Text: Spr. 3,1-8
„Mein Sohn (meine Tochter), vergiss nicht, was ich dir beigebracht habe; behalte meine Anweisungen im Gedächtnis. Dadurch sicherst du dir ein langes, erfülltes Leben!“ So haben wir es eben aus dem Buch der Sprüche gehört. Könnt ihr euch vorstellen, dass eure Eltern so mit euch reden? Eher nicht, denke ich, es sei denn sie sind besonders altmodisch oder sie machen sich gern über den salbungsvollen Ton früherer Zeiten lustig. Denn so läuft das ja heute nicht mehr. Jahrtausende lang haben Kinder von ihren Eltern alles gelernt, was sie fürs Leben brauchten, und wenn sie vernünftig waren, haben sie es beherzigt und später wieder an ihre Kindern weitergegeben. Auch, als es dann irgendwann Schulen gab, ging es dort nicht viel anders zu. Aber heute verändern sich Wissen und Fertigkeiten so rasant, dass eure Eltern oft mehr von euch lernen können als ihr von ihnen. Und auch in der Schule ist nicht mehr stures Eintrichtern gefragt, sondern kritisches Mitdenken und selbständiges Entfalten der eigenen Fähigkeiten.
Uns Pastoren sagt man ja nach, dass wir besonders lange am biblischen Tonfall und entsprechenden Lernmethoden festgehalten haben – nicht ganz zu Unrecht, denn noch vor wenigen Jahrzehnten hat man als Konfirmand vor allem Texte auswendig gelernt, die mindestens 300 Jahre alt waren. Fragt mal eure Eltern danach, oder noch besser eure Großeltern! Aber immerhin: auch bei Kirchens hat man irgendwann eingesehen, dass das so nichts mehr bringt. Inzwischen läuft in der Konfirmandenarbeit vieles anders, und ihr habt es hoffentlich zu schätzen gewusst.
Trotzdem: es gibt auch Dinge, die ändern sich nie. Immer noch müssen junge Menschen was lernen und dann das Gelernte auf ihr Leben anwenden. Und immer noch gibt es Zeiten und Orte, an denen der Übergang vom einen zum anderen besonders deutlich wird: Schulabschluss, Ende von Ausbildung oder Studium – oder eben Konfirmation. Ihr habt jetzt knapp zwei Jahre Konfirmandenzeit hinter euch, habt euch mitnehmen lassen auf unsere Entdeckungsreise ins Land des Glaubens, habt Wissen gesammelt und Erfahrungen gemacht, habt einiges gemeinsam erlebt. Manche von euch waren engagiert bei der Sache, manche kamen nicht so dazu wegen der vielen Faxen im Kopf, und manche haben alles mit möglichst geringem Aufwand über sich ergehen lassen. Aber immerhin: ihr habt alle bis heute durchgehalten, und beim Abschlussgespräch neulich war festzustellen, dass da erfreulich viel hängen geblieben ist.
Jetzt wäre es also Zeit, dass ihr zur Anwendung des Gelernten übergeht. Aber ob das gelingen wird? Denn es ist ja so mit allem, was man weiß und kann – seien es Englisch-Vokabeln oder Klavierspielen oder die Zehn Gebote: Wenn man nicht in Übung bleibt, dann verlernt man’s wieder. Und in Übung bleibt man nur, wenn‘s einem entweder Spaß macht oder wenn man einsieht, dass man’s zum Leben braucht. An der Stelle hakt es offensichtlich bei den Zehn Geboten oder dem Glaubensbekenntnis und überhaupt bei allem, was mit Kirche zu tun hat: Es macht dem Durchschnitts-Konfi keinen besonderen Spaß, und fürs tägliche Leben braucht man es anscheinend auch nicht so dringend. Jedenfalls kommen doch die meisten Menschen auch ohne Kirche gut zurecht, oder?
Der Lehrer aus dem alten Israel, von dem wir im Buch der Sprüche hören, der sagt seinem Schüler allerdings etwas anderes: Wenn du dich an meine Worte und damit an Gottes Worte hältst, dann wird dir das ein langes, erfülltes Leben einbringen: Frieden, Klugheit, Anerkennung und vieles mehr. Klingt toll! Ihr hättet das alles bestimmt auch gern, und ihr ahnt wohl, dass ihr es euch von eurem Konfirmationsgeld nicht kaufen könnt. Wär also super, wenn es stimmen würde, was da steht.
Aber ist das so? Lebe ich wirklich erfüllter, wenn ich mich an Gott und seine Gebote halte? Okay, nicht töten, nicht stehlen, keine Lügen über andere Leute verbreiten – das klingt vernünftig. Und wenn sich alle dran halten würden, wäre das Leben in der Tat wunderbar. Aber die meisten tun‘s ja nicht, und wenn ich es trotzdem tue, bin ich schnell der Dumme! Und dass ich ein besseres und längeres Leben habe, wenn ich sonntags zum Gottesdienst gehe und mich in meiner Kirchengemeinde engagiere, das müsste mir auch erst mal jemand beweisen. Es gibt zwar eine Untersuchung aus Amerika, nach der gläubige Christen im Schnitt eine höhere Lebenserwartung haben als andere, aber selbst wenn das stimmen sollte, geht diese Rechnung ja nicht in jedem Einzelfall auf. Also würde ich euch leere Versprechungen machen, wenn ich sagen würde: Behaltet, was ihr bei uns gelernt habt, dann wird es euch gut gehen und ihr werdet Erfolg haben und alle werden euch mögen.
Aber das ist auch noch nicht der Kern von dem, worum es im Buch der Sprüche geht. Das steht erst in den nächsten Versen, und das ist die eigentliche Botschaft, die ich euch am Ende eurer Konfirmandenzeit mitgeben möchte. „Verlass dich nicht auf deinen Verstand“, heißt es da, „sondern setze dein Vertrauen ungeteilt auf den Herrn. Denk an ihn, bei allem, was du tust, er wird dir den rechten Weg zeigen.“
Wenn ihr dieses Eine gelernt hättet bei uns, dass Gott einer ist, auf den man sich verlassen kann, einer an dem man sich festhalten kann in jeder Lebenslage, dann könntet ihr meinetwegen alles andere wieder vergessen. Denn die Bibel zu lesen macht nur Sinn, wenn der Gott, von dem sie redet, nicht nur eine Romanfigur ist. Beten macht nur Sinn, wenn da tatsächlich ein Vater im Himmel ist, der mir zuhört und bei dem ich alles loswerden kann. Mich zum christlichen Glauben zu bekennen macht nur Sinn, wenn es wirklich einen Gott gibt, der die Welt geschaffen hat, der in Jesus Mensch geworden ist und uns durch seinen Geist zusammenhält. Die Zehn Gebote zu kennen macht nur Sinn, wenn sie wirklich gute Lebensregeln Gottes sind. Ansonsten gehört es zwar immer noch zur Allgemeinbildung, wenn man weiß, was Taufe und Abendmahl bedeuten oder wie man eine Bibel aufschlägt. Und bei Günter Jauch hat schon mal jemand eine Million gewonnen, weil er wusste, wie der dritte Sohn von Adam und Eva hieß – immerhin. Aber so betrachtet, ist es auch nicht wichtiger, die Bibel zu kennen, als Goethes Faust zu lesen oder schon mal was von Mozart gehört zu haben. Gut, wenn man dieses Wissen hat, aber durchs Leben kommt man notfalls auch ohne.
Also: Mich auf Gott zu verlassen, ihm zu vertrauen, darauf kommt es an. Das Problem ist nur: Gerade das kann euch niemand beibringen: weder eure Eltern noch eure Paten, weder eure Lehrer, noch euer Pastor oder euer Jugendreferent. Niemand kann das. Auf Gott vertrauen, das ist eine Sache, die ihr ganz allein mit Gott abmachen müsst. Ich kann euch nur sagen, dass Gott es wert ist, dass man ihm vertraut, weil er euch geschaffen hat, weil er euch liebt und weil er immer für euch da sein will. Ich kann euch sagen, dass es sich für mich immer gelohnt hat, mein Vertrauen auf Gott zu setzen und nicht auf das, was ich selber kann und weiß. Und ich bin überzeugt, dass Gott keinem die kalte Schulter zeigt, der ihm vertrauen möchte. Aber euch darauf einlassen, das müsst ihr selber. Das kann euch niemand abnehmen.
Ich weiß nicht, wann wir uns wieder sehen werden, wenn ihr eure Konfirmation hinter euch habt. Einige von euch wollen bei uns mitarbeiten – das ist prima! Andere lassen sich hoffentlich mal wieder bei FRECH blicken oder bei anderen Gelegenheiten. Vielleicht kommt ihr aber auch erst zu eurer Hochzeit wieder oder zur Taufe eurer Kinder. Und vielleicht seid ihr’s so leid, dass es euch jetzt reicht mit Kirche. Aber wie nah oder fern von hier ihr auch sein werdet, eins gilt ganz sicher: Gott wird da sein überall, wo ihr hingeht. Er ist neben euch und über euch, hinter euch und vor euch. Er ist immer nur einen Schritt von euch entfernt, und diesen Schritt zu Gott hin könnt ihr jederzeit tun – ganz egal, mit welchen Gedanken, Worten oder Taten. Und wo wir euch auch künftig dabei helfen können, wollen wir es gern tun. In diesem Sinne wünsche ich euch: Geht mit Gott, wenn ihr geht oder bleibt, möge seine Macht mit euch sein und sein Segen euch immer begleiten! Amen.
(Pfarrer Dr. Martin Klein)