Predigt Wenschtkirche, Sonntag, 22. Juni 2014

Gottesdienst für den ersten Sonntag nach Trinitatis

Text: 5. Mose 6,4-9

Nun ist die kleine Marie also getauft. Gott hat ihr seine Liebe zuge­sagt, er hat sie aufgenommen in seinen Bund mit den Menschen, und so gehört sie zu ihm und zu seiner Gemeinde. Damit ist alles klar, und doch fehlt noch etwas – nicht auf Gottes Seite, aber auf unserer: Marie soll nun auch davon erfahren, dass sie getauft ist und was das bedeutet. Sie soll zu Gott und zur Gemeinschaft der Chris­ten ihr eigenes und bewusstes Verhältnis finden. Und dazu sind wir gefragt: Eltern und Paten, aber auch wir als Gemeinde. Wir haben versprochen, unseren Teil dazu beizutragen, dass Marie ihren Weg findet zu einem Leben als Christin.

Es gibt vieles, was man dafür tun kann: zum Beispiel mit Marie be­ten vor dem Schlafengehen, ihr biblische Geschichten erzählen und vorlesen, sie die Gemeinschaft von Christen erleben lassen: im Kinder­garten, im Kindergottesdienst, bei der Kinderbibelwoche oder wo auch immer, ihr vorleben, wie man sich an Gottes Gebote hält. Das alles wird uns nie perfekt gelingen, aber ich bin überzeugt, dass dadurch in unseren Kindern eine Saat aufgeht, die Gott dann wach­sen lässt – trotz aller Fehler, die wir dabei machen.

Eines gehört allerdings auch noch dazu, und zwar an zentraler Stelle: Dass wir für unsere Kinder mit wenigen, verständlichen Worten auf den Punkt bringen, worin unser christlicher Glaube besteht, was er über Gott sagt, über uns selber und unser Verhältnis zueinander – sozusagen als geistliche Mindestration, mit der man durchs Leben gehen kann. Deswegen haben wir eben stellvertretend für Marie das Glaubensbekenntnis gesprochen. Es enthält in wenigen Worten das wichtigste von dem, was Christen glauben, und wir hoffen, dass Marie eines Tages ihr eigenes Ja dazu sagen kann. Aber es geht viel­leicht auch mit noch weniger Worten – jedenfalls wenn wir uns die geistliche Mindestration des Volkes Israel zum Vorbild nehmen. Sie ist Teil unseres heutigen Predigttextes aus Kapitel 6 des fünften Buchs Mose:

Höre, Israel, der Herr ist unser Gott, der Herr ist einer. Und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieb haben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft. Und diese Worte, die ich dir heute ge­biete, sollst du zu Herzen nehmen und sollst sie deinen Kin­dern ein­schärfen und davon reden, wenn du in deinem Hause sitzt oder unter­wegs bist, wenn du dich niederlegst oder aufstehst. Und du sollst sie binden zum Zeichen auf deine Hand, und sie sollen dir ein Merkzeichen zwischen deinen Augen sein, und du sollst sie schreiben auf die Pfosten deines Hauses und an die Tore.

„Höre, Israel, der Herr ist unser Gott, der Herr ist einer.“ Dieser kurze Satz ist zum Glaubensbekenntnis Israels geworden. Bis zum heu­tigen Tag ist er für jeden frommen Juden die Grundausrüstung für seinen Weg mit Gott.

In der Abfolge des Alten Testaments steht er denn auch an einer Wegscheide: Aus Ägypten befreit, war das Volk vierzig Jahre durch die Wüste gezogen. Nun geht diese Zeit zu Ende, der Einzug ins ver­heißene Land Kanaan steht bevor. Mose, der das Volk die ganzen vierzig Jahre hindurch geführt hat, wird nicht mehr dabei sein. Er nimmt Abschied und schärft seinen Leuten noch einmal ein, was Gott ihnen geboten hat. Und dabei steht das Bekenntnis zu dem einen Gott Israels an vornehmster Stelle.

Historisch gesehen ist das „Schema’ Jisrael“, wie es nach seinen heb­räischen Anfangsworten heißt, erst später entstanden. Um 620 vor Christus setzte König Josia von Juda dieses Bekenntnis im ganzen Land durch, verbot endgültig die Verehrung anderer Götter und löste auch alle Heiligtümer des Gottes Israels außerhalb Jerusalems auf. Der eine Gott sollte im ganzen Land auf die gleiche Weise ver­ehrt werden, näm­lich indem seine Gebote befolgt wurden, wie sie im fünften Buch Mose aufgeschrieben standen. Auch so gehört das Be­kenntnis aber an einen entscheidenden Wendepunkt der Ge­schichte Israels. Nur dreißig Jahre später war Jerusalem zerstört und mit ihm das eine verbliebene Hei­ligtum vernichtet, und ein Großteil der Bevölkerung war nach Babel depor­tiert.

Nun erwies sich das „Schema’ Jisrael“ als die eiserne Glaubensration, die es dann geblieben ist. Mit ihr konnte das Vertrauen auf den Gott Israels auch im fremden Land, auch ohne Tempel und Priester überle­ben. Erst jetzt wurde es den Juden so kostbar, dass sie die Anweisungen des Textes wortwörtlich umsetzten: „Höre, Israel, der Herr ist unser Gott, der Herr ist einer“ – so lernt es seitdem und bis heute wirklich jedes jüdische Kind, so wird es in jedem Synagogengot­tesdienst bekannt, so steht es auf je­dem Handriemen und in jedem Stirnkästchen, das fromme Juden sich zum Gebet anle­gen, und so steht es auch an jedem Türpfosten, der in ein jüdisches Haus oder eine jüdische Wohnung führt. Diese Worte waren immer dabei: bei allen Pogromen und Vertreibungen, in den Ghettos und den Gaskammern, aber auch bei der Gründung des Staates Israel vor 66 Jahren. Und sie sind nicht bei Israel stehen geblieben. Vom Judentum ausgehend bekennen sich heute auch wir Christen und die Muslime zu dem einen Gott, der Himmel und Erde gemacht hat.

Doch zurück zu uns: Auch wir sind wie Marie getauft auf den Namen dieses einen Gottes, der für uns Vater, Sohn und heiliger Geist ist. Auch wir haben uns mit unserer Konfir­mation zu diesem einen Gott bekannt oder werden es bald tun. Ein Teil von uns hat das sicher sehr bewusst und aus Überzeugung getan. Andere sind einfach der Tradition gefolgt, haben sich konfirmieren lassen, weil man das eben tut mit vierzehn, wenn man evangelisch ist. Einige sind viel­leicht nur mit innerem Wi­der­streben zur Konfirmation gegangen und konnten weder damals noch später etwas mit Gott anfangen.

Aber was auch immer unsere innere Einstellung dazu war und ist: Wir haben diese geistliche Ration mitbekommen auf unseren Lebens­weg. Was bei jeder und jedem daraus wird, kann ich natür­lich nicht wissen. Manche packen sie wohl erst einmal gut weg und rühren sie jahrelang nicht an. Und wenn sie irgendwann wieder drauf stoßen, kann die Reaktion verschieden sein: „Ach, schleppe ich den alten Plunder denn immer noch mit mir herum? Dann wird’s aber höchste Zeit den unnötigen Ballast endlich abzuwerfen!“ Oder: „Was für ein Schatz war da so lange bei mir verborgen! Warum habe ich ihn bloß nicht früher entdeckt?“ Andere kämpfen vielleicht ihr Leben lang mit dem Gott, dessen Zusage sie bei Taufe und Konfirma­tion empfangen haben; sie arbeiten sich an ihm ab und können doch nicht von ihm lassen, sind ihm mal ganz nahe und mal ganz fern. Für wieder andere verändert sich Gott, weil auch sie selber sich verän­dern, und dadurch mag er manchem näher rücken, manchem aber auch fremd werden. Und noch andere bleiben immer mit Gott im Gespräch, nehmen sich ihren Glauben zu Herzen und geben ihn an Kinder und En­kel weiter, so gut sie es können – ganz im Sinne des „Schema’ Jisrael“, ganz im Sinne des Versprechens, das Maries Eltern und Paten heute gegeben haben.

Aber wie dem auch sei, Gottes Zuspruch bleibt auf jeden Fall gültig: „Ich bin der Herr, dein Gott. Ich bin es immer – auch in den Zeiten, wo du mich vergisst oder verlierst: einge­spannt, wie du bist, in Schule und Ausbildung, Familie und Beruf; abgelenkt, wie du bist, von dem, was das Leben sonst noch so zu bieten scheint. Ich bin da – auch bei den Tiefschlägen, die das Leben dir versetzt, und wäh­rend du noch nach mir suchst, habe ich dich schon aufgefangen und getra­gen. Schau zurück und versuch die Spuren zu entdecken, die ich bisher auf deinem Lebensweg hinterlassen habe! Und dann tu das eine, was ich gern von dir hätte: Hab mich, den Herrn, deinen Gott, lieb, so wie ich dich schon immer geliebt habe. Nicht, weil ich das brauche. Sondern weil es dir gut tut. Weil du einen festen Halt brauchst, auf den du dich ganz und gar verlassen kannst.“

Noch eins, damit wir uns nicht falsch verstehen: „Gott lieb haben“ – dabei geht es nicht um Sentimentalität und Gefühlsduselei. Liebe als Gefühl kann ich ja nicht machen; deshalb hätte es auch keinen Sinn, wenn Gott mich dazu auffordern würde. Nein, es ist hier genauso wie in der Schriftlesung aus dem ersten Johannesbrief: Gott lieben heißt seine Gebote halten, nach seinem Willen leben, mich um die Menschen kümmern, die er genauso liebt wie mich und die ge­rade mich und meine Hilfe brauchen. Wer das sein könnte außer de­nen, die ohnehin meine Nächsten sind in Familie und Freundeskreis, das muss ich selber wissen und entscheiden. An Möglichkeiten, mich für andere einzusetzen, besteht jedenfalls kein Mangel.

Aber damit das alles nicht in blinden Aktionismus ausartet, sollten wir eins nicht vergessen: Alles, was wir in Gottes Namen tun, ruht in seiner Zusage: „Höre, Israel, höre Christenheit, höre, Kirchenge­meinde Klafeld und alle, die dazu gehören: Ich, der Herr, bin euer Gott.“ Diese Zusage reicht fürs ganze Leben, für Arbeit und Ruhe, für Freude und Leid, für Kindheit, Jugend und Alter. Denn so ist er, der Herr, unser Gott: immer für uns da. Und wo könn­ten wir es besser haben als in seiner Nähe? Amen.

Pfarrer Dr. Martin Klein