Ruhe und Besinnung

Momentaufnahme am Sonntag Laetare

Sonntag – 22. März. Talkirche. Es ist 10.50 Uhr. Der rechte Teil der Eingangstür steht offen; links ist ein Plakat angebracht worden. Darauf sind alle Veranstaltungen vermerkt, die in den nächsten Wochen wegen der Corona-Pandemie ausfallen müssen. Abgedruckt ist aber auch folgender Hinweis: „In der Talkirche finden Sie auch weiterhin einen Ort der Ruhe und Besinnung. Dort können Sie gerne eine Kerze anzünden und ein stilles Gebet sprechen. Dafür öffnen wir die Kirche mittwochs von 15 bis 17 Uhr sowie sonntags und am Karfreitag von 10 bis 12 Uhr.“

Ich betrete den Innenraum. Pfarrer Dr. Martin Klein und Küster Jörn Ackerstaff halten sich unter der hinteren Empore auf. Mit dem gebotenen Abstand begrüßen wir uns. Nicht zu übersehen ein Stehtisch mit einem Desinfektionsmittel. In den Bankreihen sitzen drei Gemeindeglieder. Ruhig, nachdenklich, in sich gekehrt, vielleicht betend, um Trost und Beistand bittend. In einer Zeit, in der die Ausbreitung des Virus mit einschneidenden Maßnahmen und drastischen Beschränkungen verlangsamt werden soll, in der man ein Hilfspaket von historischer Dimension geschnürt hat, in der es zu Hamsterkäufen kommt, in der es heißt „Zusammenhalten durch Abstand halten“ und in der der Corona – Appell erste Wirkungen zeigt.

In der Kirche herrscht eine eigenartige Stille. Sonnenstrahlen fallen auf die drei großen, bunten Fenster im Chorraum. Unübersehbar auch die beiden Antependien am Abendmahlstisch und an der Kanzel. In der liturgischen Farbe violett; sie ist im Advent und in der Passionszeit in unseren Kirchen zu sehen und charakterisiert Zeiten des Übergangs, der Besinnung und der Umkehr.

Eigentlich sollte hier jetzt ein besonderer Gottesdienst stattfinden. Mit der Verabschiedung und Einführung von Presbyterinnen und Presbytern. Unter Mitwirkung des Kirchenchores. Mit Orgelklängen. Mit vielen froh gestimmten Besuchern und einem sich anschließenden Sektempfang in unserem „mittendrin“. Aber seit einer Woche herrscht ein allgemeines Versammlungsverbot, auch Gottesdienste dürfen nicht durchgeführt werden.

In der Kirche ist es ungewohnt leise. Man versucht, beim Gehen keinerlei Geräusche zu verursachen. Ich denke an die vielen Toten und an ihre Angehörigen. Ich sehe die schrecklichen Bilder aus italienischen Krankenhäusern vor mir, immer wieder. Sterben – allein – ohne den Trost der nächsten Angehörigen. Meine Gedanken sind bei denen, die alleine leben, die entsetzliche Angst haben, die existenzielle Sorgen quälen. Mein Dank gilt dem Pflegepersonal und der Ärzteschaft in Krankenhäusern und Altenheimen, ohne die das Gesundheitssystem zusammenbrechen würde. Und der großen Schar der Verkäuferinnen und Verkäufer, ohne die wir keine Lebensmittel hätten. Und den vielen, die Nachbarschaftshilfe leisten. In den Sinn kommen mir schließlich aber auch die Egoisten in unserem Land, die Unbelehrbaren, die, die so weiterleben wollen wie bisher und sich keiner Risikogruppe zugehörig fühlen. Werden sie zur Besinnung kommen?  

In den letzten fünfzig Minuten sind in der Talkirche schon einige Kerzen entzündet worden. Ihre Flammen flackern etwas, ihr weiches Licht wirkt beruhigend und unaufgeregt. Unter der hinteren Empore hängt ein Plakat mit den Texten und den Liedern des Sonntags. Darunter liegt eine abgedruckte Predigt für den Sonntag Laetare; über Jesaja 66,10-13. Man kann sich den Text mitnehmen. Aber man kann sich die Predigt zu Hause auch anhören.

Das muss sicherlich erklärt werden. Pfarrer Klein hat am Samstag in der leeren Talkirche einen kurzen Gottesdienst gehalten, einige Lieder auf dem Klavier gespielt und eben jene Predigt vorgetragen. Also kurzfristig eine digitale Alternative entwickelt. Alles wurde von Kevin Tojzan und Daniel Mross aufgenommen, dann durch Friederike Klein bearbeitet und im Netz unter „https://youtu.be/UOV7YVJhHvw“ platziert. Dafür auch von dieser Stelle ein aufrichtiges Dankeschön!

In der Predigt erinnert Pfarrer Klein zunächst an das Bild von Eberhard Münch, das im Herbst 2015 vier Wochen lang in unserem neuen Gemeindezentrum „mittendrin“ zu sehen war. Der Künstler hat es zur Jahreslosung 2016 gemalt, zum Kernvers des heutigen Predigttextes: „Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.“ Im Mittelteil der Ausführungen heißt es dann: „Die Menschen, zu denen der Prophet so spricht, haben diesen bestmöglichen Trost auch bitter nötig. Sie sind aus dem Exil zurückgekehrt ins zerstörte Jerusalem, um Stadt und Tempel wieder aufzubauen. Große Hoffnungen und Verheißungen haben sie im Gepäck, aber es geht nicht voran.“ Der Prophet mahnt seine Leute: „Habt Geduld!“ Und spricht ihnen Trost zu.

Im dritten und letzten Teil der Predigt kommt Pfarrer Klein auf die derzeitige Pandemie zu sprechen: „So ist es auch mit Gottes Trost. Er schafft nicht sofort alles Leid und alles Böse aus der Welt und unserem Leben. Aber er richtet uns auf und gibt uns die nötige Stärke, damit wir mit dem Leid und dem Bösen leben und es irgendwann überwinden können. Vielleicht ist das gerade jetzt besonders wichtig. Denn der Kampf gegen das Corona-Virus sorgt ja nicht nur für nie gekannte Eingriffe in unseren Alltag, sondern er beschränkt auch die üblichen Mittel, mit denen Menschen einander Trost spenden. Besuche bei Alten und Kranken unterliegen strikten Auflagen, Beerdigungen finden nur in kleinem Kreis statt, und man muss sich gut überlegen, wen man noch tröstend in den Arm nimmt, wenn man soziale Kontakte eigentlich meiden und bei den unvermeidlichen zwei Meter Abstand halten soll.“

Aber: Der Trost unseres Gottes kenne keine geschlossenen Grenzen und keine Quarantäne. „Gott tröstet auch durchs Telefon, über Radio, Fernseher und Musikanlage oder via Internet. Er hält uns zusammen, auch wenn wir uns nicht treffen und nicht Gottesdienst feiern können. Er hilft uns, miteinander in Kontakt zu bleiben, aneinander zu denken und füreinander zu beten.“ Die Predigt endet dann mit den Worten: „Und bis wir uns wiedersehen möge Gott seine schützende Hand über uns halten. Amen.“

Peter-Christian Rose