Predigt vom 8. März 2009

GOTTESDIENST FÜR DEN SONNTAG
REMINISZERE

Talkirche, 8.3. 2009
mit
Einführung von Katrin Breitweiser und Lukas Hermeling ins Presbyteramt
Pfr.
Dr. Martin Klein
Text: Mk 12,1-12

In unseren globalisierten Zeiten fällt es
Ihnen sicher nicht schwer, sich folgendes vorzustellen:

Ein großer deutscher Industrie-Konzern hat
ein neues Werk in – sagen wir mal – Südamerika gebaut. Man hat viel
investiert, das Werk nach dem neusten Stand der Technik ausgerüstet,
Personal eingestellt und geschult und schließlich auch das Management
mit einheimischen Kräften besetzt. Die sollen nun eigenständig wirtschaften
und lediglich einen Anteil vom Gewinn an den Mutter-Konzern abführen.
Alles scheint bestens geregelt, die deutschen Experten rücken ab
und dem Vernehmen nach laufen Produktion und Absatz gut. Nur: Es
vergeht ein Jahr nach dem anderen, aber aus dem neuen Werk gehen
keine Gewinne ein, kein einziger müder Euro. Nach einigem Abwarten
wird man in der Konzernzentrale unruhig. Man hat schließlich viel
rein gesteckt in dieses Werk, und die Aktionäre fragen, wo ihre
Dividende bleibt. Also wird viel telefoniert und gemailt und die
Vorlage der Bilanzen verlangt, aber es kommt keine Rückmeldung.
Interne Wirtschaftsprüfer werden hingeschickt, aber die werden unfreundlich
abgewiesen und erhalten keine Akteneinsicht. Schließlich reist eine
hochrangige Delegation an mit dem Vize-Konzernchef an der Spitze.
Das wird nun endlich Eindruck machen, denkt man. Aber die Delegation
hat kaum das Gelände betreten, da kommt der Werkschutz, zwingt die
ganze Gesellschaft mit vorgehaltener Waffe in einen Kleinbus und
fährt sie umgehend zurück zum Flughafen. Anschließend werden alle
wegen angeblich ungültiger Visa des Landes verwiesen – der Innenminister
war der Werksleitung noch einen Gefallen schuldig.

Ein unglaublicher Vorgang, oder? Was meinen
Sie, was die Konzernspitze in Deutschland nun tun wird? Sicher Ähnliches
wie jener Weinbergbesitzer, von dem Jesus mal erzählt hat:

Ein Mensch pflanzte einen Weinberg und
zog einen Zaun darum und grub eine Kelter und baute einen Turm und
verpachtete ihn an Weingärtner und ging außer Landes. Und er sandte,
als die Zeit kam, einen Knecht zu den Weingärtnern, damit er von
den Weingärtnern seinen Anteil an den Früchten des Weinbergs hole.
Sie nahmen ihn aber, schlugen ihn und schickten ihn mit leeren Händen
fort. Abermals sandte er zu ihnen einen andern Knecht; dem schlugen
sie auf den Kopf und schmähten ihn. Und er sandte noch einen andern,
den töteten sie; und viele andere: die einen schlugen sie, die andern
töteten sie. Da hatte er noch einen, seinen geliebten Sohn; den
sandte er als letzten auch zu ihnen und sagte sich: „Sie werden
sich vor meinem Sohn scheuen.“ Sie aber, die Weingärtner, sprachen
untereinander: „Dies ist der Erbe; kommt, lasst uns ihn töten, so
wird das Erbe unser sein!“ Und sie nahmen ihn und töteten ihn und
warfen ihn hinaus vor den Weinberg. Was wird nun der Herr des Weinbergs
tun? Er wird kommen und die Weingärtner umbringen und den Weinberg
andern geben.

Wenn man das so liest und hört, fragt man
sich vor allem eins: Was ist das für ein Weinbergbesitzer, der in
fast unerschütterlichem Gleichmut einen Boten nach dem anderen und
schließlich sogar seinen geliebten Sohn ins Verderben schickt, obwohl
er damit absolut nichts erreicht? Schon die oben erwähnte Konzernführung
wird sich wahrscheinlich auf der nächsten Aktionärsversammlung unbequeme
Fragen anhören müssen: Warum habt ihr die Sache bloß so lange schleifen
lassen? Warum habt ihr nicht früher ernsthaft durchgegriffen? Aber
dieser Weinbergbesitzer setzt da noch einen drauf. Er scheint der
lebendige Beweis für die These zu sein, dass realitätsblinde Gutmenschen
für die Gesellschaft mindestens genauso gefährlich sind wie notorische
Bösewichter. Denn es zeigt sich ja hier wieder mal, dass man mit
Geduld und Zurückhaltung bei hartnäckigen Übeltätern nichts erreicht,
außer dass ihre Verbrechen immer dreister werden und die Gewalt
immer mehr eskaliert.

Jesus will allerdings weder den Spruch „Vertrauen
ist gut, Kontrolle ist besser“ illustrieren, noch geht es ihm um
die Frage, ob man Kriminalität besser auf die harte oder auf die
weiche Tour bekämpft. Vielmehr spielt Jesus hier deutlicher als
sonst auf sich selber an, auf seine Sendung und sein Schicksal.
Viele Ausleger meinen deshalb, dass dieses Gleichnis erst nach Jesu
Tod und Auferstehung entstanden sein kann. Ich denke aber, dass
es in den Zusammenhang, in dem es bei Markus steht, gut hineinpasst.

Es sind die letzten Tage vor dem Passahfest,
die letzten Tage Jesu in Jerusalem. Sein umjubelter Einzug hat beim
Hohen Rat, der jüdischen Autonomiebehörde im römisch besetzten Judäa,
Anstoß und Besorgnis erregt: „Wieder einer, der sich für den Messias
hält! Nicht nur, dass er damit Gott lästert, er beschwört auch politische
Unruhen herauf. Wenn die eskalieren, dann schlagen die Römer zu,
und es gibt Hunderte, wenn nicht Tausende von Toten in der überfüllten
Stadt.“ Dass Jesus dann im Tempelhof auch noch Wechselstuben demoliert
und Opfervieh verjagt, bestätigt die schlimmsten Befürchtungen.
Und man kommt zu dem Schluss: Dieser Jesus muss weg, ehe er noch
Schlimmeres anrichtet,  möglichst ohne großes Aufsehen, weil
er so viele Anhänger hat.

In diese gespannte Lage hinein erzählt nun
Jesus dieses Gleichnis. Er kann sich ausrechnen, was seine Gegner
vorhaben. Er weiß, dass er sterben muss. Aber er flieht nicht, und
er nimmt auch nichts von dem zurück, was er gesagt und getan hat.
Im Gegenteil: er spitzt es noch zu. Von der Wahrheit, wie er sie
sieht, kann und will er keine Abstriche machen.

Die Hohenpriester, Schriftgelehrten und Ältesten
aus dem Hohen Rat, begreifen sofort, dass Jesu Gleichnis auf sie
gemünzt ist. Der „Weinberg“ war ein altes biblisches Bild für das
Volk Israel. Deutlich spielt Jesus auf den Jesaja-Text an, den wir
vorhin als Schriftlesung gehört haben. Aber während Jesaja den Weinberg,
also das ganze Volk anklagt, weil es keine Frucht bringt, trifft
der Vorwurf Jesu die Weinbergpächter, also die Führungsschicht,
die vor Gott für sein Volk Verantwortung trägt. Die, so lässt er
durchblicken, hat noch nie auf Gottes Boten gehört: den Propheten
Amos hat sie des Landes verwiesen, Jesajas Mahnungen in den Wind
geschlagen, Jeremia fast ums Leben gebracht. Noch vor kurzem hat
sie für Johannes den Täufer keinen Finger gerührt, als Herodes Antipas
ihn einkerkern und enthaupten ließ. Jahrhunderte lang hat Gott eine
Engelsgeduld bewiesen, hat nichts unversucht gelassen, um die Oberen
seines Volkes zu warnen und zur Umkehr zu rufen. Aber nie wollten
sie die unbequeme Wahrheit hören, immer sind sie nur ihren eigenen
Interessen gefolgt, wollten ihre Macht, ihren Besitz, ihre Privilegien
sichern. All ihre Sorge um Ruhe und Frieden im Land ist für Jesus
nur vorgeschoben. In Wahrheit geht es ihnen einzig und allein um
sich selbst.

Und so trifft nun Jesus das gleiche Schicksal
wie alle Propheten vor ihm. Er stellt sich mit ihnen in eine Reihe,
aber zugleich ist er mehr als sie: er ist der geliebte Sohn, er
redet nicht nur die Wahrheit, er ist Gottes Wahrheit für die Menschen.
Viele im Volk spüren diese Wahrheit, aber die Oberen, in ihrer egoistischen
Logik gefangen, nehmen sie nicht wahr. Sie können dafür sorgen,
dass Jesus stirbt, und sie werden es tun. Aber Gottes Wahrheit können
sie nicht zerstören – im Gegenteil: indem sie Jesus verurteilen,
richten sie über sich selbst.

Wie das geschehen ist, das deutet das Bibelwort
an, dass die christliche Gemeinde später an Jesu Gleichnis angefügt
hat:

Habt ihr denn nicht dieses Schriftwort
gelesen: »Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der ist zum
Eckstein geworden. Vom Herrn ist das geschehen und ist ein Wunder
vor unsern Augen«?

Die jüdischen Oberen, die römischen Henker,
sie alle glaubten mit Jesus fertig zu sein. Ausgestoßen hatten sie
ihn aus dem Volk Gottes, beseitigt war der Störenfried, und seine
Anhänger würden sich zerstreuen. Aber sie haben alle nicht damit
gerechnet, dass Gott das letzte Wort spricht. Dass er Jesus auferweckt
von den Toten, dass er damit bestätigt: dieser Verstoßene, dieser
angebliche Gotteslästerer ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen
habe. Und so wird Jesus zum Grundstein eines neuen Tempels, zum
Begründer eines neuen Gottesvolkes, zu dem jetzt nicht mehr nur
Israel gehört, sondern Menschen aus aller Welt. Für dieses neue
Gottesvolk tragen nun andere Menschen die Verantwortung. Ob sie
ihr besser gerecht werden?

Und damit bin ich bei uns, heute und hier
in diesem Gottesdienst. Zwei Menschen aus unserer Gemeinde werden
heute ins Presbyteramt eingeführt. Auch sie werden damit Pächter
im Weinberg, übernehmen Verantwortung für das Volk Gottes, Abteilung
Ev.-Ref. Kirchengemeinde Klafeld – eine Verantwortung die wir anderen
Mitglieder des Presbyteriums schon eine längere oder kürzere Weile
tragen. Werden wir ihr gerecht? Sorgen wir so für die Glieder dieser
Gemeinde, kümmern wir uns so um die materiellen Dinge, die dafür
nötig sind, dass wir damit vor Gott bestehen können, wenn er nach
dem Ertrag unserer Arbeit fragt? Wir sollten nicht denken, dass
man bei Kirchens Papst oder mindestens Bischof sein muss, um vom
Machtvirus angesteckt zu werden. Auch so mancher einfache Pfarrer
oder Presbyter hat schon sein Amt missbraucht, um sein eigenes Geltungsbedürfnis
zu befriedigen, und es nach Kräften ignoriert, wenn die Gemeinde
dabei Schaden erlitten hat.

Ich habe zwar nicht den Eindruck, dass wir
im Moment in dieser Gefahr stehen. Im Gegenteil: Diesem Presbyterium
ist es in den letzten Jahren in seltener Weise gelungen, persönliche
Wünsche und Interessen zurückzustellen und auch unpopuläre Entscheidungen
einmütig zu treffen, um damit letztlich dem Wohl der ganzen Gemeinde
zu dienen. Dieses gute Einvernehmen ist ein hohes Gut und verdient
den Respekt der ganzen Gemeinde. Und wir sind auch zuversichtlich,
dass die beiden neuen Leute sich mit ihren Gaben gut in diese Gemeinschaft
einfügen werden. Aber wir dürfen uns nicht darauf ausruhen. Wir
müssen uns immer wieder neu fragen, jeder für sich persönlich und
auch im Gespräch miteinander, ob wir mit unserem Handeln Gott die
Ehre geben und das Beste für die uns anvertrauten Menschen tun.
Wenn wir uns dabei an Jesus ausrichten, an der Wahrheit Gottes,
die er verkörpert und zu uns bringt, dürften wir auf der richtigen
Spur sein.

Und natürlich gilt das alles nicht nur für
das Leitungspersonal im Weinberg des Herrn, sondern für jeden Christen,
der seinen Glauben bewusst im Alltag leben will. Uns allen hat Gott
etwas anvertraut: Gaben und Aufgaben. Uns allen begegnet er immer
wieder mit Liebe und Geduld, nicht, damit wir sie schamlos ausnutzen,
sondern damit wir sie zum Maßstab unseres Handelns machen. Und dann
möchte er auch die Früchte sehen, die daraus wachsen: in der Familie,
im Freundeskreis, bei der Arbeit und in der Freizeit, in der Politik
und gerade auch in der Wirtschaft, von der anfangs die Rede war.
Warum sollten wir ihm diese Früchte vorenthalten?

Amen.