Zoom-Gottesdienst Weidenau, 2. Mai 2021

PREDIGT FÜR DEN SONNTAG KANTATE

Text: Lukas 19,37-40

Und als Jesus schon nahe am Abhang des Ölbergs war, fing die ganze Menge der Jünger an, mit Freuden Gott zu loben mit lauter Stimme über alle Taten, die sie gesehen hatten, und sprachen: „Ge­lobt sei, der da kommt, der König, in dem Namen des Herrn! Friede sei im Him­mel und Ehre in der Höhe!“ Und einige von den Pharisäern in der Menge sprachen zu ihm: „Meister, weise doch deine Jünger zurecht!“ Er antwortete und sprach: „Ich sage euch: Wenn diese schwei­gen werden, so werden die Steine schreien.“

Die Altstadt von Jerusalem ist übervoll mit heiligen Stätten und Reli­quien. Da muss man sich schon was einfallen lassen, um bei Pilgern und Touristen ein wenig Aufmerksamkeit zu wecken. Eine kleine Kapelle im armenischen Viertel versucht es so: Eingemauert in eine Außenwand präsen­tiert man dort einen ganz besonderen Stein: einen von denen, die damals geschrien hät­ten, als die Jünger Jesu schweigen sollten. Darauf muss man erstmal kommen! Allein: den Beweis, dass er jemals geschrien hat oder hätte, den bleibt dieser Stein schuldig. Er ist so stumm, wie ein Stein nur sein kann. Und ich frage mich, ob er damit nicht ein gutes Sinnbild für uns Christen hier und heute ist. Denn mein Eindruck mag mich täuschen, aber irgend­wie ist auch unser Gotteslob verstummt und versteinert – als ob es nie dagewesen wäre.

Okay, das liegt natürlich auch an „Corona“. Zu Hause am Bildschirm darf ein jeder singen, wie er will, und ich hoffe, Sie machen heute eifrig davon Gebrauch. Aber gemeinsames Sin­gen oder Musizieren – im Gottesdienst, im Chor, im Posaunenchor? Nicht erlaubt! Die Aero­sole! Und überhaupt zu viele Menschen aus zu verschiedenen Haushalten! Auch im Sinne der Corona-Schutzverordnung müsste man Jesus bitten, seine Jünger zurechtzuweisen. Denn womit sollten sie die saftigen Bußgelder bezahlen?

Wahrscheinlich geht es im Moment ja wirklich nicht anders. Irgend­wie müssen wir halt raus aus dieser Pandemie. Aber auch abgese­hen von der aktuellen Krise kommt mir unsere Kir­che gerade sehr still und starr vor, sehr verunsichert und verzagt.  Und das gilt für alle: von den Kirchenleitungen bis zu den Gemeindekreisen und zu jedem einzelnen Christenmen­schen. Mich selber nehme ich dabei nicht aus. Sicher, im Kleinen und Unscheinbaren ge­schieht immer noch viel Gutes und Tröstliches, neuerdings auch online. Das will ich gar nicht leugnen. Hier und da kann ich ja auch etwas dazu beitra­gen, Gott sei Dank! Aber da­mals konnte ganz Jerusalem den Lob­preis der Jünger hören. Sie hatten eine Botschaft, die vielen Hoff­nung gab, auch wenn das nicht alle gut fanden. Wo gibt es das heute noch? Sicher, der Einfluss der Kirchen schwindet, teils selbstver­schuldet, also schwindet auch die Aufmerksamkeit für das, was sie zu sagen hätten. Aber damals war auch nur eine kleine Schar unterwegs, und trotzdem fand sie Gehör, so oder so. Trauen wir uns mit unserer Bot­schaft nicht mehr hervor, weil uns ja eh keiner zu­hört? Oder hört uns keiner zu, weil wir nicht mehr wissen, was un­sere Botschaft ist? Wahrscheinlich verstärkt sich beides gegensei­tig!

Also schauen wir nochmal zurück: Was war das denn für eine Bot­schaft, mit der Jesus und die Seinen damals in Jerusalem einzogen? Nach Lukas lautet sie so: „Gelobt sei, der da kommt, der König, in dem Namen des Herrn! Friede sei im Himmel und Ehre in der Höhe!“Kommt Ihnen das vage bekannt vor? Genau: die Weih­nachtsge­schichte, der Lobgesang der himmlischen Heerscha­ren: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Men­schen seines Wohlgefallens!“ (Lk 2,14) Damals besangen sie die Ge­burt des Kindes in Beth­lehem, in der Stadt König Davids. Nun ist dieses Kind erwachsen geworden und zieht in Jerusalem ein – rei­tend auf einem Esel, wie ein König, als ein König besonderer Art. Und die Menschen, die er um sich geschart hat, die nehmen den Lobpreis der Engel auf. Deren Friedens­gruß an die Erde geben sie an den Himmel zurück: „Friede auf Erden, Friede im Him­mel – überall, wo Gottes Ehre und Herrlichkeit gepriesen wird!“

Und wie kommen sie darauf? Warum feiern sie Jesus als den, der da kommt im Namen des Herrn, als Messias, Christus, König der Welt? Und warum loben sie Gott dafür? Weil sie seine machtvollen Taten gesehen haben, sagt Lukas. „Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige wer­den rein und Taube hören, Tote stehen auf, Armen wird das Evangelium gepredigt“ (Lk 7,22) – das haben sie miterlebt. Und des­halb sind sie überzeugt, dass die zweifelnde Frage Johan­nes des Täufers mit Ja zu beantworten ist: „Ja, Jesus ist der, der da kommen soll; auf einen anderen brauchen wir nicht zu warten.“ (Lk 7,19)

Den Pharisäern passt das nicht. So sehr manche von ihnen Jesus schätzen mögen – diesen Überschwang, diese Verehrung halten sie nicht für angemessen. Und deshalb wird es ihnen ganz recht gewe­sen sein, dass Jesu Verhaftung und Hinrichtung die Jünger doch noch zum Schweigen gebracht hat. Haben dann tatsächlich die Steine geschrien? Im wörtlichen Sinne wohl kaum. Aber es gab da zumindest diesen großen Stein, der plötzlich nicht mehr vor dem Grab lag. Und der redete lauter als alle großen Taten Gottes bisher: „Gott hat Jesus von den Toten auferweckt! Der Herr ist auferstan­den, er ist wahrhaftig auferstanden!“ Als das den Jüngerinnen und Jüngern Jesu klar wurde, da konnten sie es erst recht nicht mehr lassen, von dem zu reden, was sie gesehen und gehört hatten. (Apg 4,20)

Und wir? Für uns gilt das doch immer noch! Seit Gott Mensch gewor­den ist, seit er in Jesus gestorben und auferstanden ist, trennt uns nichts mehr von Gott. Seitdem herrscht Friede zwischen Himmel und Erde. Seitdem hat unser Einsatz für Frieden und Gerechtigkeit ein fes­tes Fundament. Seitdem dürfen wir hoffen, dass es unser Herr ist, der kommt, wenn es mit dieser Welt zu Ende geht, nicht der Untergang. Seitdem haben wir einen Trost im Leben und im Ster­ben.

Warum sind dann viele von uns so stumm und verzagt? Warum re­den wir nicht laut von Got­tes großen Taten und singen sein Lob hin­aus in alle Welt – in allen Medien und auf jede Weise, die uns ge­rade zur Verfügung steht? Die Steine unserer Kirchgebäude werden das jedenfalls nicht für uns übernehmen, obwohl die immer noch lauter reden als manche kirchli­che Verlautbarung. Warum diese Scheu? Diese Welt braucht doch nun wahrlich gute Nachrich­ten. Wie kön­nen wir ihr da die beste Nachricht aller Zeiten vorenthalten?

Nun, sie muss wohl erstmal wieder bei uns selber ankommen. Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über. Und dass es voll wird, das haben wir nicht in der Hand. Dafür braucht es Gottes guten heiligen Geist. Aber für den können wir uns wenigstens offen halten. Wir kön­nen ihn bitten: „Komm zu uns und erfülle unsere Herzen!“ Wir können geduldig und beharr­lich bleiben: im Gebet, in der Stille, beim Lesen der Bibel, bis Gott endlich wieder mit uns redet. Und wir können festhalten an der Gemeinschaft der Glaubenden, denn sie macht uns stark. Notfalls geht das auch online, so wie jetzt. Aber irgendwann geht es auch wieder ohne technische Hilfsmittel, ohne Masken und Abstand, dafür mit Gesang und Musik, mit Brot und Wein. Im Moment höre ich immer nur: Ja, aber wer weiß, wie lange das noch dauert! Mag sein, dass es noch ein bisschen hin ist. Aber wir könnten uns doch schon mal drauf freuen, oder? Und wenn es uns dann noch gelänge, ein bisschen Vorfreude auszustrahlen, dann wä­ren wir schon ganz nahe bei den Jüngern damals vor Jerusalem.

Ich nehme mir das jedenfalls jetzt vor: Weg mit dem ganzen Zweck-Pessimismus! Weg mit dem freiwilligen Lockdown, den wir über alles verhängen, was uns Hoffnung machen könnte! Nicht nur, weil das Ende der Pandemie jetzt tatsächlich näher rückt. Sondern vor allem, weil wir Christen eine Hoffnung haben, die kein Virus befallen kann. Und irgend­wann kommt der Tag, an dem wir wieder gemein­sam davon singen und unseren Gott preisen werden – mit Worten, Tönen und Taten und so, dass alle es hören können. Stumm und leblos dazuliegen, das können wir dann getrost den Steinen überlas­sen. Amen.

Ihr Pastor Martin Klein