Auf ein Wort…..

 

Auf ein Wort…..

Warum ich evangelisch bin

Neulich war der
Papst in Deutschland. Viele Menschen waren gespannt, ob sich dabei
etwas bewegen würde im Umgang mit Priestermangel, Ehescheidung und
Missbrauchsopfern oder auch in Sachen Ökumene. Doch Benedikt XVI.
hat eigentlich wieder nur gesagt, warum die katholische Kirche so
bleiben oder wieder werden muss, wie sie immer schon war. Das war
natürlich zu erwarten, und das großartige, theologisch durchdachte
Bild, das der Papst von seiner Kirche entwirft, ist durchaus imponierend.
Trotzdem kann ich verstehen, dass viele katholische Geschwister,
die seit Jahren an und mit ihrer Kirche leiden, nun enttäuscht sind.

Für mich selber
hatte der Papstbesuch aber auch ein Gutes: Mir ist neu bewusst geworden,
wie viel es mir wert ist, evangelisch zu sein. Und weil uns Evangelischen
zum Reformationsfest ein bisschen Selbstvergewisserung sicher gut
tut, gebe ich hiermit an Sie weiter, warum ich evangelisch bin und
es auch bleiben möchte:

Erstens bin ich
evangelisch, weil ich an die bedingungs- und grenzenlose Liebe Gottes
glaube. „Ein glühender Backofen voller Liebe“ ist Gott, hat Martin
Luther gesagt und damit eins seiner vielen treffenden Bilder gefunden.
Dieser glühende Backofen steht nicht in einem verschlossenen Raum,
zu dem nur eine bestimmte Sorte Menschen Zugang hat, sondern wie
die Sonne wärmt er die ganze Welt. Es wäre also Unsinn zu sagen:
Diese Wärme gilt mir und nicht dir; ich habe sie verdient, aber
nicht du. Es wäre auch Unsinn, einen schon glühenden Backofen erst
noch anheizen zu wollen. Es wäre allerdings auch unklug, den Respekt
vor diesem Backofen zu verlieren und ihm zu nahe zu treten – dann
könnte man sich ganz schön verbrennen!

Zweitens bin ich
evangelisch, weil ich glaube, dass ich diese Liebe Gottes bitter
nötig habe. Denn ich bin von mir aus nicht so, wie ich gern wäre
und wie Gott mich gern hätte. Ich habe es auch nicht selbst in der
Hand, so zu werden. Ich lebe in einer Welt, die in Schuld verstrickt
ist, und deshalb kann ich gar nicht anders, als selber immer wieder
schuldig zu werden, wie anständig ich auch leben mag. Mein Leben
ist endlich und wird deshalb immer ein Fragment bleiben, auch wenn
ich noch so viele Ziele erreiche. Ich bleibe dem Tod unterworfen,
auch wenn ich hundert Jahre alt werde. Und weil das so ist, kann
nur Gott bewirken, dass ich mit ihm, mit mir selbst und mit meinen
Mitmenschen im Reinen bin. Denn er spricht mir zu: „Du bist mir
recht, so wie du bist, weil ich dich lieb habe.“

Drittens bin ich
evangelisch, weil Gottes Liebe bewirkt, dass vor ihm alle Menschen
gleich sind. Für mich sind alle Christen nichts anderes als begnadigte
Sünder. Wir alle haben den gleichen unmittelbaren Zugang zu Gott,
weil Gott selbst in Jesus Christus eine menschliche Seite hat. Von
daher kann für mich kein Christ einen geistlichen Vorsprung vor
anderen haben oder gar als Mittler zwischen Gott und Mensch auftreten.
„Was aus der Taufe gekrochen ist, das kann sich rühmen, dass es
schon zum Priester, Bischof und Papst geweiht sei“, schreibt Martin
Luther. Auch ich als Pfarrer bin darüber nicht hinaus. Deshalb halte
ich auch keinen Gottesdienst, sondern wir feiern ihn gemeinsam.
Ich vertrete beim Abendmahl nicht den Gastgeber, sondern bin mit
Ihnen gemeinsam Gast am Tisch des Herrn. Und was Glaubens- und Lebensfragen
angeht, habe ich Ihnen nichts vorzuschreiben, sondern kann Sie höchstens
auf Gottes Wort und Gebot hinweisen, so wie ich es verstehe. Beurteilen
müssen Sie das, was ich sage, selber – und Sie können es auch, weil
Gottes Geist Sie dazu anleitet.

Viertens schließlich
bin ich evangelisch, weil mir das eben Gesagte viel Freiheit gibt,
mein Glaubensleben in der Verantwortung vor Gott selbst zu gestalten.
Deshalb empfinde ich auch die große Vielfalt der Frömmigkeits- und
Lebensstile in der evangelischen Kirche nicht als Mangel, sondern
als Bereicherung. Natürlich sorgt diese Vielfalt auch für Streit.
Natürlich macht das Mit-, Neben- und Gegeneinander von Kirchen,
Verbänden, Vereinen und Gemeinschaften die evangelische Kirche unüberschaubar
und sorgt für unscharfe Konturen. Aber was wäre die Alternative?
Eine Kirche, die straff von oben nach unten organisiert ist? Kleine
abgeschottete Kreise von Gleichgesinnten? Eine Kirche, die sich
neu erfindet und aggressiv auf Kosten anderer missioniert? Nein,
danke! Da halte ich lieber unsere evangelische Freiheit aus und
das Risiko der Unverbindlichkeit für das kleinere Übel. Und im Übrigen
will ich es mit Martin Luther halten. Er folgte in Glaubensdingen
nur seinem Gewissen, das an der Bibel geschult war, und ließ sich
von niemandem den Mund verbieten. Gott sei Dank, dass er das getan
hat. Und weil ich weiß, dass viele Katholiken dem meisten von dem,
was ich hier geschrieben habe, zustimmen würden, ist Gott sei Dank
auch die Ökumene noch lange nicht am Ende.

Ihr Pastor Klein