Predigt,Tal- und Wenschtkirche, Sonntag, 08. März 2015

Gottesdienst für den Sonntag Okuli

Text: Eph 5,1-8a

So folgt nun Gottes Beispiel als die geliebten Kinder und lebt in der Liebe, wie auch Christus uns geliebt hat und hat sich selbst für uns gegeben als Gabe und Opfer, Gott zu einem lieblichen Geruch. Von Unzucht aber und jeder Art Unreinheit oder Habsucht soll bei euch nicht einmal die Rede sein, wie es sich für die Heiligen gehört. Auch schandbare und närrische oder lose Reden stehen euch nicht an, sondern vielmehr Danksagung. Denn das sollt ihr wissen, dass kein Unzüchtiger oder Unreiner oder Habsüchtiger – das sind Götzendie­ner – ein Erbteil hat im Reich Christi und Gottes. Lasst euch von niemandem verführen mit leeren Worten; denn um dieser Dinge wil­len kommt der Zorn Gottes über die Kinder des Ungehorsams. Da­rum seid nicht ihre Mitgenossen. Denn ihr wart früher Finsternis; nun aber seid ihr Licht in dem Herrn.

Dieser Text beschreibt klare Verhältnisse: Hier das Licht, dort die Finsternis. Hier Gottes Liebe für seine Kinder, dort Gottes Zorn über die Kinder des Ungehorsams. Hier die Heiligen, dort die Götzendie­ner. Hier Liebe, Hingabe und Danksagung, dort Unzucht, Habsucht und leere Worte. So verstanden sie sich damals, die verstreuten christli­chen Gemein­den in den Städten rund ums Mittelmeer: als kleine In­seln in einem Meer von Gottlosigkeit und moralischem Ver­fall, als erste Vorposten der neuen Welt Gottes. Sie wollten bewusst anders sein als ihre Umgebung, und sie fühlten sich durch ihren Glauben an Je­sus Christus zu diesem Anderssein verpflichtet.

Aber waren sie auch wirklich anders? In gewissem Maße schon, und das machte einen guten Teil ihrer Anziehungskraft aus. Man ging einfach anders miteinander um in den christlichen Ge­meinden. Sozi­ale Unterschiede zählten nicht so viel. Egal, wo jemand herkam oder was seine gesellschaftliche Stellung war – als Christ gehörte er zu einer Gemeinschaft von Gleichen mit einem ge­meinsamen Glauben und einem gemeinsamen Ziel. Und man lebte auch anders, nicht nur untereinander, sondern auch gegenüber den Nichtchristen, denn auch denen galt das Gebot der Nächstenliebe.

Aber die christlichen Gemeinden blieben natür­lich trotzdem anfällig für das, was um sie herum üblich war. Sonst könnte der Epheserbrief sich seine Ermahnungen sparen. Es ist dort eben doch von Unzucht, Unreinheit und Habgier die Rede, und das wohl nicht ohne Grund. Es gab bei seinen Lesern wohl doch eine Menge häss­liches Gerede, dummes Geschwätz und ober­flächliche Witzelei. Und es gab doch die Gefahr, sich wieder anzu­passen an Verhaltensweisen, die man überwunden glaubte. Vielleicht waren die Christen keine „Götzen­diener“ und „Kinder des Ungehor­sams“ mehr, aber sie blie­ben doch Menschen; und wo Menschen zusammen sind, da men­schelt es nun mal.

Trotzdem: Das was im Epheserbrief und anderswo im Neuen Testa­ment steht, bleibt eine Herausforderung. Immer wieder durch die Zeiten haben Christen versucht, diese Herausforderung zu bestehen. Sie haben sich bemüht, Jesus konsequent nachzufolgen, die be­schriebenen klaren Verhältnisse zu schaffen und eine strikte Tren­nung zu vollziehen zwischen der Ge­meinschaft der Glaubenden und der bösen Welt. So sind die Klöster entstanden, später die pietis­ti­schen Gemeinschaften und noch später die verschiedenen evangeli­schen Freikir­chen. Aber Christen haben bei diesen Versuchen immer wieder die glei­che Erfahrung gemacht: Mochte das Kloster noch so abgelegen sein und die Or­densregel noch so streng, die „Welt“ ließ sich doch nicht aussperren. Mochte die Gemeinschaft auch noch so herzlich sein und das Hören auf Gottes Wort noch so sehr im Mittel­punkt stehen, vor Streit, Miss­gunst und Rechthaberei blieb und bleibt auch die kleinste und feinste Chris­tengemeinde nicht ver­schont. Im Gegenteil: Oft wächst der Hang dazu sogar, je exklusiver man sich von der Welt abzuschotten versucht. Und schwarze Schafe gibt es sowieso überall.

Man mag diese Tatsachen bedauern und kann sich vielleicht auch nicht so schnell damit abfinden. Aber wenn ich nun mal auf unsere eigene Kirche und Gemeinde schaue, liegt in ihrer mangelnden Voll­kom­menheit auch etwas Tröstliches. Denn in einer immer noch recht großen Gemeinschaft wie der unseren lassen sich scharfe Trennlinien ja erst recht nicht ziehen. Wer wäre denn wohl heute der „Un­züch­tige“, dessen „Mitgenossen“ wir laut Epheser 5 nicht sein dürften? Jemand, der andere sexuell missbraucht, jemand, dem das mit der ehelichen Treue nicht so recht gelingt, oder gar schon das Paar, das ohne Trauschein zusammenlebt? Wer wäre denn der „Habsüchtige“, der im „Reich Christi und Got­tes“ nichts verloren hat? Jemand, der im großen Stil Steuern hinter­zieht, in Betrug verwickelt ist oder Be­stechungsgelder annimmt, jemand, der sein Geld hortet und keine Möglichkeit auslässt es zu vermehren, oder schon jeder, der mehr verdient und für sich behält als er zu ei­nem genügsamen Leben braucht? Was sind denn „schandbare, närri­sche und lose Re­den“? Reicht es dafür, dass jemand gern blöde Witze reißt, oder müs­sen es handfeste Gehässigkeiten über Gott und Hetzreden gegen andere Menschen sein? Über die Ex­treme können wir uns gewiss schnell einigen. Aber wenn wir festlegen wollten, was gerade noch geht und was nicht mehr, dann wird es ganz schwierig. Denn was bei dem einen Anstoß erregt, ist für den anderen ein Ausdruck christlicher Freiheit. Was der eine als clevere Kapitalanlage betrachtet, ist für den anderen schamlose Bereicherung. Worüber der eine herzhaft lacht, das ist für den anderen Gotteslästerung. Was für den einen ge­botene Beziehungspflege zu Andersgläubigen ist, das hält der andere für verbotene Religionsvermischung. Man muss sich ja nur mal die Lieblingsthemen der frommen und antifrommen Leserbriefschreiber in der Siegener Zeitung vor Augen führen – von den Dauerbrennern „Homosexualität“ und „Schöpfung contra Evolution“ bis „Charlie Hebdo“ und „Olaf Latzel“: zu allem gehen die Positionen weit ausei­nander, und es gibt fast so viele Meinungen wie Kirchenmitglieder.

Weil das so ist, können wir uns auch nicht „gesundschrumpfen“, wie es manche vom Rückgang der Kirchenmitglieder erhof­fen. Es wäre eben kein kleiner, feiner „harter Kern“, der dann übrig bliebe, son­dern der gleiche gemischte Haufen, den wir jetzt schon haben – nur auf viel engerem Raum und mit viel beschränkteren Möglichkeiten. Ein Blick auf die Gemeinden in Ostdeutschland zeigt uns das deut­lich.

Aber was bleibt uns dann zu tun? Was können wir noch anfangen mit Texten wie dem heutigen Predigttext, von denen es ja viele gibt im Neuen Testament? Wo sind die Gemeinsamkeiten zwischen der klei­nen, noch jungen und frischen Gemeinschaft von Christen vor 2000 Jahren und unserer müde gewordenen Noch-Volkskirche am Beginn des 3. Jahrtausends der Christenheit? Was verbindet uns über die Zeiten hinweg?

Dazu ist erstens zu sagen: Es ist Gott, der uns verbindet. Es ist Jesus Christus, an den wir glauben und der gestern, heute und in Ewigkeit derselbe ist. Auch für uns hat er sein Leben hingegeben. Auch uns wird dadurch die Liebe Gottes zuteil. Und auch für uns gilt deshalb: Wir sind heilig, weil wir zu Gott gehören. Wir sind Licht, weil er es in uns hell macht. Wir sind Anwärter auf seine neue Welt, weil er uns mit dabei haben will. Dazu ist es erst einmal ganz egal, ob man uns das auch ansieht und abspürt. Es gilt, so oder so. Nur: je be­wusster uns das wird, desto mehr werden auch andere es merken. Denn wer begreift, dass er Grund zur Freude hat, der freut sich auch und er wird andere mit seiner Freude anstecken. Ganz von selbst. Das ist damals geschehen, in Ephesus und anderswo, es ist seitdem immer wieder geschehen, und es geschieht auch heute, an vielen Or­ten der Erde und auch bei uns in Geisweid, Birlenbach oder Setzen.

So weit, so gut. Aber wie ist das dann mit den klaren Verhältnissen, mit Licht und Finsternis, Gottesdienst und Götzendienst? Können wir die auch heute deutlich trennen? Und wenn ja wie und wo und wo nicht?

Dazu muss ich erst einmal festhalten, dass Gott es ist, der die klaren Verhältnisse schafft. Nur er kann die Grauzonen durchschauen und Licht und Finsternis deutlich voneinander scheiden. Wir können das nicht, auch wenn ein im Siegerland nicht unbekannter Amtsbruder aus Bremen das behauptet. Denn wir tragen die Grauzonen ja mit uns selber herum. In uns ist nicht einfach alles schwarz und weiß, und um uns herum erst recht nicht. Aber manchmal reißt Gott für uns die Nebelschleier auseinan­der und lässt uns klar sehen. Und dann erken­nen wir: Dieses oder jenes Verhalten ist mit dem christlichen Glau­ben nicht vereinbar. Sollte es sich dabei um unser eigenes Verhalten handeln, dann ist das ein Anlass zur Umkehr. Dazu kann der Rück­tritt von einem Amt gehö­ren, auf jeden Fall das Tragen der Konse­quenzen ohne Wenn und Aber, vor allem aber die Bitte um Verge­bung. Geht es dagegen um ein Verhalten von an­deren, das unserem Glauben widerspricht, dann ist unser kla­res und deutliches Nein ge­fragt. Ein solches Nein hat zum Beispiel die Bekennende Kirche ge­sprochen, als die „Deutschen Christen“ daran gingen, christlichen Glauben und NS-Ideologie zu vermischen. Leider hat sie nicht oder jedenfalls nicht so deutlich Nein ge­sagt, als die Juden diskriminiert und miss­handelt wurden. Immerhin hat unsere Kirche das im Nach­hinein be­reut und sagt des­halb heute Nein zu Rassismus und Diskri­minierung in jeder Form – etwa zu der Aussage, dass alle Muslime potenzielle Terroristen sind und das Abendland islamisieren wollen; oder zu der, dass alle, die aus großer Not und Armut zu uns fliehen, nur stehlen und Sozi­alhilfe kassieren wollen. Weitere Beispiele lie­ßen sich anfügen.

Wenn wir in Gottes Namen ein solches Nein sprechen, dann muss es uns nicht stören, wenn andere, die unseren Glauben nicht teilen, es genauso sagen; denn was wirklich gut ist, das ist nicht nur für Chris­ten gut. Und es muss uns auch nicht stören, wenn nicht alle Mit­christen unser Nein aus Überzeugung mitsprechen. Martin Luthers Nein zum Ablasshan­del hat ihm auch nicht nur Zustimmung einge­tragen. Trotzdem war es richtig, weil er die heilige Schrift auf seiner Seite hatte – heute sieht das auch die katholische Kirche ein. Nur: Wer das erkennt, was falsch ist, – in- oder außerhalb der Kirche – und nicht Nein sagt, son­dern schweigt, der macht sich mitschuldig an dem Bösen, was ge­schieht. Wir werden zwar Licht und Finsternis nie völlig voneinan­der trennen. Aber mehr Licht für mehr klare Kontu­ren – das wäre uns schon möglich. Möge Gott uns helfen, sein Licht leuchten zu lassen in uns und durch uns, damit „die Welt“ es sieht und Gott dafür lobt und preist. Amen.

Pfarrer Dr. Martin Klein