Predigt Talkirche, Freitag, 26. Dezember 2014

Gottesdienst für den zweiten Weihnachtsfeiertag

Text: Mt 1,18-25

Die Geburt Jesu Christi geschah aber so: Als Maria, seine Mutter, dem Josef vertraut war, fand es sich, ehe er sie heimholte, dass sie schwanger war von dem heiligen Geist. Josef aber, ihr Mann, war gerecht und wollte sie nicht in Schande bringen, gedachte aber, sie heimlich zu verlassen. Als er das noch bedachte, siehe, da erschien ihm der Engel des Herrn im Traum und sprach: „Josef, du Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria, deine Frau, zu dir zu nehmen; denn was sie empfangen hat, das ist von dem heiligen Geist. Und sie wird einen Sohn gebären, dem sollst du den Namen Jesus geben, denn er wird sein Volk retten von ihren Sünden.“

Das ist aber alles geschehen, damit erfüllt würde, was der Herr durch den Propheten gesagt hat, der da spricht: »Siehe, eine Jung­frau wird schwanger sein und einen Sohn gebären, und sie werden ihm den Namen Immanuel geben«, das heißt übersetzt: Gott mit uns.

Als nun Josef vom Schlaf erwachte, tat er, wie ihm der Engel des Herrn befohlen hatte, und nahm seine Frau zu sich. Und er berührte sie nicht, bis sie einen Sohn gebar; und er gab ihm den Namen Jesus.

Wenn es einen Wettbewerb um die schönste biblische Weihnachts­geschichte gäbe – die Geburt Jesu bei Matthäus würde ihn mit Sicher­heit nicht gewinnen: kein Kind in Windeln, keine Krippe, keine Hirten, kein Stern, keine Weisen aus dem Morgenland, und der eine Engel, der vorkommt, erscheint nur im Traum. Kein Wunder also, dass wir alle die Geschichte aus Lukas 2 kennen und lieben und sie aus der Heiligen Nacht noch im Ohr haben. Aus der Matthäus-Version kennen wir dagegen höchstens ein paar Stichworte, und die sind eher schwer verdaulich: „schwanger vom heiligen Geist“, „eine Jungfrau wird einen Sohn gebären“, „er wird sein Volk retten von ihren Sünden“. Gewichtige theologische Aussagen, über die in der Alten Kirche ganze Konzilien abgehalten wurden. Aber heute kann selbst ein Großteil des Kirchenvolks damit nicht mehr viel anfangen. Und die Entkirchlichten und Unkirchlichen schütteln erst recht den Kopf darüber, wie man noch so was glauben kann.

Ich will aber heute gar nicht über das schwierige Thema „Jungfrauen­geburt“ predigen. Deshalb beschränke ich mich darauf, ein paar Missverständnisse auszuräumen:

Das erste Missverständnis: Das mit dem „schwanger vom heiligen Geist“ darf man sich nicht vorstellen wie beim griechischen Götterva­ter Zeus, der mal eben in Verkleidung eine Menschenfrau schwängert, um die Welt mit kleinen Halbgöttern zu bevölkern. Denn „Geist“ ist im griechischen Original ein Neutrum: „das Geist“. Und in der hebräischen Denke, die dahinter steht, ist es sogar ein Femininum, also „die Geist“. Der Geist, das ist nach den ersten Wor­ten der Bibel die Kraft, durch die Gott die Welt geschaffen hat. Durch sie erschafft er nun auch das Kind in Maria. Soll heißen: Die Welt, verstrickt in Schuld, wie sie ist, konnte ihren Erlöser nicht sel­ber hervorbringen, sondern dazu musste Gott der Schöpfer ins Gesche­hen eingreifen – und selber Mensch werden.

Das zweite Missverständnis: Alles, was ich gerade gesagt habe und für wahr halte, ist Theologie und nicht Biologie. Das Christentum würde also nicht zugrunde gehen, wenn Maria nicht im biologischen Sinne Jungfrau gewesen wäre, als sie Jesus empfing, oder wenn eine DNA-Analyse nachweisen könnte, dass Josef doch der leibliche Va­ter war. Denn schon den Alten war ja wichtig, dass Jesus eben nicht halb Mensch und halb Gott, sondern ganz Mensch und ganz Gott war, auch wenn das zugegebenermaßen die Grenzen menschlicher Logik sprengt. Und ohne irgendein y-Chromosom kann nun mal ein männliches Wesen nicht „ganz Mensch“ sein.

Soviel zur „Jungfrau Maria“ und zu „schwanger vom heiligen Geist“. Aber jetzt zu dem Thema, das mir für heute viel wichtiger ist: Mir gefällt an dieser nicht ganz so schönen Weihnachtsgeschichte bei Matthäus, dass hier endlich mal Josef die Hauptperson ist. Denn ich fand es schon immer ungerecht, dass Josef meistens im Schatten von Maria und Jesuskind steht. In den meisten Krippendarstellungen der Kunst- und Kitschgeschichte hält er sich, wenn überhaupt, dezent im Hintergrund. Er darf den Esel führen oder die Stalllaterne halten, aber sogar die Hirten stehen oft mehr im Mittelpunkt als er. Und in unserem Gesangbuch wird Josef gerade einmal erwähnt: „Da liegt es, das Kindlein, auf Heu und auf Stroh, / Maria und Josef betrachten es froh“. „Ihr Kinderlein kommet“, dritte Strophe. Das war’s. Maria kommt dagegen siebzehn Mal vor, dazu noch zehn Mal „Jungfrau“.

Deshalb freut es mich sehr, dass Josef durch die Geschichte bei Matthäus ein Stück Gerechtigkeit widerfährt. Nur hier können wir erfassen, wie wichtig er für die ganze Angelegenheit war. Denn ohne Josef hätte Jesus zwar vielleicht der Sohn Gottes, aber niemals der Messias sein können. Denn so unterschiedlich man sich den auch vorstellen konnte, und wie verschieden Jesus dann noch einmal von diesen Vorstellungen war, eins stand auf jeden Fall fest: der Messias musste ein Nachkomme von König David sein. Aber wer aus dem Haus David stammte, das war Josef und nicht Maria. Darin sind sich die sehr unterschiedlichen Stammbäume bei Matthäus und Lukas einig.

Nehmen wir also mal an, Josef hätte sein ursprüngliches Vorhaben wahr gemacht und seiner Verlobten einen Scheidebrief ausgestellt. Dann hätte Jesus als uneheliches Kind einer unverheirateten Frau aufwachsen müssen. Das war zwar immer noch besser als die Steini­gung, die Maria gedroht hätte, wenn Josef gegen sie auf Ehebruch geklagt hätte, was er auch als Verlobter schon hätte tun können. Aber auch heute noch haben es alleinerziehende Mütter oft schwer, und damals wäre Jesus und Maria ein Leben am äußersten Rand der Gesell­schaft sicher gewesen. Und „Sohn Davids“, „Messias“, „Christus“ wäre Jesus nie genannt worden.

Aber Gott sei Dank kam es anders. Josef hörte auf den Engel, heira­tete Maria und gab dem Kind den angekündigten Namen. Spätestens damit war Jesus ebenso gut sein Kind wie Marias Kind. Und Jesus konnte ebenso gut Sohn Davids wie Sohn Gottes sein.

Für mich wird Josef damit zum Vorbild. Einmal dadurch, dass er eine der wenigen wirklich positiven Vaterfiguren der Bibel ist. Er macht sich nicht aus dem Staub, sondern übernimmt Verantwortung – was heute selbst viele leibliche Väter nicht schaffen. Er hält zu seiner Verlobten, obwohl es bestimmt noch viel Getuschel und üble Nachrede gab – es erschien ja nicht jedem ein Engel, um Marias Schwangerschaft zu erklären. Er nimmt Jesus als seinen Sohn an, gibt ihm seinen guten Namen und verschafft ihm damit Anteil an den Verheißungen, die mit diesem Namen verbunden sind. Und er tut alles, was er kann, um seine Familie zu beschützen und Jesus eine gute Zukunft zu ermöglichen – auch wenn das bedeutet, alles für sie aufzugeben und vor den Schergen des Herodes nach Ägypten zu flie­hen. Davon könnte sich so mancher Vater, der eher durch Abwesen­heit glänzt, selbst wenn er mit seiner Familie lebt, eine Scheib von abschneiden – ich selber auch!

Aber nicht nur für Väter ist Josef ein Vorbild. Sondern auch dafür, wie wir Menschen überhaupt mit dem Wunder der Weihnacht umge­hen. Zwar ist dieses Wunder, geht man nach Matthäus und Lukas, ohne ihn zustande gekommen. Aber er macht es sich zu Eigen. Er setzt sich nicht ab aus der Geschichte, wie er’s zuerst vorhatte, er bleibt auch nicht dezent im Hintergrund, sondern er springt mitten hinein ins Geschehen und übernimmt seinen wichtigen Part darin. Und genau das wünsche ich mir auch für uns. Auch wir können stille Betrachter der Weihnachtsgeschichte bleiben. Wir können uns alle Jahre wieder daran freuen und es damit gut sein lassen. Aber Gott will mehr von uns. Er will, dass wir staunen lernen darüber, dass er selbst ein Mensch wird wie wir. Und dann will er, dass wir unseren Part in der Geschichte übernehmen wie Josef damals, auch wenn unser Part mit seinem nicht vergleichbar ist.

Denn die Geschichte ist ja noch nicht zu Ende. Sie geht weiter bis zum heutigen Tag. Immer noch werden Menschen gesucht, die zur Krippe kommen und wieder umkehren und allen sagen und vorleben, was sie gehört und gesehen haben – so wie die Hirten. Immer noch werden Menschen gesucht, die aufbrechen und auch weite Wege nicht scheuen, um dem menschgewordenen Gott Ehre zu erweisen –  so wie die Sterndeuter aus dem Osten. Und es werden Menschen gesucht, die ihre Rolle in der Geschichte Gottes mit den Menschen bewusst annehmen und ausfüllen – so wie Josef.

Wie das im Einzelnen aussieht, darüber könnte ich jetzt noch lange reden. Aber besser ist es, wenn sich jeder von uns dazu seine eigenen Gedanken macht und sie dann auch in die Tat umsetzt. Deshalb und weil Sie sicher alle in den letzten Tagen schon die eine oder andere Predigt hinter sich gebracht haben, fasse ich mich heute kurz und beschränke mich auf eine ganz knappe Formel: Mach’s wie Gott – werde Mensch! Und wie ein Mensch nach Gottes Willen sein soll, das schau dir bei Jesus ab, dem Davids- und Gottessohn – aber ein bisschen auch bei seinem irdischen Vater Josef, der wahrlich ein gerech­ter Mann war. Amen.

Pfarrer Dr. Martin Klein