GOTTESDIENST ZUR EINWEIHUNG DES EV. GEMEINDEZENTRUMS KLAFELD
Text: Eph 2,19-22
Jetzt ist es endlich soweit: Mehr als neun Jahre nach den wegweisenden Beschlüssen, fast genau acht Jahre nach der Schließung von vier Kirchen und Gemeindehäusern und gut drei Jahre nach Baubeginn feiern wir die Einweihung von „mittendrin“, dem Evangelischen Gemeindezentrum Klafeld. Noch sind ein paar Restarbeiten zu erledigen und einiges für die Einrichtung anzuschaffen, noch fehlt auch die eine oder andere Spende. Aber trotzdem: Nicht nur ich habe den Eindruck, dass hier tatsächlich mal, was lange währt, nun endlich gut wird. Darüber können wir uns von Herzen freuen, und darauf dürfen wir vielleicht sogar ein bisschen stolz sein.
Bevor wir das neue Gebäude in Betrieb nehmen, es mit Seniorenfeiern und Kunstausstellungen, Mittagstisch und Frühstückstreff, Chorproben und Gruppenstunden füllen, möchte ich aber noch einen Moment innehalten und eine wichtige Zwischenfrage stellen: Wir haben jetzt ein neues Haus – das ist schön! Und dass wir überhaupt Häuser haben für unsere Gottesdienste und unsere Gemeindearbeit, das ist praktisch und zweckmäßig. Aber haben unsere Kirchen und Gemeindezentren auch eine grundsätzliche Bedeutung für unser Christsein? Braucht der Glaube ein Haus?
Diese Frage habe ich letzten Mittwoch auch bei „Bibel im Gespräch“ gestellt. Und die durchgehende Antwort der Teilnehmer war zunächst: „Nein, ein Haus brauche ich für meinen Glauben nicht unbedingt. Aber ich brauche die Gemeinschaft. Und diese Gemeinschaft muss sich dann auch irgendwo treffen, am besten mit einem Dach über dem Kopf. Schließlich regnet es oft im Siegerland.“
Demnach denken hiesige Christen in der Häuserfrage eher nüchtern und praktisch. Das ist ja auch gut reformiert, und gut neutestamentlich ist es ebenfalls. Denn die ersten Christengemeinden hatten auch noch keine eigenen Gebäude, sondern gingen einfach zu dem, der den meisten Platz hatte, und feierten da ihre Gottesdienste. Trotzdem wuchsen diese Gemeinden schnell und wirkten anziehend und anregend auf ihre Umgebung. Die Väter der Siegerländer Erweckungsbewegung machten diese Erfahrung von Neuem, als sie sich zum Beispiel im Wohnzimmer meines Urgroßvaters zu Bibel- und Gebetsstunden versammelten. Und ebenso erging es den Christen im kommunistischen China, deren Zahl im Privaten und Verborgenen gewaltig zunahm. Unsere großzügige Ausstattung mit Kirchen und Gemeindehäusern hat es dagegen nicht verhindert, dass wir immer weniger werden und dass sich auch der Glaube anscheinend immer mehr verflüchtigt.
Also: Der Glaube braucht kein Haus, und Häuser bringen auch keinen Glauben hervor. Und doch kamen die Teilnehmer bei „Bibel im Gespräch“ dann auch noch auf andere Gedanken. Zum Beispiel: „Irgendwie fällt es mir in einer Kirche leichter, mich zu sammeln als Zuhause.“ Oder: „Es gibt Kirchen oder Gemeindehäuser, an denen hängen für mich ganz viele Erinnerungen, und deshalb sind sie mir wichtig.“ Und wir stellten fest, dass auch Nicht-Kirchgänger und sogar Nichtchristen zu großem Einsatz bereit sind, damit die Kirche im Dorf bleibt und zur Beerdigung weiter die Glocken läuten. Oder sie sind nachhaltig enttäuscht und erzürnt, wenn man ihnen „ihre“ Kirche, „ihr“ Gemeindehaus zumacht, auch wenn sie da vielleicht gar nicht oft gewesen sind – das kennen die Birlenbacher, Setzer und Sohlbach-Buchener ja aus leidvoller Erfahrung. Sind die, die so denken und reagieren, alle nur Traditions-Christen und Kleingläubige, die an Äußerlichkeiten hängen und das Eigentliche nicht begriffen haben?
Das wäre etwas vorschnell geurteilt! Denn schließlich gibt es auch für diese Einstellung zu kirchlichen Gebäuden ein biblisches Vorbild: den Tempel von Jerusalem. Allen frommen Israeliten war klar, dass dieses Haus den Gott des Himmels und der Erde nicht fassen konnte. Und sie hatten aus ihrer Geschichte auch gelernt, dass man Gott und seinen Beistand nicht in der Tasche hat, nur weil man einen Tempel für ihn errichtet. Aber sie hielten daran fest, dass Gott sich dieses Gebäude erwählt hatte, um dort gegenwärtig zu sein. Sie waren überzeugt, dass man ihm im Tempel begegnen und mit ihm in Beziehung treten konnte – auf eine Weise, die so nicht überall möglich war. Auch Jesus und seine Nachfolger haben den Tempel so verstanden und ihn ernst und wichtig genommen. Ist es dann nicht richtig, wenn es auch für uns Christen Orte gibt, an denen wir in besonderer Weise Gott nahe sein können?
Eine gute Antwort darauf gibt uns ein kurzer Abschnitt aus dem Epheserbrief. Dort steht im zweiten Kapitel folgendes:
So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen, erbaut auf den Grund der Apostel und Propheten, da Jesus Christus der Eckstein ist, auf welchem der ganze Bau ineinandergefügt wächst zu einem heiligen Tempel in dem Herrn. Durch ihn werdet auch ihr miterbaut zu einer Wohnung Gottes im Geist.
Also doch, heißt das: Der Glaube braucht ein Haus. Aber dieses Haus ist nicht aus Holz und Stein, sondern es ist ein lebendiges Haus. Sein Grundstein ist Jesus Christus, der Gekreuzigte und Auferstandene, der Stein, den die Bauleute verworfen haben und der doch zum Eckstein geworden ist. An ihm richtet sich der ganze Bau aus. Man könnte auch sagen: Er ist die DNA, der biologische Bauplan dieses lebendigen Hauses. Alles, was sich da entfaltet hat und noch entfalten wird, ist im Plan schon angelegt. Und auf dem Eckstein ruht das Fundament der Apostel und Propheten, der ersten Verkündiger des Evangeliums. Nur in ihrem Zeugnis, wie es in der Bibel festgehalten ist, begegnet uns Jesus Christus. Alle spätere Verkündigung, auch alles Handeln im Namen Jesu baut darauf auf, leitet sich davon ab. Und so wächst der lebendige Bau immer weiter in die Höhe: nach einem festen Bauplan, auf einem soliden Fundament und doch nicht nach einem langweiligen Schema F, sondern voller Überraschungen. Ich stelle mir diesen Bau wie ein Märchenschloss vor: hier noch ein Türmchen, da noch ein Erkerchen und immer wieder unerwartete Details. Kein Stein ist genau wie der andere, und aus jeder Richtung sieht das Ganze völlig anders aus, aber alles und jedes hat seinen bestimmten Platz. Nichts ist fertig, und doch sieht man wie es werden soll. Und man muss auch nicht befürchten, dass die Arbeit eines Tages unvollendet liegen bleibt; denn Gott selber will ja dort wohnen, und wenn er das Haus baut, dann bauen nicht umsonst, die daran bauen (Ps 127).
Dieses lebendige Haus Gottes, dieser Tempel, sagt der Epheserbrief, das seid ihr: die christliche Gemeinde. Bei euch will Gott wohnen mit seiner ganzen Fülle, mit der reichhaltigen Vielfalt, die sein Heiliger Geist euch schenkt. Und ein kleines Erkerchen an diesem gewaltigen Bau ist auch die Evangelisch-Reformierte Kirchengemeinde Klafeld. Auch wir haben Anteil an dem Bauplan, den Jesus Christus vorgegeben hat, auch wir ruhen auf dem Fundament der Apostel und Propheten, auch wir werden „miterbaut zu einer Wohnung Gottes im Geist.“
Was heißt das konkret? Was heißt es für unser Gemeindezentrum, das wir heute einweihen?
Erstens heißt es, das „mittendrin“ für dieses Haus ein guter Name ist. Denn schon der Tempel in Jerusalem war „mittendrin“: Dort nahm Gott Wohnung inmitten seines Volkes. Und erst recht ist der lebendige Tempel der Gemeinde „mittendrin“: In Jesus Christus kam Gott als Mensch mitten hinein in unsere irdische Wirklichkeit mit all ihren Licht- und Schattenseiten. Also kann es auch mit dem Haus nicht anders sein, für das Jesus Christus der Bauplan ist. Seine Gemeinde gehört nicht hinter dicke Kirchenmauern, die die „böse Welt“ aussperren wollen (was auch vergeblich wäre). Nein, sie gehört mitten hinein in diese Welt. Allen, denen sie dort begegnet, hat sie ihre frohe Botschaft von der Liebe Gottes auszurichten – in Wort und Tat. Gut also, dass unser neues Haus mitten in Geisweid liegt – nicht weit vom Marktplatz, vom Busbahnhof, von den Geschäften, von den Fabriken und Werkstätten, von den Arztpraxen und Rechtsanwaltskanzleien – von all den Orten, die die Menschen täglich aufsuchen. Gut, dass unser Gemeindezentrum viele Fenster und nur wenig feste Wände hat, so dass man hineinsehen, aber auch hinausschauen kann. Und gut, dass man es ohne Schwellen und Hindernisse betreten kann – baulich auf jeden Fall, aber hoffentlich auch gedanklich und gefühlsmäßig.
Zweitens heißt es, dass es der Gemeinde Jesu Christi um die „Gäste und Fremdlinge“ gehen muss, um die Leute auf den Gassen und Straßen, an den Hecken und Zäunen, von denen das Gleichnis vom großen Gastmahl redet. Im Tempel von Jerusalem waren sie noch ausgeschlossen. Es war ihnen bei Todesstrafe verboten, dem Heiligtum näher zu kommen als bis in den „Vorhof der Heiden“. Aber im neuen lebendigen Haus Gottes sind alle Grenzzäune und Verbotsschilder gefallen. Nun gehören auch die Heiden zu Gottes Volk, und es sollen immer mehr werden. Auch hier und heute. Also lasst uns Ausschau halten durch die schönen großen Fenster von „mittendrin“: Nach den Bedürftigen, die sonst keine Chance auf eine warme Mahlzeit haben. Nach den Jugendlichen, die auf der Kirchentreppe rumhängen und dort ihren Müll hinterlassen. Nach den Kopftuchmüttern, die ihre Kinder von der Kita holen oder nachmittags den Spielplatz bevölkern. Nach den Flüchtlingen im Wiesental und anderswo. Aber auch nach den Satten und Wohlsituierten, die Gott vergessen haben und denen die Kirche egal ist. Nach denen, die äußerlich alles haben, aber von innerer Not und Armut verzehrt werden. Sie alle sollen keine Gäste und Fremdlinge bleiben. Sie alle können „Gottes Hausgenossen“ und eure Mitbewohner sein. Für sie alle hat Gott einen passenden Platz als lebendige Steine in seinem Tempel. Und es ist ihm ganz egal, dass ihr euch das bei dem einen oder anderen überhaupt nicht vorstellen könnt.
Und es heißt drittens und für heute letztens: In Gottes Haus seid ihr die Steine. Ihr seid vielleicht auch die Bewohner oder die Bauhandwerker. Aber ihr seid nicht die Baumeister und auch nicht die Bauherren. Ihr müsst das gar nicht als Kränkung oder Degradierung verstehen. Sondern ihr dürft es als große Entlastung genießen. Also: Es hat viel Arbeit und Mühe gekostet, das neue Gemeindezentrum zu errichten. Es wird auch noch viel Arbeit und Mühe machen, es mit Leben zu füllen. Aber weder müsst ihr mit eurer Arbeit die Gemeinde retten, noch könnt ihr sie durch euer Scheitern verderben. Gott ist es, der sich euch als Wohnung ausgesucht hat. Er ist es, der sein Haus baut. Deshalb wird es nicht als Bauruine enden wie so manches ehrgeizige Projekt auf Erden. Sondern irgendwann wird der Tempel fertig sein – so wie Gott ihn haben will, mit allen Teilen, die dazu gehören. Und wenn eure Kirchen und Gemeindehäuser dazu ihren Teil beigetragen haben, dann haben sie ihren Zweck erfüllt, egal ob sie Jahrhunderte oder nur Jahrzehnte überdauern. In diesem Sinne möge Gott „mittendrin“ segnen – mit allen, die sich dort begegnen. Amen.
Pfarrer Dr. Martin Klein