Predigt Talkirche, Sonntag, 30.07.2017

GOTTESDIENST FÜR DEN SIEBTEN SONNTAG NACH TRINITATIS

Text: Joh 6,30-35

Da sprachen die Leute zu Jesus: „Was tust du für ein Zeichen, auf dass wir sehen und dir glauben? Was wirkstt du? Unsre Väter haben Manna gegessen in der Wüste, wie geschrieben steht: »Brot vom Himmel gab er ihnen zu essen.«“ Da sprach Jesus zu ihnen: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Nicht Mose hat euch das Brot vom Himmel gegeben, sondern mein Vater gibt euch das wahre Brot vom Himmel. Denn dies ist das Brot Gottes, das vom Himmel kommt und gibt der Welt das Leben.“ Da sprachen sie zu ihm: Herr, gib uns allezeit solches Brot.“ Jesus aber sprach zu ihnen: „Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten.“

Die Sensationsnachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Kein Wunder – schließlich waren viele Menschen selbst dabei gewesen. Sie alle waren Jesus in eine einsame Gegend am See Genezareth gefolgt. So ging es immer zu bei ihm, dem Zimmermannssohn aus Nazareth, dem Wundertäter und begnadeten Prediger. Wo er auch hinging, rannten ihm die Leute nach. Keine ruhige Minute gönnten sie ihm.
So war es auch an diesem Tag gewesen. Jesus hatte sich zurückziehen wollen – nur ein paar ruhige Stunden mit seinen Jüngern am einsamen Ostufer des Sees. Aber er hatte die Rechnung ohne seine hartnäckigen Fans gemacht. Ohne lange nachzudenken, waren sie hinter ihm her, und dann hatten sie stundenlang um ihn herum gesessen und seinen Worten gelauscht. Schließlich war es Abend geworden, und auch die größten Enthusiasten hatten gemerkt, dass man vom Zuhören allein nicht satt wird. Inzwischen wären sie Jesus wohl gar nicht mehr böse gewesen, wenn er sie zum Essen nach Hause geschickt hätte – so weit war es auch wieder nicht nach Kapernaum oder Bethsaida. Aber nein, Jesus war entschlossen gewesen, sie alle zum Abendessen einzuladen. Und seinen Jüngern hatte er gesagt, sie sollten ihnen zu essen geben. Die waren darüber erst mal ziemlich fassungslos gewesen. Aber dann hatten sie sich doch an die Arbeit gemacht, ausgerüstet mit lächerlichen fünf Broten und zwei Fischen. Ja, und dann war das Unglaubliche geschehen: alle waren satt geworden – 5000 Menschen! Und es waren sogar noch zwölf Körbe voll übrig geblieben.
Das hatte viele endgültig überzeugt: Jesus musste ein Prophet sein! Er war bestimmt der neue Mose, der in den heiligen Schriften verheißen wurde. Hatte Mose nicht auch das Volk Israel in der Wüste satt gemacht – mit Manna, dem Brot, das vom Himmel fiel? Manche gingen sogar noch weiter: War in der Schrift nicht auch angekündigt, dass es Nahrung in Hülle und Fülle geben würde, wenn der Messias käme, der Retter Israels? Sollte Jesus etwa dieser Messias sein? Es hätte nicht viel gefehlt, und die Menge hätte Jesus noch an Ort und Stelle zum König ausgerufen: nieder mit den Römern, Freiheit für Israel, Brot für alle!
Aber während der Tumult noch anwuchs, war Jesus plötzlich verschwunden gewesen. Klammheimlich hatte er sich aus dem Staub gemacht. Auch die Jünger konnten nicht sagen, wo er abgeblieben war. Sie hatten sich dann in ihr Boot gesetzt – das einzige, das da war – und waren Richtung Kapernaum davongefahren. Nun saßen sie also da, die 5000, verlassen und ratlos. Einige hatten sich schließlich zu Fuß auf den Heimweg gemacht. Andere hatten beschlossen, den Morgen abzuwarten. Als dann in der Frühe Boote aus Kapernaum kamen – die ersten Neugierigen, die von der Sensation gehört hatten – fuhren sie mit ihnen nach Kapernaum zurück. Vielleicht war Jesus ja dort, auch wenn keiner so recht wusste, wie er dorthin gekommen sein könnte. Schließlich war er ja nicht mit den Jüngern im Boot gefahren.
Und tatsächlich, da war Jesus – saß am Seeufer, als ob nichts gewesen wäre. Verwundert fragten sie ihn: „Rabbi, wann bist du hierher gekommen?“ Eine berechtigte Frage, wie sie fanden. Aber eine anständige Antwort bekamen sie nicht darauf. Überhaupt gab sich ihr Idol heute ziemlich zugeknöpft. Sie kämen ja nur, sagte er, weil sie bei ihm auf so sensationelle Weise satt geworden wären. Aber nicht, weil sie wirklich etwas von ihm erwarteten. Nicht auf Einmal-richtig-Sattwerden käme es an, sondern auf unvergängliche Speise, die zum ewigen Leben führe, und die bekäme nur, wer an den glaube, den Gott gesandt habe.
Die Leute waren ernüchtert: erst das plötzliche Verschwinden Jesu, dann die unbequeme Nacht im Freien – und nun rätselhafte Erklärungen! Unvergängliche Speise? Was sollte das sein? Und wer war dieser Gesandte Gottes? Meinte er damit etwa sich selbst? Sicher, gestern Abend, da hätten sie es fast geglaubt. Es war ja auch fantastisch gewesen, was da geschehen war. Aber jetzt, bei Tageslicht betrachtet: Vom Himmel herabgefallen wie bei Mose war das Brot ja nun nicht gerade. Vielleicht hatte es da doch irgendwo versteckte Vorräte gegeben. Und außerdem war doch bekannt, wo Jesus herkam und wer seine Eltern waren. Konnte er da wirklich von Gott gesandt sein? Manches sprach wohl dafür, aber man wollte es doch gern noch etwas genauer wissen. Sollte er doch mal wirklich Manna vom Himmel regnen lassen oder sich sonst irgendwie als Gesandter Gottes ausweisen, und zwar wirklich unzweideutig!

Da sprachen die Leute zu Jesus: Was tust du für ein Zeichen, auf dass wir sehen und dir glauben? Was wirkst du? Unsre Väter haben Manna gegessen in der Wüste, wie geschrieben steht: »Brot vom Himmel gab er ihnen zu essen.«

Nicht wahr, so geht es uns doch auch oft! Auch wir hätten es gern mal wirklich eindeutig. Wenn Jesus Christus sich doch einmal als Herr der Welt zu erkennen geben würde! Wenn er doch mal wirklich etwas täte gegen den Hunger in der Welt: den Hunger nach Brot im Sudan oder im Jemen, den Hunger nach Frieden in Afghanistan oder in Syrien, dem Hunger nach Gerechtigkeit bei den Unterdrückten und Benachteiligten, den Hunger von uns allen nach erfülltem Leben – Leben, das Wahrheit und Tiefe besitzt und nicht flach und verlogen ist wie ein Bildschirm oder eine Reklametafel. Ja wenn er das täte, wenn er unseren Hunger nach Leben stillen würde, dann könnten wir wirklich an ihn glauben.

Da sprach Jesus zu ihnen: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Nicht Mose hat euch das Brot vom Himmel gegeben, sondern mein Vater gibt euch das wahre Brot vom Himmel. Denn dies ist das Brot Gottes, das vom Himmel kommt und gibt der Welt das Leben.“

Nun müsste es den Zuhörern so langsam dämmern. „Nicht Mose hat euch das Brot vom Himmel gegeben“, sagt Jesus. Das Manna mag von oben herabgefallen sein, aber es war nicht das Brot vom Himmel. Sicher, es hat das Volk Israel in der Wüste am Leben gehalten, aber es war nicht das Leben. Klar, es war eine gute Gabe Gottes für sein Volk und sein irdisches Wohlergehen, aber es war nicht die Gabe Gottes, die allen Menschen das ewige Heil schenken will. Und genauso wäre es auch mit allen anderen Wundern und Zeichen, die Jesus damals hätte tun können oder die er heute tun sollte, wenn es nach uns ginge. Sie würden vielleicht Wohlergehen und Frieden bringen, und das wäre ja schon viel für alle, die das nicht haben. Aber sie würden uns nicht das Leben bringen, das über den Tod hinaus Bestand hat und uns hier und jetzt ein wirkliches Ziel gibt. Was wir Menschen tun können, und was wir dann von Gott erwarten, wenn wir es nicht schaffen, ist Überlebenshilfe. Wie gesagt: das ist schon viel. Aber was Gott uns geben will, ist mehr: Es ist das Leben.
Die Zuhörer Jesu haben das immer noch nicht richtig verstanden: Herr, gib uns allezeit solches Brot, antworten sie. Der Denkfehler liegt in dem Wörtchen „allezeit“. Damit verstehen sie das wahre Himmelbrot immer noch als Lebensmittel, das man sich immer wieder besorgen und verbrauchen muss, um am Leben zu bleiben. Wie schön wäre es da, wenn es einem dann wie im Schlaraffenland von selbst in den Mund fiele! Ich denke, uns geht es heutztage ähnlich. Oft verwechseln wir das Leben, das Gott uns schenken will, mit religiösen Er-leb-nissen. Es stimmt zwar, daß solche Erlebnisse unserem Glauben wichtige Anstöße geben können. Ein gelungener Gottesdienst, ein mutmachende Begegnung zur rechten Zeit, ein mit Gott gefeiertes Fest so wie heute die Taufe bei Familie Wisniewski oder wie neulich der Kreiskirchentag – das alles kann unserem Glauben Nahrung geben. Aber diese Erlebnisse halten nicht ewig vor, sie sind nicht das Leben. Erst recht gilt das für die zunehmende Zahl von Menschen, die offenbar wenig echte Erlebnisse hat und sich deshalb mühsam künstliche Erlebnisse zu verschaffen sucht – zum Beispiel indem sie ihre Wunschwelt im Computer simuliert oder indem sie am Bungee-Seil oder beim Freeclimbing dem besonderen Kick nachjagt. Diese Suche nach Erlebnissen kann Spaß machen, sie kann aber auch zur Sucht werden. Und das gilt für religiöse Erlebnisse genauso wie für alle anderen. Aber was trägt uns noch, wenn die Highlights unseres Lebens vorbeigerauscht sind, vielleicht sogar für immer?
Jesus sagt dazu folgendes: „Ich bin das Brot des Lebens; wer zu mir kommt, wird nie mehr hungern, und wer an mich glaubt, wird nie mehr Durst haben.“
Wenn das stimmt, dann ist das Leben kein abstrakter Begriff, sondern eine Person. Es ist kein Ideal, das ich nicht greifen kann. Kein unerreichbares Glück, das ich durch flüchtige Glückserlebnisse unzureichend ersetzen müsste. Nein, das Leben steht in der Person Jesu Christi vor uns und lädt uns ein: „Kommt her, esst und trinkt euch satt!“ Wer sich auf diese Einladung einlässt, der wird mit Jesus Christus auch manches erleben. Aber er oder sie hat das Leben selbst dann, wenn die Erlebnisse ausbleiben. Wir müssen dann nicht mehr mit allen Mitteln versuchen, aus unserem Leben etwas zu machen. Wir müssen auch unseren Kindern keinen Platz im Leben erkämpfen und uns und ihnen damit das Leben erst recht schwer machen – da seien Sie bei Ihrer Kiara also mal ganz entspannt! Denn spätestens der Tod zeigt uns, dass das kein Mensch den Kampf ums Dasein wirklich gewinnen kann. Wir müssen diesen Kampf nicht kämpfen; denn unser Leben hat seinen Bestand von Christus her, der den Tod schon überwunden hat. Das können wir vielleicht nicht immer nachempfinden oder aus Überzeugung mitsprechen. Aber wir können es uns immer wieder sagen lassen, und nur darauf kommt es an: „Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht, sondern ist vom Tode zum Leben hindurchgedrungen.“ (Joh 5,24) Amen.

Ihr Pastor Martin Klein