Predigt, Talkirche, Sonntag, 04.03.2018

GOTTESDIENST FÜR DEN SONNTAG OKULI

Text: 1. Petr 1,13-21

Darum umgürtet die Lenden eures Denkens, seid nüchtern und setzt eure Hoffnung ganz auf die Gnade, die euch dargeboten wird in der Offenbarung Jesu Christi. Als gehorsame Kinder gebt euch nicht den Begierden hin, in denen ihr früher in eurer Unwissenheit lebtet; sondern wie der, der euch berufen hat, heilig ist, sollt auch ihr heilig sein in eurem ganzen Wandel. Denn es steht geschrieben: »Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig.«
Und da ihr den als Vater anruft, der ohne Ansehen der Person einen jeden richtet nach seinem Werk, so führt euer Leben in Gottesfurcht, solange ihr hier in der Fremde weilt; denn ihr wisst, dass ihr nicht mit vergänglichem Silber oder Gold erlöst seid von eurem nichtigen Wandel nach der Väter Weise, sondern mit dem teuren Blut Christi als eines unschuldigen und unbefleckten Lammes. Er ist zwar zuvor ausersehen, ehe der Welt Grund gelegt war, aber offenbart am Ende der Zeiten um euretwillen, die ihr durch ihn glaubt an Gott, der ihn von den Toten auferweckt und ihm die Herrlichkeit gegeben hat, so dass ihr Glauben und Hoffnung zu Gott habt.

Wer auch immer diesen Brief im Namen des Apostels Petrus geschrieben hat, er war jedenfalls keiner, der sich mit halben Sachen zufrieden gibt. „Ihr sollt heilig sein in eurem ganzen Wandel“ – das fordert er von den Christen in Kleinasien, an die er sich wendet. Und er tut es mit großer Selbstverständlichkeit. Christ sein und heilig sein, das ist für ihn ganz dasselbe.
So wie wir das Wort „heilig“ verstehen, können wir das wohl kaum nachvollziehen. Ich könnte ja hier in der Kirche mal eine Umfrage dazu machen: „Empfinden Sie sich in Bezug auf Ihren Lebenswandel als heilig oder streben Sie es wenigstens an?“ Was würden Sie darauf antworten? Wahrscheinlich etwa folgendes: „Heilig? Ich? Nie im Leben! Sicher, ich bemüh mich. Ich lebe nach den Zehn Geboten, so gut ich kann. Ich glaube an Gott, ich setze mich ein für die Gemeinde, ich versuche meine Mitmenschen freundlich und anständig zu behandeln. Aber heilig? Das bin ich nicht. Das möchte ich, glaube ich, auch gar nicht sein. Überhaupt: Gibt es Heilige nicht nur bei den Katholiken? Und muss man dafür nicht schon tot sein?“
So in etwa. Und wenn doch jemand meine Frage allen Ernstes mit Ja beantworten würde? – „Heilig? Ja, passt schon! Ein Heiliger zu sein, das ist mein großes Ziel, und ich bin da schon ein gutes Stück vorangekommen.“ – Dann wäre „ein bisschen überspannt“ wohl noch einer der freundlicheren Kommentare.
Tja, so ist es. Bezüglich der Qualität unseres Lebenswandels eher tief zu stapeln, das ist uns in Fleisch und Blut übergegangen. Alles andere gilt als selbstgerecht und unbescheiden und außerdem als taktisch unklug – es könnte ja jemand was rauskriegen! Aber seltsam: Von anderen, besonders von den Inhabern höherer Ämter, erwarten wir dann doch die Einhaltung moralischer Qualitätsstandards, die wir für uns selber so hoch nie hängen würden. Und wenn dann solche Menschen mit Vorbildfunktion sich auch nur das Geringste zuschulden kommen lassen, dann sind Häme und Entrüstung groß und der Rücktritt nur eine Frage der Zeit. Nein, es geschieht in unserem Lande wirklich nicht viel, was das Etikett „heilig“ verdient hätte. Wo sollen Vorbilder dafür auch herkommen, wenn die meisten von uns erst gar keinen Ehrgeiz entwickeln, ein vorbildliches Leben zu führen? In einem solchen Umfeld kann eben bestenfalls Scheinheiligkeit gedeihen.
Aber zurück zum ersten Petrusbrief: Auch damals waren die Menschen nicht grundsätzlich anders als heute. Wieso heißt es dann dort trotzdem: „Ihr sollt heilig sein“? Und wie kommt man dazu, das für einen selbstverständlichen Ausdruck christlichen Lebens zu halten?
Nun, heilig ist nach biblischem Sprachgebrauch erst einmal Gott selbst. Und davon abgeleitet ist alles heilig, was ganz und ausschließlich zu Gott gehört. In diesem Sinne gibt es im Alten Testament heilige Orte, wo Gott in besonderer Weise gegenwärtig ist, oder heilige Geräte, die ausschließlich zum Gebrauch in einem solchen Heiligtum bestimmt sind. Und in beiden Teilen der Bibel werden Menschen, die zu Gott gehören, als heilig angesprochen und zum Heiligsein aufgefordert. Der klassische Kernsatz dazu steht im dritten Buch Mose und wird in unserem Predigttext zitiert: „Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig, spricht der Herr.“ (Lev 19,2)
Also: Für den ersten Petrusbrief sind Christen Menschen, die ganz und gar zu Gott gehören. Und bevor es um den Lebenswandel geht, heißt das erst mal: Christen sind Menschen, die ihre Hoffnung ganz und gar auf die Gnade Gottes setzen. Denn damit fängt der Text ja an: „Setzt eure Hoffnung ganz auf die Gnade, die euch dargeboten wird in der Offenbarung Jesu Christi.“ Und zu dieser Hoffnung auf Gottes Gnade haben wir auch allen Grund. Denn sie ist uns ja schon zuteil geworden. Wir sind schon erlöst, wie es ein paar Verse später heißt. Wie man damals einen Sklaven von seinem Herrn loskaufen und ihm die Freiheit schenken konnte, so hat Gott uns losgekauft aus der Sklaverei der Ichsucht und Gottlosigkeit – nicht mit Geld, auch nicht nur mit guten Worten, sondern mit dem Einsatz seines eigenen Lebens. Er wurde in Jesus Christus Mensch, wie es schon immer sein Plan war. Er ließ sich schuldlos umbringen und starb so an unserer Stelle den Tod, den wir verdient hätten. Und so besiegte er den Tod, indem er Jesus von den Toten auferweckte, und er gab damit auch uns Hoffnung, die über den Tod hinausreicht.
Das wisst ihr alles schon, sagt der erste Petrusbrief seinen Lesern. Er erinnert sie dazu an die Bekenntnisformeln, die sie mal gelernt haben, als sie getauft wurden. Und wir wissen es auch. Die Älteren haben es noch mit den Worten des Heidelberger Katechismus gelernt: „Was ist dein einziger Trost im Leben und im Sterben? Dass ich mit Leib und Seele im Leben und im Sterben nicht mir, sondern meinem getreuen Heiland Jesus Christus gehöre. Er hat mit seinem teuren Blut für alle meine Sünden vollkommen bezahlt und mich aus aller Gewalt des Teufels erlöst; und er bewahrt mich so, dass ohne den Willen meines Vaters im Himmel kein Haar von meinem Haupte fallen kann, ja, dass mir alles zu meiner Seligkeit dienen muss. Darum macht er mich auch durch seinen Heiligen Geist des ewigen Lebens gewiss und von Herzen willig und bereit, fortan ihm zu leben.“ Unsere heutigen Konfirmanden lernen es so nicht mehr, und manchmal finde ich das schade. Aber natürlich erfahren auch sie etwas darüber, was es mit dem Leben, Sterben und Auferstehen Jesu auf sich hat und was es für uns bedeutet.
Nur, ob Heidelberger oder anders, wir machen oft so wenig aus dem, was wir da gelernt haben. Wir trauen uns nicht, für uns in Anspruch zu nehmen, was wir doch längst sind. Wir sind erlöst, wir gehören zu Gott, wir sind heilig. Und Gott hat teuer dafür bezahlt: mit dem Leben seines Sohnes, mit seinem eigenen Leben. Da müssten wir doch alles daran setzen, dieses kostbare Leben nun auch entsprechend zu führen! Stattdessen begnügen wir uns allzu schnell mit „ich schaff’s nicht, aber ich bemüh mich“. Dabei wissen wir doch, dass es gar nicht gut ist, wenn es in einem Arbeitszeugnis heißt: „Kollege Meier war stets bemüht …“!
Wenn ich das sage, dann will ich damit keinen Druck oder Zwang ausüben. Wir müssen und können uns das Geschenk des Heils nicht verdienen – weder im Voraus noch im Nachhinein. Ich habe zu viele Menschen gekannt, die gemeint haben, sie müssten sich der Gnade Gottes doch irgendwie würdig erweisen, und die schlimm darunter gelitten haben, dass sie das nicht schafften. Auch ich selber habe zu Zeiten dazu gehört und möchte auf keinen Fall dahin zurück. Ich denke nur, wenn uns wirklich mal aufginge, wie groß Gottes Geschenk an uns tatsächlich ist, dann müsste uns keiner mehr zwingen, „von Herzen willig und bereit ihm zu leben.“ Sondern dann wäre uns dieser Erweis unserer Dankbarkeit das Selbstverständlichste von der Welt. Und dann wäre uns „heilig sein in unserem Wandel“ nicht zu viel gesagt, sondern das einzig angemessene Ziel.
Aber jetzt noch mal ganz konkret: Was können wir für uns ganz persönlich aus dem ersten Petrusbrief lernen? Was kann ich uns allen für unser tägliches Leben mit auf den Weg geben?
Zuerst und vor allem gilt dies: Lebt, was ihr seid. Ihr gehört ganz und gar zu Gott, also stellt nun auch euer Leben ihm ganz zur Verfügung. Nicht nur durch Beteiligung am Gemeindeleben, als ehrenamtliche Mitarbeiter oder zumindest als Gottesdienstteilnehmer. Sondern auch als Eheleute, als Eltern und Großeltern, im Beruf und in der Freizeit oder im Ruhestand. All das gehört zu eurem Leben, und es soll auch weder der Beruf, noch die Familie, noch die nötige Erholung darunter leiden, dass ihr zu Jesus Christus gehört. Nur bitte lasst Gott in keinem Bereich eures Lebens außen vor. Wenn ihr arbeitet, egal wo und für wen, dann tut es in Gottes Namen. Und wenn ihr euch ausruht und die schönen Dinge des Lebens genießt, dann vergesst nicht, Gott dafür zu danken.
Dann greife ich noch das Bild auf, mit dem unser Text beginnt: „Umgürtet die Lenden eures Denkens“. Klingt etwas verunglückt, okay. Wir würden vielleicht eher sagen: „Krempelt innerlich die Ärmel hoch“. Seid bereit, anzupacken, was anliegt. Konzentriert euch auf das Wichtige und Wesentliche, aber das setzt dann auch entschlossen in die Tat um. Vertraut den neuen Wegen, auf die der Herr euch weist, und lasst allen Ballast zurück, der euch am Vorankommen hindert. Und wenn das Alter sich bemerkbar macht und die Kräfte nachlassen, dann nehmt auch das aus Gottes Hand und macht mit seiner Hilfe auch daraus das Beste.
Und als Letztes sei mit dem ersten Petrusbrief noch gesagt: „Seid nüchtern“. Folgt nicht irgendwelchen Wunschbildern – weder von der Gemeinde oder der Kirche im Ganzen, noch von euch selber, sondern nehmt alles, wie es ist: mit seinen Stärken und Schwächen, mit seinen Chancen und Risiken. Seht nicht immer nur schwarz, auch wenn ihr meint, dafür Anlass zu haben. Sondern rechnet ganz nüchtern mit der menschlichen Unzulänglichkeit, aber auch mit den unberechenbaren Möglichkeiten des heiligen Geistes und mit der Unverbrüchlichkeit von Gottes Verheißungen. Dann wird auch die Zukunft trotz allem, was uns Sorgen macht, eine gute Zeit, die unter Gottes Segen steht. Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, der wird unsere Herzen und Sinne bewahren in Jesus Christus. Amen.