Predigt Tal- und Wenschtkirche, Sonntag, 16.12.2018

GOTTESDIENST FÜR DEN DRITTEN ADVENT

Text: Röm 15,7-13

Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat, zu Gottes Ehre. Denn ich sage: Christus ist ein Diener der Juden geworden um der Wahrhaftigkeit Gottes willen, um die Verheißungen zu bestätigen, die den Vätern gegeben sind; die Heiden aber sollen Gott die Ehre geben um der Barmherzigkeit willen, wie geschrieben steht: »Darum will ich dich loben unter

den Heiden und deinem Namen singen.« Und wiederum heißt es: »Freut euch, ihr Heiden, mit seinem Volk!« Und wiederum: »Lobet den Herrn, alle Heiden, und preisen sollen ihn alle Völker!« Und wiederum spricht Jesaja: »Es wird kommen der Spross aus der Wurzel Isais, und der wird aufstehen, zu herrschen über die Heiden; auf den werden die Heiden hoffen.« Der Gott der Hoffnung aber erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben, dass ihr immer reicher werdet an Hoffnung durch die Kraft des heiligen Geistes.

Ich gebe zu, das ist kein besonders eingängiger Text, den die Ordnung der Predigttexte da für diesen Sonntag vorsieht. Und mit dem dritten Advent hat er auf den ersten Blick wenig zu tun. Ich habe lange überlegt, was ich denn darüber predigen soll. Aber dann ist mir eine bestimmte Liedzeile in den Sinn gekommen. Ich finde, sie bringt den Predigttext gut auf den Punkt. Und sie erklärt auch, was er dann doch mit Advent zu tun hat.
„Nun komm, der Heiden Heiland“, so lautet die Liedzeile. Sie gehört zu einem bekannten Adventslied, das wir gleich noch singen werden. Bischof Ambrosius von Mailand hat es Ende des vierten Jahrhunderts gedichtet, Martin Luther hat es 1524 ins Deutsche übersetzt. Seit mehr als anderthalb Jahrtausenden also hat dieses Lied die Christenheit durch die Adventszeit begleitet. Und ich denke, diese eine Liedzeile fasst in der Tat bestens zusammen, worum es geht im Advent. Allerdings müssen wir sie wohl für uns neu übersetzen, damit wir verstehen, was damit gemeint ist.
Das fängt schon mit dem Wort „Heiland“ an. Längst nicht jeder weiß heute noch, wer oder was damit gemeint ist. Aber immerhin, man kann es erklären: Der „Heiland“, das ist der Retter: der, der den Menschen das Heil bringt, der sie rettet aus ihrer Schuld, ihrer Angst, ihrer Verlorenheit. Für die alten Israeliten gab es nur einen, der das sein konnte: „Ich, ich bin der Herr, und außer mir ist kein Heiland“, so spricht der Gott Israels in Jesaja 43. Und deshalb nannten viele fromme Israeliten ihre Söhne Jeschua‘ oder Jesus – auf Deutsch: „er rettet, unser Gott rettet, er ist der Heiland“. Auch Jesus aus Nazaret bekam von seinen Eltern diesen Namen. Als dann später Menschen zu der Überzeugung kamen, dass dieser Jesus der Messias, der Christus ist, da gewann sein Name für sie eine neue Bedeutung: „Gott rettet“, das ist gerade mit diesem Jesus Wirklichkeit geworden. Er ist der Heiland, durch den Gott den Menschen das Heil gebracht hat. Für Matthäus zum Beispiel ist deshalb klar: Das Kind der Maria musste Jesus heißen. Denn damit erfüllt sich eine Verheißung aus Psalm 130: „Er wird sein Volk retten von ihren Sünden“ (Mt 1,21).
Aber zurück zum Lied: An den Heiland Jesus Christus ergeht eine Aufforderung: „Nun komm!“ Das muss man nicht erklären. Aber man könnte sich fragen, wozu diese Aufforderung noch sein muss. Ist der Heiland denn nicht längst gekommen? Ist Gott nicht längst Mensch geworden? Hat er nicht längst alles getan, was zu unserem Heil nötig ist? Doch, hat er. Krippe, Kreuz und leeres Grab sind die Zeichen dafür. Aber es geht darum, dass die Rettung, die schon geschehen ist, uns erreicht. Das Heil, das schon da ist, soll bei uns ankommen. Es soll in unsere Herzen dringen und unser Denken, Reden und Tun verwandeln. Damit sind wir nie fertig. Und deshalb hat es einen Sinn, dass wir alle Jahre wieder Advent und Weihnachten feiern.
Aber dann enthält die Liedzeile noch ein rätselhaftes Stichwort: „Nun komm, der Heiden Heiland“. Auch im Predigttext begegnet uns dieses Wort auf Schritt und Tritt: „Die Heiden sollen Gott die Ehre geben um der Barmherzigkeit willen“, heißt es da. Und: „Ich will dich loben unter den Heiden“, „freut euch, ihr Heiden, mit seinem Volk“, „er wird herrschen über die Heiden, auf ihn werden die Heiden hoffen“. Ich entnehme daraus: Die Heiden sind offenbar die, denen das Heil Gottes gilt. Die Heiden sind die, zu denen der Heiland kommt. Aber wer ist gemeint?
Für einen frommen Israeliten war und ist die Sache klar: „Es gibt ein Volk, das Gott sich erwählt hat, das zu ihm gehört und ihm gegenüber verantwortlich ist. Das sind wir, das Volk Israel. Und dann gibt es da noch die anderen Völker. Das sind die Heiden. Sie wissen nichts von unserem Gott, sie kennen seine Gebote nicht und handeln auch nicht danach. Stattdessen verehren sie Götter, die gar keine sind. Heil und Rettung gäbe es für sie nur, wenn sie sich zum Gott Israels bekennen würden. Sie müssten selber Israeliten werden und die Gebote der Tora auf sich nehmen. Aber dazu sind nur ganz wenige bereit.“
Als das Christentum später ganze Länder und Völker für sich gewann – zumindest äußerlich –, hat man dort ähnlich gedacht. Zum Beispiel so: „Wir sind das christliche Abendland. Wir haben den wahren christlichen Glauben und die wahre christliche Kultur. Die Heiden, das sind die primitiven Völker in Afrika oder Asien. Sie wissen nichts vom Heiland und auch nichts von den Segnungen der europäischen Zivilisation.“ Und so fühlte man sich verpflichtet, beides hinaus in alle Welt zu tragen, bis hin zum entlegensten Volksstamm des tropischen Urwalds – teils friedlich und mit großer Menschenliebe, teils aber auch mit Zwang und Gewalt.
Heute leben wir wieder in einer anderen Situation. Viele von denen, die für frühere Zeiten die Heiden waren, sind inzwischen Christen geworden. Und oft ist ihr Christsein fröhlicher und lebendiger als unseres. Davon konnte ich mich letzten Sommer in Tansania über-zeugen. Uns dagegen gehen mehr und mehr die Augen auf über das Heidentum mitten im christlichen Abendland. Etwas spitz, aber nicht ohne Grund hat mal jemand gesagt, dass die Kirche hierzulande zu achtzig Prozent aus „getauften Heiden“ besteht. Auch in Geisweid und Umgebung dürfte es viele von ihnen geben.
Doch was macht nun einen echten Heiden aus? Kann man ihn irgendworan erkennen? Jedenfalls nicht daran, dass er ein „Heidengeld“ besitzt. Geld zu haben, ist nicht unchristlich – es kommt nur darauf an, was man damit macht. Man erkennt ihn auch nicht daran, dass er einen „Heidenspaß“ hat. Denn Spaß zu haben, ist ebenfalls nicht unchristlich – es fragt sich höchstens, woran. Auch der ist nicht automatisch ein Heide, der nicht regelmäßig zum Gottesdienst geht und sich nicht am Gemeindeleben beteiligt. Nein, äußerlich sind Hei-den und Christen oft kaum zu unterscheiden.
Der wahre Grund dafür, dass jemand ein Heide ist, liegt tiefer. Heide sein heißt: fern von Gott leben, so leben, als ob es Gott nicht gibt. Und nach diesem Heidentum muss ich nicht lange suchen. Denn das finde ich oft genug in mir selber: Ich gaube, dass Gott die Welt geschaffen hat und dass er sie liebt. Trotzdem gehe ich mit seiner Schöpfung um, wie mit einem Wegwerfartikel. Ich glaube, dass Gott in Jesus Christus Mensch geworden ist. Trotzdem vergesse ich bei Menschen, die ich nicht mag, allzu gern, dass Christus auch für sie gestorben ist. Ich glaube, dass nicht ich, sondern Gott meine Zukunft in der Hand hat. Trotzdem plane ich mein Leben ohne einen Gedanken daran, dass es jederzeit zu Ende sein könnte. Muss ich mich da wundern, dass die Menschen, die das alles nicht glauben, erst recht so gott-los leben wie ich?
Aber wenn Paulus recht hat, dann soll es dabei ja nicht bleiben: Die Heiden sollen Gott die Ehre geben, sagt er, zusammen mit Gottes Volk. Damals waren mit „Gottes Volk“ die Juden gemeint. Das gilt auch noch. Aber, ich denke, man darf es auch auf uns Christen übertragen: Die, die noch nicht an Jesus Christus glauben, sollen Gott loben zusammen mit denen, die es schon tun. Und die, die Gott loben, sollen darauf aus sein, dass ihr Handeln immer mehr mit diesem Lob Gottes übereinstimmt.
Ich finde, damit ist gut umschrieben, was die Aufgabe einer Kirchengemeinde ist – auch unserer Kirchengemeinde Klafeld. Und zwar nicht nur die Aufgabe der Pfarrer oder der Presbyter, sondern aller, die sich dort engagieren. Ich freue mich immer wieder darüber, dass es hier in unserer Gemeinde viele Menschen gibt, die bereit sind, ihren Gott zu loben: im Gottesdienst und im alltäglichen Leben. Es ist schön, dass wir hier auf so vielfältige Weise Gottesdienst feiern. Es macht Freude, dass wir mit vereinten Kräften so etwas wie unseren Weihnachtsmarkt auf die Beine stellen können. Und es ist auch gut, dass es hier viele gibt, denen die Nöte ihrer Mitmenschen nicht egal sind, so dass sie sich zum Beispiel beim Mittagstisch engagieren oder neuerdings unseren Besuchsdienst verstärken. Nur sollte das al-les nie zum Selbstzweck werden. Sicher, es schadet nicht, wenn wir ein bisschen stolz sind auf das, was wir alles schaffen. Aber wir sollten nicht vergessen, dass es bei alledem nicht darum geht, uns selber zu loben. Es geht um Gottes Ehre. Es geht darum, ihn zu loben und zu preisen mit Herzen, Mund und Händen. Und es geht darum, dass immer mehr Heiden – getaufte und ungetaufte – in Gottes Lob mit-einstimmen.
Damit will ich nicht sagen, dass wir immer noch mehr machen müssen, um unserer Aufgabe gerecht zu werden. Und ich will auch nicht sagen, dass wir uns selber unter Druck setzen müssen, um möglichst viele Heiden zu bekehren. Denn eins wird in unserem Predigttext ganz deutlich: Dass die Heiden Gott die Ehre geben sollen zusammen mit seinem Volk, das ist kein Befehl an uns, sondern eine Verheißung Gottes. An der Ausführung von Befehlen können wir scheitern. Aber für Gottes Verheißungen ist ein Scheitern nicht vor-gesehen. Dass Gott zu diesen Verheißungen steht, das ist uns durch Jesus Christus verbürgt. Und deshalb bin ich überzeugt: Eines Tages wird es so sein. Eines Tages werden wirklich alle Völker in den Lob-preis Gottes einstimmen. Dann nämlich, wenn der Heiland Jesus Christus wirklich bei allen Menschen angekommen ist, wenn er sichtbar vor aller Welt erscheint. Wir brauchen nicht mehr und nicht weniger zu tun, als für diesen großen Lobgesang schon mal zu üben. Und dazu wünsche ich uns weiterhin viel Freude und gutes Gelingen. Amen.

Ihr Pastor Martin Klein