Berichte von der Synode am 29.6.2011

 

Wo schlägt das Herz des Evangelischen
Kirchenkreises Siegen?

Jahresbericht der Superintendentin
Annette Kurschus

In
ihrem Jahresbericht vor der Synode des Evangelischen Kirchenkreises
Siegen stellte Superintendentin Annette Kurschus in Anlehnung an
die Losung des diesjährigen Deutschen Evangelischen Kirchentages
die Frage: Wo schlägt gegenwärtig unser Herz als Evangelischer Kirchenkreis
Siegen? Damit verbunden waren die Fragen, „wofür haben wir unsere
Kraft eingesetzt, unsere Fantasie, unsere Zeit? Was haben wir mit
Leidenschaft weitergebracht? Was haben wir ins Werk gesetzt – welche
Pläne geschmiedet?“ Oder: „Was macht uns immer wieder Hoffnung?“

Den Berichten
der Kirchengemeinden entnahm die Superintendentin, dass diese sich
zunehmend in der schwierigen Kunst des Aufhörens üben müssten.  Kurschus:
„Wie beenden wir Traditionen, die vertraut sind und an denen die
Herzen vieler Gemeindeglieder hängen – für die aber in Zukunft keine
Kraft und kein Geld mehr da sein wird?“

Die klassischen
Felder der Gemeindearbeit erreichen die Menschen am Anfang und am
Ende ihres Lebens. Die Menschen, die aktiv in der Verantwortung
für unsere Gesellschaft stünden, so Kurschus, fänden mit ihren Fragestellungen
und Bedürfnissen nur schwer einen Ort in den Gemeinden.

Viele Kirchengemeinden
setzen bei dieser Lücke an und entwickeln neue Ideen für Menschen
in der Mitte des Lebens. So gibt es je nach unterschiedlicher Tradition
und theologischer Ausrichtung unterschiedliche Formen von Glaubenskursen,
theologischen Seminaren und Gesprächskreisen sowie eher meditativ
ausgerichteten geistlichen Projekten. Superintendentin  Kurschus:
„Ich ermuntere Sie ausdrücklich, diese Fährte weiter zu verfolgen.
Zahlreiche Menschen nehmen sie dankbar auf und entdecken so die
Kirche für sich neu als attraktiv, einladend und wegweisend.“

Auch das so genannte
zweite Gottesdienstprogramm wird im Kirchenkreis Siegen bunter und
vielfältiger – und ist in manchen Gemeinden inzwischen stärker angenommen
als der traditionelle Gottesdienst am Sonntagmorgen. Der Gottesdienst
wird sich in seinen äußeren Rahmenbedingungen auf die veränderten
Lebensgewohnheiten einstellen müssen.

Auch das musikalische
Gottesdienstrepertoire hat sich in fast allen Gemeinden erweitert.
Zusätzliche Liederbücher werden angeschafft und die Orgel ist für
viele dieser Lieder kein geeignetes Begleitinstrument. Die Superintendentin,
selbst ausgesprochen musikalisch und musikkundig, spricht sich deutlich
dafür aus, hier keine falschen Alternativen aufzustellen, die die
populäre und traditionelle Kirchenmusik gegeneinander auszuspielen
versuchen. „Unterschiedliche Musikstile haben in der Kirche ihren
Ort; wir brauchen musikalische Vielfalt und sollten diese als Reichtum
begreifen und fördern.“

Ehrenamtliche
Leitung entlasten und stärken

Die Mitarbeit
in der Leitung von Kirchengemeinden erscheint immer weniger attraktiv.
In einigen Gemeinden arbeiten die Presbyterien auf Dauer hart an
der Grenze ihrer Beschlussfähigkeit; vakante Stellen lassen sich
nur mit großer Mühe oder gar nicht wieder besetzen. Das Amt der
Presbyterin oder des Presbyters ist durch die starken finanziellen
und strukturellen Veränderungsprozesse mit wenig Ehre, dafür mit
umso mehr quälenden Entscheidungen und anspruchsvoller fachspezifischer
Arbeit verbunden. Frust von Gemeindegliedern landet in der Regel
zuerst bei den Presbyterinnen und Presbytern. So stellt das Amt
für Menschen, die im Beruf oder in der Familie oder in beidem zugleich
ihren Mann oder ihre Frau stehen, eine immer größere zusätzliche
Belastung dar. Die leitende Theologin des Kirchenkreises befürchtet,
dass die Kirchengemeinden das sehr deutlich zu spüren bekommen,
wenn im Februar des kommenden Jahres Presbyteriumswahlen anstehen.
Superintendentin Kurschus: „Ich halte es für dringend nötig, dass
wir uns sowohl in den Gemeinden als auch auf Kirchenkreisebene Gedanken
machen, wie wir die Arbeit in den Presbyterien attraktiver gestalten
können.“ Für eine Hauptaufgabe derer, die hauptamtlich Verantwortung
tragen, sieht sie, Menschen für ihre ehrenamtliche Arbeit zu gewinnen
und zu motivieren, sie zu befähigen, zu stärken und zu begleiten.
Dadurch könnten die Hauptamtlichen neue Freiräume für ihre eigenen
Kernaufgaben gewinnen.

Auf Kirchenkreisebene
wird häufig der Wunsch nach besserer Koordination und Vernetzung
der unterschiedlichen Ausschüsse, Dienste, Arbeitsbereiche und Beauftragungen
geäußert. Die Kompetenzen könnten so noch effektiver genutzt und
für gemeinsam abgesprochene Ziele fruchtbar gemacht werden. Die
Superintendentin verspricht, dass sich der Kreissynodalvorstand
sich damit befassen und ein geeignetes Konzept zur Verbesserung
der Zusammenarbeit entwickeln wird.

„Mit großer Hochachtung
erlebe ich“, so Kurschus, „wie unsere Mitarbeitenden im Kreiskirchenamt
auch nach dem plötzlichen Tod von Verwaltungsleiter Hartmut Menzel
ihre Arbeit mit größtenteils erhöhtem Einsatz an Zeit und Kraft,
mit bemerkenswerter Kollegialität untereinander und verlässlicher
Loyalität gegenüber der Kirchenkreisleitung leisten. Die zeitliche
Planung sieht vor, dass die Stelle des Verwaltungsleiters zum 1.
Januar 2012 wieder besetzt ist.

Die Superintendentin
schildert in ihrem Bericht die Situation der Ehe-, Familien- und
Lebensberatungsstelle des Kirchenkreises, die in diesem Jahr ihren
25. Geburtstag feiert. Die Mitarbeitenden kämpfen täglich mit eigenen
Kräften und eigener Fantasie für die dauerhafte finanzielle Absicherung.
Die Einrichtung sei zu einer Art Markenzeichen des Kirchenkreises
Siegen geworden, weit über die regionalen Grenzen hinaus bekannt
und geschätzt. Derzeit wird in Kooperation mit der Bürgerstiftung
Siegen an der Gründung einer Stiftung zum Erhalt und zur Förderung
der Ehe-, Familien- und Lebensberatung gearbeitet.

Außerordentlich
geschätzt wird der kirchliche Dienst der Krankenhausseelsorge und
zwar nicht nur von den Patienten, sondern auch von den Geschäftsführenden
und Mitarbeitenden der Krankenhäuser. Kurschus: „Unsere Krankenhausseelsorgerinnen
und -seelsorger genießen in sämtlichen Häusern hohes Ansehen.“

Abschließend geht
die Superintendentin auf die Erarbeitung der Kirchenkreiskonzeption
ein. Noch in diesem Jahr soll den Synodalen ein Entwurf zur Beratung
vorgelegt werden. Zum Leitsatz der Konzeption habe die Arbeitsgruppe
das Motto „…da wird auch dein Herz sein“ erklärt. Die Konzeption
werde etwas mit Schätzen und Herzblut und Lebendigkeit zu tun haben,
„weil unser Kirchenkreis ein ausstrahlungsreicher Kirchenkreis voller
Herz und Leben ist.“

kp


Taufe als lebenslanger „Prozess“

menschlicher Gottesbegegnungen

Schweizer Untersuchung bietet
vielfältige Praxisanknüpfungen

Das Thema „Taufe“
nahm die Synode des Evangelischen Kirchenkreises Siegen, die am
Mittwoch, 29. Juni 2011, in der CVJM-Jugendbildungsstätte in Wilgersdorf
tagte, in den Fokus. Ein Thema, das die Evangelische Kirche von
Westfalen und die Evangelische Kirche in Deutschland in diesem Jahr
besonders beschäftigt.

In seinem Impulsreferat
hob Prof. em. Dr. Christoph Müller, Institut für praktische Theologie
an  der Universität Bern, hervor, dass in der Schweiz viele
Taufeltern, Täuflinge und Paten die Taufe mit ihrer konkreten lebensgeschichtlichen
Situation so in Verbindung zu bringen wünschten, dass die Taufe
für sie einen nachvollziehbaren Sinn bekäme. Er bezog sich dabei
auf empirischen Untersuchungen, die 2003 bis 2006 in der Schweiz
durchgeführt wurden.

Von Bedeutung
ist danach für die meisten Betroffenen ein überzeugender Lebensbezug
der Taufe. Müller spricht sich daher dafür aus, die Taufe nicht
als Amtshandlung zu vollziehen und auch ihre Deutung nicht vorzugeben,
sondern beides im Gespräch mit den Teilnehmenden gemeinsam zu entwickeln.
Die Taufe ist so reich an Deutungsmöglichkeiten, dass keine einzelne
Taufform alle Deutungen zum Ausdruck bringen kann.

Auch wenn die
Menschen sich nicht theologisch ausdrücken, sprechen sie,  von
ihren Alltagserfahrungen ausgehend, dennoch von etwas, das sehr
wohl mit der Taufe zu tun hat, so der Theologe. Es habe sich als
entscheidend herausgestellt, von Erfahrungen, Situationen und Szenen
erzählen zu können, in denen Menschen etwas von dem aufgehen könne,
was Taufe bedeute. Der Professor formulierte Fragen konkret und
praxisnah: Wie haben Sie als Eltern erfahren, das Taufe ein „Gottesgeschenk“
ist? Wie wird dies für eine Konfirmandin, die getauft werden möchte,
greifbar und überzeugend? Wovon würde ein erwachsener Täufling erzählen?

Müller benennt
verschiedene Kennzeichen des Tauf-Rituals, mit dem Menschen in konkreten
Lebenssituationen das gemeinsam feiern, was ihrem Leben Halt, Sinn
und Orientierung gibt. Dabei sei die gemeinsame Taufvorbereitung
schon selber eine wichtige Taufbotschaft.

Prof. Dr. Müller:
„Die Taufe ist einmalig, sie „gilt“ – und sie wird in Tauf-Erinnerungen
in neuen Lebenszusammenhängen neu erfahrbar und ist so ein lebenslanger
„Prozess“ menschlicher Gottesbegegnungen, von der embryonalen Phase
bis zum Tod.“

Taufvorbereitung
auf Augenhöhe

Die Untersuchungen
in der Schweiz zeigen auf, dass Eltern und Paten sowie größere Kinder
und Jugendliche eine Taufvorbereitung und Taufgestaltung schätzen,
in der sie mit ihrer eigenen religiösen Kompetenz, ihren Erfahrungen,
Einsichten und Fragen wahrgenommen werden. Wenn sie auf gleicher
Augenhöhe mit den Pfarrerinnen und Pfarrern nach der konkreten Bedeutung
der Taufe in der jeweiligen Lebenssituation suchen können, ist die
bereits eine Art Tauf-Erfahrung. Bei solchen Gesprächen kann beispielsweise
die Frage: „Was wünsche ich für meine Kinder von der Kirche?“ von
Bedeutung sein. Müller empfiehlt, die Sichtweise der Eltern und
Paten in den Blick zu nehmen. Der Theologieprofessor ist sich sicher,
dass eine Vielfalt der Perspektiven keineswegs zu Beliebigkeit führt.
Eine Begegnung mit unterschiedlichen Überzeugungen bereichere so
manches Gespräch und wehre der Beliebigkeit.

In
Arbeitsgruppen berieten die Synodalen über ihre Erfahrungen
mit der Taufe.

Er geht zudem
davon aus, dass weder die biblischen Traditionen noch gegenwärtige
Lebenswelten durch eine einzige Perspektive angemessen erfasst werden
können.

In Taufgesprächen
wagten es Menschen, von ihrer oft so verdeckten Sehnsucht nach einer
Hoffnung zu sprechen, die trägt, trotz allem Tödlichen. Und auch
von der Sehnsucht nach Geborgenheit und Liebe. Die Taufe könne als
Ritual des Übergangs vom Tod zum Leben erfahren werden. Menschengeschichte
und Gottesgeschichte würden miteinander verwoben. Für viele Eltern
und Täuflinge sei es wichtig, in etwas Größerem aufgehoben zu sein.
Deutlich könne auch werden, dass jeder Mensch eine unantastbare
Würde trage und soziokulturelle und religiöse Herrschafts- und Gewaltverhältnisse
und die entsprechenden Werte in Frage gestellt würden. Müller zitiert
in dem Zusammenhang Gal. 3, 28: „Denn ihr alle, die ihr auf Christus
getauft seid, habt Christus angezogen. Es gibt nicht mehr Juden
und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau: denn
ihr seid eins in Christus.“

Prof.
em. Dr. Christoph Müller hatte viele praktische Vorschläge
im Gepäck. Für wichtig hält er es, die Taufvorbereitungen
mit den Beteiligten gemeinsam zu gestalten.

Der Theologieprofessor
hält die Unterschiede zwischen Säuglings-, Kinder-, Jugendlichen-
und Erwachsenen-Taufe für sinnvoll, weil sie in unterschiedlichen
Lebenskontexten gefeiert werden. Müller: „Die eine und allein gültige
Taufdeutung gibt es nicht, heute so wenig wie im Neuen Testament.“

Eine zentrale
Frage ist dem Theologieprofessor aus Bern, „ob an dem Ort, wo wir
die Taufe feiern oder an die Taufe erinnern, Menschen etwas von
der Lebens-Wahrheit entdecken, die sie frei macht“.

„Die Taufe ist
ein einmaliges Ereignis mit Lebensperspektive, sie hat Bedeutung
ein Leben lang“, resümierte Pfarrerin Dr. Katharina Stork-Denker,
als sie die Synodalen aufforderte, Teilaspekte der Taufe im Gespräch
zu vertiefen. Die Synodalen gingen in „Murmelphasen“ und Arbeitsgruppen
ihren eigenen Erlebnissen mit der Taufe nach. Es wurde beispielsweise
gefragt nach Momenten, Situationen oder Zeiten, in denen ein bestimmter
Aspekt dessen, was Taufe bedeuten kann, nahe gegangen ist. Gefragt
wurde aber auch nach Schlüsselszenen, die den Zugang zur Taufe eröffnet
haben.

Das
Taufbuch des Kirchenkreises Siegen lag auf der Synode
aus. Die Synodalen konnten dort ihren Taufspruch eintragen.
Es soll bei weiteren Gelegenheiten ausgelegt werden.
Hier trägt sich Superintendentin Annette Kurschus ein,
im Gespräch mit Pfarrerin Dr. Katarina Stork-Denker,
die die thematische Arbeit auf der Synode mit vorbereitet
hat.

Superintendentin
Annette Kurschus hatte ein Taufbuch für den Evangelischen Kirchenkreis
anfertigen lassen. Hier konnten die Synodalen ihr Taufdatum und
ihren Taufspruch eintragen. Mit den Einladungen zur Synode waren
die Synodalen gebeten worden, ihre Taufsprüche ausfindig zu machen.
Die einzelnen Nachforschungen ergaben, dass nicht in allen Kirchenbüchern
vergangener Jahrzehnte die Taufsprüche eingetragen wurden.

kp
(Fotos: Karlfried Petri)