Predigt Ökumenischer Gottesdienst zum Pfingstmontag, 01.06.2020

Open Air am Ev. Gemeindezentrum Wenscht

Thema: „Ein Leib und ein Geist“ (Eph 4,1-6)

So ermahne ich euch nun, ich, der Gefangene in dem Herrn, dass ihr der Berufung würdig lebt, mit der ihr berufen seid, in aller Demut und Sanftmut, in Geduld. Ertragt einer den andern in Liebe und seid darauf bedacht, zu wahren die Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens: ein Leib und ein Geist, wie ihr auch berufen seid zu einer Hoffnung eurer Berufung; ein Herr, ein Glaube, eine Taufe; ein Gott und Vater aller, der da ist über allen und durch alle und in allen.

Ich weiß nicht, ob Ihnen der Name Horatio Hornblower noch was sagt. Es han­delt sich um einen fiktiven britischen Marineoffizier aus den Kriegen gegen Napoleon, den Helden etlicher Romane von C. S. Forester, die ich neulich mal wieder gelesen habe. In einer Episode soll der junge Midshipman Hornblower ein gekapertes französisches Schiff nach England bringen. Das Schiff hat aber ein Leck abbekom­men und sinkt. Also muss die Prisencrew zusammen mit der gefange­nen französischen Mannschaft ins einzige Rettungsboot. Da sitzen sie nun auf engstem Raum und beargwöhnen sich gegensei­tig. Weil mit Sturm zu rechnen ist, wollen die Franzosen so schnell wie möglich an Land – nach Frankreich. Da wür­den die Englän­der aber ihrerseits Gefangene sein, also wollen die das auf keinen Fall. Mal behalten die einen die Oberhand, mal die ande­ren. Und wäre nicht rechtzeitig eine britische Fregatte aufgetaucht, hätte Horn­blowers Karriere ein frühes Ende genommen.

Warum ich Ihnen das erzähle? Nun, manchmal kommt mir die Öku­mene auch so vor: Als säßen da zwei Parteien mit unterschiedlichen Interessen in einem Rettungsboot. Wobei die zwei Parteien, glaube ich, gar nicht mehr „evangelisch“ und „katholisch“ heißen. Eher hei­ßen sie „vorwärts“- und „rückwärtsgewandt“, und die Trennlinie zwischen ihnen verläuft quer durch beide Kirchen. Die einen wollen raus aufs Meer, wollen ein Christentum, dass in unsere Zeit passt, wollen die Ökumene voranbringen mit mög­lichst viel Gemeinschaft zwischen Christen aller Art. Die anderen wollen zurück ans vermeint­lich sichere Ufer – zum Bekannten, Gewohn­ten und des­halb Getrennten. Vielleicht haben die Rückwärts­ge­wandten in der katholischen Kirche mehr Ein­fluss, aber ansonsten gibt es sie bei uns Evangelischen genauso.

Nur: von außen betrachtet sitzen wir eben alle in einem Boot. Die­ses Boot ist deutlich kleiner als das leckgeschlagene Schiff namens „Volkskirche“, das sich kaum noch über Wasser hält. Und von außen werden die Unterschiede längst nicht mehr gemacht, die man bei uns noch hoch hält. Kirche, egal welche, wird von immer mehr Men­schen für weltfremd und überflüssig gehalten. Und Gottes­dienste gelten jedenfalls nicht als so systemrelevant, dass sie trotz Corona hätten stattfinden dürfen.

Trotzdem: Ökumene ist mehr und anderes als die Zwangsgemein­schaft, die notgedrungen zusammenarbei­ten muss, um nicht unterzuge­hen. Denn dass wir in einem Boot sitzen, immer schon, ist nicht nur eine Außenperspek­tive. Es gibt nämlich eine Einheit zwi­schen allen Christenmenschen, die so tief bzw. so hoch reicht, dass wir sie über­haupt nicht auflösen kön­nen. Davon spricht der Ab­schnitt aus dem Epheserbrief, den wir eben gehört haben.

Auch damals, als ein Schüler des Apostels Paulus diesen Brief geschrie­ben hat, war die Einheit der Christen schon gefährdet. Sonst hätte es dazu keine Ermah­nungen gebraucht. Weit verstreut waren die kleinen christli­chen Gemeinden am Ende des ersten Jahrhun­derts nach Christus. Sie standen unter äußerem Druck und waren des­halb in der Gefahr, nur die eigenen Probleme zu sehen und die Gemein­schaft mit den auswärtigen Geschwistern zu vergessen. Und außerdem: Die Generation, die Jesus und die Anfänge noch erlebt hatte, starb allmählich aus. Deshalb mussten die Christen sich dar­über klar wer­den, was ihre gemeinsame Basis war und wie man sie in Zukunft festhalten sollte. Darüber gab es natürlich verschiedene Ansichten und manchen Streit.

Unsere Situation ist anders, klar. Aber zerstritten und getrennt sind wir mindestens so sehr wie damals. Wenn wir die Einigkeit der Chris­ten stärken wollen, kann es also nicht schaden, darauf zu hö­ren, was der Epheserbrief darüber zu sagen hat.

Ich fange am besten von hinten an, beim letzten Vers: „Es ist ein Gott und Vater, der da ist über allen und durch alle und in allen“. Ein Gott hat Him­mel und Erde geschaffen. Einer durchdringt und um­fasst alles, was lebt. Einer ist der Vater aller Menschenkinder. Einer nur hält die ganze Welt in seiner Hand.

Darauf können wir uns rasch verständigen – nicht nur unter Chris­ten, sondern auch mit Juden und Muslimen. „Wir glauben doch alle an denselben Gott“, sagen wir dann gern. Und das ist ja auch richtig: Wenn es nur einen Gott gibt, dann müs­sen auch alle, die ihn vereh­ren, diesen einen Gott meinen. Nur glau­ben sie damit noch lange nicht alle dasselbe. Denn dazu müssten sie ja Gott in seiner ganzen Größe erfassen können. Das kann aber kei­nes seiner Ge­schöpfe – so wie ein Fisch das Meer nicht erfassen kann, in und von dem er lebt. Was wir von Gott erkennen, ist immer nur ein kleiner Ausschnitt. Und diese Ausschnitte mögen sich vom einen zum an­dern überschnei­den, aber sie decken sich nie völlig. Nur der Glaube an den einen Gott kann also die Einheit der Christen nicht begründen – erst recht keine Einheit aller Religionen.

Dazu braucht es noch etwas anderes, nämlich „einen Herrn, einen Glaube, eine Taufe“. Der „Herr“, das ist Jesus Christus, der Mensch gewordene Sohn Gottes. Der „Glaube“ ist das Vertrauen auf Gottes Liebe, die sich darin zeigt, dass er unser Menschsein auf sich genom­men hat. Und die Taufe ist das sicht- und spürbare Zeichen dafür, dass wir zu die­sem Herrn ge­hören und den Glauben an ihn teilen. Auch damit ist der eine Gott und Vater nicht zur Gänze erfasst. Aber mehr brau­chen wir über ihn nicht zu wissen. Dass Gott die Liebe ist, und dass wir das an Je­sus Christus erkennen können, darauf zu ver­trauen genügt im Leben und im Sterben, das ist die Einheit, die uns alle verbindet. Und diese Einheit können wir gar nicht zerstören, selbst wenn wir in noch so viele Konfessionen zerspalten sind. Denn sonst müssten wir ja Gott selbst zerteilen können, und das ist unmög­lich.

Wir sind also längst eins, sagt der Epheserbrief. Wir mögen unseren Glauben verschieden leben und gestalten, wir mögen uns als Kir­chen und Gemeinden unterschiedlich organisieren, wir mögen uns streiten über allzu ängstliches Beharren oder allzu forsches Voranschrei­ten, aber es gibt für uns alle nur den einen Christus, den einen Glau­ben, die eine Taufe, den einen heiligen Geist, der uns mit Gott und miteinander verbindet. Das ist der eigentliche Grund, wa­rum wir hier gemeinsam Gottesdienst fei­ern. Aber auch, wenn wir alle in unserer „eigenen“ Kirche sitzen, sei es in der Talkirche, in St. Marien oder auch in der freien Gemeinde, sei es leibhaftig oder neuer­dings vermehrt virtuell vorm Bildschirm – auch dann haben wir teil an dem einen großen Lobpreis Gottes, der die ganze Welt um­spannt; auch dann werden unser Dank und unsere Bitten ein Stück des einen großen Gebets, das zu den Oh­ren Gottes dringt; auch dann gehören wir zum einen Leib Christi.

Na schön, denkt jetzt vielleicht mancher, wenn das so ist, dann kann ja alles so bleiben. Dann können wir Christen uns ruhig weiter ge­genseitig belehren, beneiden oder beargwöhnen – wenn wir irgend­wie doch alle eins sind, ist das ja gar nicht so schlimm. Das wäre aber falsch gedacht. Denn wenn wir alle eins sind, dann muss das auch Konsequenzen haben – ganz konkret im täglichen Christen­leben. Und diese Konsequenzen benennt uns der Ephesertext gleich zu Beginn: „ertragt einander in Liebe“, heißt es da, „wahrt das Band des Friedens“, zeigt euch der Berufung zum einen Leib Christi wür­dig, indem ihr „in Demut, Sanftmut und Geduld“ miteinander um­geht.

Mir hat es von diesen Ermahnungen vor allem eine angetan: „er­tragt einander“. Dadurch wird nämlich deutlich, dass es hier nicht um künstliche Harmoniesucht geht, nicht darum, dass wir um des lieben Friedens willen alles unter den Teppich kehren. Wenn mich an meinen Mitchristen etwas stört oder ärgert, soll ich das we­der runterschlu­cken noch verdrängen, sondern ich soll es erst einmal schlicht – er­tragen. Erst wenn das gelingt, kann ich anfangen zu ver­stehen, und erst wenn ich verstehe, kann ich Störendes überwin­den, Streit begra­ben und mit meinem Gegenüber auch ganz prak­tisch ei­nig werden.

Wie gesagt gilt das heute gar nicht mehr generell für das Verhältnis von Evangelischen und Katholischen. Ich denke, da haben wir uns in den letzten 50 Jahren schon gut ertragen gelernt, und nicht nur das: Wir haben auch schon vieles an gelebter Einheit auf die Beine ge­stellt – hier bei uns in Geisweid und Umgebung, aber auch an­derswo. Gott sei Dank! Deshalb war uns ja auch wichtig, dass dieser ökumenische Gottesdienst heute stattfin­den konnte, auch wenn vieles andere noch nicht wieder geht.

Nein, ertragen lernen müssen wir wohl eher unsere jeweiligen Rück­wärtsgewandten: die Bedenkenträger und Grenzenzieher unter Bischö­fen und Kardinälen mit ihrem Anhang, und genauso die super­frommen Leserbrief-Schreiber aus der Siegener Zeitung und ihre Gesinnungsgenossen. Ich kann zwar jeden verstehen, der die inzwischen allesamt ziemlich unerträglich findet – mir geht es ja auch so. Und ich bin manchmal auch ratlos, wie ich jemanden ertra­gen soll, der es aus Prinzip ablehnt, mich zu ertragen? Nur: Wenn ich es nicht trotzdem versuche, wird sich nichts ändern. Denn die anderen werden mit dem Ertragen nicht anfangen. Das müssen wir schon selber tun. Und anders als sie können wir es auch, weil wir wissen, dass Gott mit seiner Liebe uns erträgt – und das, obwohl wir ihm aus seiner Sicht allesamt unerträglich sein müssten.

Also lasst uns die Geduld nicht verlieren mit denen, die auf der Bremse stehen in Sachen Ökumene und zeitgemäßem Christsein. Sie sind nicht so stark, wie sie sich vorkommen, und sie liefern doch weithin nur noch Rückzugsgefechte. Wir sitzen ja, wie gesagt, alle im gleichen Boot. Und wenn wir den Kurs setzen und uns dabei nach dem Wind des heiligen Geistes richten, dann müssen letztlich alle mit. Oder sie müssen aussteigen – aber das ist auf hoher See nicht zu empfehlen.

Also lasst uns weiter gemeinsam unterwegs sein. Schließlich ist es nach Epheser 4 auch eine Hoffnung, zu der wir beru­fen sind: dass nichts mehr uns trennen möge, weder von Gott noch voneinander. Und an Gott soll’s nicht liegen, dass diese Hoff­nung in Erfüllung geht. Amen.

Ihr Pastor Martin Klein