Predigt Tal- und Wenschtkirche, Sonntag, 05.06.2016

GOTTESDIENST FÜR DEN ZWEITEN SONNTAG NACH TRINITATIS

Text: Lk 14,15-24

Es war einmal ein reicher Mann. Der wohnte in einem großen Haus mit großem Garten am Rand einer mittelgroßen Stadt. Dieser Mann war nicht nur reich, sondern auch sehr spendabel. Im Sommer, wenn das Wetter schön war, lud er gern alle wichtigen Leute der Stadt zu einer großen Gartenparty ein. Nur hatte er einen kleinen Spleen, wie ihn reiche Leute schon mal haben: Er lud seine Gäste im­mer rechtzeitig ein, sagte ihnen aber nicht, wann genau das Fest statt­finden würde. Das entschied er kurzfristig nach Lust und Wetter­lage. Denn spontane Feste fand er am schönsten, und außer­dem wollte er ja nicht bei Kälte und Regen feiern müssen. Dieser Spleen machte die Sache für die Gäste etwas kompliziert. Aber die Par­tys in dem wunderschönen Garten waren ein absolutes High­light, und es galt als große Ehre, dort eingeladen zu sein.

Eines schönen Junimorgens sangen die Vögel besonders fröhlich und weckten den reichen Mann schon früh. Er stand auf und schaute hinaus in den Gar­ten. Es war ein prächtiger Morgen: Die Sonne stand leuchtend am Himmel, der Tau glitzerte auf dem frischen Grün, ein sanfter, lauer Wind bewegte die Zweige. Es versprach ein herrlicher Tag zu wer­den. Da ging ein Strahlen über das Gesicht des reichen Mannes: „Heute, ja, heute muss es sein! Heute steigt die große Party!“

Er ging zum Schreibtisch, nahm den Hörer vom Haustelefon und wählte die Nummer seines Butlers. Der war noch einer von der alten Schule; er arbeitete seit vielen Jahren für den reichen Mann. Wenig später betrat er das Zimmer und verbeugte sich steif. „Sie wün­schen, gnädiger Herr?“ Falls er genervt war, so früh aus dem Bett geschmis­sen zu werden, ließ er es sich jedenfalls nicht anmerken.

„Johann“, sagte der reiche Mann, „das wird ein herrlicher Tag. Des­halb habe ich beschlossen, dass heute gefeiert wird.“ Er nahm ein längliches Papier vom Schreibtisch und gab es dem Butler. „Das ist die Einkaufsliste. Die geben Sie der Köchin. Sie soll sich gleich auf den Weg machen – der Groß­markt hat schon auf. Dann wecken Sie den Gärtner und schi­cken ihn zum Rasenmähen. Anschließend soll er die Terrasse fegen und die Lampions aufhängen. Die Hausmäd­chen können sich gleich ans Putzen machen und das gute Geschirr polieren. Und Sie rufen beim Getränkelieferanten an und kümmern sich dann um Tische, Stühle und Dekoration. – Das wär’s im Mo­ment. Dann also an die Arbeit!“ – „Sehr wohl, gnädiger Herr“, sagte Johann, verbeugte sich und ging. Dass er dabei leise seufzte und die Augen verdrehte, bekam sein Herr nicht mit.

Der Butler machte sich sofort ans Werk. Nachdem er die Getränke bestellt hatte, rief er die Aushilfen an, die sich beim Fest gern ein paar Euro verdienten. Gemeinsam stellten sie die Tische auf, holten Stühle herbei, breiteten die weißen Tischdecken aus, stellten Blu­menvasen hin und deckten das Geschirr.

Am frühen Nachmittag ging Johann wieder zu seinem Chef. „Gnädi­ger Herr“, sagte er, „es ist alles nach Ihren Wünschen hergerichtet. Soll ich nun die Gäste verständigen?“

„Genau, mein lieber Johann“, sagte der, „denn ich war inzwischen auch nicht faul.“ Er reichte Johann einen Stapel mit Ein­ladungskar­ten, handgeschrieben auf feinstem Büttenpapier. „Hier: Diese Kar­ten bringen Sie bitte allen persönlich vorbei – Sie kennen ja die Gäste­liste. Und grüßen Sie herzlich von mir!“

„Sehr wohl, gnädiger Herr“, sagte der Butler, nahm die Karten, und machte sich auf den Weg.

Zuerst ging er zum Bürgermeister und überreichte ihm die Einla­dungskarte. „Der gnädige Herr lässt Sie herzlich grüßen und lädt Sie für heute zu seinem Gartenfest ein. Er freut sich auf Ihr Kommen und erwartet Sie um sieben.“

„Ach“, sagte der Bürgermeister, „ausge­rechnet heute? Ich bin untröst­lich, aber ich kann nicht! Sie wissen doch, dass die Stadt die­se ehemalige Grünanlage am Fluss ge­kauft hat und herrichten will. Dort haben wir heute Abend einen Lokaltermin mit der Presse und interessierten Bürgern. Da muss ich unbedingt hin. Ich muss Sie bit­ten, mich zu entschuldigen!“

„Wie Sie wünschen, Herr Bürgermeister“, sagte der Butler nur und verabschiedete sich. Aber bei sich dachte er: „Er muss ja wissen, was ihm wichtiger ist, aber er verpasst was!“

Als Nächstes stand auf seiner Liste der Chef des größten Unterneh­mens der Stadt – einem Weltmarktführer der Metallbranche. Auch dem über­reichte er die Karte und sagte sein Sprüchlein.

„Oh nein“, sagte der Unternehmer, „heute ist das? Es tut mir ja so leid, aber gerade eben hat der Betriebsleiter angerufen, dass die neuen Fertigungsmaschinen eingetroffen sind. Die muss ich natür­lich sofort begutachten – das wird Ihr Herr sicher verstehen! Bitte ent­schuldigen Sie mich doch – das nächste Mal bin ich bestimmt wie­der dabei!“

„Sehr wohl, Herr Direktor“, sagte Johann und ging. Als er draußen war, schüttelte er den Kopf. „Seltsam“, dachte er, „erst zwei Einla­dun­gen raus und schon zwei Absagen – das hatten wir ja noch nie!“

Weiter ging’s zum Chefarzt der Städtischen Kliniken. Aber dort traf Johann nur die Frau des Hauses an. „Mein Mann ist nicht da“, er­klär­te sie kurz angebunden.

„Das ist schade“, sagte Johann, „denn der gnädige Herr erwartet ihn heute zu seinem Fest. Hier ist die Einladung – vielleicht ist er ja noch rechtzeitig zurück.“

„Das glaube ich kaum“, sagte die Frau. „Er ist die ganze Woche bei einem Ärztekongress in den USA – angeblich jedenfalls. Er lässt sich entschuldigen.“ Dann machte sie die Tür zu – etwas zu heftig – und Johann stand draußen. Er musste an die Gerüchte denken, dass der Herr Professor eine neue Freundin habe und öfters heimlich mit ihr in die Karibik reise. „Arme Frau“, dachte er und ging.

Nun war der Pastor dran. „Der kommt aber bestimmt“, dachte Johann, „der hat doch Zeit und feiert gern!“ Seine Zuversicht wuchs, als der Pastor ihn herzlich begrüßte. „Herr Johann, das ist ja schön“, sagte er und schüttelte ihm die Hand. „Sie sind bestimmt wegen des Festes da, nicht wahr? Da komme ich doch gern, wo Ihr Chef doch so großzügig für das neue Gemeindezentrum gespendet hat – und außerdem trifft man da immer so viele wichtige Leute! Wann ist es denn – morgen?“

„Nein“, sagte Johann, „das Fest ist heute, der gnädige Herr erwartet Sie pünktlich um sieben.“

„Ach, wie schade“, rief da der Pastor und sah ganz enttäuscht aus. „Heute um halb acht ist doch Kirchenchorprobe – die letzte vor dem Konzert am Sonntag, und wir sind nur drei Leute im Bass. Da kann ich unmöglich fehlen! Dabei hab ich mich so auf das Fest gefreut. Wissen Sie was? Ich komme einfach nach – spätestens um zehn bin ich da. Sagen Sie das doch bitte Ihrem Herrn!“

„Ich werd’s ausrichten“, sagte Johann und ging.

Weiter und weiter arbeitete er seine Liste ab, aber es war wie ver­hext. Ein Gast nach dem anderen ließ sich entschuldigen: Die Rekto­rin des Gymnasiums hatte Theaterkarten, der Präsident des Fußball­clubs wollte das EM-Spiel nicht verpassen, und die gefeierte junge Künstlerin musste zu einer Vernissage.

Müde und enttäuscht kehrte Johann zu seinem Herrn zu­rück. Der hatte sich inzwischen in Schale geschmissen und wartete schon unge­duldig auf den Butler. „Und“, fragte er, „sind Sie alle Einladun­gen losgeworden?“

„Jawohl, gnädiger Herr“, antwortete der und verbeugte sich noch steifer als sonst. „Aber sie lassen sich alle entschuldigen. Alle haben heute Abend etwas anderes vor. Nur der Pastor kommt viel­leicht noch – gegen zehn, nach der Chorprobe.“

„Wie bitte?“ rief der reiche Mann erbost. „Sie haben alle abgesagt?“

„Alle“, sagte der Butler und nickte betrübt.

„Na gut“, sagte der reiche Mann und zeriss entschlossen die Gäste­liste, die noch auf seinem Schreibtisch lag. „Wenn diese Herrschaf­ten meinen, man könne etwas Besseres vorhaben als an meinem Fest teilzunehmen, dann sollen sie doch bleiben, wo der Pfeffer wächst! Die lad ich nie wieder ein – und der Pastor muss um zehn auch nicht mehr kom­men!“

„Soll ich dann alles wieder abräumen lassen?“ fragte der Butler.

„Kommt nicht in Frage“, erwiderte sein Herr. „Heute wird gefeiert, und wenn die Prominenz nicht will, dann suchen wir uns eben an­dere Gäste. Passen Sie auf: Sie nehmen jetzt die anderen Bedienste­ten mit, gehen einfach raus auf die Straße und la­den ein, wen Sie da finden. Und wenn Sie Leute kennen, die heute Abend einsam und traurig zu Hause sitzen, dann bringen Sie die auch mit!“

Da strahlte der alte Butler. Endlich mal ein Fest nach seinem Ge­schmack! Aber er sagte wieder nur: „Sehr wohl, gnä­diger Herr“, verbeugte sich nicht ganz so steif wie sonst und ging.

Sofort ließ er die Bediensteten ausschwärmen. Jeder von ihnen sollte einen Gast mitbringen. Er selber aber schellte noch mal bei der Frau des Chefarztes an und nahm sie mit zum Fest.

Langsam füllte sich die Tafel. Aber es war immer noch Platz. Also ging Johann noch einmal zum Hausherrn. „Wir haben Ihren Auftrag ausgeführt, gnädiger Herr“, sagte er, „aber es sind immer noch Plätze frei.“

„Dann geht noch mal los“, sagte der, „bis in die letzten Winkel der Stadt und bringt mit, wen ihr finden könnt!“

„Sehr wohl, gnädiger Herr“, sagte der Butler, vergaß ganz sich zu verbeugen und machte sich auf den Weg. Auch die anderen Be­dienste­ten zogen noch mal durch die Stadt. Diesmal brachten sie auch die Stra­ßenmusikanten aus der Fußgängerzone mit, die schmudde­ligen Typen mit den Bierflaschen, die immer am Bahnhof rumhingen, die Flüchtlinge aus der Notunter­kunft, und die alte Frau Müller an ihren Krücken, die sich im Super­markt gerade wieder die abgelaufenen Lebens­mittel abholte.

Als alle Plätze besetzt waren, kam auch der Hausherr und hielt eine kleine Ansprache. „Liebe Gäste“, sagte er, „ich begrüße euch alle herzlich und freue mich, dass ihr meiner Einladung gefolgt seid – anders als die ur­sprüng­lich Geladenen. Und Gott freut sich mit. Denn so wie heute bei mir, so ist es auch, wenn Gott zu seinem gro­ßen Fest einlädt. Da dürfen alle mit dabei sein: die Alten und die Jungen, die Reichen und die Armen, die von hier und die von an­derswo. Und wer glaubt, dass er etwas Besseres oder Wichtigeres zu tun hat, der hat noch nicht richtig begriffen, wie toll es ist, zu Gottes Fest eingeladen zu sein. Denn er liebt alle seine Menschen und will sie alle mit dabei haben. Schade um jeden, der seine Einladung ver­passt!

So, jetzt wird aber gefeiert. Und weil das heute ein ganz besonderes Fest ist, soll auch das Personal mit dabei sein. Johann, stellen Sie doch bitte für Ihre Leute noch einen Tisch auf! Für Sie selber ist ne­ben mir noch ein Platz frei – und sagen Sie jetzt bloß nicht: Sehr wohl, gnädi­ger Herr!“

„Sehr w…“, begann Johann, aber dann musste er lachen und hielt sich die Hand vor den Mund. Dann ging er Arm in Arm mit seinem Chef zum Tisch und setzte sich. Und nun wurde gefeiert, was das Zeug hält – die ganze prächtige Sommernacht hindurch.

Übrigens: Als der Pastor um viertel nach zehn schließlich auftauchte, durfte er doch noch mitfeiern. Denn besser spät als nie! Amen.

Pfarrer Dr. Martin Klein