Predigt Wenschtkirche, Sonntag, 10.07.2016

GOTTESDIENST FÜR DEN SECHSTEN SONNTAG NACH TRINITATIS

mit Taufe von Mats Pittke und Wilma Mouissi

Text: Röm 6,1-11

Ein früherer schottischer Nationalspieler hat mal gesagt: „Es gibt ja Leute, die denken, dass Fußball nicht nur ein Spiel ist, sondern dass es dabei um Leben und Tod geht. Diese Einstellung lehne ich ab. Denn in Wirklichkeit ist es viel ernster.“ Wer die Fußball-EM auf­merksam verfolgt und gesehen hat, wie hoch dort immer wieder die Emotionen gehen, der könnte den Eindruck haben, dass es tatsächlich so ist. Aber gottlob stimmt es ja doch nicht. Denn das Leben geht weiter, obwohl die deutsche Mannschaft das Finale verpasst hat.

Mit der Taufe dagegen ist es genau umgekehrt. Die ist für die meis­ten Menschen ein harmloses Familienfest: ein Kind ist geboren, wir freuen uns darüber, wir danken Gott dafür und wünschen dem Kind Gottes Segen für seinen Lebensweg, und ansonsten feiern wir halt ein bisschen und machen uns einen schönen Tag. Auch bei Pittke-Mühlnikels und Mouissi-Kwartengs gibt es sicher noch ein nettes Beisammensein. Das ist ja auch alles nicht schlecht und nicht falsch, aber es ist noch zu wenig. Denn die Taufe, bei der es viele gar nicht vermuten würden, ist eine Angelegenheit, die man gar nicht ernst genug nehmen kann; denn da geht es tatsächlich um Leben und Tod.

Sie glauben mir nicht? Dann hören Sie mal, was der Apostel Paulus in seinem Brief an die Christen in Rom zum Thema schreibt! Ich lese Kapitel 6,1-11:

Was sollen wir dazu sagen? Etwa: „Lasst uns in unserer Sünde blei­ben, damit die Gnade noch größer wird!“? Auf keinen Fall! Für die Sünde sind wir ja tot. Wie könnten wir da noch weiter in ihr leben? Ihr wisst doch: Bei unserer Taufe wurden wir förmlich in Christus Jesus hineingetaucht. So wurden wir bei der Taufe in seinen Tod mit hineingenommen. Und weil wir bei der Taufe mit ihm gestorben sind, wurden wir auch mit ihm begraben. Aber Christus ist durch die Herrlich­keit des Vaters vom Tod auferweckt worden. Und genauso sollen auch wir jetzt ein neues Leben führen. Denn wenn wir ihm im Tod gleich geworden sind, werden wir es auch in der Auferstehung sein.

Wir wissen doch: Der alte Mensch, der wir früher waren, ist mit Chris­tus am Kreuz gestorben. Dadurch wurde der Leib vernichtet, der im Dienst der Sünde stand. Jetzt sind wir ihr nicht mehr unterwor­fen. Wer gestorben ist, auf den hat die Sünde keinen An­spruch mehr. Wenn wir nun mit Christus gestorben sind, dann wer­den wir auch mit ihm leben. Das ist unser Glaube. Wir wissen doch, dass Christus nicht mehr sterben wird, nachdem er vom Tod aufer­weckt wurde. Der Tod hat keine Macht mehr über ihn. Denn dadurch, dass er gestorben ist, ist er für die Sünde ein für allemal tot. Aber das Leben, das er jetzt lebt, lebt er ganz für Gott. Genau das sollt ihr auch von euch denken: Für die Sünde seid ihr tot. Aber ihr lebt für Gott, weil ihr zu Christus Jesus gehört.

Also: Wer an Jesus Christus glaubt und auf seinen Namen getauft ist, der ist tot für die Sünde und lebt nun ganz für Gott. So lassen sich die Worte des Paulus kurz zusammenfassen. Das leuchtete natürlich sei­nen damaligen Lesern leichter ein als uns. Damals waren es Erwach­sene, die getauft wurden. Und deren Leben sah nach der Taufe tatsäch­lich ganz anders aus als vorher. Vorher waren die meisten von ihnen Heiden, für die es viele Götter gab. Nun glaubten sie nur noch an einen Gott, den Schöpfer aller Dinge. Vorher spielten Standes­unter­schiede eine zentrale Rolle in ihrem Leben: Da gab es Reiche und Arme, Sklaven und Freie, Männer und Frauen, und sie alle lebten in getrennten Sphären – die einen oben, die anderen unten. Jetzt war das alles nicht mehr wichtig: Jetzt waren sie als Kinder Gottes und Geschwister Jesu Christi alle Brüder und Schwestern. Vorher war der eigene Vorteil der Maßstab ihres Handelns gewesen, jetzt war es die Liebe zu Gott und zu den Mitmenschen. Vorher wa­ren sie wie alle anderen, nun gehörten sie zu einer kleinen Mindeheit, die sich von ihrem Umfeld deutlich unterschied. Und die Art, wie man getauft wurde, passte zu diesem radikalen Neuanfang: Es gab dazu nicht nur ein bisschen Wasser auf den Kopf aus der hohlen Hand, sondern man wurde ganz untergetaucht, mit Haut und Haar. Das alte Leben wurde gründlich abgewaschen, und anschließend fühlte man sich erfrischt und wie neugeboren – so wie nach einem kühlen Bad an einem heißen Sommertag.

Und eines wurde bei dieser Art Taufe auch deutlich: Wer zu lange unter Wasser getaucht wird, der bekommt keine Luft mehr und muss sterben. Ich muss dabei immer daran denken, wie es mir als Kind im Urlaub an der Nordsee mal ergangen ist. Beim Baden bei recht star­kem Wellengang hatte mich eine besonders heftige Welle umgeris­sen und an eine Stelle getrieben, wo ich nicht mehr stehen konnte. Verzweifelt ver­suchte ich, wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen. Aber die Wellen schlugen im­mer wieder über mir zusam­men. Als mir langsam die Puste ausging, kam die Panik: „Hilfe, ich ertrinke!“ Aber zum Glück hatte mein älterer Schwager gut aufgepasst. Er zog mich noch rechtzeitig aus dem Wasser, bevor es richtig schlimm wurde.

Ich weiß nicht, wer von Ihnen schon Ähnliches erlebt hat. Aber auf jeden Fall gibt es Momente, bei den Unwettern in den letzten Wo­chen zum Beispiel, da merken wir, dass zwar jeder Mensch Wasser braucht – zum Trinken, zum Waschen, zum Leben, dass zuviel Was­ser uns aber auch umbringen kann. Wasser hat es mit dem Leben und mit dem Tod zu tun. Und deshalb ist es genau das richtige Symbol für die Taufe: für das Sterben mit Christus und für das neue Leben kraft seiner Auferstehung von den Toten.

Schön und gut, denken Sie jetzt vielleicht. Aber passt das denn auf die kleine Wilma und den kleinen Mats? Die leben doch jetzt über­haupt erst ein paar Monate auf der Erde. Sie wissen doch noch gar nicht, was Sünde ist und haben auch noch keinerlei sündige Taten vollbracht. Sie sind nicht im Geringsten schuld daran, was um sie herum und in ihrer Welt verkehrt läuft. Taufe als Übergang vom al­ten zum neuen Leben, das können sie nicht erfassen und deshalb auch nicht so erleben. Und auch für uns, die wir dabei sind, sieht die Taufe nicht danach aus.

„Seht ihr“, sagen unsere freikirchlichen Geschwister, „deshalb taufen wir auch keine kleinen Kinder, sondern nur Menschen, die sich frei zur Taufe entschließen und sie bewusst miterleben können.“ Nicht wenige Eltern in unserer Kirche halten es inzwischen auch so. Und wenn wir die Worte des Paulus ernst nehmen, haben sie dafür sehr gute Argumente.

Trotzdem halte ich es immer noch für richtig, dass wir Mats und Wilma heute getauft haben. Denn auch dafür gibt es gute Argumente.

Erstens: Die eigene Entscheidung ist nicht das Wesentliche daran, dass ein Mensch zum Glauben kommt und getauft wird. Das Wesentli­che ist vielmehr, dass Gott sich längst für uns entschieden hat. Mit dem Tod Jesu am Kreuz, mit seiner Auferweckung von den Toten hat Gott Fakten geschaffen. Er hat die Trennung zwischen ihm und uns aufgehoben, er hat den Tod besiegt. Auch das steht so bei Paulus. Und es gilt, ganz ohne unser Zutun. Es gilt auch schon für Mats und Wilma. Was hindert uns also daran, es ihnen schon am Anfang ihres Lebens zuzusprechen: Gott liebt dich, du gehörst zu ihm und zur Gemeinschaft der Christen, und nichts wird dich je von der Liebe Gottes trennen. Er lässt dich nicht fallen und verlässt dich nicht, wie es Wilmas Taufspruch sagt. Wichtig ist nur, dass die Kin­der danach auch etwas davon erfahren – durch die Eltern, durch die Paten, durch uns als Gemeinde – damit sie irgendwann auch für sich persönlich Ja sagen können zu dem, was Gott ihnen zugesprochen hat, und damit sie dann auch entsprechend leben: Gottes Liebe an andere weitergeben nicht nur mit Worten, sondern mit der Tat und mit der Wahrheit, um es mit Mats‘ Taufspruch auszudrücken.

Und noch ein zweites: Mats und Wilma haben in ihrem jungen Leben zwar noch nichts falsch gemacht, aber sie sind doch schon Teil einer Welt, die immer noch getrennt von Gott lebt, obwohl die Trennung von Gott her gar nicht mehr besteht. Sie sind schon hineinverwickelt in die Unheilszusammenhänge, die menschlicher Egoismus und mensch­liche Habgier geschaffeh haben. Weil Wilma und Mats zum Beispiel hier im reichen und friedlichen Deutschland geboren sind, haben sie alle Chancen auf ein gelingendes Leben. In Afrika, wo ein Teil von Wilmas Vorfahren herstammt, haben viele Kinder diese Chancen nicht. Wilma und Mats können nichts dafür, und doch profitie­ren sie schon jetzt von Verhältnissen, die zutiefst ungerecht sind. Unser Glaube sagt ihnen aber: Ihr müsst euch von diesen Verhält­nissen nicht bestimmen lassen. Ihr müsst nicht immer so weiter­machen und auf Kosten anderer leben. Ihr könnt euch davon frei machen und anfangen an einer gerechteren und friedlicheren Welt zu bauen. Es wird noch dauern, bis es für Mats und Wilma so­weit ist. Aber der Weg dahin fängt heute an – mit der Taufe. Ab heute gilt für die beiden Täuflinge, was für uns andere schon lange gilt: Ihr müsst euch von den Mächten der Sünde und des Todes nicht mehr treiben und bestimmen lassen. Denn euch ist ein neues Leben geschenkt. Ihr könnt durch Gottes Gnade anders leben, und ihr sollt es auch tun.

Nichts wünsche ich Mats und Wilma mehr, als dass sie das von klein­auf erfahren. Das sie in die neuen Kleider, die Gott ihnen heute angezogen hat – auch das ist ein schönes biblisches Bild für die Taufe – immer mehr hineinwachsen. Dass sie sich in der Gemein­schaft der Christen immer mehr zu Hause fühlen und mit anderen gemeinsam Zeichen setzen für Gottes neue Welt. Und wo wir alle ihnen auf dem Weg dahin helfen und beistehen können, da sollten wir es auch tun. Amen.

Pfarrer Dr. Martin Klein