Predigt, Wenschtkirche, Sonntag, 27.05.2018

GOTTESDIENST FÜR DEN SONNTAG TRINITATIS

Text: Eph 1,3-14

Gott zu loben und zu preisen, das steht uns Christen wohl an. „Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat“ – dazu fordert schon der Dichter von Psalm 103 sich selber auf, und wir haben allen Grund, uns ihm anzuschließen: Gott zu loben für all das Gute, das er uns hier auf Erden zuteil werden lässt, aber erst recht ihn zu preisen für das umfassende Heil, das er uns in Jesus Christus schenkt. Dieses Heil beginnt schon vor Anbeginn der Welt und es reicht über ihr Ende weit hinaus. Es umspanntHimmel und Erde. Es gilt allen Menschen zu allen Zeiten, ja, der ganzen Schöpfung. Es enthüllt uns das Geheimnis der Welt; denn es zeigt uns, wer Gott ist, wie er ist, und wie er für uns Menschen da ist. Und es will uns ganz durchdringen, alles Denken, Reden und Handeln prägen.
Lässt sich das überhaupt in Worte fassen? Kann menschliche Sprache überhaupt etwas beschreiben, das weit über ihren üblichen Anwendungsbereich hinausreicht? Nein, sie kann es natürlich nicht. Und doch muss sie es tun. Denn wo das Heil Gottes Menschen gepackt hat, da müssen sie davon auch reden. Wes das Herz voll ist, des geht eben der Mund über. Und das ist auch gut und richtig so, denn schließlich war es Gottes Wort, das in Christus Mensch geworden ist und sich in menschlichen Worten unter uns hören ließ. Also ist es recht und billig, dass wir Gott nun auch in menschlichen Worten loben und preisen.
Trotzdem stößt unsere Sprache an ihre Grenzen, wenn wir das tun. Das können wir am heutigen Predigttext aus dem Epheserbrief deutlich merken. Der Brief beginnt, wie es sich gehört, mit einem Lobpreis Gottes. Und der versucht, alles, was es da zu loben und zu preisen gibt, in einem einzigen Satz unterzubringen. Was dabei herausgekommen ist, hat ein Kenner der Materie mal „das monströseste Satzkonglomerat“ genannt, das ihm in griechischer Sprache je begegnet sei. Unsere Lutherbibel hat aus dem einen Satz schon mehrere gemacht. Aber wenn ich den Text nun lese, werden Sie trotzdem verstehen, was mit „monströs“ gemeint ist:

Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns gesegnet hat mit allem geistlichen Segen im Himmel in Christus. Denn in ihm hat er uns erwählt, ehe der Welt Grund gelegt war, dass wir heilig und untadelig vor ihm sein sollten in der Liebe.
Er hat uns dazu vorherbestimmt, seine Kinder zu sein durch Jesus Christus nach dem Wohlgefallen seines Willens, zum Lob seiner herrlichen Gnade, mit der er uns begnadet hat in dem Geliebten. In ihm haben wir die Erlösung durch sein Blut, die Vergebung der Sünden, nach dem Reichtum seiner Gnade, die er uns reichlich hat widerfahren lassen in aller Weisheit und Klugheit.
Gott hat uns wissen lassen das Geheimnis seines Willens nach seinem Ratschluss, den er zuvor in Christus gefasst hatte, um die Fülle der Zeiten heraufzuführen, auf dass alles zusammengefasst würde in Christus, was im Himmel und auf Erden ist, durch ihn.
In ihm sind wir auch zu Erben eingesetzt worden, die wir dazu vorherbestimmt sind nach dem Vorsatz dessen, der alles wirkt, nach dem Ratschluss seines Willens, damit wir zum Lob seiner Herrlichkeit leben, die wir eine Voraushoffnung haben in Christus.
In ihm seid auch ihr, als ihr das Wort der Wahrheit gehört habt, nämlich das Evangelium von eurer Seligkeit, und als ihr gläubig wurdet, versiegelt worden mit dem Heiligen Geist, der verheißen ist, welcher ist das Unterpfand unsres Erbes, zu unsrer Erlösung, dass wir sein Eigentum würden zum Lob seiner Herrlichkeit.

Und, alles verstanden? Am Ende noch gewusst, wie es angefangen hat? Keine Angst – ich werde jetzt niemanden aufrufen, das Gehörte noch mal in eigenen Worten wiederzugeben. Und ich werde Ihnen auch nicht in allen Einzelheiten erläutern, was da steht. Das ergäbe Stoff für mindestens ein Jahr „Bibel im Gespräch“. Nein, ich beschränke mich auf den wesentlichen Punkt und ziehe daraus ein paar wichtige Konsequenzen.
Der wesentliche Punkt ist folgender: Alles, was Gott zum Heil der Welt und der Menschen tut, geschieht in Jesus Christus: In Christus hat Gott uns erwählt schon vor Anbeginn der Welt. In Christus hat er uns erlöst und befreit von aller Schuld. In Christus lässt er uns teilhaben an seiner Liebe, seiner Gnade, seiner Herrlichkeit. In Christus gehören wir zur Gemeinschaft der Glaubenden, und das Siegel darauf ist die Taufe in seinem Namen. In Christus wird Gottes Heil einst alles umfassen: Himmel und Erde, Zeit und Ewigkeit. Und wir dürfen dabei sein und darauf jetzt schon hoffen. Und weil das so ist, steht Christus auch im Mittelpunkt, wenn wir Gott loben und preisen – so wie in diesem Text.
Das heißt für mich nicht, dass ich all denen das Heil absprechen muss, die nicht an Jesus Christus glauben. Denn erstens steht mir das gar nicht zu. Und zweitens: Wenn in Christus wirklich „alles zusammengefasst“ wird, „was im Himmel und auf Erden ist“, wie es im Text heißt, dann gehören dazu auch die Un- und Andersgläubigen. Was Gott am Ende mit ihnen vorhat, wird nicht gesagt, aber er wird es schon richtig machen, darauf vertraue ich.
Nein, wenn alles Heil in Jesus Christus liegt, dann heißt das für mich, dass ich es nirgendwo anders suchen muss: weder in den Heilsversprechen von Politikern noch in denen von religösen Führern aller Art. Weder in den Tiefen meiner Seele, noch darin, dass ich den richtigen Glauben habe, noch darin, das ich das Richtige tue. Nein, an mir liegt es ganz und gar und überhaupt nicht, wenn ich gerettet werde, auch an keinem anderen Menschen, sondern einzig und allein an Jesus Christus. In ihm hat Gott uns erwählt schon vor Grundlegung der Welt, sagt der Epheserbrief. Oder etwas schlichter formuliert, mit einem neueren Kinderlied: „Schon vor Millionen von Jahren, als noch Dinos hier waren, hat Gott fröhlich gelacht, wenn er an dich gedacht.“ Er wollte schon immer unser Gott sein, und wir sollten schon immer seine Menschen sein, und das hat sich erfüllt, als er selber in Jesus Christus Mensch geworden ist. Das ist nicht mehr zu überbieten, und dahinter geht es auch nicht mehr zurück.
Eine erste Konsequenz daraus: Gott ist für Christen nicht ohne Jesus Christus zu haben. Entweder er ist der in Christus menschgewordene Gott oder er ist nicht unser Gott. Das klingt selbstverständlich. So wie Christen sich Gott oft vorstellen und wie sie von ihm reden, scheint es aber nicht so selbstverständlich zu sein. Da ist Gott zwar irgendwie der Vater im Himmel, der mich liebt und mir vielleicht noch einen Engel sendet, um mich durchs Leben zu führen. Und Jesus ist ein Mensch, den ich mir beim Glauben, Hoffen und Lieben zum Vorbild nehmen kann. Aber dabei geht oft völlig unter, dass ich Gott nur deswegen meinen Vater im Himmel nennen darf, weil er der Vater Jesu Christi ist. „Niemand kommt zum Vater, denn durch mich“ – das sagt Jesus im Johannesevangelium nicht den Anhängern anderer Religionen, sondern er sagt es seinen eigenen Jüngern, die das offenbar immer noch nicht begriffen oder schon wieder vergessen haben. An Jesus vorbei führt für uns kein Weg zu Gott – nicht deshalb, weil Jesus ein Mensch wäre, der Gott besonders nahe gekommen ist, sondern weil Gott in Jesus uns nahekommt, weil er selber wahrer Mensch und wahrer Gott ist.
„Da vertrittst du aber steile theologische Thesen“, hat mir ein Pfarrkollege gesagt, als ich mal Ähnliches in einem Leserbrief in der „Siegener Zeitung“ geschrieben habe. Und auch unter Ihnen denkt vielleicht mancher: „Das ist mir zu hoch“ oder „Ist das denn wirklich so wichtig?“. Aber ich bin zutiefst überzeugt, dass ich Ihnen und mir und allen anderen Christen diese steilen Sätze nicht ersparen darf. Denn für mich hängt schlechterdings alles daran, dass in Jesus Christus Gott und Mensch eins geworden sind. Nur wenn es so ist, bin ich wirklich von Gott erwählt. Nur wenn es so ist, bin ich wirklich gerettet in Zeit und Ewigkeit. Nur wenn es so ist, habe ich wirklich einen festen Halt, einen Trost im Leben und im Sterben. Dank sei dem Lobpreis aus dem Epheserbrief in all seiner sprachlichen „Monstrosität“, dass er uns zumindest das unmissverständlich deutlich macht – so wie das übrige Neue Testament auch. Und Dank sei Gott, dem Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns die Gewissheit schenken will, dass das wirklich wahr ist.
Ich ziehe aber noch eine zweite Konsequenz, damit klar wird, dass ich nicht nur irgendwo in himmlischen Regionen schwebe. Wenn Gott und Mensch in Christus wirklich eins geworden sind, dann ist das der eigentliche und tiefste Grund dafür, warum Menschenver-achtung und christlicher Glaube nicht zusammengehen. Ich kann nicht an Jesus Christus glauben und so über Menschen reden, wie es so mancher selbsternannte Verteidiger des „christlichen Abendlan-des“ tut – inzwischen nicht mehr nur an Stammtischen und in ein-schlägigen Internet-Foren, sondern auch im Deutschen Bundestag. Ich kann nicht an Jesus Christus glauben und die Augen davor ver-schließen, wie viele Menschen jeden Tag durch menschliche Gewalt und menschliche Gleichgültigkeit sterben – im Kugel- und Bomben-hagel, vor Hunger, an Seuchen, auf der Flucht, auch vor Einsamkeit und Verzweiflung. Ich kann nicht an Jesus Christus glauben und zu alledem schweigen. Und ich kann nicht an ihn glauben, ohne mein Bestes zu tun, um diesen Menschen beizustehen.
Denn dazu sind wir ja von Gott erwählt, sagt der Epheserbrief, „dass wir heilig und untadelig vor ihm sein sollten in der Liebe“. Auch das kommt natürlich nicht aus uns selber, denn dass wir alles andere als vollkommen sind, muss ich ja niemandem erzählen. Nein, wir sind immer nur so „heilig und untadelig“, wie wir uns von Gottes Liebe antreiben und führen lassen. Aber dabei ist jedenfalls noch viel Luft nach oben!
Und noch eins: „Gelobt sei Gott“, so beginnt der Text aus dem Epheserbrief. Und zum Schluss benennt er noch einmal das Ziel dessen, was Gott zu unserem Heil getan hat: „dass wir sein Eigentum würden zum Lob seiner Herrlichkeit“. Am Anfang und am Ende steht also der Lobpreis. Das ist also letztlich unsere einzig angemessen Antwort, auf das, was Gott uns schenkt: ihn zu preisen mit Herzen, Mund und Händen. Mit Worten und Taten. Mit Singen und Beten. Mit alten und neuen Liedern. Also noch mal mit Psalm 103: „Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.“ Amen.

Ihr Pastor Martin Klein