Predigt Talkirche, Sonntag, 08.04.2018

GOTTESDIENST FÜR DEN SONNTAG QUASIMODOGENITI mit Taufe von Lynn Mia Friesen

Text: Kol 2,12-15

Mit Christus seid ihr begraben worden in der Taufe; mit ihm seid ihr auch auferweckt durch den Glauben aus der Kraft Gottes, der ihn auferweckt hat von den Toten. Und Gott hat euch mit ihm lebendig gemacht, die ihr tot wart in den Sünden und in der Unbeschnittenheit eures Fleisches, und hat uns vergeben alle Sünden. Er hat den Schuldbrief getilgt, der mit seinen Forderungen gegen uns war, und hat ihn aufgehoben und an das Kreuz geheftet. Er hat die Mächte und Gewalten ihrer Macht entkleidet und sie öffentlich zur Schau gestellt und über sie triumphiert in Christus.

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht – ich jedenfalls habe nicht gern Schulden. Es soll ja Leute geben, die rote Zahlen recht ungeniert in Kauf nehmen. Aber mir macht die Vorstellung keine guten Gefühle, dass ich Geld schon ausgegeben, aber noch nicht bezahlt habe, dass mir also ein Teil dessen, was ich habe oder erst noch verdienen muss, schon nicht mehr gehört. Sicher, bei größeren Anschaffungen, einem neuen Auto zum Beispiel oder gar einem neuen Haus, geht es meist nicht anders. Unsereins bezahlt sowas ja nicht mal eben vom Girokonto. Doch ich bin immer froh, wenn die Hypothek getilgt, wenn der Kredit zurückgezahlt ist, wenn also die Einnahmen die Ausgaben wieder eingeholt haben.
Aber nun stellen Sie sich mal vor, dass Ihnen die Schulden längst über den Kopf gewachsen sind, dass Sie einen Schuldenberg angehäuft haben, denn Sie niemals abtragen können. Auf Ihrem Schuldschein steht eine so astronomische Summe, dass schon die Zinsem kaum noch zu bedienen sind. Okay, wenn es einem Staat wie Griechenland so ergeht, dann wird der trotzdem irgendwie weiter mit durchgezogen – muss ja! Aber als Privatmensch hilft einem dann auch die beste Schuldnerberatung nichts mehr. Man kann dann eigentlich nur noch eine Bank ausrauben oder auf einen Sechser im Lotto hoffen – oder gleich den Strick nehmen.
Wenn es nun schon mit schlichten Geldschulden so schlimm kommen kann, dann gilt das erst recht für unsere Schuld vor Gott. Da rechnen wir die Summe zwar immer gerne klein. Wir verweisen darauf, dass wir doch eigentlich immer ganz anständig gelebt haben und dass wir auf der Habenseite doch auch manche gute Tat verbuchen konnten. Natürlich sind wir dabei Gott und unseren Mitmenschen auch einiges schuldig geblieben. Aber wenn man das mal alles durchkalkuliert, bleibt unterm Strich doch wohl ein kleines Plus übrig – oder zumindest eine schwarze Null. Und selbst wenn da am Ende ein kleines Defizit steht – das wird Gott dann doch wohl nicht so eng sehen. Schließlich ist er ja barmherzig, geduldig und gnädig, oder?
Wenn wir die Bibel und auch unseren heutigen Predigttext beim Wort nehmen, dann müssen wir allerdings zugeben, dass wir es uns mit dieser Sicht der Dinge zu leicht machen. Gute und böse Taten miteinander zu verrechnen, das ist ein Ansatz, der zu nichts führt. Denn für die Bibel liegt das Problem auf einer viel tieferen Ebene. Für sie ist die Sünde eine abgrundtiefe Kluft zwischen Gott und uns Menschen – eine Kluft, die wir von uns aus niemals überbrücken können. Wir leben ohne Gott, wir sind von ihm getrennt, und wir kommen niemals zu ihm zurück. Deshalb, und nicht in erster Linie aufgrund der Summe unserer bösen Taten, ist der Schuldschein, den Gott uns ausstellen müsste, schlicht und einfach unbezahlbar für uns.
Wir wollen und können das freilich nicht einsehen. Dafür müssten wir uns ja selber aufgeben. Also doktern wir halt ein bisschen an den Symptomen herum. Wir bemühen uns, möglichst gute Menschen zu sein und glauben, damit könnten wir es richten. Aber es wird uns nicht gelingen. Schon von unseren Vorvätern und –müttern her, lastet eine gewaltige Hypothek auf uns, wenn wir ins Leben treten. Auch die kleine Lynn hatte vom ersten Tag ihres Lebens an dieser Last zu tragen, so unschuldig sie auch zur Welt gekommen ist. Und je älter sie wird, desto mehr wird das der Fall sein, und desto stärker wird sie auch selber die Hypothek vermehren – wie wir alle. Das ist nicht deshalb so, weil wir böse sind und immer alles falsch machen. Sondern weil auch das, was wir richtig machen, die Trennung von Gott nicht aufheben kann.
Es hilft deshalb auch nichts, Menschen, die nicht glauben, zu predigen, was sie für schlimme Sünder sind – damit sie dann umkehren und ein besseres Leben beginnen. Zwar hat man das immer wieder versucht im Lauf der Kirchengeschichte. Aber entweder man stieß dabei auf taube Ohren und produzierte Spott über eine Moralapostelei, die oft auch noch verlogen war. Oder man redete Menschen ein schlechtes Gewissen ein, und daraus wächst eben auch nichts Gutes. Denn es bleibt dabei: So wie wir Menschen nicht aus eigener Kraft zum Glauben kommen können, so können wir auch nicht aus eigener Kraft erkennen, dass wir Sünder sind. Erst wenn mir durch Gottes guten Geist aufgeht, was Gott für mich getan hat, werde ich auch erkennen, warum das, was er getan hat, nötig war. Erst wenn ich sehe, dass mein Schuldschein ans Kreuz Jesu geheftet ist, geht mir auf, dass ich ihn nicht bezahlen konnte. Erst wenn ich einsehe, dass Gott meine Schuld auf sich nehmen musste, um sie zu beseitigen, erst dann erkenne ich, dass ich sie anders niemals hätte loswerden können.
Also will ich es so halten wie der Kolosserbrief und zuerst und vor allem auf Gottes große Taten verweisen. Er hat die ganze gewaltige Schuld getilgt, die uns von ihm getrennt hat. Aber er hat das nicht einfach mit einem Federstrich getan – oder mit der Löschtaste, modern formuliert. Nein, er hat die Schuld bezahlt, die ganze Summe. Mit dem Leben hat er sie bezahlt, denn das war der einzig mögliche Preis. Wohlgemerkt: nicht mit dem Leben irgendeines Menschen, und sei es der Mensch Jesus, sondern mit dem eigenen Leben, dem Leben Gottes. Nur so war es ja möglich, dass der Tod über Jesus nicht das letzte Wort behielt. Nur so konnte er auferstehen von den Toten. Der Kolosserbrief stellt sich das vor wie den Triumphzug eines römischen Imperators: vorneweg der strahlende Sieger über Sünde, Tod und Teufel, dahinter in Ketten die besiegten gottfeindlichen Mächte, ihrer Macht entkleidet und bloßgestellt. Diesen Triumph haben wir zu Ostern wieder gefeiert: „Er war ins Grab gesenket, / der Feind trieb groß Geschrei; / eh er’s vermient und denket, / ist Christus wieder frei / und ruft Viktoria, / schwingt fröhlich hier und da / sein Fähnlein als ein Held, / der Feld und Mut behält.“ (P. Gerhardt)
„Ja, aber ist es denn tatsächlich so?“, meldet sich da die Stimme des Zweifels. Sitzt der Tod nicht doch noch ziemlich fest im Sattel? Holt er nicht immer noch alle Menschen, früher oder später, und oft auf grausame Weise? Ist der Schuldschein nicht doch noch da? Wird die Summe darauf nicht immer noch größer? Hat sich wirklich etwas verändert durch die Auferweckung Jesu von den Toten?
Ja, es stimmt, wir können das letztlich nur gegen den Augenschein glauben, und diesen Glauben muss Gott uns schenken. Aber zumindest damit hat er schon begonnen. Und er hat uns allen ein Zeichen dafür gegeben, dass es wahr ist. Das ist das Zeichen der Taufe.
In der Taufe sind wir mit Christus begraben worden, sagt unser Text. Als Zeichen ist das natürlich deutlicher erkennbar, wenn man bei der Taufe ganz im Wasser untergetaucht wird – so wie es damals war und wie es die freien Gemeinden bei uns, aber auch die orthodoxen Kirchen immer noch praktizieren. Aber es gilt auch, wenn man nur ein bisschen Wasser aus der hohlen Hand über den Kopf bekommen hat wie die kleine Lynn heute. Auch sie ist jetzt mit Christus begraben. Auch ihr Schuldschein ist schon an Jesu Kreuz geheftet – mit allem, was da womöglich irgendwann noch drauf zu stehen kommt. Auch auf ihr lastet diese Schuld also nicht mehr, so sehr die Folgen menschlicher Schuld auch für sie noch spürbar sein werden.
Aber nicht nur das. Durch die Taufe sind wir nicht nur mit Christus begraben, sondern durch den Glauben, der aus der Taufe folgt, sind wir auch auferweckt. Wir haben schon Anteil an dem Leben, das den Tod besiegt hat und das uns niemand mehr nehmen kann, auch wenn wir sterben müssen.
Deshalb ist es so wichtig, dass Lynn diesen Glauben, auf den sie getauft ist, nun auch kennenlernt. Damit sie eines Tages ihr eigenes Ja dazu sprechen kann. Damit sie erfährt, dass dieser Glaube Leben bedeutet – hier und jetzt und auch dann, wenn wir sterben müssen. Hoffentlich tun wir also alles dafür, damit das gelingt – als Eltern, als Paten, aber auch als Kirchengemeinde, zu der Lynn jetzt gehört. Hoffentlich haben auch die 130 Kinder, die an unserer Kinder-bibelwoche teilgenommen haben, davon etwas erfahren und mit-genommen. Und hoffentlich geht es auch uns selber immer wieder auf: Wir sind getauft, wir sind mit Christus begraben und dürfen mit ihm leben, weil unsere Schuld getilgt und ans Kreuz geheftet ist. Und in diesem Bewusstsein können und sollen wir nun auch Gutes tun, uns für das Leben und gegen den Tod einsetzen. Nicht um das Gute mit dem Bösen zu verrechnen und so doch noch unsere Schuld begleichen – oder auch nur ein Zeichen guten Willens zu setzen. Sondern um uns dankbar zu zeigen für das Leben, das Gott uns schenkt – und so dann auch unsere geplagte Welt zu einem besseren Ort zu machen. Amen.

Ihr Pastor Martin Klein