Predigt Talkirche, Sonntag, 30. November 2014

Gottesdienst zum Weihnachtsmarkt 2014 – Superintendent Peter-Thomas Stuberg

Text: Matt. 21, 1-11

Liebe Gemeinde,

die Innenstädte fangen wieder an zu brodeln; sie wetteifern mit Lichterketten und schönem Schmuck um die Gunst der konsumierenden Menschen. Die Autobahnen füllen sich, die Paketboten rasen unter Zeitdruck durch unsere Straßen. Äußerer Druck und innere Sehnsucht nach adventlicher Ruhe kämpfen um Vorrecht in unseren Seelen. Es ist Advent! Seit September ist es nicht mehr überraschend gekommen. Und doch will ich ihn zumindest gerne begrüßen, ertappe ich mich dabei, wie ich versonnen auf Adventsgestecke sehe, mir ein Verweilen am Kinderkarussell gönne, zusehe wie Menschen gesellig beim Glühwein zusammenstehen. Ich merke wie ich selbst auf der Suche nach dem „weniger ist mehr“ doch noch adventliche Augenblicke einfange. Wir suchen ja alle irgendwie den goldenen Glanz dieser besonderen Zeit. Wir spüren unser Sehnen nach einer Verminderung von Komplexität. Bei Bratapfel, gerösteten Mandeln und Schwibbögen aus dem Erzgebirge suchen wir eine Brücke vielleicht in unsere eigene Kinderwelt von ehedem. Da war’s doch einfacher, stiller, staunender! Und die Werbung arbeitet listig mit unseren Träumen. Sie wickelt uns ein eh‘ wir’s uns versehen.

Es ist ja auch schön, dass Einfache zu finden bei Punsch oder Glühwein, die Freundschaft, das Lachen, das Meiden des Lauten.

Ziemlich gegen unsere verdiente Suche nach Behaglichkeit und Ruhe – da stellt sich das Evangelium des Sonntags ein. Und es stellt sich quer. Auch in ihm wimmelt es vor Menschen, auch in ihm flirren die Stimmungen, doch seine Gerüche sind nicht Apfel, Nuss und Mandelkern, sondern die frische Brise nach Freiheit! Pessach: das Urfest der Judenheit. Gott sprengt die Ketten, löst uns aus Sklaverei und führt uns ins Offene. Wir werden uns unserer selbst bewusst mit Haut und Haar. Jerusalem – zum Bersten voll mit Pilgern; die alle dieses eine echte Gefühl suchen: Wann öffnet sich der Himmel? Wann beginnt die neue Herrschaftszeit eines eigenen Königs? Wann gehen wir nicht mehr als Geiseln der römischen Besatzermacht, sondern wieder frei mit aufrechtem Gang durch unsere Stadt? Hosianna – hilf uns doch, es fehlt ein Weniges – dann ist der Ruf heraus aus aller Munde!

Und hier setzt die Kraft des Advent ein. ER kommt, ER kommt mit Willen, ist voller Lieb und Lust all Angst und Not zu stillen, die ihm an Euch bewusst. So klingt es unübertroffen in Paul Gerhardt’s Adventslied. Wir hörten es gerade im ersten Teil der Kantate. Planmäßig, unbeirrbar kommt ER: „Dort sind Esel, die nehmt!“ Planmäßig gibt es keinen Widerstand des Tierbesitzers gegen den Raub der Reittiere. Hier kommt einer aus des Himmels Höhe und will zielstrebig in die Tiefe. Da zählt kein Aufhalten mehr. Es ist wie ein Déjà-vu: Der letzte, der so in Jerusalem eingeritten war, war Salomo. Auf einem Esel trat er sein Königsein an. Die Kreta und Pleta, also Krethi und Plethi, waren um ihn!

Jesus nimmt diese Geschichte zur Folie: Sie wird zum Zeichen! Der Bettelkönig kommt, nicht auf Streitrossen mit Pauken und Trompeten. Auf dem Reittier des kleinen Mannes kommt er daher. Und Krethi und Plethi heute entziffern dieses Signal. Friede breitet sich von ihm aus. Die Reichen merken, er verkörpert einen Reichtum, der mehr ist als Geld. Die Versager merken, dass sie bei ihm eine andere neue Chance bekommen. Veränderung, Hoffnung liegt auf einmal in der Luft. Fast alle können es dechiffrieren; für ihn passt kein roter Teppich. Ein bunter wird es aus Kleidern, mehr Huldigung geht einfach nicht. Es ist ehrliche Huldigung mit Haut und Haaren. Zweige werden vom Baum gerissen. Sie ersetzen das Meer von Fahnen und Standarten. Und ER lässt es geschehen, dieses lächerlich – schöne – ehrliche Ritual. Hier liegt die Urkraft auch unseres Advent. Jesus kommt aus freiem Antrieb, aus „lauter Lieb und Lust“. Und der Testfall, ob Advent wirklich seine Kraft entfaltet, dieser Testfall liegt in der Strophe des Liedes von Paul Gerhardt: „Ich lag in schweren Banden; du kommst und machst mich los! Ich stand in Spott und Schanden, du kommst und machst mich groß!“

Wunderbar wie Paul Gerhardt mit unseren Sprachzeiten spielt: Ich lag in schweren Banden; aber du kommst Jesus – das macht die schweren Banden jetzt schon zur  ergangenheit. Ich stand in Spott und Schanden, du kommst Jesus und machst mich groß. Spott und Schande sind jetzt schon vorüber, auch wenn ich noch darin gefangen bin.

Das ist typisch die Handschrift Gottes, Gottes Eigenart: Wo Jesus kommt, wo er uns überliefert wird, wo wir seine Geschichte in uns einsickern lassen – da macht er uns jetzt schon zu Überwindern und Überwinderinnen. „Du hebst mich hoch zu Ehren und schenkst mir großes Gut, das sich nicht lässt verzehren, wie irdisch Reichtum tut.“

Wie wird uns dieses Gut zuteil? Wie wird Advent von außen nach innen ins Herz gelangen? Nimm nur diese Geschichte, lass sie an deinem geistigen Auge vorbeiziehen; und du selbst wirst zu der Stadt Jerusalem sogar mitten in Geisweid. Du selbst wirst geehrt von seinem Kommen: Sanftmütig, ohne Gewalt und Druck, ohne Hinterlist. So kommt er und betritt nicht nur deine Festplätze und schönen Fassaden bewundert er. Er will in deine dunklen Gassen, in deine unbeleuchteten Hinterhöfe und Schattenbuchten. Er will in die Dreckecken. Und genau da hinein, trägt er Gottes Regieren.

Ja, das hatten die Menschen übersehen! Er war kein neuer Salomo. Er bezog keinen Regierungssitz und wollte nie Staatsoberhaupt werden. Gerade das hat man ihm verübelt, oder gerade darüber waren die Mächtigen erfreut. Er enttäuschte alle weltlichen Hosiannarufe. Aber er bringt eine Gotteskraft in aller Menschen Herzen weltweit! Gerade jetzt zu denen, für die die Advents- und Weihnachtszeit eher ein Horror als Heimelichkeit bedeuten könnten. Gerade denen, deren Schmerz oder Einsamkeit ihnen schneidend auf der Seele lasten. Euch ist es besonders gesagt: Er kommt zu dir und nimmt dich still hinein in die Liebe, mit der alle Welt „in ihren tausend Plagen und großen Jammerlast umfangen hat!“ Seine Gegenwart lässt dir jetzt schon die fremde Herrschaft aus Sorge und Not, aus ziehendem Schmerz Vergangenheit werden. Advent heißt, frei werden, weil ER uns frei macht. Nikolaus und Rauschgoldengel müssen hier längst schon das Feld räumen. Ihn aber hindert es nicht, weiter voranzukommen. Ihn hindert es nicht, zu dir zu kommen wie zur Stadt Jerusalem. Ihn hindert es nicht, selbst in die dunklen Viertel deines Lebens hinein zu leuchten. Uund er braucht Krethi und Plethi, also uns, um diese frohe Botschaft laut erklingen zu lassen, zum echten Gefühl: „Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe.“ – Amen.

Superintendent Peter-Thomas Stuberg