Predigt Talkirche, Sonntag, 2. Februar 2020

GOTTESDIENST FÜR DEN LETZTEN SONNTAG NACH EPIPHANIAS

Text: Offb 1,9-18

Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte und der Leben­dige. Ich war tot, und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewig­keit und habe die Schlüssel des Todes und der Hölle.

Fürchte dich nicht! Diese Aufforderung steht sehr oft in der Bibel. Einmal für jeden Tag des Jahres, hat mal jemand gezählt – ohne dass ich das jetzt nachgeprüft hätte. Wahrscheinlich steht es deshalb so oft da, weil wir Menschen es so nötig haben.

Auch in diesem Vers aus der Offenbarung gilt die Aufforderung ei­nem Mann, der allen Grund hat, sich zu fürchten. Er heißt Johannes, lebt am Ende des ersten Jahrhunderts nach Christus in Kleinasien und hat in seiner Gemeinde wohl das Amt eines Presbyters inne. Damals mussten Presbyter sich gottlob noch nicht mit Strukturrefor­men, Perso­nalfragen, Gebäude­erhaltung und ähnlichem herumschla­gen, sondern konnten sich dem widmen, was nach dem ersten Pet­rusbrief ihre vornehmste Auf­gabe ist, nämlich als gute Vorbilder die Herde Gottes zu weiden, die ihnen anbefohlen ist, also nach Kräften dafür zu sorgen, dass sie das be­kommt und be­hält, was sie für ihr geistliches Leben braucht.

Der Presbyter Johannes nimmt diese Aufgabe besonders ernst. Er lebt seinen Glauben vorbildlich, und das hat ihn weit und breit be­kannt ge­macht. In ganz Kleinasien genießt er hohes Ansehen. Und er ist ein Mann mit Rückgrat: Er kann es mit seinem Glauben nicht ver­einbaren, neben Jesus Christus noch einem anderen göttliche Ehre zu erweisen, nämlich dem Kaiser in Rom. Genau das verlangen aber die römischen Herren von ihren Untertanen. Wer es nicht tut, dem Kaiser nicht opfert und auch noch laut sagt, warum, der hat mit der Todesstrafe zu rechnen. Johannes ist gerade noch davon gekommen. Man hat ihn nicht getötet, sondern nur verbannt, weil man seinen Einfluss fürch­tet. Jetzt sitzt er auf der kleinen Insel Patmos vor der Küste Klein­asiens und hat, wie gesagt, allen Grund sich zu fürchten und Sorgen zu machen: Was wird aus mir? Werde ich hier jemals heil wieder weg kommen? Und was wird aus meinen Gemeinden? Wie werden sie ohne mich zurechtkommen? Werden sie sich in alle Winde zer­streuen? Werden die Römer sie alle umbringen? Oder werden sie sich verführen lassen, dem Kaiser zu opfern, weil ich sie nicht mehr davon abhalten kann?

Mit diesen Gedanken im Kopf hat Johannes eines Sonntags eine Vi­sion: Er sieht Jesus Christus, den Auferstandenen, in seiner ganzen himmlischen Herrlichkeit:

Ich sah sieben goldene Leuchter und mitten unter den Leuchtern ei­nen, der war einem Menschensohn gleich, angetan mit einem langen Gewand und gegürtet um die Brust mit einem goldenen Gürtel. Sein Haupt aber und sein Haar war weiß wie weiße Wolle, wie Schnee, und seine Augen wie eine Feuerflamme und seine Füße gleich Gold­erz, wie im Ofen durch Feuer gehärtet, und seine Stimme wie großes Wasser­rauschen; und er hatte sieben Sterne in seiner rechten Hand, und aus seinem Munde ging ein scharfes, zweischneidiges Schwert, und sein Angesicht leuchtete, wie die Sonne scheint in ihrer Macht.

Das ist natürlich nur ein Versuch, etwas zu beschreiben, was man in menschlichen Worten nicht beschreiben kann. Wenn Künstler diese Beschreibung gemalt oder gezeichnet haben, war das Ergebnis meistens unfreiwillig komisch. Klar wird nur: Hier erscheint und spricht einer mit der ganzen Macht und Autorität Gottes.

Christus kündigt Johannes weitere Gesichte an; die soll er aufschrei­ben und an die sieben Gemeinden in Kleinasien senden: nach Ephe­sus, Smyrna, Pergamon, Thyatira, Sardes, Philadelphia und Lao-dikeia. Und wie ein Motto steht über allem, was noch folgt, der Satz, den ich zu Beginn gelesen habe: „Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige.“

Der Erste: Das heißt, er war immer da, schon bevor die Schöp­fung begann, oder modern gesprochen: schon bevor der Ur­knall er­folgte.

Der Letzte: Das heißt, er wird immer da sein, auch wenn wir alle längst gestorben sind, auch wenn alle Mächte dieser Welt längst der Vergangenheit angehören, auch wenn es die Erde eines Tages nicht mehr geben sollte. Mit diesen Worten ist endgültig klar, was die Art der Erscheinung schon deutlich machte: Nur der ewige Gott kann so reden.

Aber dann kommt noch was: Der Erste und der Letzte ist auch der Lebendige. Das ist das Entscheidende. Und die Fortsetzung des Sat­zes sagt uns auch, warum: „Ich war tot, und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit und habe die Schlüssel des Todes und der Hölle.“ Wenn man diese Aussage beim Wort nimmt, macht sie stut­zig. Bisher haben wir zu Recht gesagt, dass nur Gott so erscheinen und so reden kann. Aber kann Gott auch sagen: „Ich war tot?“ Kann Gott etwa sterben? Dieser Gedanke widerstrebt uns. Und für einen strengen Muslim ist er eine solche Lästerung, dass irgendwelche Ka­rikaturen über den Propheten Moham­med dagegen harmlos sind. Aber genau hier unterscheiden wir Christen uns eben grundlegend von den Muslimen. Genau darum geht es, wenn wir an Jesus Christus glauben. Denn damit sagen wir: So wie Jesus, so ist Gott, er ist „Gottes geliebter Sohn, an dem er Wohlge­fallen hat“, wie wir in der Schriftlesung gehört haben. Daraus folgt dann aber auch: Als Jesus am Kreuz gestorben ist, da ist Gott mit ihm ge­storben. Darauf kommt es an. Denn wenn nur der Mensch Jesus gestorben wäre, dann wäre er genauso mausetot wie jeder andere auch. Doch wenn Gott stirbt, wenn er den Tod auf sich nimmt, dann geht das nicht schlecht für Gott aus, son­dern für den Tod. Jesus Christus war tot, und Gott mit ihm, aber gerade deshalb ist er auch auferstanden. Er ist der Leben­dige und hat den Tod überwunden. Nichts kann den noch schrecken, der sich auf ihn verlässt.

Deshalb braucht Johannes sich nicht zu fürchten. Selbst wenn ihn die Römer umbringen – Jesus Christus bleibt doch der Lebendige. Selbst wenn sie alle Christen mundtot machen – Jesus Christus wird doch der wahre Herr der Welt bleiben. Und er wird seine Leute nicht im Stich lassen – weder im Leben noch im Sterben.

Das gilt auch für uns Christenmenschen hier und heute. Im Vergleich zu Johannes’ Zeiten sind die aktuellen Probleme unserer Kirche und Gemeinde vergleichsweise harmlos. Wir müssen uns nur auf schrumpfende Zahlen einstellen – den Christen damals ging’s ans Leben. Uns kehren nur Men­schen den Rücken zu oder bleiben gleichgültig am Rand der Ge­meinde sitzen – aber selbst wenn man­che von ihnen uns verspotten, muss uns das keine Angst machen. Bei uns werden nur Pfarrstellen gestrichen und Presbyterien nicht voll – aber kein Pfarrer oder Pres­byter wird für seine Überzeugung ins Ge­fängnis gesteckt oder auf eine einsame Insel verbannt. Was würde Johannes wohl sagen, wenn er mitbekommen würde, was wir heute bei Kirchens für Probleme wäl­zen? Wie wir uns die Köpfe zerbre­chen über Strukturen und Konzeptionen? Wie wir lamentieren über leere Kirchenbänke und wie Konservative und Liberale sich gegen­seitig die Schuld dafür geben? Wie manche so stur auf dem Wortlaut nebensächlicher Bibelstellen beharren, dass sie deshalb aus der Kir­che austreten und Leserbriefe ohne Ende schreiben? „Kinder“, würde er sagen, denn diesen Aus­druck benutzte er gern, „habt ihr denn sonst keine Sorgen? Merkt ihr denn nicht, wie unverschämt gut es euch immer noch geht – verglichen mit uns damals oder verglichen mit anderen Weltgegenden? Und merkt ihr nicht, wie sehr ihr oft an den wirklichen Problemen vorbeidiskutiert?“ Denn es gibt ja wahr­lich genug zu tun für Christen in dieser Welt, damit der Glaube nicht verschwindet, die Liebe nicht erkaltet und die Hoffnung nicht zu­schanden wird. Natürlich können wir das alles aus eigener Kraft nicht schaffen. Aber das müssen wir auch gar nicht. Denn auch für uns ist Jesus Christus der Erste, der Letzte und der Lebendige. Da mag es mit uns als Ein­zelnen oder als Gemeinde auf und ab gehen – am Sieg Gottes über den Tod, am Kommen seiner neuen Welt ist nicht mehr zu rütteln. Und damit sind auch alle Sorgen, die uns plagen, bei ihm gut aufge­hoben. Amen.

Ihr Pastor Martin Klein