Predigt Talkirche, 31. Oktober 2023

Gottesdienst für den Reformationstag

Text: Mt 5,1-10

Als Jesus das Volk sah, ging er auf einen Berg. Und er setzte sich, und seine Jünger traten zu ihm. Und er tat seinen Mund auf, lehrte sie und sprach:

Selig sind, die da geistlich arm sind;
denn ihrer ist das Himmelreich.
Selig sind, die da Leid tragen;
denn sie sollen getröstet werden.
Selig sind die Sanftmütigen;
denn sie werden das Erdreich besitzen.
Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit;
denn sie sollen satt werden.
Selig sind die Barmherzigen;
denn sie werden Barmherzigkeit erlan­gen.
Selig sind, die reinen Herzens sind;
denn sie werden Gott schauen.
Selig sind, die Frieden stiften;
denn sie werden Gottes Kinder heißen.
Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden;
denn ihrer ist das Himmelreich.

Die Seligpreisungen der Bergpredigt – das sind vertraute Worte für die meisten hier. Und es tut gut, sie wieder zu hören, gerade in die­sen Zeiten. Denn wer sehnt sich im Moment nicht nach Trost, nach Frieden, nach Gerechtigkeit, nach einer Welt, in der Sanftmut und Barmherzigkeit etwas zählen?

Ja, diese Worte sind eine Wohltat, wenn man sich auf sie einlässt. Aber verändern sie auch etwas an der Realität? Haben sie jemals etwas verändert, seit sie ausgesprochen wurden – vor 2000 Jahren auf jenem Berg in Galiläa? Wenn man den Zustand der Welt nüch­tern betrachtet, dann sieht es nicht danach aus. Weniger wohl­wol­lende Zeitgenossen könnten die Seligpreisungen deshalb auch als üblen Zynismus auffassen – etwa so:

– Schön für euch Arme, ob geistlich oder nicht, dass euch das Himmel­reich gehört! Denn hier auf Erden gehört euch zusammen nur ein kleines Stück vom Kuchen, und das schrumpft immer mehr.

– Schön für euch Trauernde, dass euch Trost verheißen wird! Denn hier und jetzt bleibt die Lage trostlos, und das Sterben und Töten geht immer weiter.

– Schön für euch Sanftmütige, dass ihr das Erdreich besitzen werdet! Denn weil ihr keinen Biss und keine Ellbogen habt, bleibt ihr sonst immer die Loser.

– Schön für euch Hungernde, dass euch eine höhere Gerechtigkeit winkt! Denn auf Erden sind die Güter nun mal ungerecht verteilt, und die Besitzenden tun alles, damit es so bleibt.

– Schön für euch Barmherzige, dass Gott euch zu schätzen weiß! Denn unter Menschen bleibt für immer der Undank euer Lohn.

– Schön für euch mit dem reinen Herzen, dass ihr Gott schauen dürft! Denn hier und jetzt werdet ihr immer das Nachsehen haben, weil ihr einfach zu gut seid für diese Welt.

– Schön für euch Friedensstifter, dass ihr Gottes Kinder seid! Nur könnt ihr leider trotzdem nichts ausrichten gegen Krieg und Gewalt.

– Schön für euch Verfolgte, dass im Himmel alles anders wird! Denn auf Erden wird es immer Unterdrückte geben, solange Macht und Geld regieren – sogar, wenn die heutigen Machthaber die Unter­drück­ten von gestern sind.

Ja, so kann man sie auch hören, die Seligpreisungen, und leider sind sie oft auch so gepredigt worden: als billige Vertröstung auf ein besse­res Jenseits, die den wirklich Leidenden wie blanker Hohn vor­kommen muss.

Aber so sind sie natürlich nicht gemeint. Für Jesus ist das Himmel­reich eben nicht ein fernes Jenseits, nicht etwas, das uns erwartet, wenn unser trostloses Dasein im irdischen Jammertal vorbei ist. Nein, „Himmelreich“ heißt Königsherrschaft Gottes, und die beginnt für Jesus hier und jetzt, mit ihm selber, mit der Sendung des Sohnes Gottes in die Welt. „Das Reich Gottes ist mitten unter euch“, hat er gesagt (Lk 17,21). Und: „Wenn ich durch den Finger Gottes die Dämo­nen austreibe, so ist ja das Reich Gottes zu euch gekommen.“ (Lk 11,20)

Also: das Himmelreich ist da, und daran, wie Jesus redet und han­delt, kann man es sehen. Da werden Dämonen ausgetrieben: Men­schen werden frei von der Macht des Bösen, die sie beherrscht. Da werden Kranke an Leib und Seele gesund. Da werden Trauernde getröstet. Und da wird den Armen das Evangelium verkündigt. Da erfahren die, die immer auf der Schattenseite des Lebens landen, dass Gott sie liebt und dass sie zu ihm gehören. Da geschieht also genau das, was die Seligpreisungen verheißen – zeichenhaft und ansatzweise, aber doch mit Wirkung.

Denn was Jesus begonnen hat, das war ja mit seiner Zeit auf Erden nicht zu Ende. Menschen haben sich durch seine Worte und Taten anspornen lassen. Sie sind seine Nachfolger geworden. Und sie ha­ben weiter Zeichen gesetzt für den Anbruch des Reiches Gottes:

– Menschen sind aus freien Stücken „geistlich arm“ geworden. Sie haben auf eigenen Besitz verzichtet, um ganz für Gott und für an­dere da zu sein.

– Menschen haben sich den Trost für die Leidtragenden zur Aufgabe gemacht. Sie haben Trauernden beigestanden, sind Menschen in seelischen Nöten zum Halt geworden.

– Menschen haben die Sanftmut schätzen gelernt. Sie haben be­wusst darauf verzichtet, rücksichtslos den eigenen Willen durch­zuset­zen. Sie haben verstanden, dass die Seele Schaden nimmt, wo jemand auf Teufel komm raus nach oben will.

– Menschen haben sich eingesetzt, um den Hunger und Durst nach Gerechtigkeit zu stillen. Sie haben ihr Bestes getan, um die Güter der Welt gerechter zu verteilen.

– Menschen haben sich der Barmherzigkeit verschrieben. Sie haben die vielfältigen Nöte ihrer Mitmenschen gesehen und geholfen, wo sie konnten.

– Menschen haben sich nach Kräften bemüht, ein Leben nach Gottes Geboten zu führen, Gott zu lieben und ihren Nächsten wie sich selbst, sich ein reines Herz zu bewahren, das ungeteilt auf Gottes Sei­te steht.

– Und Menschen haben Frieden gestiftet: Frieden geschlossen mit Gott, mit sich selbst, mit ihren Mitmenschen. Und sie haben für den Frieden gekämpft zwischen Völkern, Kulturen und Religionen – oft unter Einsatz ihres Lebens.

Man hat sie dafür belächelt: „Ihr Gutmenschen seid doch naiv und wollt nicht wahrhaben, wie es wirklich in der Welt zugeht.“ Man hat sie sogar beschimpft: „Mit euren paar guten Taten ändert ihr nichts an den schlimmen Verhältnissen, sondern ihr zementiert sie sogar!“ Und immer wieder hat man sie verfolgt: „Ihr mit eurem Einsatz für die Herrschaft Gottes, ihr stellt unsere Herrschaft in Frage – also ab ins Gefängnis mit euch oder gleich ans Kreuz, aufs Schafott, vor die Gewehrläufe!“ Aber sie haben sich nicht beirren lassen. Sie haben weitergemacht und auf die Seligpreisungen Jesu vertraut: „Das Reich muss uns doch bleiben“, wie wir’s mit Luthers Worten gesun­gen haben. Das Himmelreich ist unser – nicht weil wir es uns ver­dient und für uns gepachtet haben, sondern weil Gott es uns verspro­chen hat. Und mit allem, was wir in seinem Namen tun, kommt es ein Stück näher.“

So haben Jesu Nachfolgerinnen und Nachfolger Zeichen gesetzt für das Himmelreich – nicht nur die großen Gestalten der Kirchen­geschichte, deren Namen wir heute noch kennen und in Ehren hal­ten, sondern auch all die vielen namenslosen Christinnen und Chris­ten zu allen Zeiten und an allen Orten. Und es sage niemand, dass das alles nichts bewirkt hat! Überall haben sie Spuren hinterlassen und tun es immer noch – wir müssen nur mal richtig hinschauen.

Denn man hält uns Christen ja gern die Schattenseiten unserer Ge­schichte vor: Kreuzzüge, Inquisition, Obrigkeits­hörig­keit, Imperialis­mus, Missbrauchsskandale. Und weil das ja wirklich alles eine Schande für die Christenheit ist, laufen wir Gefahr, dass wir auch selber nichts anderes mehr sehen.

Aber es gab und gibt eben auch die andere Seite, und auch die be­ruht auf Tatsachen: Durch Menschen, die an Jesus Christus glauben, ist in dieser Welt unendlich viel Gutes gesche­hen – im Kleinen, manch­mal auch im Großen. Und so ist es immer noch. Wir brauchen ja nur einen Blick in unsere Gemeinde zu werfen: wie viele Men­schen sich da einsetzen, um anderen Gutes zu tun an Leib und Seele: in der Jugendarbeit, im Besuchsdienst, beim Mittagstisch, beim Reparaturtreff, beim Weihnachtsmarkt und so weiter. Das mögen zwar in unseren Augen nur Kleinigkeiten sein, aber auch die zählen. Und so ist es nicht nur bei uns. Überall auf Erden hat Gott seine Leute, überall sind Menschen in seinem Auf­trag unterwegs, und überall wächst das Himmelreich – allen Kriegen und Katastro­phen, aller Armut und allem Elend zum Trotz. Nur sel­ten füllt das Gute, was da geschieht, die Nachrichten, und doch ist es die beste Nachricht die es für diese Welt geben kann. Denn bei alledem wer­den Jesu Seligpreisungen wahr – für die, die das Gute tun, und für die, denen es zugutekommt. Sie mögen zwar noch nicht das Erd­reich besitzen, aber das Himmelreich gehört ihnen schon. Sie mögen noch nicht so weit sein, Gott zu schauen von Angesicht zu Angesicht, aber sie dürfen jetzt schon Gottes Kinder heißen. Barmher­zigkeit und Gerechtigkeit mögen noch nicht die Welt regie­ren, aber schon jetzt bestimmen sie das Handeln all derer, die Jesus selig preist – und wir alle dürfen dazu gehören. Amen.

Ihr Pastor Martin Klein