Predigt Wenschtkirche, Sonntag, 9. Februar 2014

Gottesdienst für den letzten Sonntag nach Epiphanias
 mit Taufe von Kristina, Nicole und Marcus Klejn

Text: 2. Petr 1,16-21

Wir schreiben das Jahr 120 nach Christi Geburt. Rund 90 Jahre sind vergangen, seit die Apostel sich von Jerusalem aus auf den Weg machten, um die Botschaft von Jesus Christus in alle Welt zu verbreiten. Sie hatten Erfolg damit. Rund ums Mittelmeer gibt es inzwischen christliche Gemeinden. Sie sind klein, sie werden misstrauisch beobachtet, manchmal auch unterdrückt und verfolgt. Aber trotzdem ziehen sie Menschen an und wachsen. Sie organisieren sich immer besser, sie knüpfen Verbindungen untereinander, und sie treten auch immer selbstbewusster an die Öffentlichkeit.

Trotzdem sitzt irgendwo in einer dieser Gemeinden ein nachdenklicher Mensch und macht sich Sorgen. Deutlicher als andere sieht er die Gefahren, die die junge Kirche bedrohen. Sie sagt von sich, dass sie erbaut ist „auf dem Fundament der Apostel und Propheten“ (Eph 2,20). Aber dieses Fundament droht brüchig zu werden. Denn die Apostel, die Augen- und Ohrenzeugen der Geschehnisse um Jesus, sind schon lange nicht mehr da. Inzwischen gibt es sogar kaum noch Menschen, die die Apostel noch persönlich gekannt haben. Das Licht, das sie in die Welt getragen haben, brennt schwächer. Stattdessen geistern Irrlichter durch die Gemeinden: Menschen, die von sich behaupten, sie hätten von Gott noch ganz andere Offenbarungen empfangen als die Propheten und Apostel, sie seien tief in die Geheimnisse Gottes eingedrungen und wüssten nun endlich den wahren Weg in die himmlische Welt. Sie berufen sich zwar auch auf die Apostel und Propheten, aber sie legen sie auf ihre eigene Weise aus, ohne danach zu fragen, was sie ursprünglich sagen wollten.
Und viele aus den Gemeinden hören ihnen zu. Sie haben die Hoffnung aufgegeben, dass Christus bald wiederkommen wird, wie es ihre Väter und Großväter erwarteten. Das macht sie neugierig auf andere Möglichkeiten, mit Gott vereint zu sein. Sie sondern sich ab, und den Gemeinden droht die Spaltung.
Der nachdenkliche Mensch aus Alexandria oder Ephesus oder Rom fragt sich, was er dagegen tun kann: „Wie kann ich meine Mitchristen zurück zu den Ursprüngen rufen? Wie kann ich sie dazu bringen, aus den Wurzeln neue Kraft zu schöpfen, statt sich auf irgendwelchen Wildwuchs zu verlassen? Wie kann ich ihnen die Weissagungen der Propheten und das Evangelium von Jesus Christus wieder wichtig machen?“
Schließlich kommt ihm eine Idee: Er stellt sich vor, was die Apostel wohl selber heute sagen würden, wenn sie noch am Leben wären, und er schreibt es auf. Und damit man auch liest, was er zu sagen hat, gibt er seinem Schreiben die Form eines Briefes, den einer der Apostel höchstpersönlich verfasst hat: Simon Petrus, der erste Zeuge der Auferstehung Jesu, der Begründer der ersten Gemeinde in Jerusalem, der schließlich unter Kaiser Nero für seinen Glauben in den Tod gegangen ist. Wenn Petrus kurz vor seinem Tod noch die Gelegenheit gehabt hätte, der nächsten Generation ein Vermächtnis mit auf den Weg zu geben, dann – davon ist der Briefschreiber überzeugt – hätte es so ausgesehen wie das, was nun als „zweiter Petrus-brief“ in unseren Bibeln steht. Ein wichtiger Abschnitt dieses Briefes ist heute Predigttext – ich lese 2. Petrus 1,16-21:

Denn wir sind nicht ausgeklügelten Fabeln gefolgt, als wir euch kundge¬tan haben die Kraft und das Kommen unseres Herrn Jesus Christus; sondern wir haben seine Herrlichkeit selber gesehen. Denn er empfing von Gott, dem Vater, Ehre und Preis durch eine Stimme, die zu ihm kam von der großen Herrlichkeit: „Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.“ Und diese Stimme haben wir gehört vom Himmel kommen, als wir mit ihm waren auf dem heiligen Berge.
Umso fester haben wir das prophetische Wort, und ihr tut gut daran, dass ihr darauf achtet als auf ein Licht, das da scheint an einem dunklen Ort, bis der Tag anbreche und der Morgenstern aufgehe in euren Herzen. Und das sollt ihr vor allem wissen, dass keine Weissagung in der Schrift eine Sache eigener Auslegung ist. Denn es ist noch nie eine Weissagung aus menschlichem Willen hervorgebracht worden, sondern getrieben von dem Heiligen Geist haben Menschen im Namen Gottes geredet.

„Wir sind nicht ausgeklügelten Fabeln gefolgt“, sagt „Petrus“. Wahrscheinlich meint er damit die Lehren der Gegner, die er bekämpft. Die waren in der Tat gut darin, komplizierte Systeme von himmlischen Sphären zu entwerfen und alte Erlösungsmythen immer wieder neu zu formulieren und breitzuwalzen. Wenn wir in der Gegenwart Vergleichbares suchen, dann müssen wir nur in der Esoterik-Ecke unserer Buchhandlungen stöbern. Was wird da nicht alles an raffiniertem Pseudo-Wissen verbreitet: über obskure Energiefelder, über Kontakte zu Außerirdischen oder Engelwesen, über die Freisetzung geheimnisvoller Kräfte, die wir angeblich in uns tragen, und was weiß ich nicht alles. Offenbar ist unsere nüchterne, hochtechnisierte Zeit besonders anfällig für alles, was Profit aus unerfüllten Sehnsüchten zieht. Man kann sich natürlich einbilden, dass das alles stimmt, was einem so ein Esoteriker erzählt. Man kann das, was dagegen spricht, wegerklären oder schlicht nicht zur Kenntnis nehmen. Aber einer objektiven Überprüfung hält nichts von alledem Stand. „Ausgeklügelte Fabeln“ eben.
Aber, könnte man einwenden, ist es denn anders mit dem, was Christen glauben? Gehört nicht auch das, was die Bibel uns von Jesus sagt, ins Reich der Fabeln und Mythen? Kann das denn sein, dass ein Mensch Gottes Sohn ist und dass sein Tod die Sünde der ganzen Menschheit sühnt? Kann es sein, dass jemand von den Toten aufersteht? Kann es sein, dass Christus eines Tages wiederkommt und Gott dann einen neuen Himmel und eine neue Erde schafft? Schon damals haben viele das bezweifelt. Und heute kann selbst ein Großteil unserer Kirchenmitglieder nicht mehr daran glauben. Müsste man sich da nicht endlich ehrlich machen und alles Mythologische aus dem christlichen Bekenntnis verbannen? Nach dem Motto: Lieber glaube ich das bisschen, was ich glauben kann, als Dinge für wahr zu halten, die einfach unmöglich sind.

Nein, sagt der zweite Petrusbrief, das wäre der falsche Weg. Denn so unmöglich das alles klingen mag, es gibt trotzdem einen entscheidenden Unterschied zwischen den „ausgeklügelten Mythen“ und dem Evangelium von Jesus Christus. Dieser Unterschied sind die Menschen, die dabei waren und glaubwürdig bezeugen können, was da geschehen ist. „Wir waren da, damals auf dem heiligen Berg“, lässt er Petrus sagen, „wir haben Jesus für einen Moment in seiner himmlischen Herrlichkeit gesehen. Und wir haben die Stimme Gottes gehört, als er sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.“ Und weil das wahr ist, ist auch alles andere wahr: alles, was die Gemeinde von Jesus Christus bekennt, auch alles, was die biblischen Propheten im Namen Gottes gesagt und verheißen haben. Das mit Jesus ist eben kein zeitloser Mythos, der vielleicht zum Weltkulturerbe zählt, aber keinen Anspruch auf Gültigkeit erheben kann. Sondern es ist wirklich geschehen: an einem bestimmten Ort, zu einer bestimmten Zeit, an einem bestimmten Menschen, den es ebenso gegeben hat wie dich und mich und der nachweislich während der Statthalterschaft des Pontius Pilatus in Jerusalem gekreuzigt wurde. Nur deswegen kommt diese Randfigur der römischen Geschichte ja in unserem Glaubensbekenntnis vor: Er steht dafür, dass unserem Glauben ein wirkliches, geschichtliches Ereignis zugrunde liegt.
Natürlich: Auch den Augen- und Ohrenzeugen der Geschichte Jesu muss ich nicht glauben. Sie können sich ja auch geirrt haben, ganz oder teilweise. Ihre Erinnerung kann sie getrogen haben. Oder sie könnten bewusst gelogen haben, obwohl das unwahrscheinlich ist – angesichts der Tatsache, dass sie bereit waren, für ihre Überzeugung zu sterben. Aber auf jeden Fall sind ihre Aussagen subjektiv gefärbt, wie alle menschliche Wahrnehmung. Dazu kommt noch, dass uns das Zeugnis der Apostel im Neuen Testament nur indirekt überliefert ist – von Leuten, die sich auf sie berufen, aber sie zum Teil schon gar nicht mehr gekannt haben wie der Verfasser des zweiten Petrusbriefes. Wenn sich jemand mit den Methoden moderner Geschichtswissenschaft der Person Jesu zu nähern versucht, kommt er deshalb über Wahrscheinlichkeiten und Vermutungen nicht hinaus. Und die Wahrheit der Glaubenssätze über Jesus wird er nicht beweisen, allerdings auch nicht widerlegen können.
Nein, ob ich mich auf das Wort der Apostel und Propheten verlasse, das liegt an etwas anderem. Es liegt daran, ob mich der gleiche Geist treibt, der auch sie getrieben hat. Es liegt daran, ob ich durch Gottes Heiligen Geist mit ihnen verbunden bin und mit ihnen zur Gemeinschaft der Glaubenden gehöre. Niemand kann sich zu Jesus als dem Herrn bekennen, außer durch den Heiligen Geist, hat Paulus gesagt, und er behält damit Recht bis zum heutigen Tag. Niemand kann die Botschaft von Jesus Christus für wahr halten, dem Gott ihre Wahrheit nicht aufschließt.
Deshalb ist es so wichtig, dass ihr, Kristina, Nicole und Marcus nun getauft seid und damit zur Gemeinde Jesu Christi gehört. Hier, in der Gemeinschaft mit anderen Christen, könnt ihr die Wahrheit dessen, was Christen glauben, erfahren. Hier im Gottesdienst könnt ihr Jesus Christus begegnen – besonders, wenn wir miteinander das Abendmahl feiern, zu dem er uns einlädt. Hier könnt ihr lernen, ihm zu vertrauen. Hier könnt ihr die Erfahrung machen, dass sich dieses Vertrauen im Alltag bewährt. Dass die guten Worte der Bibel ein Licht an dunklen Orten sein können. Dass der Glaube gerade in schwierigen Lebenssituationen Halt und Kraft gibt. Und ihr könnt von vielen Menschen hören und lernen, die diese Erfahrung schon gemacht haben: angefangen bei den Aposteln, die noch mit Jesus selber unterwegs waren, bis hin zu Menschen, die hier und heute bewusst als Christen leben. Mit dem, was sie euch sagen, könnt ihr dann eure eigenen Erfahrungen machen, bis ihr irgendwann aus Überzeugung sagen könnt: Nein, das mit Jesus, das hat sich nicht nur jemand ausgedacht, sondern es ist wirklich wahr. Amen.

(Pfarrer Dr. Martin Klein)