Predigt Tal- und Wenschtkirche, Sonntag, 30.10.2016

GOTTESDIENST FÜR DEN DREIUNDZWANZIGSTEN SONNTAG NACH TRINITATIS

Text: Phil 3,17-21

Folgt mir, liebe Geschwister, und seht auf die, die so leben, wie ihr uns zum Vorbild habt. Denn viele leben so, dass ich euch oft von ihnen gesagt habe, nun aber sage ich’s auch unter Tränen: Sie sind die Feinde des Kreuzes Christi. Ihr Ende ist die Verdammnis, ihr Gott ist der Bauch und ihre Ehre ist in ihrer Schande; sie sind irdisch ge­sinnt. Unser Bürgerrecht aber ist im Himmel; woher wir auch erwar­ten den Retter, den Herrn Jesus Christus, der unsern nichtigen Leib verwandeln wird, dass er gleich werde seinem verherrlichten Leibe nach der Kraft, mit der er sich alle Dinge untertan machen kann.

Wenn die Wutbürger von Pegida und Co. demonstrieren gehen, dann halten sie gern schwarz-rot-goldene Kreuze in die Höhe – oder skandinavisch anmutende Fahnen mit schwarzem, golden hinterleg­tem Kreuz auf rotem Grund. Damit wollen sie wohl ausdrücken: Wir wollen das Deutschland deutsch bleibt und verteidigen damit gleichzei­tig das christliche Abendland. Wenn sie mal aufmerksam gelesen hätten, was Paulus hier an die Philipper schreibt, dann hät­ten sie bemerkt, dass sie falscher gar nicht liegen könnten.

Schwarz-rot-gold steht für einen irdischen Staat namens Bundesrepub­lik Deutschland. Dessen Bürger sind alle, die einen deut­schen Pass haben, und das waren noch nie nur Menschen, de­ren sämtliche Vorfahren schon seit Generationen hier ansässig sind oder durch deren Adern gar „reines deutsches Blut“ fließt, was auch immer das sein soll.

Das Kreuz dagegen steht für Jesus Christus. Es steht für den, der an einem solchen Kreuz elend starb, ausgestoßen aus der menschli­chen Gemeinschaft, und der doch Gottes Sohn war, was Gott durch seine Auferweckung von den Toten bestätigt hat. Und wer an Jesus Christus glaubt, wer sich zu diesem gekreuzigten und auferstande­nen Herrn bekennt, der mag zwar immer noch Bürger irgendeines Staates auf Erden sein, aber sein eigentliches Bürgerrecht, sagt Pau­lus, hat er im Himmel, in der neuen Welt Gottes.

Wer nun beides vermischt, wer ein Land, eine Region, eine Kultur auf Erden für „christlich“ hält und sich damit abgrenzen will von Menschen aus anderen Ländern, Regionen und Kulturen, der verhält sich gerade nicht christlich – ja, man könnte mit Paulus sagen: der ist ein Feind des Kreuzes Christi.

Klingt Ihnen das jetzt zu heftig? Dann will ich mal noch ein bisschen erläutern, was das denn für ein Land ist, in dem wir als Christen Bürger­recht haben.

Es ist zunächst ein Land, in dem es ausschließlich Menschen mit Migrati­onshintergrund gibt. Niemand von uns ist dort geboren, auch wenn Eltern, Großeltern und so weiter auch schon das himmlische Bürgerrecht besaßen. Niemand hat von sich aus einen Anspruch auf dieses Bürgerrecht. Und niemand kann es sich verdienen – weder durch Geld, noch durch Wohlverhalten noch durch Anpassung an das, was man für christlich hält. Dieses Bürgerrecht ist immer ein Geschenk. Gott verleiht es allen, die an ihn glauben, und er spricht es uns zu durch sein Wort, durch Taufe und Abendmahl. Und wenn wir es einmal haben, nimmt es uns niemand mehr weg. Niemand wird aus dem Himmelreich ausgebürgert oder abgeschoben – es sei denn er geht aus freien Stücken.

Zweitens ist der Himmel ein Land, das an keine irdischen Gegebenhei­ten gebunden ist. Man muss weder einem bestimmten Volk, noch einem bestimmten Kulturkreis, noch einer bestimmten Kirche angehören, um dort Bürger sein zu können. Auch die ersten Christen mussten das zunächst lernen. Sie dachten noch, nur Juden könnten auch Christen sein. Aber als Petrus dem heidnischen Haupt­mann Cornelius begegnet war, musste er bekennen: „Nun erfahre ich in Wahrheit, dass Gott die Person nicht ansieht; sondern in je­dem Volk, wer ihn fürchtet und recht tut, der ist ihm angenehm.“ (Apg 10,35) Und Paulus schreibt: „Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus.“ (Gal 3,28) Was das heißt, das durfte ich gerade wieder erleben, als ich mit dem Bachchor in Japan war. Ob die Christen, denen wir dort begegnet sind, nun evange­lisch, katholisch oder sonst was waren: trotz aller Unter­schiede der Sprache und der Sitten und Gebräuche war deutlich zu spüren, dass der Glaube uns verbindet, dass wir alle gleichermaßen Bürger des Reiches Gottes sind.

Dann ist aber auch noch ein Drittes zu sagen: Der Himmel ist ein Land der Zukunft. Wir sind jetzt schon seine Bürger, aber die volle Verwirklichung dieses Bürgerrechts steht noch aus. Wir erwarten noch etwas, sagt Paulus: dass Jesus Christus sichtbar als Retter der Welt erscheint, dass er uns herausführt aus der Vergänglichkeit zur unvergänglichen Freiheit der Kinder Gottes, dass er sich alle Dinge untertan macht und dadurch alle Not und alles Leid dieser Welt über­windet. Das alles liegt noch vor uns, aber wir gehen darauf zu. Wir sind noch gebunden an die Gegebenheiten dieser Welt, aber wir können trotzdem schon hier und jetzt Zeichen setzen für die neue Welt Gottes.

Was heißt das konkret für unseren Alltag? Es heißt, dass wir sozusa­gen mit einer „doppelten Staatsbürgerschaft“ leben. Ein Christ aus dem 3. Jahrhundert hat sie folgendermaßen beschrieben: „Die Chris­ten unterscheiden sich nicht durch Land, Sprache oder Sitten von den übrigen Men­schen. Denn nirgendwo bewohnen sie ei­gene Städte, noch bedienen sie sich irgendeiner abweichen­den Spra­che, noch führen sie ein auffallendes Leben. Obwohl sie griechische und barbarische Städte bewohnen, wie es einen jeden traf, und die landes­üblichen Sitten befolgen in Kleidung und Kost sowie im übri­gen Lebensvollzug, legen sie doch eine erstaunliche und anerkannter­maßen ei­genartige Beschaffenheit ihrer Lebensfüh­rung an den Tag. Sie bewohnen das eigene Vaterland, aber wie Bei­sassen. Sie nehmen an allem Teil wie Bürger, und alles ertragen sie wie Fremde. Jede Fremde ist ihr Vater­land und jedes Vaterland eine Fremde. Sie heiraten wie alle, zeu­gen und gebären Kinder; aber sie setzen die Neugeborenen nicht aus. Ihren Tisch bie­ten sie als gemein­sam an, aber nicht ihr Bett. Im Fleisch befinden sie sich, aber sie leben nicht nach dem Fleisch. Auf Erden weilen sie, aber im Him­mel sind sie Bürger. Sie gehorchen den erlassenen Gesetzen, und mit ihrer eigenen Lebens­weise überbieten sie die Gesetze.“ (Schrift an Diognet 5,1-9)

Wenn ich das auf uns übertrage, bedeutet das: Christen hier und heute sind durchaus gute und gewissenhafte deutsche Staatsbürger. Sie bejahen und unterstützen unsere demokratische Ordnung. Sie halten sich an die Gesetze (einschließlich Steuer- und Verkehrsre­geln). Sie gliedern sich mit ihrer Familie ein in die Gesellschaft und übernehmen Verantwortung. Sie lassen sich ein auf das, was hierzu­lande üblich ist. Sie sondern sich nicht ab und bilden keine Parallelgesell­schaft. Ja, in aller Regel, werden sie ihr Land auch lie­ben, seine Landschaften, seine Sprache, seine Kultur schätzen und zu seiner Geschichte stehen – im Guten wie im Bösen. Aber Dinge wie Heimat, Volk, Nation, Vaterland, Abendland haben für sie kei­nen letztgültigen Wert. Vieles daran mag zwar christlich geprägt sein, auch wenn das Bewusstsein dafür schwindet. Aber es ist kein Gegenstand des christlichen Glaubens. Bei aller Liebe und Wertschät­zung bewahren Christen eine gesunde Distanz zu allem, was in dieser Welt als liebens- und schätzenswert gilt. Sie wissen darum, dass all das vergänglich ist, dass sie hier keine bleibende Stadt haben, dass sie in der Fremde leben, dass ihre eigentliche Hei­mat in Gottes neuer, zukünftiger Welt liegt.

Und weil das so ist, weil wir selber letztlich Fremde in dieser Welt sind, müssen wir uns auch nicht mit Zähnen und Klauen gegen alles Fremde verteidigen. Stattdessen können wir angstfrei, offen und gastfreundlich auf Menschen zugehen, die uns fremd sind, aber bei uns Zuflucht und ein Zuhause suchen. Natürlich gibt es unter ihnen auch solche, die Böses im Schilde führen, aber die gibt es unter den Einheimischen auch, und beiden gegenüber ist Vorsicht und Wachsam­keit geboten. Das muss uns aber nicht hindern, auch Men­schen aus anderen Kulturen und Religionen freundlich und hilfsbe­reit zu begegnen, denn Gott liebt sie genauso wie uns, und auch sie können und dürfen jederzeit Bürger seiner neuen Welt werden.

Wenn Sie das mal konkret erleben und einüben wollen, lade ich Sie herzlich zum Geisweider „Café International“ ein. Es hat sich bisher einmal monatlich in der ehemaligen Albert-Schweitzer-Schule getrof­fen, die als Flüchtlingsunterkunft vorgesehen war. Weil daraus nichts geworden ist und uns dort für den Winter eine Heizung fehlt, wird es nun ab dem kommenden Freitag (15.00 bis 18.00 Uhr) fürs Erste in unserem Gemeindezentrum „mittendrin“ stattfinden. Men­schen von hier backen Kuchen und stehen für Begegnung und Bera­tung zur Verfügung, und Menschen von anderswoher können Kon­takte knüpfen und so hier allmählich besser heimisch werden. Syrer und Afghanen sind darunter, Kosovaren und Eritreer, Christen und Muslime. Die Verständigung ist zum Teil noch schwierig, aber wir kommen uns menschlich näher, bleiben uns nicht mehr so fremd, wie wir waren. Das ist natürlich bei weitem noch nicht der Himmel auf Erden – aber ein kleiner Vorgeschmack ist es vielleicht doch. Und den sollte man doch nicht versäumen, oder? Amen.

Ihr Pastor Dr. Martin Klein