Predigt zum 1. Advent

 

FAMILIENGOTTESDIENST ZUM ERSTEN
ADVENT

mit Kita Jasminweg und Sohlbach
Pfr.
Dr. Martin Klein
Wenschtkirche, 2.12. 2012

Thema: Ein Blick durchs Schlüsselloch

Einen Blick durchs
Schlüsselloch haben die Kinder uns gerade präsentiert. Und ich habe
mich gefragt: Wann und warum macht man eigentlich so was – durch
ein Schlüsselloch schauen? Denn das ist ja doch in der Regel eine
mühsame Angelegenheit: Man muss sich bücken dafür (jedenfalls sobald
man größer als 1,10 ist), man muss angestrengt mit einem Auge durch
ein winziges Loch gucken, vielleicht noch das andere dabei zukneifen,
und man sieht trotzdem nur einen winzigen Ausschnitt von dem, was
hinter der Tür liegt. Und man muss auch noch mit Unannehmlichkeiten
rechnen, wenn man dabei erwischt wird. Denn man müsste ja nicht
durchs Schlüsselloch linsen, wenn die Tür nicht abgeschlossen wäre
oder wenn man sie einfach aufmachen dürfte. Und das ist ja meistens
so, weil man das, was hinter der Tür ist, gar nicht sehen soll –
oder jedenfalls noch nicht sehen soll.

Trotzdem haben
wir wohl alle schon mal durch Schlüssellöcher geschaut, und das
– geben wir’s ruhig zu – nicht nur als Kinder. Denn wenn man nur
überzeugt genug ist, dass sich hinter der Tür etwas befindet oder
passiert, das unheimlich spannend ist, das man unbedingt sehen und
mitbekommen möchte – und zwar jetzt gleich und nicht erst irgendwann
– dann spielt alles andere keine Rolle. Und dass es womöglich verboten
ist, erhöht natürlich nur den Reiz und die Neugier.

Früher, mancher
mag sich erinnern, war die Adventszeit für Kinder die Hochsaison
des Schlüssellochguckens. Denn da taten die Erwachsenen ja gern
ein wenig geheimnisvoll, wollten ihre Kinder zum Fest überraschen,
wollten die Freude am Endlich-alles-sehen-und-haben-Dürfen erhöhen,
indem vorher das meiste versteckt und unsichtbar blieb. Umso spannender
war es für die Kinder, wenigstens mal einen flüchtigen Blick auf
die Geschenke oder den geschmückten Tannenbaum zu erhaschen, wenigstens
mal eins der leckeren Plätzchen zu probieren, die zwar schon gebacken,
aber bis zum Heiligen Abend noch unter Verschluss waren. Und weil
die Schlüssellochguckerei auch die Phantasie anregt, glaubte schon
mancher, er habe im Weihnachtszimmer, so gerade noch im Verschwinden,
das Christkind gesehen.

Heute dagegen
haben die Schlüssellöcher ausgedient, jedenfalls was Advent und
Weihnachten angeht. Spätestens am Montag nach dem Totensonntag steht
die ganze Weihnachtspracht sichtbar vor aller Augen. Es wird nicht
nach und nach heller – erst eins, dann zwei, dann drei, dann vier
– sondern es gehen sofort alle Lampen an. Es gibt die Plätzchen
nicht erst zu Weihnachten, sondern da kann man sie schon nicht mehr
sehen. Kinder kriegen das ganze Jahr über Geschenke, nur die Menge
wird zu Weihnachten noch mal gesteigert. Überraschungen gibt es
dabei kaum noch: Was auf dem Wunschzettel steht, wird angeschafft
(und wehe, wenn nicht!), oder es gibt gleich Geld zum Selberkaufen.
Und wie das Christkind und der Weihnachtsmann aussehen, das wissen
alle Kinder bestens aus der Fernsehwerbung. Kein Warten, keine Spannung,
keine Geheimnisse mehr – heute wollen wir alles, und das sofort.
Manche Familie mag zwar noch tapfer dagegenhalten, aber Trend weg
vom Schlüsselloch ist nicht zu stoppen.

Man könnte darüber
wehmütig werden. Man könnte aber auch zu-geben, dass die ganze Geheimniskrämerei
zur Weihnachtszeit schon immer etwas Künstliches an sich hatte.
Die meisten Kinder durchschauen das, noch bevor sie in die Schule
kommen, und es wäre falsch, ihnen dann weiter etwas vorzuspielen.
Stattdessen sollten wir uns alle miteinander, Große und Kleine,
wieder dem echten Geheimnis der Advents- und Weihnachtszeit zuwenden:
dem Geheimnis, das immer und zu allen Zeiten spannend bleiben wird,
weil unser kleiner Menschenverstand es nie wird ergründen können.

Also beugen wir
uns in Gedanken mal tief hinunter, kneifen ein Auge zu und schauen
mit dem anderen gespannt durchs Schlüsselloch dieses Geheimnisses
– was bekommen wir da zu sehen? Anscheinend nicht viel. Nur eine
junge Frau, die ein Kind bekommt – man sieht, dass es nicht mehr
lange dauern wird. Einen jungen Mann, der zögernd den Arm um diese
junge Frau legt – man sieht ihm an, dass er sich erst noch daran
gewöhnen muss, dass seine Verlobte ein Kind bekommt – ein Kind,
von dem er nichts geahnt hat. Wir sehen wie die beiden sich auf
eine Reise begeben – nicht freiwillig, sondern auf Befehl des Kaisers,
der Steuerzahler braucht. Wir sehen eine Futterkrippe in einem Stall
– außer Heu liegt da nichts drin, aber was soll auch sonst in einer
Krippe liegen? Wir sehen Männer in orientalischen Gewändern, die
aufgeregt zum Himmel schauen. Und wenn wir in die Hocke gehen und
durch das Schlüsselloch schräg nach oben schauen, können wir so
gerade eben noch erkennen weshalb: Da ist ein besonders heller Stern
zu sehen, und der ist dann vielleicht doch etwas Besonderes. Aber
im heutigen Weihnachtslichtermeer würde ihn wahrscheinlich keiner
mehr bemerken.

Nein, der Blick
durchs Schlüsselloch klärt noch nicht, was hier Geheimnisvolles
passiert. Er enthüllt uns nicht, dass sich auf so unscheinbare Weise
das größte Ereignis aller Zeiten anbahnt: Gott kommt zu uns Menschen.
Und er macht sich dafür so klein, dass er als Baby in den Bauch
der Maria passt – und später in eine Krippe mit Heu. Gott wird ein
kleines, armes Menschenkind, damit wir Menschen zu Gott kommen können,
damit uns nichts mehr von ihm trennt. Wie das geschehen konnte,
das ist ein Geheimnis und wird immer eines bleiben. Aber dass dieses
Geheimnis wahr ist, das kann und soll jeder von uns erfahren – nicht
nur zur Advents- und Weihnachtszeit, aber da besonders.

Also, liebe Erwachsene,
nehmt euch in den nächsten Wochen Zeit für dieses Geheimnis – für
euch selbst und für eure Kinder. Lasst euch nicht von Rummel und
Kommerz überwältigen, sondern gönnt euch öfter mal die Ruhe, eine
Kerze anzuzünden, ein Lied zu singen oder wenigstens bewusst anzuhören,
die alten biblischen Geschichten wieder neu zu lesen oder vorzulesen
und so dem Geheimnis der Weihnacht wieder neu zu begegnen. Noch
sind wir nicht da angekommen, wo Gott mit seiner Welt und seinen
Menschen hin will, aber auf diese Weise können wir schon mal einen
kleinen Ausschnitt davon sehen – wie durch ein Schlüsselloch eben
– und wir können erahnen, wie wunderbar es einmal werden wird. In
diesem Sinne wünsche ich uns allen eine Adventszeit voller gespannter
Vorfreude und dann ein fröhliches Weihnachtsfest.

Amen.