Predigt Talkirche, Sonntag, 15. Juni 2014

Gottesdienst zur Goldenen Konfirmation

Text: 2. Kor 13,13

Die Gnade des Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemein­schaft des heiligen Geistes sei mit euch allen! Amen.

Das ist einer der klassischen Kanzelgrüße. So haben Pastoren schon immer ihre Predigten begonnen, biblisch und liturgisch korrekt. Wenn Sie als Konfirmanden Ihrer Gottesdienstpflicht Genüge getan haben, dann haben Sie diesen Gruß wohl auch oft zu hören bekom­men – und ich lasse jetzt mal offen, ob Sie ihn als Aufforderung zu verstärkter Aufmerksamkeit verstanden haben (Achtung, jetzt kommt das wichtigste im Gottesdienst!) oder als Signal zum inneren Abschal­ten (ich versteh sowieso nix, es interessiert mich auch nicht wirklich, also geh ich jetzt mal geistig auf Tauchstation, blättere im Gesangbuch oder spiel mit dem Handy rum – ach nein, das gab’s ja damals noch nicht!).

In der Bibel steht dieser Gruß allerdings nicht an einem Anfang, son­dern an einem Ende. Es ist der letzte Satz des umfangreichen Briefwech­sels, den der Apostel Paulus mit seiner Gemeinde in Korinth geführt hat. Dieser Briefwechsel umfasst alle Höhen und Tiefen, die Christen in ihrem Verhältnis zueinander so durchmachen. Da gab es Streit zu schlichten zwischen rivalisierenden Gruppen in der Gemeinde. Da gab es harte Kritik an Verhaltensweisen, die mit dem Glauben an Jesus Christus nicht vereinbar waren. Da galt es Fragen zu beantworten, die die Gemeinde an Paulus gerichtet hat: Wie gehen wir als Christen richtig mit der Ehe um? Wie weit reicht die christliche Freiheit? Was passiert eigentlich beim Abendmahl? Wie werden wir eine Gemeinde, in der alle ihren Platz finden und ihre Gaben einbringen können? Wie ist das mit der Auferstehung von den Toten? – Fragen, die heute so aktuell sind wie damals. Da war außerdem eine Spendensammlung zu organisieren – als Zeichen der Solidarität mit den armen Glaubensgeschwistern von Jerusalem. Und da musste sich schließlich Paulus selber gegen heftige Angriffe verteidi­gen – nach dem Motto: „Der kann zwar tolle Briefe schrei­ben, aber als Mensch ist er eher eine Enttäuschung – kann so einer überhaupt ein richtiger Apostel sein?“ Paulus wehrt sich mit allen Mitteln gegen diese Angriffe, bis hin zu beißender Ironie und bitte­rem Sarkasmus – ein Zeichen dafür, wie sehr er sich verletzt fühlt. Er kündigt schließlich an, noch einmal persönlich nach Korinth zu rei­sen, und er weiß selber noch nicht, ob es dabei zur Versöhnung oder zum endgültigen Bruch kommen wird. Aber dann endet das alles mit diesem Satz: „Die Gnade des Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit euch al­len!“

Ist das nur fromme Höflichkeit? Ist es schon damals eine liturgische Floskel, die man halt so sagt am Ende oder am Anfang einer Predigt? Oder hat Paulus einfach das Bedürfnis, nach harten Worten wenigs­tens zum Schluss noch mal was Nettes zu sagen?

Nein, ich glaube es ist mehr als das. Paulus meint es wirklich ernst. Nach all dem Streit, nach all dem Ringen um den rechten Glauben und das richtige Leben wünscht er seinen Geschwistern in Korinth von Herzen die Gnade Jesu Christi, die Liebe Gottes und die Gemein­schaft des Heiligen Geistes. Er wünscht Ihnen, dass sie spü­ren: So sehr unser Verhältnis zueinander belastet ist, so oft wir daran scheitern mögen, unserem Glauben entsprechend zu leben, so sehr uns menschliche Unzulänglichkeit den Blick auf das Wesentliche verstellen mag – es kommt darauf nicht an. Worauf es ankommt, das ist die Gnade Jesu Christi, durch die ich gewiss werde, dass Gott mich liebt und dass er Gemeinschaft gestiftet hat zwischen mir und ihm, aber auch mit allen, die mit mir an ihn glauben. Worauf es an­kommt das ist die Liebe Gottes, die ihn dazu ge­bracht hat, in Jesus Mensch zu werden. Worauf es ankommt, das ist die Gemeinschaft des Heiligen Geistes, in der Gott mitten unter uns ist und uns verbin­det – mit Gott und mit unseren Glaubensgeschwistern. Und Paulus ist überzeugt: Je mehr ich das verstehe und verinnerliche, desto mehr bin ich bereit, auch entspre­chend zu handeln: selber gnädig zu sein, Liebe zu üben und Gemein­schaft zu leben und anzugehen gegen Un­barmherzigkeit und Selbstgerechtigkeit, gegen Hass und lieblose Kritik, gegen Entzweiung und Vereinzelung. Deshalb gibt es gar nichts Besseres, was er den Korinthern wünschen kann. Und deshalb gibt es keinen passenderen Schluss für seinen Brief.

Warum erzähle ich Ihnen das alles? Aus zwei Gründen: Erstens ist das, was Paulus den Korinthern mit auf den Weg gibt genau das glei­che wie das, was Ihnen vor fünfzig Jahren bei Ihrer Konfirmation zugesprochen wurde. Auch die stand ja am Ende eines intensiven und spannungsreichen Austauschs, wenn auch nicht per Brief. Auch Sie hatten sicher als Jugendliche Ihre Fragen, was den Glauben an­geht, so wie die Korinther damals: Kann ich, muss ich alles glauben, was im Glaubensbekenntnis vorkommt? Stimmt das überhaupt, was in der Bibel steht? Passt der Glaube noch in die moderne Welt – zu Düsenjets und Autobahnen, zu Miniröcken und Turmfrisuren, zu den Beatles oder der Bundesliga? Hilft er mir bei dem, was mir Angst macht? Gegen das Drohen mit der Bombe zum Beispiel, das damals in der heißesten Phase des Kalten Krieges seinen Höhepunkt er­reichte? Ich weiß nicht, ob Ihnen Ihr Konfirmandenunterricht auf diese und andere Fragen gute Antworten gegeben hat. Vielleicht wur­den die Fragen auch eher zugeschüttet unter der Last des Lern­stoffs aus Gesangbuch und Katechismus. Ich weiß auch nicht, wie Ihr Verhältnis zu Ihren Pastoren war, ob sie von Ihnen noch als die traditionellen Respektspersonen akzeptiert wurden oder ob sie wie Paulus um ihre Autorität zu kämpfen hatten. Auf jeden Fall ist aber viel für Sie passiert in den Jahren des Kirchlichen Unterrichts: Sie selber haben sich verändert. Sie haben sich mit Bibel, Glaube und Kirche auseinandergesetzt und ein Verhältnis dazu entwickelt – sei es ein positives, sei es ein zwiespältiges oder gespanntes. Und Sie haben auf jeden Fall etwas gelernt, auch wenn Sie die Fragen aus dem Heidelberger vielleicht gleich wieder vergessen haben.

Dann kam schließlich der Tag Ihrer Konfirmation, und als Schluss­wort Ihrer Konfirmandenzeit wurde Ihnen Gottes Segen zugespro­chen, und mit ihm die Gnade Jesu Christi, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des heiligen Geistes. Und so wie das Schlusswort bei Paulus allen Korinthern galt, egal wie sie zueinander und zu Paulus standen, so galt der Segen Gottes Ihnen allen ohne Unterschied: den Mädchen und den Jungen, den Frühentwickelten und den Spätzün­dern, den Gymnasiasten und den Hauptschülern, den Braven und den Aufmüpfigen, denen mit dem festen Glauben und den Zweiflern und Distanzierten. Für Sie alle hieß es: Geht ins Leben unter der Gnade Jesu Christi, mit der Liebe Gottes und in der Gemeinschaft des heili­gen Geistes. Lasst euch von Gott begleiten und fangt etwas an mit eurem Leben, was vor Gott bestehen kann. Er rüstet euch dafür aus mit allem, was ihr braucht.

Darauf kam und kommt es an bei der Konfirmation. Nicht auf mög­lichst viele auswendig gelernte Bibelverse. Nicht auf das Verhältnis zwischen Pastor und Konfirmanden. Und natürlich erst recht nicht auf das Familienfest und die Geschenke. Sondern auf Gottes Segen. Er ist mit Ihnen gegangen, all diese fünfzig Jahre hindurch, auch und gerade in den schweren Zeiten, auch wenn Ihnen mal danach war, mit Gott zu hadern oder ihm gar abzusagen.

Und damit bin ich beim zweiten Grund, warum ich Ihnen von Paulus und den Korinthern erzählt habe. Ich halte sein Schlusswort nämlich auch für ein gutes Wort zur Goldenen Konfirmation, die wir heute feiern. Denn wie vor fünfzig Jahren stehen Sie wieder an einem Über­gang. Damals wurden aus Kindern Erwachsene, aus Schülern Berufstätige und irgendwann aus Einzelmenschen Paare und Fami­lien. Heute stehen Sie kurz vor oder nach dem Abschied aus dem Beruf, Ihre Kinder, wenn sie welche haben, sind erwachsen, haben Ihnen vielleicht schon Enkelkinder beschert. Sie haben manche Kämpfe und Auseinandersetzungen hinter sich, vielleicht auch mit Gott und ihren Mitchristen. Manche der Fragen von damals haben sich geklärt, andere sind dafür neu aufgetaucht, und auf manche gibt es nie eine befriedigende Antwort. Manche von Ihnen fühlen sich noch fit und freuen sich auf das freiere Rentnerleben. Bei anderen macht sich das Alter schon stärker bemerkbar und bereitet entspre­chende Sorgen. Und eine ganze Reihe Ihrer Mitkonfirmanden hat den heutigen Tag schon nicht mehr erlebt.

Worauf kommt es also jetzt an? Auf die gute Altersvorsorge, die man hoffentlich getroffen hat? Darauf, möglichst lange gesund und mobil zu bleiben? Auf ein gutes Netzwerk von Menschen, die sich um mich kümmern (Familie, Freunde, professionelle Helfer)? Oder kommt es darauf an, meinen Frieden mit Gott zu machen, mich mal wieder öfter in der Kirche blicken zu lassen, jetzt, wo ich mehr Zeit habe, mich gar ehrenamtlich zu engagieren? Das ist durchaus alles wichtig und bedenkenswert. Aber Sie ahnen schon, dass es für mich nicht das Eine ist, worauf es ankommt. Das ist und bleibt auch jetzt nichts ande­res als die Gnade Jesu Christi, die Liebe Gottes und die Gemein­schaft des heiligen Geistes.

Die Gnade Jesu Christi, denn in ihr liegt Heilung für die Wunden, die das Leben mir geschlagen hat. In ihr liegt Vergebung für meine Irrtü­mer und Fehler, die ich nicht mehr rückgängig machen kann. In ihr liegt die tröstende Gewissheit, dass ich mit Gott im Reinen bin, egal, wie gut oder wie schlecht ich mein Leben gemeistert habe, egal, ob das Gelingen oder das Scheitern überwogen hat.

Die Liebe Gottes, denn sie umfängt mich mein Leben lang und jeden Tag wieder neu. Weil Gott mich liebt, kann mich nichts und niemand aus seiner Hand reißen, und selbst wenn es bergab geht mit mir, falle ich nie tiefer, als in ebendiese liebende Hand Gottes. Auch wenn ich alt werde und manches nicht mehr kann, was ich mal konnte, kann ich doch immer noch Gottes Liebe weitergeben an die Menschen um mich herum. Denn die Liebe hört niemals auf – auch das hat Paulus den Korinthern geschrieben.

Und schließlich die Gemeinschaft des heiligen Geistes. Sie zeigt mir, dass ich nicht allein bin, auch wenn es einsamer um mich wird, weil Kinder und Enkel ihr eigenes Leben führen, weil mir die Frau oder der Mann stirbt, weil es immer mühsamer wird, Kontakte zu pflegen. Nie kündigt Gott mir die Gemeinschaft auf, nie falle ich heraus aus der Gemeinschaft der Glaubenden. Noch haben die meisten von Ihnen die Möglichkeit, sich in diese Gemeinschaft aktiv einzubringen mit Ihren Gaben, und schon mancher hat im Ruhestand in Kirche und Gemeinde eine Aufgabe gefunden, die ihm Freude macht und Ge­winn bringt. Aber auch wenn das alles nicht oder nicht mehr geht, hilft die Gewissheit, dass da eine Gemeinschaft ist, in der man seine Wurzeln hat und die einen trägt. Dazu müssen natürlich auch wir Jüngeren unseren Teil beitragen. Aber Gottes guter Geist macht es möglich, weil er das Fundament unserer Gemeinschaft ist.

Also gilt auch heute wie vor fünfzig Jahren: Geht mit Gottes Segen, unter seiner Gnade, mit seiner Liebe, in der Gemeinschaft, die er schenkt. Ich hoffe, dass Sie alle das erfahren – an diesem Tag heute und an jedem Tag, den Gott Ihnen noch schenken wird.

Denn der Friede Gottes – so hörten schon damals die meisten Predig­ten auf – der höher ist als alle Vernunft, der wird unsere Herzen und Sinne bewahren in Jesus Christus. Amen.

(Pfarrer Dr. Martin Klein)