GOTTESDIENST FÜR DEN ZWEITEN SONNTAG NACH TRINITATIS
Text: Lk 14,15-24
Es war einmal ein reicher Mann. Der wohnte in einem großen Haus mit großem Garten am Rand einer mittelgroßen Stadt. Dieser Mann war nicht nur reich, sondern auch sehr spendabel. Im Sommer, wenn das Wetter schön war, lud er gern alle wichtigen Leute der Stadt zu einer großen Gartenparty ein. Nur hatte er einen kleinen Spleen, wie ihn reiche Leute schon mal haben: Er lud seine Gäste immer rechtzeitig ein, sagte ihnen aber nicht, wann genau das Fest stattfinden würde. Das entschied er kurzfristig nach Lust und Wetterlage. Denn spontane Feste fand er am schönsten, und außerdem wollte er ja nicht bei Kälte und Regen feiern müssen. Dieser Spleen machte die Sache für die Gäste etwas kompliziert. Aber die Partys in dem wunderschönen Garten waren ein absolutes Highlight, und es galt als große Ehre, dort eingeladen zu sein.
Eines schönen Junimorgens sangen die Vögel besonders fröhlich und weckten den reichen Mann schon früh. Er stand auf und schaute hinaus in den Garten. Es war ein prächtiger Morgen: Die Sonne stand leuchtend am Himmel, der Tau glitzerte auf dem frischen Grün, ein sanfter, lauer Wind bewegte die Zweige. Es versprach ein herrlicher Tag zu werden. Da ging ein Strahlen über das Gesicht des reichen Mannes: „Heute, ja, heute muss es sein! Heute steigt die große Party!“
Er ging zum Schreibtisch, nahm den Hörer vom Haustelefon und wählte die Nummer seines Butlers. Der war noch einer von der alten Schule; er arbeitete seit vielen Jahren für den reichen Mann. Wenig später betrat er das Zimmer und verbeugte sich steif. „Sie wünschen, gnädiger Herr?“ Falls er genervt war, so früh aus dem Bett geschmissen zu werden, ließ er es sich jedenfalls nicht anmerken.
„Johann“, sagte der reiche Mann, „das wird ein herrlicher Tag. Deshalb habe ich beschlossen, dass heute gefeiert wird.“ Er nahm ein längliches Papier vom Schreibtisch und gab es dem Butler. „Das ist die Einkaufsliste. Die geben Sie der Köchin. Sie soll sich gleich auf den Weg machen – der Großmarkt hat schon auf. Dann wecken Sie den Gärtner und schicken ihn zum Rasenmähen. Anschließend soll er die Terrasse fegen und die Lampions aufhängen. Die Hausmädchen können sich gleich ans Putzen machen und das gute Geschirr polieren. Und Sie rufen beim Getränkelieferanten an und kümmern sich dann um Tische, Stühle und Dekoration. – Das wär’s im Moment. Dann also an die Arbeit!“ – „Sehr wohl, gnädiger Herr“, sagte Johann, verbeugte sich und ging. Dass er dabei leise seufzte und die Augen verdrehte, bekam sein Herr nicht mit.
Der Butler machte sich sofort ans Werk. Nachdem er die Getränke bestellt hatte, rief er die Aushilfen an, die sich beim Fest gern ein paar Euro verdienten. Gemeinsam stellten sie die Tische auf, holten Stühle herbei, breiteten die weißen Tischdecken aus, stellten Blumenvasen hin und deckten das Geschirr.
Am frühen Nachmittag ging Johann wieder zu seinem Chef. „Gnädiger Herr“, sagte er, „es ist alles nach Ihren Wünschen hergerichtet. Soll ich nun die Gäste verständigen?“
„Genau, mein lieber Johann“, sagte der, „denn ich war inzwischen auch nicht faul.“ Er reichte Johann einen Stapel mit Einladungskarten, handgeschrieben auf feinstem Büttenpapier. „Hier: Diese Karten bringen Sie bitte allen persönlich vorbei – Sie kennen ja die Gästeliste. Und grüßen Sie herzlich von mir!“
„Sehr wohl, gnädiger Herr“, sagte der Butler, nahm die Karten, und machte sich auf den Weg.
Zuerst ging er zum Bürgermeister und überreichte ihm die Einladungskarte. „Der gnädige Herr lässt Sie herzlich grüßen und lädt Sie für heute zu seinem Gartenfest ein. Er freut sich auf Ihr Kommen und erwartet Sie um sieben.“
„Ach“, sagte der Bürgermeister, „ausgerechnet heute? Ich bin untröstlich, aber ich kann nicht! Sie wissen doch, dass die Stadt diese ehemalige Grünanlage am Fluss gekauft hat und herrichten will. Dort haben wir heute Abend einen Lokaltermin mit der Presse und interessierten Bürgern. Da muss ich unbedingt hin. Ich muss Sie bitten, mich zu entschuldigen!“
„Wie Sie wünschen, Herr Bürgermeister“, sagte der Butler nur und verabschiedete sich. Aber bei sich dachte er: „Er muss ja wissen, was ihm wichtiger ist, aber er verpasst was!“
Als Nächstes stand auf seiner Liste der Chef des größten Unternehmens der Stadt – einem Weltmarktführer der Metallbranche. Auch dem überreichte er die Karte und sagte sein Sprüchlein.
„Oh nein“, sagte der Unternehmer, „heute ist das? Es tut mir ja so leid, aber gerade eben hat der Betriebsleiter angerufen, dass die neuen Fertigungsmaschinen eingetroffen sind. Die muss ich natürlich sofort begutachten – das wird Ihr Herr sicher verstehen! Bitte entschuldigen Sie mich doch – das nächste Mal bin ich bestimmt wieder dabei!“
„Sehr wohl, Herr Direktor“, sagte Johann und ging. Als er draußen war, schüttelte er den Kopf. „Seltsam“, dachte er, „erst zwei Einladungen raus und schon zwei Absagen – das hatten wir ja noch nie!“
Weiter ging’s zum Chefarzt der Städtischen Kliniken. Aber dort traf Johann nur die Frau des Hauses an. „Mein Mann ist nicht da“, erklärte sie kurz angebunden.
„Das ist schade“, sagte Johann, „denn der gnädige Herr erwartet ihn heute zu seinem Fest. Hier ist die Einladung – vielleicht ist er ja noch rechtzeitig zurück.“
„Das glaube ich kaum“, sagte die Frau. „Er ist die ganze Woche bei einem Ärztekongress in den USA – angeblich jedenfalls. Er lässt sich entschuldigen.“ Dann machte sie die Tür zu – etwas zu heftig – und Johann stand draußen. Er musste an die Gerüchte denken, dass der Herr Professor eine neue Freundin habe und öfters heimlich mit ihr in die Karibik reise. „Arme Frau“, dachte er und ging.
Nun war der Pastor dran. „Der kommt aber bestimmt“, dachte Johann, „der hat doch Zeit und feiert gern!“ Seine Zuversicht wuchs, als der Pastor ihn herzlich begrüßte. „Herr Johann, das ist ja schön“, sagte er und schüttelte ihm die Hand. „Sie sind bestimmt wegen des Festes da, nicht wahr? Da komme ich doch gern, wo Ihr Chef doch so großzügig für das neue Gemeindezentrum gespendet hat – und außerdem trifft man da immer so viele wichtige Leute! Wann ist es denn – morgen?“
„Nein“, sagte Johann, „das Fest ist heute, der gnädige Herr erwartet Sie pünktlich um sieben.“
„Ach, wie schade“, rief da der Pastor und sah ganz enttäuscht aus. „Heute um halb acht ist doch Kirchenchorprobe – die letzte vor dem Konzert am Sonntag, und wir sind nur drei Leute im Bass. Da kann ich unmöglich fehlen! Dabei hab ich mich so auf das Fest gefreut. Wissen Sie was? Ich komme einfach nach – spätestens um zehn bin ich da. Sagen Sie das doch bitte Ihrem Herrn!“
„Ich werd’s ausrichten“, sagte Johann und ging.
Weiter und weiter arbeitete er seine Liste ab, aber es war wie verhext. Ein Gast nach dem anderen ließ sich entschuldigen: Die Rektorin des Gymnasiums hatte Theaterkarten, der Präsident des Fußballclubs wollte das EM-Spiel nicht verpassen, und die gefeierte junge Künstlerin musste zu einer Vernissage.
Müde und enttäuscht kehrte Johann zu seinem Herrn zurück. Der hatte sich inzwischen in Schale geschmissen und wartete schon ungeduldig auf den Butler. „Und“, fragte er, „sind Sie alle Einladungen losgeworden?“
„Jawohl, gnädiger Herr“, antwortete der und verbeugte sich noch steifer als sonst. „Aber sie lassen sich alle entschuldigen. Alle haben heute Abend etwas anderes vor. Nur der Pastor kommt vielleicht noch – gegen zehn, nach der Chorprobe.“
„Wie bitte?“ rief der reiche Mann erbost. „Sie haben alle abgesagt?“
„Alle“, sagte der Butler und nickte betrübt.
„Na gut“, sagte der reiche Mann und zeriss entschlossen die Gästeliste, die noch auf seinem Schreibtisch lag. „Wenn diese Herrschaften meinen, man könne etwas Besseres vorhaben als an meinem Fest teilzunehmen, dann sollen sie doch bleiben, wo der Pfeffer wächst! Die lad ich nie wieder ein – und der Pastor muss um zehn auch nicht mehr kommen!“
„Soll ich dann alles wieder abräumen lassen?“ fragte der Butler.
„Kommt nicht in Frage“, erwiderte sein Herr. „Heute wird gefeiert, und wenn die Prominenz nicht will, dann suchen wir uns eben andere Gäste. Passen Sie auf: Sie nehmen jetzt die anderen Bediensteten mit, gehen einfach raus auf die Straße und laden ein, wen Sie da finden. Und wenn Sie Leute kennen, die heute Abend einsam und traurig zu Hause sitzen, dann bringen Sie die auch mit!“
Da strahlte der alte Butler. Endlich mal ein Fest nach seinem Geschmack! Aber er sagte wieder nur: „Sehr wohl, gnädiger Herr“, verbeugte sich nicht ganz so steif wie sonst und ging.
Sofort ließ er die Bediensteten ausschwärmen. Jeder von ihnen sollte einen Gast mitbringen. Er selber aber schellte noch mal bei der Frau des Chefarztes an und nahm sie mit zum Fest.
Langsam füllte sich die Tafel. Aber es war immer noch Platz. Also ging Johann noch einmal zum Hausherrn. „Wir haben Ihren Auftrag ausgeführt, gnädiger Herr“, sagte er, „aber es sind immer noch Plätze frei.“
„Dann geht noch mal los“, sagte der, „bis in die letzten Winkel der Stadt und bringt mit, wen ihr finden könnt!“
„Sehr wohl, gnädiger Herr“, sagte der Butler, vergaß ganz sich zu verbeugen und machte sich auf den Weg. Auch die anderen Bediensteten zogen noch mal durch die Stadt. Diesmal brachten sie auch die Straßenmusikanten aus der Fußgängerzone mit, die schmuddeligen Typen mit den Bierflaschen, die immer am Bahnhof rumhingen, die Flüchtlinge aus der Notunterkunft, und die alte Frau Müller an ihren Krücken, die sich im Supermarkt gerade wieder die abgelaufenen Lebensmittel abholte.
Als alle Plätze besetzt waren, kam auch der Hausherr und hielt eine kleine Ansprache. „Liebe Gäste“, sagte er, „ich begrüße euch alle herzlich und freue mich, dass ihr meiner Einladung gefolgt seid – anders als die ursprünglich Geladenen. Und Gott freut sich mit. Denn so wie heute bei mir, so ist es auch, wenn Gott zu seinem großen Fest einlädt. Da dürfen alle mit dabei sein: die Alten und die Jungen, die Reichen und die Armen, die von hier und die von anderswo. Und wer glaubt, dass er etwas Besseres oder Wichtigeres zu tun hat, der hat noch nicht richtig begriffen, wie toll es ist, zu Gottes Fest eingeladen zu sein. Denn er liebt alle seine Menschen und will sie alle mit dabei haben. Schade um jeden, der seine Einladung verpasst!
So, jetzt wird aber gefeiert. Und weil das heute ein ganz besonderes Fest ist, soll auch das Personal mit dabei sein. Johann, stellen Sie doch bitte für Ihre Leute noch einen Tisch auf! Für Sie selber ist neben mir noch ein Platz frei – und sagen Sie jetzt bloß nicht: Sehr wohl, gnädiger Herr!“
„Sehr w…“, begann Johann, aber dann musste er lachen und hielt sich die Hand vor den Mund. Dann ging er Arm in Arm mit seinem Chef zum Tisch und setzte sich. Und nun wurde gefeiert, was das Zeug hält – die ganze prächtige Sommernacht hindurch.
Übrigens: Als der Pastor um viertel nach zehn schließlich auftauchte, durfte er doch noch mitfeiern. Denn besser spät als nie! Amen.
Pfarrer Dr. Martin Klein