Gottesdienst für den Sonntag Okuli
Text: Eph 5,1-8a
So folgt nun Gottes Beispiel als die geliebten Kinder und lebt in der Liebe, wie auch Christus uns geliebt hat und hat sich selbst für uns gegeben als Gabe und Opfer, Gott zu einem lieblichen Geruch. Von Unzucht aber und jeder Art Unreinheit oder Habsucht soll bei euch nicht einmal die Rede sein, wie es sich für die Heiligen gehört. Auch schandbare und närrische oder lose Reden stehen euch nicht an, sondern vielmehr Danksagung. Denn das sollt ihr wissen, dass kein Unzüchtiger oder Unreiner oder Habsüchtiger – das sind Götzendiener – ein Erbteil hat im Reich Christi und Gottes. Lasst euch von niemandem verführen mit leeren Worten; denn um dieser Dinge willen kommt der Zorn Gottes über die Kinder des Ungehorsams. Darum seid nicht ihre Mitgenossen. Denn ihr wart früher Finsternis; nun aber seid ihr Licht in dem Herrn.
Dieser Text beschreibt klare Verhältnisse: Hier das Licht, dort die Finsternis. Hier Gottes Liebe für seine Kinder, dort Gottes Zorn über die Kinder des Ungehorsams. Hier die Heiligen, dort die Götzendiener. Hier Liebe, Hingabe und Danksagung, dort Unzucht, Habsucht und leere Worte. So verstanden sie sich damals, die verstreuten christlichen Gemeinden in den Städten rund ums Mittelmeer: als kleine Inseln in einem Meer von Gottlosigkeit und moralischem Verfall, als erste Vorposten der neuen Welt Gottes. Sie wollten bewusst anders sein als ihre Umgebung, und sie fühlten sich durch ihren Glauben an Jesus Christus zu diesem Anderssein verpflichtet.
Aber waren sie auch wirklich anders? In gewissem Maße schon, und das machte einen guten Teil ihrer Anziehungskraft aus. Man ging einfach anders miteinander um in den christlichen Gemeinden. Soziale Unterschiede zählten nicht so viel. Egal, wo jemand herkam oder was seine gesellschaftliche Stellung war – als Christ gehörte er zu einer Gemeinschaft von Gleichen mit einem gemeinsamen Glauben und einem gemeinsamen Ziel. Und man lebte auch anders, nicht nur untereinander, sondern auch gegenüber den Nichtchristen, denn auch denen galt das Gebot der Nächstenliebe.
Aber die christlichen Gemeinden blieben natürlich trotzdem anfällig für das, was um sie herum üblich war. Sonst könnte der Epheserbrief sich seine Ermahnungen sparen. Es ist dort eben doch von Unzucht, Unreinheit und Habgier die Rede, und das wohl nicht ohne Grund. Es gab bei seinen Lesern wohl doch eine Menge hässliches Gerede, dummes Geschwätz und oberflächliche Witzelei. Und es gab doch die Gefahr, sich wieder anzupassen an Verhaltensweisen, die man überwunden glaubte. Vielleicht waren die Christen keine „Götzendiener“ und „Kinder des Ungehorsams“ mehr, aber sie blieben doch Menschen; und wo Menschen zusammen sind, da menschelt es nun mal.
Trotzdem: Das was im Epheserbrief und anderswo im Neuen Testament steht, bleibt eine Herausforderung. Immer wieder durch die Zeiten haben Christen versucht, diese Herausforderung zu bestehen. Sie haben sich bemüht, Jesus konsequent nachzufolgen, die beschriebenen klaren Verhältnisse zu schaffen und eine strikte Trennung zu vollziehen zwischen der Gemeinschaft der Glaubenden und der bösen Welt. So sind die Klöster entstanden, später die pietistischen Gemeinschaften und noch später die verschiedenen evangelischen Freikirchen. Aber Christen haben bei diesen Versuchen immer wieder die gleiche Erfahrung gemacht: Mochte das Kloster noch so abgelegen sein und die Ordensregel noch so streng, die „Welt“ ließ sich doch nicht aussperren. Mochte die Gemeinschaft auch noch so herzlich sein und das Hören auf Gottes Wort noch so sehr im Mittelpunkt stehen, vor Streit, Missgunst und Rechthaberei blieb und bleibt auch die kleinste und feinste Christengemeinde nicht verschont. Im Gegenteil: Oft wächst der Hang dazu sogar, je exklusiver man sich von der Welt abzuschotten versucht. Und schwarze Schafe gibt es sowieso überall.
Man mag diese Tatsachen bedauern und kann sich vielleicht auch nicht so schnell damit abfinden. Aber wenn ich nun mal auf unsere eigene Kirche und Gemeinde schaue, liegt in ihrer mangelnden Vollkommenheit auch etwas Tröstliches. Denn in einer immer noch recht großen Gemeinschaft wie der unseren lassen sich scharfe Trennlinien ja erst recht nicht ziehen. Wer wäre denn wohl heute der „Unzüchtige“, dessen „Mitgenossen“ wir laut Epheser 5 nicht sein dürften? Jemand, der andere sexuell missbraucht, jemand, dem das mit der ehelichen Treue nicht so recht gelingt, oder gar schon das Paar, das ohne Trauschein zusammenlebt? Wer wäre denn der „Habsüchtige“, der im „Reich Christi und Gottes“ nichts verloren hat? Jemand, der im großen Stil Steuern hinterzieht, in Betrug verwickelt ist oder Bestechungsgelder annimmt, jemand, der sein Geld hortet und keine Möglichkeit auslässt es zu vermehren, oder schon jeder, der mehr verdient und für sich behält als er zu einem genügsamen Leben braucht? Was sind denn „schandbare, närrische und lose Reden“? Reicht es dafür, dass jemand gern blöde Witze reißt, oder müssen es handfeste Gehässigkeiten über Gott und Hetzreden gegen andere Menschen sein? Über die Extreme können wir uns gewiss schnell einigen. Aber wenn wir festlegen wollten, was gerade noch geht und was nicht mehr, dann wird es ganz schwierig. Denn was bei dem einen Anstoß erregt, ist für den anderen ein Ausdruck christlicher Freiheit. Was der eine als clevere Kapitalanlage betrachtet, ist für den anderen schamlose Bereicherung. Worüber der eine herzhaft lacht, das ist für den anderen Gotteslästerung. Was für den einen gebotene Beziehungspflege zu Andersgläubigen ist, das hält der andere für verbotene Religionsvermischung. Man muss sich ja nur mal die Lieblingsthemen der frommen und antifrommen Leserbriefschreiber in der Siegener Zeitung vor Augen führen – von den Dauerbrennern „Homosexualität“ und „Schöpfung contra Evolution“ bis „Charlie Hebdo“ und „Olaf Latzel“: zu allem gehen die Positionen weit auseinander, und es gibt fast so viele Meinungen wie Kirchenmitglieder.
Weil das so ist, können wir uns auch nicht „gesundschrumpfen“, wie es manche vom Rückgang der Kirchenmitglieder erhoffen. Es wäre eben kein kleiner, feiner „harter Kern“, der dann übrig bliebe, sondern der gleiche gemischte Haufen, den wir jetzt schon haben – nur auf viel engerem Raum und mit viel beschränkteren Möglichkeiten. Ein Blick auf die Gemeinden in Ostdeutschland zeigt uns das deutlich.
Aber was bleibt uns dann zu tun? Was können wir noch anfangen mit Texten wie dem heutigen Predigttext, von denen es ja viele gibt im Neuen Testament? Wo sind die Gemeinsamkeiten zwischen der kleinen, noch jungen und frischen Gemeinschaft von Christen vor 2000 Jahren und unserer müde gewordenen Noch-Volkskirche am Beginn des 3. Jahrtausends der Christenheit? Was verbindet uns über die Zeiten hinweg?
Dazu ist erstens zu sagen: Es ist Gott, der uns verbindet. Es ist Jesus Christus, an den wir glauben und der gestern, heute und in Ewigkeit derselbe ist. Auch für uns hat er sein Leben hingegeben. Auch uns wird dadurch die Liebe Gottes zuteil. Und auch für uns gilt deshalb: Wir sind heilig, weil wir zu Gott gehören. Wir sind Licht, weil er es in uns hell macht. Wir sind Anwärter auf seine neue Welt, weil er uns mit dabei haben will. Dazu ist es erst einmal ganz egal, ob man uns das auch ansieht und abspürt. Es gilt, so oder so. Nur: je bewusster uns das wird, desto mehr werden auch andere es merken. Denn wer begreift, dass er Grund zur Freude hat, der freut sich auch und er wird andere mit seiner Freude anstecken. Ganz von selbst. Das ist damals geschehen, in Ephesus und anderswo, es ist seitdem immer wieder geschehen, und es geschieht auch heute, an vielen Orten der Erde und auch bei uns in Geisweid, Birlenbach oder Setzen.
So weit, so gut. Aber wie ist das dann mit den klaren Verhältnissen, mit Licht und Finsternis, Gottesdienst und Götzendienst? Können wir die auch heute deutlich trennen? Und wenn ja wie und wo und wo nicht?
Dazu muss ich erst einmal festhalten, dass Gott es ist, der die klaren Verhältnisse schafft. Nur er kann die Grauzonen durchschauen und Licht und Finsternis deutlich voneinander scheiden. Wir können das nicht, auch wenn ein im Siegerland nicht unbekannter Amtsbruder aus Bremen das behauptet. Denn wir tragen die Grauzonen ja mit uns selber herum. In uns ist nicht einfach alles schwarz und weiß, und um uns herum erst recht nicht. Aber manchmal reißt Gott für uns die Nebelschleier auseinander und lässt uns klar sehen. Und dann erkennen wir: Dieses oder jenes Verhalten ist mit dem christlichen Glauben nicht vereinbar. Sollte es sich dabei um unser eigenes Verhalten handeln, dann ist das ein Anlass zur Umkehr. Dazu kann der Rücktritt von einem Amt gehören, auf jeden Fall das Tragen der Konsequenzen ohne Wenn und Aber, vor allem aber die Bitte um Vergebung. Geht es dagegen um ein Verhalten von anderen, das unserem Glauben widerspricht, dann ist unser klares und deutliches Nein gefragt. Ein solches Nein hat zum Beispiel die Bekennende Kirche gesprochen, als die „Deutschen Christen“ daran gingen, christlichen Glauben und NS-Ideologie zu vermischen. Leider hat sie nicht oder jedenfalls nicht so deutlich Nein gesagt, als die Juden diskriminiert und misshandelt wurden. Immerhin hat unsere Kirche das im Nachhinein bereut und sagt deshalb heute Nein zu Rassismus und Diskriminierung in jeder Form – etwa zu der Aussage, dass alle Muslime potenzielle Terroristen sind und das Abendland islamisieren wollen; oder zu der, dass alle, die aus großer Not und Armut zu uns fliehen, nur stehlen und Sozialhilfe kassieren wollen. Weitere Beispiele ließen sich anfügen.
Wenn wir in Gottes Namen ein solches Nein sprechen, dann muss es uns nicht stören, wenn andere, die unseren Glauben nicht teilen, es genauso sagen; denn was wirklich gut ist, das ist nicht nur für Christen gut. Und es muss uns auch nicht stören, wenn nicht alle Mitchristen unser Nein aus Überzeugung mitsprechen. Martin Luthers Nein zum Ablasshandel hat ihm auch nicht nur Zustimmung eingetragen. Trotzdem war es richtig, weil er die heilige Schrift auf seiner Seite hatte – heute sieht das auch die katholische Kirche ein. Nur: Wer das erkennt, was falsch ist, – in- oder außerhalb der Kirche – und nicht Nein sagt, sondern schweigt, der macht sich mitschuldig an dem Bösen, was geschieht. Wir werden zwar Licht und Finsternis nie völlig voneinander trennen. Aber mehr Licht für mehr klare Konturen – das wäre uns schon möglich. Möge Gott uns helfen, sein Licht leuchten zu lassen in uns und durch uns, damit „die Welt“ es sieht und Gott dafür lobt und preist. Amen.
Pfarrer Dr. Martin Klein