genauso plötzlich wieder verschwunden, wie er gekommen ist.
„Seltsam“, sagt
Frau Kunze. „Wo ist er so plötzlich hin? Und wie hat er das wohl
gemeint, dass wir uns im Gottesdienst wieder treffen?“
„Keine Ahnung“,
sagt Herr Hinz. „Aber kommen Sie, wir sind spät dran – ich höre
schon die Orgel!“
Von der Predigt
bekommt Herr Hinz diesmal wenig mit. Er muss immer noch an die seltsame
Begegnung von vorhin denken. Beim Abendmahl fällt sein Blick auf
die bunten Fenster im Chorraum, die heute besonders schön in der
Sonne leuchten. Eines der Bilder zeigt den auferstandenen Christus.
Für einen Moment hat er das Gefühl, dass die Christusfigur den Kopf
zu ihm hinwendet und ihm zulächelt – mit dem freundlichen Lächeln
des Fremden von vorhin. Er stutzt. „Jetzt habe ich schon Halluzinationen“,
denkt er. Aber dann reicht ihm Frau Kunze, die neben ihm steht,
den Teller mit dem Brot. „Christi Leib, für dich gegeben“, sagt
sie und lächelt. Da versteht er endlich, was geschehen ist. „Amen“,
sagt er, bricht sich ein Stück Brot ab und lächelt zurück. Als zum
Ausgang das „Christ ist erstanden“ gesungen wird, singt er so fröhlich
mit wie schon lange nicht mehr.
Und siehe,
zwei von ihnen gingen an demselben Tage in ein Dorf, das war von
Jerusalem etwa zwei Wegstunden entfernt; dessen Name ist Emmaus.
Und sie redeten miteinander von allen diesen Geschickten. Und es
geschah, als sie so redeten und sich miteinander besprachen, da
nahte sich Jesus selbst und ging mit ihnen. Aber ihre Augen wurden
gehalten, dass sie ihn nicht erkannten. Er sprach aber zu ihnen:
„Was sind das für Dinge, die ihr miteinander verhandelt unterwegs?“
Da blieben sie traurig stehen. Und der eine, mit Namen Kleopas,
antwortete und sprach zu ihm: „Bist du der einzige unter den Fremden
in Jerusalem, der nicht weiß, was in diesen Tagen dort geschehen
ist?“ Und er sprach zu ihnen: „Was denn?“ Sie aber sprachen zu ihm:
„Das mit Jesus von Nazareth, der ein Prophet war, mächtig in Taten
und Worten vor Gott und allem Volk; wie ihn unsre Hohenpriester
und Oberen zur Todesstrafe überantwortet und gekreuzigt haben. Wir
aber hofften, er sei es, der Israel erlösen werde. Und über das
alles ist heute der dritte Tag, dass dies geschehen ist. Auch haben
uns erschreckt einige Frauen aus unserer Mitte, die sind früh bei
dem Grab gewesen, haben seinen Leib nicht gefunden, kommen und sagen,
sie haben eine Erscheinung von Engeln gesehen, die sagen, er lebe.
Und einige von uns gingen hin zum Grab und fanden’s so, wie die
Frauen sagten; aber ihn sahen sie nicht.“ Und er sprach zu ihnen:
„O ihr Toren, zu trägen Herzens, all dem zu glauben, was die Propheten
geredet haben! Musste nicht Christus dies erleiden und in seine
Herrlichkeit eingehen?“ Und er fing an bei Mose und allen Propheten
und legte ihnen aus, was in der ganzen Schrift von ihm gesagt war.
Und sie kamen
nahe an das Dorf, wo sie hingingen. Und er stellte sich, als wollte
er weitergehen. Und sie nötigten ihn und sprachen: Bleibe bei uns;
denn es will Abend werden, und der Tag hat sich geneigt. Und er
ging hinein, bei ihnen zu bleiben. Und es geschah, als er mit ihnen
zu Tisch saß, nahm er das Brot, dankte, brach’s und gab’s ihnen.
Da wurden ihre Augen geöffnet, und sie erkannten ihn. Und er verschwand
vor ihnen. Und sie sprachen untereinander: „Brannte nicht unser
Herz in uns, als er mit uns redete auf dem Wege und uns die Schrift
öffnete?“
Und sie standen
auf zu derselben Stunde, kehrten zurück nach Jerusalem und fanden
die Elf versammelt und die bei ihnen waren; die sprachen: „Der Herr
ist wahrhaftig auferstanden und Simon erschienen.“ Und sie erzählten
ihnen, was auf dem Wege geschehen war und wie er von ihnen erkannt
wurde, als er das Brot brach.
|