„Du brauchst keine Angst haben.“

 

Annette Kurschus als Präses der Ev. Kirche
von Westfalen eingeführt

„Du brauchst keine Angst
haben.
Der Jesus hat nämlich meistens ziemlich gute Ideen!“

Eigentlich war
sie fest eingeplant gewesen, die Fahrt am 4. März nach Bielefeld.
Mit einigen anderen. Dann wieder nicht mehr. Letzten Endes ein spontaner,
einsamer Entschluss: Abfahrt im Wenscht um 6.10 Uhr. Auf der Autobahn
dichter Nebel, dann noch Regen; ab Hagen aber wesentlich bessere
Witterungsbedingungen. Fahrt auf der A 2 bis Bielefeld-Zentrum.
Die Zionskirche liegt mitten im Stadtteil Bethel. Die schlichte
Ziegelsteinkirche, inzwischen schon 128 Jahre alt, bietet Platz
für etwa 1.600 Personen. Leider war der große Parkplatz gesperrt.
Für die vielen Ehrengäste und für die Übertragungswagen des WDR.
Eine Parkmöglichkeit dann im Nazarethweg.    

Um 8.15 Uhr betrat
ich die Hauptkirche der von Bodelschwinghschen Stiftungen. Überall
Leute vom Fernsehen und große Kameras. Ich erfuhr, dass nur die
Emporen und zwei Bankreihen ganz hinten im Kirchenschiff für Gottesdienstbesucher
ohne Karte reserviert seien. Wegen der besseren Sicht entschied
ich mich für die zweite Möglichkeit. Fünf Minuten später waren auch
diese Plätze besetzt. Neben mir zwei Presbyter mit Ehefrauen aus
Detmold und aus Burgsteinfurt, ein behinderter Bewohner und ein
katholischer Mitchrist aus Bielefeld: „Wir haben schon ihren
tollen Vortrag gehört“, „So, Frau Kurschus war Pfarrerin
in Ihrer Gemeinde, ist ja interessant“, „Sie soll wunderbar
predigen können.“ Auch der Mann aus Bethel meldete sich zu
Wort: „Heute alles anders, heute mit Fernsehen!“ Und auch
er scheint sich zu freuen.

Noch 90 Minuten
bis zum Beginn des Gottesdienstes. Kurze Gespräche mit Pfr. i.R.
Georg Kurschus, dem Vater der neuen Präses, mit Irene und Harald
Ströhmann, mit Pfr. i. R. Herbert Korfmacher, von 1968 – 1994 Priester
und Seelsorger in unserer kath. Schwestergemeinde St. Marien, und
mit Friedhelm Knipp aus Kreuztal, er gehört der Kirchenleitung in
Bielefeld schon seit 2004 an. Noch 60 Minuten. Langsam füllen sich
die Bankreihen mit den geladenen Gästen. Aus dem ganzen Land. Ja,
aus der halben Welt. Aus dem Siegerland sehe ich u.a. den Bundestagsabgeordneten
Volkmar Klein, Landrat Paul Breuer und Siegens Bürgermeister Steffen
Mues.

Noch 30 Minuten.
Informationen zum Ablauf des Fernsehgottesdienstes. Dann das Einsingen.
Noch acht Minuten. Die an der Liturgie beteiligten Mitglieder der
Kirchenleitung sowie der scheidende Präses Alfred Buß und  seine
Nachfolgerin stellen sich im hinteren Mittelgang auf. Unmittelbar
neben mir. Ein kurzer Blickkontakt mit unserer ehemaligen Gemeindepfarrerin.
Noch zwei Minuten. Die „Noch – Superintendentin“ schaut
jetzt ganz konzentriert nach vorn in das Kirchenschiff, in den Chorraum
und auf die Kanzel. Dort wird sie gleich stehen. „Noch fünf
Sekunden“, flüstert der Aufnahmeleiter. „Vier. Drei. Zwei.
Eins.“ Die Kameras laufen. Der Gottesdienst in der Zionskirche
in Bielefeld-Bethel beginnt.

Nach der Begrüßung
durch Oberkirchenrätin Doris Damke singt die versammelte Gemeinde
„Nun jauchzt dem Herren, alle Welt!“ Als Kehrvers zwischen
den einzelnen Strophen „Jubilate, everbody“ durch den
Chor der Hochschule für Kirchenmusik in Herford. Anschließend ein
Gebet, Worte aus Psalm 25, das Sündenbekenntnis und der Gnadenzuspruch.
Dann ist es soweit: Alfred Buß führt seine Nachfolgerin in das neue
Amt ein. Er gibt das silberne Kreuz der westfälischen Präsides an
sie weiter. Ein besonderer Moment: Erstmals eine Frau an der Spitze
der viertgrößten Landeskirche in Deutschland!

Die neue Präses
strahlt Freude und Mut und Zuversicht aus. Zu ihrer Grundeinstellung
passt, dass sie für ihre Einführungspredigt das Bibelwort „Gott
hat uns nicht den Geist der Furcht gegeben, sondern der Kraft und
der Liebe und der Besonnenheit“ (2. Tim. 1,7). Zur Auslegung
hat sie ein Gemälde mitgebracht. Kinder aus Siegen haben es gemalt
und ihr zum Abschied geschenkt: Jesus im Boot mit seinen Jüngern.
Die Wellen toben, das Boot droht zu sinken. Die Jünger haben Angst.
Ein unruhiges Bild. Dunklen Farben. Eine bedrohliche Situation.
Doch zugleich strömt das Kunstwerk Ruhe und Vertrauen aus. Die Gewissheit:
In allen Stürmen – Jesus ist mit im Boot! Annette Kurschus erzählt,
einer der kleinen Künstler habe bei der Übergabe gesagt: „Du
brauchst keine Angst haben. Der Jesus hat nämlich meistens ziemlich
gute Ideen!“ Wolfgang Riewe, Herausgeber und Chefredakteur
der Wochenzeitung „Unsere Kirche“, beschreibt das so:
„Da war sie auf einmal: Die Kraft Gottes. Die Zuversicht des
Glaubens. Ansteckend und wärmend, weitergegeben durch ein Kind.“
Und die neue Präses kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus: „Manchmal
hat Gott verblüffende Wege, plötzlich ganz nah zu sein!“

Predigt der Präses

– beilaufender Kamera

Meine Banknachbarn
sind begeistert. „Eine ganz bewegende Predigt“, „Voller
Leidenschaft vorgetragen“, „Klar und verständlich“
und „Wieder sehr persönlich gehalten.“ Ich kann das alles
nur bestätigen. Danach die Verabschiedung von Präses Dr. h.c. Alfred
Buß. Es folgen Gemeindelied „Nun lasst uns Gott dem Herren“,
Chor, Fürbitten, Vaterunser und Segen. Zum Auszug „Wohl denen,
die da wandeln“. Der Fernsehgottesdienst ist vorbei. Nach genau
59 Minuten. Pünktlich auf die Sekunde.

Auszug der Kirchenleitung

mit frohen Gesichtern

Nach einer kurzen
Pause Musik zum Übergang vom Gottesdienst zum Empfang. Die Kameras
sind abgeschaltet. „Wir sind jetzt ganz unter uns.“ Klaus
Winterhoff, juristischer Vizepräsident der Ev. Kirche von Westfalen,
übernimmt die Begrüßung. Albert Henz, der theologische Vizepräsident,
dankt Alfred Buß für seine Arbeit in den letzten acht Jahren: „Du
bist oft an deine Grenzen gegangen, du hast dich häufig selbst überfordert.“
Dann begrüßt er Annette Kurschus: „Wir trauen dir viel zu!“
Und: „Wir alle werden dich unterstützen!“ Ein musikalisches
Zwischenspiel. Die DesHarmoniker ziehen alle Register ihres Könnens.
Mit dabei Christian Kurschus, der Bruder der neuen Präses.

Dann das Grußwort
von Nikolaus Schneider, Ratsvorsitzender der Ev. Kirche in Deutschland.
Er lobt die „neue Schwester im Kreis der leitenden Geistlichen“
für ihre Zuversicht und ihr Vertrauen in Gott. Hannelore Kraft,
Ministerpräsidentin des Landes Nordrhein-Westfalen, sagt zu Annette
Kurschus: „Sie treten in große Schuhe.“ Und: „Ich
weiß aus eigener Erfahrung, was für eine Herausforderung es ist,
die erste Frau in einem Leitungsamt zu sein.“

Hans-Josef Becker,
Erzbischof von Paderborn, überbringt das Grußwort der Römisch-Katholischen
Kirche. „Frau Präses … an diese Anrede muss ich mich erst
noch gewöhnen. Aber ich arbeite bereits daran.“ Er wünscht
ihr Gottes Segen und im Wirken „mehr Freude als Stress“.
Das schönste Kompliment des Tages erhält Annette Kurschus von Bischof
Stephen Munga aus Tansania: „You are the crown of this day“
– sie sei die Krönung des Tages. Dann spricht er von einem historischen
Ereignis. An der Einführung nähmen 20 Vertreter von globalen Dachverbänden
und Kirchen aus vier Kontinenten teil. „Unsere heutige Anwesenheit
ist ein Zeichen dafür, dass Millionen Ihrer Schwestern und Brüder
in aller Welt heute bei Ihnen sind.“

Zum Abschluss
Dankworte von Alfred Buß und „des/der ersten Präses aus unseren
Südstaaten“. Stehende Ovationen. Und der vierte Auftritt der
DesHarmoniker. Meine Banknachbarn sind sich einig: “ Wir haben
eine geeignete und würdige Nachfolgerin im Präsesamt!“ Auch
sie nehmen nicht mehr an der Begegnung und am Essen im Assapheum
teil. Wir verabschieden uns. Zurück auf die Autobahn. Zu Hause wartet
lieber Besuch.

Peter – Christian Rose