Predigt, Sonntag, 10. Mai 2015 Talkirche

GOTTESDIENST FÜR DEN SONNTAG ROGATE

Text: Joh 16,23b-33

 

„An dem Tag werdet ihr mich nichts fragen. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr den Vater um etwas bitten werdet in meinem Namen, wird er’s euch geben. Bisher habt ihr um nichts gebeten in meinem Namen. Bittet, so werdet ihr nehmen, dass eure Freude voll­kommen sei.

Das habe ich euch in Bildern gesagt. Es kommt die Zeit, dass ich nicht mehr in Bildern mit euch reden werde, sondern euch frei her­aus verkün­digen von meinem Vater. An jenem Tage werdet ihr bitten in meinem Namen. Und ich sage euch nicht, dass ich den Vater für euch bitten will; denn er selbst, der Vater, hat euch lieb, weil ihr mich liebt und glaubt, dass ich von Gott ausgegangen bin. Ich bin vom Vater ausgegangen und in die Welt gekommen; ich verlasse die Welt wieder und gehe zum Vater.“

Sprechen zu ihm seine Jünger: „Siehe, nun redest du frei heraus und nicht mehr in Bildern. Nun wissen wir, dass du alle Dinge weißt und bedarfst dessen nicht, dass dich jemand fragt. Darum glauben wir, dass du von Gott ausgegangen bist.“

Jesus antwortete ihnen: „Jetzt glaubt ihr? Siehe, es kommt die Stunde und ist schon gekommen, dass ihr zerstreut werdet, ein jeder in das Seine, und mich allein lasst. Aber ich bin nicht allein, denn der Vater ist bei mir. Das habe ich mit euch geredet, damit ihr in mir Frieden habt. In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“

Es ist der Abend, bevor Jesus gefangen genommen wird, der Tag vor seiner Kreuzigung. Ein letztes Mal ist Jesus mit seinen Jüngern zu­sammen. Er hat ihnen noch viel zu sagen. Sein Tod am Kreuz, macht er ihnen klar, ist nicht das Ende, sondern sein Sieg über die Welt, der Anfang sei­ner Rückkehr zum Vater im Himmel. Sie werden ihn nicht mehr sehen, aber er wird ihnen den heiligen Geist senden als Bei­stand und Trös­ter. Sie werden Zeiten der Trauer und der Bedräng­nis erle­ben, aber wenn sie eins sind mit Christus und sei­nem Vater im Himmel, werden sie trotzdem Freude und Frieden finden. Und sie sollen auch untereinander eins sein und einander lieben, wie er sie geliebt hat.

Der heutige Predigttext ist der Schluss dieser so genannten „Ab­schieds­reden Jesu“, die sich im Johannesevangelium über drei lange Kapitel erstrecken. Viele Themen, die vorher schon ausführlich be­handelt wurden, tauchen hier als Stichwort wieder auf. Ohne den Zu­sammenhang mit dem Vorangehenden ist der Text deshalb nicht leicht zu verstehen Und es würde eine lange Predigt, wenn ich auf alle Stichworte ausführlich eingehen würde. Ich werde mich also auf das beschränken, was mir für uns hier und heute das Bedeut­samste zu sein scheint. Ich fange deshalb am Ende des Textes an. Denn am Ende steht meistens das, was am wichtigsten ist, das, was der Zuhö­rer oder Leser unbedingt behalten soll. Also lese ich noch ein­mal den letzten Vers: „Das habe ich mit euch geredet“, sagt Jesus, „da­mit ihr in mir Frieden habt. In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“

„Angst“ und „Frieden“, dieses Gegensatzpaar steht hier im Mittel­punkt. Angst gehört zur „Welt“, Frieden gehört zu dem, „der die Welt überwunden hat“. Ich möchte diesen Wörtern ein wenig nach­gehen, um herauszubekommen, wo und wie sie uns betreffen.

Zum Stichwort „Angst“ muss ich allerdings erst einmal klar­stellen, dass es gar nicht im Text steht. Das griechische Wort, das Luther hier mit „Angst“ übersetzt hat, heißt eigentlich „Bedrängnis“. Es geht also hier nicht um die Angst als subjektives Gefühl, sondern um ob­jektive Verhältnisse, die uns bedrücken und in die Enge trei­ben. Das ist wichtig. Denn gerade wir Deutschen sind gut darin, auch ohne konkrete Bedrängnis Angst zu haben – weshalb Engländer und Ame­rikaner dieses für sie rätselhafte Phänomen „the German Angst“ ge­tauft haben. Viele Menschen haben zum Beispiel Angst vor irgend­welchen herumstreunenden Perversen, die ihnen oder ihren Kindern etwas antun könnten – obwohl die Zahl solcher Verbrechen seit Jahr­zehnten rückläufig ist und über 90 Prozent der Sexual­straftä­ter zur Familie oder zum engsten Umkreis ihrer Opfer gehö­ren. Viele Men­schen haben Angst, dass ihr Essen sie krank macht, obwohl es wohl noch nie so einfach war, sich gesund und ausgewo­gen zu ernähren wie hier und heute. Und viele Menschen haben Angst vor Überfrem­dung – und zwar umso mehr, je seltener sie im tägli­chen Leben Fremden begegnen. Kaum eine deutsche Großstadt hat einen so nied­rigen Ausländeranteil wie Dresden, aber gerade dort findet eine Be­wegung wie Pegida die meisten Anhänger. Auch sol­che Ängste ha­ben natürlich Gründe, die man ernst nehmen und um die man sich kümmern muss. Und manche Bedrängnis, die mal weit weg war – Terrorgefahr, Flüchtlingselend – , ist uns in der Tat näher ge­rückt. Trotzdem sollten wir, denke ich, lieber Angst vor dem wach­senden Egoismus haben, der unsere Familien, unsere Gesell­schaft und auch die europäische Völkergemeinschaft zerfrisst. Wir sollten Angst ha­ben vor der Ex-und-hopp-Mentalität, die immer noch unse­ren Um­gang mit der Natur prägt und dafür sorgt, dass wir unseren Kindern und Enkeln eine lebensfeindliche Umwelt hinterlas­sen. Und wir sollten vor allem um die Menschen Angst haben, die mit Be­drängnis­sen konfrontiert sind, die wir gar nicht mehr kennen: mit echter Ar­mut und echtem Hunger, mit verheerenden Seuchen und Krankhei­ten, mit Unterdrückung, Verfolgung und brutaler Ge­walt. Die Be­drängnisse der Welt und gerade auch der Christen in ihr sind wahr­lich nicht kleiner geworden, seit Johannes sein Evangelium schrieb, auch wenn wir persönlich davon nur wenig betroffen sind.

„Aber seid getrost“, sagt Jesus, und der Trost fängt für mich schon damit an, dass er die Bedrängnis, die uns Angst macht, nicht wegdis­kutiert. Unsere Standardsprüche zur Beschönigung von Krisensitua­tionen sind ihm fremd. Er sagt schlicht wie es ist: „In der Welt seid ihr bedrängt und habt deshalb allen Grund zur Angst“. Alles andere wäre ja auch gelogen, und jemandem, der mich belügt, und sei es in bester beruhigender Absicht, könnte ich nicht vertrauen.

Aber Jesus bleibt natürlich nicht bei der nüchternen Situationsbe­schreibung stehen. Die ist zwar notwendig, aber sie hilft uns ja noch nicht, damit auch umzugehen. Dazu muss das zweite kommen: „Ich habe die Welt besiegt“. So kann nur der auferstandene Christus spre­chen, der Sohn Gottes, der auch die größte Bedrängnis der Welt bis hin zum Tod durchlitten und überwunden hat. Seit Ostern ist die Be­drängnis nicht mehr das Letzte, was über diese Welt zu sagen ist. So real es auch ist, was uns bedrängt, es ist doch schon zum Verge­hen verur­teilt. Wie viel gut begründete Angst wir auch haben mö­gen, sie muss uns nicht mehr lähmen und verzehren. An ihre Stelle kann und soll schon jetzt der Friede treten, den Christus uns ver­heißt: „Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.“ (Joh 14,27)

Auch wenn wir vom „Frieden“ sprechen, ist wieder wichtig, dass es dabei nicht nur um subjektive Gefühle geht. „Friede“ meint nicht nur eine innere Ruhe, die sich durch nichts erschüttern lässt, mag rings­herum auch Krieg und Terror toben. Nein, Friede hat in der Bibel immer eine Innen- und eine Außenseite. Frieden mit mir selbst kann ich nur finden, wenn ich zugleich Frieden mit Gott und Frieden mit meinen Mitmenschen habe. Aber wenn das Johannesevange­lium Recht hat, dann ist dieser Friede nichts, was ich selber herstel­len kann – weder durch Meditation noch durch Friedensdemos, we­der durch Friedenstruppen noch durch Kampfeinsätze gegen notori­sche Friedensbrecher. Der umfassende Friede ist ein Ge­schenk. Er ist nur in Christus zu finden und hat nur in ihm Bestand. Nicht, dass uns das vom Friedenhalten und Friedenschaffen abhalten soll – im Gegenteil! Aber es ver­weist uns an die Quelle, die unseren Einsatz für den Frie­den speist.

Deshalb, das macht uns der Predigttext deutlich, ist der Friede zu allererst eine Sache des Gebets: „Wenn ihr den Vater um etwas bit­ten werdet in meinem Namen, wird er’s euch geben. Bittet, so wer­det ihr nehmen, dass eure Freude“ – ich ergänze: und euer Friede – „voll­kommen sei.“ Dazu ein Beispiel: Im vergangenen Sommer ha­ben wir hier in Geisweid bei einem interkulturellen Fest als Christen und Muslime gemeinsam für den Frieden zwischen Völkern und Religio­nen gebetet. Vergeblich, könnte man sagen, denn das Mor­den im Syrien und im Irak geht weiter, und die islamistischen An­schläge von Paris fanden trotzdem statt. Doch nicht ganz vergeblich, könnte man auch sagen, denn im­merhin gibt es in der Ukraine inzwi­schen einen – wenn auch brüchi­gen – Waffenstillstand, und der eine oder andere Anschlag konnte vereitelt werden. Aber ich glaube, die Erfüllung oder Nichterfüllung unserer konkreten Bitte war bei diesen Gebeten gar nicht das Wich­tigste. Viel wichtiger war, dass wir dabei eins wa­ren mit dem Willen Gottes für unsere Welt und dass wir in diesen Gebeten einig waren als Christen verschiede­ner Konfessionen, als Angehörige verschie­dener Religionen und als Menschen unter­schiedlicher Völker und Kulturen. Vielleicht ändert das nicht viel am Lauf der Welt, noch nicht mal an den Verhältnissen hier in Geisweid, aber es hat doch zeichenhaft etwas davon sichtbar werden lassen, dass die Welt der Bedrängnis und der Angst noch da, aber schon be­siegt ist.

Ich kann uns deshalb nur Mut machen, weiter zu beten: für unseren Frieden mit Gott, für Frieden mit uns selbst, für Frieden mit unseren Mitmenschen, für Frieden und Gerechtigkeit in der ganzen Welt. Mit diesem Gebet können wir nie falsch liegen, denn es geschieht im Namen Jesu Christi, der unser Friede ist und in dem wir Frieden ha­ben. Amen.

Pfr. Dr. Martin Klein