Predigt Tal- und Wenschtkirche, Sonntag, 07.06.2020

GOTTESDIENST FÜR DEN SONNTAG TRINITATIS

Text: Num 6,22-27

„An Gottes Segen ist alles gelegen“ – so lautet ein alter Spruch. Und man könnte sagen: Nie war er so treffend wie heute. Denn der Segen hat bei Kirchens Hochkonjunktur, und die hält jetzt schon längere Zeit an. Zumindest wir Evangelischen haben wahrscheinlich noch nie so viel gesegnet – nicht nur bei Taufe, Konfirmation und Trauung wie früher schon üblich. sondern auch bei der Einschulung oder Schulentlassung, bei Krankheit, am Geburtstag, bei der Amtseinfüh­rung, vor der Reise. Die alten irischen Wandermönche hätten sich wohl nicht träumen lassen, dass ihre Reisesegenssprüche nach Jahr­hunderten noch mal so populär werden würden. Auch Häuser, Tiere oder Erntegaben werden wieder gesegnet – Fahnen oder Waffen gottlob nicht mehr. Der Segen verbindet Konfessionen und Religio­nen. Es gibt ihn auch bei Juden und Muslimen, und wahrscheinlich wird bei ökumenischen Gottesdiensten deshalb so gern und viel ge­segnet, weil man ja sonst nicht alles gemeinsam tun darf. Manchmal scheiden sich am Segen aber auch die Geister. Zum Beispiel daran, ob man homosexuellen Paaren einen Trausegen zusprechen darf. Oder daran, ob man kleine Kinder besser segnet statt tauft, weil sie sich noch nicht bewusst ent­scheiden können.

Grund genug also, dass wir uns mal fragen, was das denn eigentlich ist, Segen. Was ist es denn, das mir da durch Worte und Gesten zu­gesprochen wird? Woher kommt der Segen, wie kommt er bei mir an und was macht er mit mir? Unser heutiger Predigttext ist die richtige Adresse für diese Fragen. Denn er enthält den so ge­nannten aaroniti­schen Segen, den altehrwürdigsten aller Segens­sprü­che. Einst war er den Priestern Israels vorbehalten. Sie beschlos­sen damit die Op­fer­feiern und Gottesdienste im Tempel von Jerusa­lem. Wir Christen glauben, dass er nicht an ein spezielles Priesteramt ge­bunden ist, weder an ein jüdisches noch ein christliches, wohl aber an das Pries­tertum aller Glaubenden. Und deshalb beschließe auch ich fast jeden Gottesdienst mit diesen Segensworten. Wo also, wenn nicht hier, sollen wir erfahren, was es mit dem Segen auf sich hat? Ich lese aus dem vierten Buch Mose, Kapitel 6:

Und der Herr redete mit Mose und sprach:
Sage Aaron und seinen Söhnen und sprich:
So sollt ihr sagen zu den Israeliten, wenn ihr sie segnet:
Der Herr segne dich und behüte dich;
der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig; der Herr hebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden.
So sollen sie meinen Namen auf die Israeliten legen, dass ich sie segne.

„Sie sollen meinen Namen auf die Israeliten legen, dass ich sie segne.“ Dieser letzte Satz macht uns erst einmal deutlich, wer es ist, der da segnet. Denn es sind zwar Menschen, die die Segensworte sprechen.  Menschen sind es, die ihre Hände zum Segen heben oder sie jeman­dem auflegen (wenn sie nicht gerade 1,5 m Abstand halten müssen). Aber eigentlich kommt der Segen von Gott und gehört nur ihm. Doch damit das auch ankommt bei uns, beauftragt er Men­schen, uns den Segen zuzusprechen. Und diese Menschen müssen keine Priester sein. Schon im Alten Testament segnen Väter ihre Söhne oder Könige ihr Volk. Und vom Neuen Testament her gilt das erst recht. Immer wieder werden dort alle Gläubigen zum Segnen aufge­fordert. Meine Aufgabe als Pfarrer ist es, öffentliche Segens­handlun­gen vorzunehmen, im Gottesdienst und bei anderen Anläs­sen. Aber im persönlichen Bereich dürfen wir alle jederzeit segnen – wenn wir glauben, dass Gott uns Menschen segnen will. Und so wünsche ich mir viel mehr Eltern und Großeltern, die ihre Kinder und Enkel seg­nen. Angehörige und Pflegepersonal, die Kranke und Sterbende seg­nen. Menschen, die andere mit Gottes Segen auf die Reise schi­cken – durch die Welt und durchs Leben.

Denn, und das ist schon der nächste Punkt, es gibt niemanden, den Gott nicht segnen will. Der Segen der Priester gilt allen Israeliten, egal, wie nah oder fern sie ihrem Gott gerade stehen. Und Jesus sagt seinen Jüngern nicht: „Segnet, die euch segnen“, sondern „Segnet, die euch verfluchen!“ Und Paulus fügt hinzu: „Segnet, und flucht nicht.“ Damit ist klar, dass Gottes Segen nichts mit dem zu tun hat, was wir landläufig „absegnen“ nennen. Wer in unserer Umgangs­sprache seinen Segen zu etwas gibt, der stimmt dem, was da ge­schieht, zu: „Ja, was ihr macht, ist gut, und ich bin damit einverstan­den.“ Aber wenn ich jemandem Gottes Segen zuspreche, dann heiße ich damit keineswegs alles gut, was der Betreffende tut. Gott lässt seine Sonne auch über die Ungerechten scheinen, sagt Jesus, aber dadurch wird aus Unrecht nicht Recht. Wenn es also ein Christen­mensch schafft, seine Verfolger zu segnen, sagt er damit nicht: „Ich find’s gut, dass ihr mich verfolgt“, sondern: „Obwohl ihr mich ver­folgt, meint Gott es gut mit euch!“ Halten wir also fest: Von Got­tes Segen ist niemand ausgeschlossen, und wer das glaubt, der darf es auch jedem Menschen zusprechen – ohne deshalb über Sünde und Unrecht schweigen zu müssen.

Dass es so ist, das hat nun ganz entschieden mit dem Inhalt von Gottes Segen zu tun: mit der Frage, was da beim Segen eigentlich geschieht und was ich da zugesprochen bekomme.

Was geschieht, ist erst einmal, dass Gott sich mir freundlich zuwen­det. „Er lasse sein Angesicht leuchten über dir“, heißt es im Text. Und ich stelle mir dabei eine Mutter vor, die ihr Baby auf dem Arm hält und ihm liebevoll und freundlich lächelnd in die Augen schaut. Ohne diese liebevollen Gesichter – natürlich auch die von Papa, Oma, Opa, Schwester, Bruder – kann sich kein Kind gut entwickeln. Denn lange bevor es sprechen und Gedanken kombinieren kann, er­fährt es so: Ich werde geliebt und ich bin gewollt; bei denen, die mich so anschauen, bin ich geborgen. „Urvertrauen“ nennen die Psy­chologen das. Und was hier zwischen Menschen entsteht, das ent­steht durch den Segen zwischen Mensch und Gott. „Ich achte auf dich“, sagt Gott uns damit. „Ich habe dich gewollt, genau so, wie du bist, und ich habe dich lieb. Bei mir bist du gut aufgehoben, was auch geschieht.“

Zusammenfassen lässt sich das alles mit dem einen Wort, mit dem der Priestersegen endet: Schalom. „Frieden“, so wird es meistens übersetzt. Aber es meint noch viel mehr als das: es meint einen Zu­stand, in dem wirklich alles heil und ganz ist: zwischen Gott und den Menschen, zwischen den Menschen untereinander und auch zwi­schen den Menschen und der übrigen Schöpfung. Es meint die Schöpfung so, wie Gott sie gemeint hat, so, wie sie am Anfang der Bibel beschrieben wird: „Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut.“

Ich weiß natürlich, dass es diese Welt nicht gibt. Dass da kein Friede ist, keine Gerechtigkeit, keine Harmonie zwischen Mensch und Na­tur. Ich sehe, wie sich viele dieser Probleme durch die Corona-Krise nochmal verschärfen. Und ob die Krise wirklich etwas ändert an un­serer Wirtschaftsweise und unseren Konsumgewohnheiten, so wie unser Planet und wir selber es dringend nötig haben, das darf man mit guten Gründen bezweifeln.

Aber, sagt das Neue Testament, an einer Stelle, in einer Person ist der Schalom doch da. Und von ihm aus soll und wird er die ganze Welt ergrei­fen: „In keinem anderen ist das Heil, der Schalom, als allein in Jesus Christus.“ Denn in ihm ist Gott Mensch geworden und hat damit be­gonnen, die Schöpfung neu und heil zu machen. In ihm ist wirklich geworden, was der alte Priestersegen den Menschen zu­spricht. Und deshalb ist ein Segenswort mehr als ein frommer Wunsch. Es ist auch mehr als eine Bitte. Es geschieht, es wird wirk­lich, indem ich es ausspreche. Statt „Der Herr segne dich und be­hüte dich“ könnte man auch übersetzen: „Der Herr wird dich segnen und wird dich behüten“ Es wird geschehen, weil Gott es will und wie wir es an Jesus sehen können.

Natürlich ist das keine Versicherung. Ein Kind, das gesegnet worden ist, sei’s mit, sei’s ohne Taufe, kann trotzdem vom Auto überfahren werden. Ein Ehepaar, das bei der Trauung Gottes Segen empfängt, kann trotzdem bald wieder geschieden sein. Aber auch wenn das ge­schieht, sind wir die „Gesegneten des Herrn“, sind wir in Gottes Hand. Und wenn wir das gehört und angenommen haben, dann kön­nen wir anders umgehen mit allem Unheil, mit allem, was kaputt ist in uns und um uns herum. Denn wir wissen dann: Gott wird uns Heil und Frieden schenken, und er fängt schon jetzt damit an, mitten im Unheil, mitten im Unfrieden. Und damit er das auch hier und jetzt tut, beende ich die Predigt mit einem Segenswort (EG 1002):

Der Herr,
voller Liebe wie eine Mutter und gut wie ein Vater,
er segne dich:
er lasse dein Leben gedeihen,
er lasse deine Hoffnung erblühen,
er lasse deine Früchte reifen.
Der Herr behüte dich:
er umarme dich in deiner Angst,
er stelle sich vor dich in deiner Not.
Der Herr lasse leuchten sein Angesicht über dir:
wie ein zärtlicher Blick erwärmt,
so überwinde er bei dir, was erstarrt ist.
Er sei dir gnädig:
wenn Schuld dich drückt,
dann lasse er dich aufatmen und mache dich frei.
Der Herr erhebe sein Angesicht über dich:
er sehe dein Leid,
er tröste und heile dich.
Er gebe dir Frieden:
das Wohl des Leibes,
das Heil deiner Seele,
die Zukunft deinen Kindern.

So segne dich der allmächtige und barmherzige Gott, der Vater, der Sohn und der heilige Geist. Amen.

Ihr Pastor Martin Klein