Predigt Wenschtkirche, Sonntag, 23. November 2014

Gottesdienst für den Ewigkeitssonntag

Text: 2. Petr 3,3-13

Ihr sollt vor allem wissen, dass in den letzten Tagen Spötter kommen werden, die ihren Spott treiben, ihren eigenen Begierden nachgehen und sagen: „Wo bleibt die Verheißung seines Kommens? Denn nachdem die Väter entschlafen sind, bleibt es alles, wie es von Anfang der Schöpfung gewesen ist.“ Denn sie wollen nichts davon wissen, dass der Himmel vorzeiten auch war, dazu die Erde, die aus Wasser und durch Wasser Bestand hatte durch Gottes Wort; dennoch wurde durch beides damals die Welt in der Sintflut vernichtet. So werden auch der Himmel, der jetzt ist, und die Erde durch dasselbe Wort aufgespart für das Feuer, bewahrt für den Tag des Gerichts und der Verdammnis der gottlosen Menschen.
Eins aber sei euch nicht verborgen, ihr Lieben, dass ein Tag vor dem Herrn wie tausend Jahre ist und tausend Jahre wie ein Tag. Der Herr verzögert nicht die Verheißung, wie es einige für eine Verzögerung halten; sondern er hat Geduld mit euch und will nicht, dass jemand verloren werde, sondern dass jedermann zur Umkehr finde.
Es wird aber des Herrn Tag kommen wie ein Dieb; dann werden die Himmel zergehen mit großem Krachen; die Gestirne aber werden vor Hitze schmelzen, und die Erde und die Werke, die darauf sind, werden ihr Urteil finden. Wenn nun das alles so zergehen wird, wie müsst ihr dann dastehen in heiligem Wandel und frommem Wesen, die ihr das Kommen des Tages Gottes erwartet und erstrebt, an dem die Himmel vom Feuer zergehen und die Gestirne vor Hitze zerschmelzen werden. Wir warten aber auf einen neuen Himmel und eine neue Erde nach seiner Verheißung, in denen Gerechtigkeit wohnt.

Kennen Sie den Film „2012“? Da hat der Regisseur Roland Emmerich, Spezialist für cineastische Zerstörungsorgien, den Weltuntergang verfilmt, den die Maya angeblich vorhergesagt haben. Mit allen Tricks, die der Computer hergibt, wird dort gezeigt, wie es die Erdkruste zerrreißt, wie Lavaströme und gigantische Flutwellen sich über Millionenstädte ergießen und wie Menschenmassen dahingerafft werden, als ob es kleine Krabbeltierchen seien. Nur Afrika bleibt am Ende übrig – und ein paar Auserwählte, die es rechtzeitig ins Himalaya auf ein paar riesige High-Tech-Arche-Noahs geschafft haben.
Ziemlich abstrus, das alles. Aber ein großer Erfolg. Offenbar gruseln wir Menschen uns ab und zu ganz gern vor dem eigenen Untergang – wenn wir nur sicher genug sind, dass es so niemals kommen wird.
Gehört unser Text aus dem zweiten Petrusbrief auch in diese Kategorie? Malen wir uns auch da nur kurz aus, wie schrecklich das wäre, wenn die Welt im Feuer verginge, um uns dann entspannt zurückzulehnen, weil wir wissen, dass es nicht passieren wird – jedenfalls nicht, bevor die Sonne zum Roten Riesen wird, in ein paar Milliarden Jahren? Denn seien wir ehrlich: Im Grunde gehören wir doch heute alle zu den „Spöttern“, von denen der Brief spricht. Wir sagen vielleicht nicht: „Alles bleibt, wie es am Anfang gewesen ist.“ Denn wir nehmen ja wahr, wie sehr sich unsere Welt verändert, und das anscheinend immer schneller. Aber dass sie komplett vernichtet und neu geschaffen wird? Dass Christus mit den Wolken des Himmels wiederkommt und Gericht hält? Dass dann die Gottlosen vernichtet und die Frommen ewig leben werden? Wer kann sich das schon noch ernsthaft vorstellen – wo doch inzwischen nicht nur die Väter und Mütter der ersten Christengeneration entschlafen sind, sondern viele, viele Generationen nach ihnen ebenfalls. Da muss man doch endlich mal zugeben, dass die Naherwartung der ersten Christen ein Irrtum war.
Der zweite Petrusbrief, der auch schon auf fast hundert Jahre Christentum zurückblickt, versucht noch, dagegen an zu argumentieren. Er verweist auf das warnende Beispiel der Sintflut, die auch sehr plötzlich kam. Er erinnert daran, dass Gottes Zeitrechnung eine ganz andere ist als unsere. Er betont Gottes Güte und Geduld und mahnt uns, die verlängerte Zeit zur Umkehr zu nutzen. Er ruft uns auf zu einem Lebenswandel, der im Gericht vor Gott bestehen kann. Aber er konnte die Erwartung des nahen Weltendes dadurch nicht retten. Schon bald nach ihm ist sie aus den Herzen der Christenheit entschwunden. Und auch überall, wo sie seitdem wieder aufgeflammt ist, wurde sie enttäuscht. Keine Berechnung hielt der Realität Stand. Kein Versuch, das Reich Gottes auf Erden aufzurichten, hatte jemals Erfolg. Und wenn heute wieder manche meinen, die Zeichen der Zeit deuteten auf das nahe Ende der Welt hin, dann kann ich nur sagen: seid vorsichtig und verlasst euch nicht darauf! Es mag zwar sein, dass wir Menschen uns eines Tages selber abschaffen und die Erde unbewohnbar machen, aber das Weltall wird selbst dann weiterbestehen und sich nicht um den Verlust unseres kleinen blauen Planeten scheren.
Heißt das, Gottes Verheißung ist hinfällig? Heißt das, es wird immer so weitergehen und nie einen neuen Himmel und eine neue Erde geben? Das wäre schlimm! Es wäre schlimm für alle, die heute hier sitzen und einen lieben Menschen verloren haben, denn dann gäbe es keine Hoffnung auf ein Wiedersehen. Es wäre schlimm für alle, die zu früh gehen müssen, denn dann würde ihr unvollendetes Leben für immer unvollendet bleiben. Es wäre schlimm für alle, die im Sterben liegen, denn dann gäbe es keinen Weg durch den Tod hindurch. Und es wäre erst recht schlimm für alle, die unter den Zuständen unserer Welt leiden: für die Menschen im Bombenhagel der syrischen Luftwaffe, für die Flüchtlinge in den kurdischen Bergen, für die Ebola-Patienten in Westafrika, für die eh schon Armen, die auch noch von Stürmen, Überschwemmungen und Erdbeben heimgesucht werden, und für viele andere, die ich hier aufzählen könnte. Denn wofür noch auf eine Welt hoffen, wo nicht mehr der Tod regiert, sondern Frieden und Gerechtigkeit herrschen, wofür noch für eine solche Welt kämpfen, wenn es sie doch niemals geben wird?
Deshalb möchte ich für mein Teil weiter auf Gottes Wort, auf seine Verheißung vertrauen. Ich möchte nicht mehr an bestimmten Vorstellungen hängen, wie die neue Welt Gottes zustande kommt – Vorstellungen, die nicht funktionieren, wenn man sie wörtlich nimmt, weil sie eben an menschliches Vorstellungsvermögen gebunden sind –, aber ich möchte es ihm, dem Schöpfer und Herrn aller Dinge, zutrauen, dass er Mittel und Wege weiß, wie seine Schöpfung heil und neu werden kann. Und ich möchte Gott bitten, dass er dieses Vertrauen in mir immer wieder weckt und stärkt.
Mit diesem Vertrauen wende ich mich noch einmal dem Text aus dem zweiten Petrusbrief zu. Und dann entdecke ich nicht mehr nur Vorstellungen, die ich für überholt, und Bilder, die ich für problematisch halte, sondern dahinter auch Gedanken, die mir weiterhelfen.
Der erste Gedanke: Wer sagt, es ändert sich nie was und alles bleibt, wie es von Anfang an gewesen ist, der wird sich noch wundern. Das haben wir ja alle schon erlebt. Zum Beispiel, als sich damals vor 25 Jahren der Ostblock auflöste und die Mauer aufging. – Wer hätte damit ernsthaft gerechnet? Ein anderes, weniger schönes Beispiel: Wie lange haben manche gesagt: „Treibhauseffekt? Klimawandel? Alles Quatsch! Das Wetter hat so seine Schwankungen, aber im Grunde bleibt alles, wie es ist.“ Inzwischen leugnen nur noch Unbelehrbare, dass es immer wärmer wird und dass unser CO2-Ausstoß dran schuld ist. Und die negativen Auswirkungen nehmen von Jahr zu Jahr rasant zu. Aber jetzt zu denken: „Alles wird immer nur schlimmer, und dabei bleibt es“, das wäre auch verkehrt. Es kann auch besser werden. Es kann sogar gut werden. Und Gott kann und will dafür Sorge tragen durch seinen guten Geist.
Denn das ist der zweite Gedanke: Gott hat Geduld mit uns und lässt uns Zeit zur Umkehr. Auch da sage also keiner: „Es bleibt immer, wie es ist. Ich bin halt so und kann nicht anders. Ich schaff’s nicht, anders zu leben, und wenn ich’s schaffen würde, tät’s nichts helfen, weil andere sich nie ändern werden.“ Nein, Gott lässt mir Gelegenheit zur Umkehr und er lässt die Umkehr auch gelingen. Ich muss es nur einfach wollen und tun. „Noch ist Gnadenzeit“, hieß es dazu früher oft. Noch habe ich Zeit, um mit Gott ins Reine zu kommen. Oder auch mit mir selber und mit meinen Lieben. Noch lässt sich manches in unserer Welt zum Guten wenden, wenn wir nur konsequent genug umsetzen, was wir als richtig erkannt haben. Ich ertappe mich zwar auch ständig dabei, dass ich denke: Das klappt nie, dafür sind die Menschen viel zu bequem und viel zu egoistisch. Aber dann sollte ich mich an der eigenen Nase packen und bei mir selber anfangen: Wo denke ich denn nur an mich? Wo steckt mein innerer Schweinehund, und wie bring ich ihn zur Strecke? Allein schaffe ich das nicht. Aber wenn es stimmt, dass Gottes Güte mich zur Umkehr leitet, wie Paulus sagt, dann kann ich das Gelingen getrost ihm anbefehlen.
Und schließlich noch der dritte Gedanke: „Ein Tag ist vor dem Herrn wie tausend Jahre und tausend Jahre wie ein Tag.“ Gottes Zeit ist also nicht unsere Zeit. Unsere Zeit schreitet unaufhaltsam vorwärts: Stunde für Stunde, Tag für Tag, Jahr für Jahr. Mit dem Zeitpunkt unserer Zeugung treten wir in diese Zeit ein, und mit der Stunde unseres Todes verlassen wir sie wieder. Die Zeit dazwischen kann man exakt messen, für sie gelten die Regeln der Mathematik. Aber schon unser Zeitempfinden stimmt nicht mit der messbaren Zeit überein. Wie quälend zieht sich manche Stunde in die Länge, und wie schnell rauschen andererseits Jahre an uns vorbei – „als flögen wir davon“, wie es in Psalm 90 heißt. Gerade wenn Sie vor kurzem einen geliebten Menschen verloren haben, werden Sie verstehen, was ich meine. Wie gern würden wir die Zeit anhalten oder zurückdrehen, wenn uns jemand stirbt, aber sie geht einfach weiter, unaufhaltsam, und wir müssen mit.
Und Gott? Bei ihm ist es anders. Er steht außerhalb unserer Zeit, denn er hat sie mit der Welt erschaffen. Deshalb können wir, die wir in der Zeit leben, ihn nicht erfassen. Und eine Ewigkeit, in der es keine Zeit gibt, können wir uns nicht vorstellen. Das heißt aber nicht, dass es sie nicht gibt. Und es heißt auch nicht, dass die Ewigkeit nicht mit unserer Zeit in Berührung kommen könnte. Denn als Gott in Jesus Mensch wurde, hat er sich ja freiwillig der Zeit unterworfen. Also: Gott ist zeitlos, und doch ist er uns nah, zu jedem Zeitpunkt unseres Lebens und auch noch im Augenblick unseres Todes. Und damit hat der Tod nicht mehr das letzte Wort über uns, sondern wir haben teil an Gottes Ewigkeit.
Wie das sein wird in Gottes Ewigkeit und wann ich dort hingelange – wenn ich sterbe oder erst, wenn Gott die Welt heil und neu macht, das weiß ich nicht. Denn schon, wenn ich nach dem Wann oder dem Wie frage, werde ich der Ewigkeit nicht gerecht. Aber die biblischen Bilder dafür, wie wir sie heute zum Beispiel aus dem Propheten Jesaja gehört haben, die machen mir Hoffnung. Und weil Gott will, dass ich ich bin, glaube ich, dass ich in seiner Gegenwart immer noch ich sein werde. Das muss mir genügen. Und im Übrigen schließe ich mich dem Beter des 31. Psalms an. „Meine Zeit steht in deinen Händen“. Mehr brauche ich nicht für einen festen Halt im Leben und im Sterben. Amen.

Pfarrer Dr. Martin Klein