Predigt Wenschtkirche, Sonntag, 17.03.2019

GOTTESDIENST FÜR DEN SONNTAG REMINISZERE

Text: Joh 3,13-21

„Mit diesem Zeichen wirst du siegen“ – seit Kaiser Konstantin vor 1700 Jahren diese Worte hörte (angeblich jedenfalls), ist das Kreuz das Erkennungszeichen der Christen. Es kommt in allen möglichen Formen und Gestalten vor: klein oder groß, schlicht oder verziert, aus Gold oder Stein, Silber oder Holz, an der Wand oder um den Hals, mit oder ohne Jesus dran. Aber seinen Zweck erfüllt es schon in seiner einfachsten Form – so wie es da auf dem Abendmahlstisch steht: Ein Längsbalken und ein Querbalken, die sich kreuzen, meist ungefähr auf Zwei-Drittel-Höhe. Ein besseres Logo hätte auch ein professioneller Werbegraphiker sich nicht ausdenken können: einfach, klar, hoher Symbolwert und hoher Wiedererkennungsfaktor.

Man sieht es diesen zwei Balken nicht mehr an, dass sie mal ein Hin-richtungswerkzeug waren. Viele tausend Menschen sind unter römi-scher Herrschaft an solchen Kreuzen gestorben: entkräftet, ausge-dörrt und erstickt, oft nach tagelangem Todeskampf. Entflohene Sklaven waren darunter, Widerstandskämpfer, auch „ganz normale“ Verbrecher. Und Jesus.

Wie konnte das passieren? Warum musste ausgerechnet er so einen grausamen Tod sterben? Er hatte doch nichts getan – nur den Menschen von Gott erzählt, Kranke geheilt und sich den Armen und Verachteten zugewendet!

Nun, man kann es natürlich erklären. So wie Jesus redete und handelte, eckte er eben auch an und machte sich Feinde. Und dann ließ er sich beim Einzug in Jerusalem als König feiern und startete eine rabiate „Aufräumaktion“ im Tempel. Spätestens jetzt war er für die Hüter der heiligen Ordnung eben doch ein Gotteslästerer und für die Besatzungsmacht ein Aufrührer. Mit so einem pflegte Pontius Pilatus kurzen Prozess zu machen, und dem Hohen Rat war es gerade recht.

Aber denen, die dann zum Glauben an Jesus Christus kamen, reichte eine solche Erklärung nicht. Sie waren ja überzeugt, dass Gott Jesus von den Toten auferweckt hatte. Und damit hatte er sich zu Jesus bekannt, zu seinen Worten und Taten und zu seiner Person. Gott hatte deutlich gemacht: „In Jesus war ich selber mitten unter euch. Er war und ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.“ Aber was machte Gottes Sohn dann am Kreuz? An einem Ort, der von Gott so weit weg war wie nur irgend möglich? Wäre Jesus nur ein Mensch gewesen, dann wäre seine Kreuzigung tragisch, aber erklärlich. Aber warum musste Gottes Sohn sterben, und das gerade so? Diese Frage ist mit dem Hinweis auf die Umstände und auf die Motive der Verantwortlichen noch nicht geklärt.

Das Kreuz in seiner schlichten Form mag uns zur Antwort ein paar Hinweise geben: Es steht auf der Erde, aber es weist zum Himmel. Es hat eine Mitte, die es zusammenhält. Es hat einen Querbalken, der zwischen Himmel und Erde hängt und doch mit beidem verbunden ist. Und es ist leer. Es ist klar, dass mal etwas daran gehangen hat. Aber jetzt ist es weg. Oder es ist woanders.

Der heutige Predigttext sagt uns, was hinter diesen Beobachtungen steckt. Das Wort „Kreuz“ kommt darin nicht vor. Aber er umschreibt das Geschehen, das hinter dem Kreuz liegt. Er sagt, warum es sein musste, was dort wirklich geschah und was dadurch bewirkt wurde. Und er wirft so vielleicht auch für uns nochmal neues Licht auf dieses alte christliche Symbol. Wir hören Johannes 3,13-21:

Niemand ist gen Himmel aufgefahren außer dem, der vom Himmel herabgekommen ist, nämlich der Menschensohn. Und wie Mose in der Wüste die Schlange erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, auf dass alle, die glauben, in ihm das ewige Leben haben. Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn gerettet werde. Wer an ihn glaubt, der wird nicht gerichtet; wer aber nicht glaubt, der ist schon gerichtet, denn er hat nicht geglaubt an den Namen des eingeborenen Sohnes Gottes. Das ist aber das Gericht, dass das Licht in die Welt gekommen ist, und die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht, denn ihre Werke waren böse. Wer Böses tut, der hasst das Licht und kommt nicht zu dem Licht, damit seine Werke nicht aufgedeckt werden. Wer aber die Wahrheit tut, der kommt zu dem Licht, damit offenbar wird, dass seine Werke in Gott getan sind.

Formal gehören diese Verse noch zur Antwort Jesu an Nikodemus. Aber eigentlich haben sie das nächtliche Gespräch zwischen dem Rabbi aus Nazareth und dem vornehmen Pharisäer schon hinter sich gelassen. Hier sind alle angesprochen, die es lesen. Hier spricht auch nicht mehr Jesus, sondern es wird über ihn gesprochen, und das aus der Sicht des Glaubens. Und es geht um die entscheidende Frage: Was steckt hinter dem Geschehen um Jesus? Wie bedeuten sein Leben, Sterben und Auferstehen von Gott her? Und was bedeutet das für uns? Ich versuche es an einigen wichtigen Stichwörtern des Textes deutlich zu machen.

Das erste Stichwort lautet „Erhöhung“: Der Menschensohn, also Jesus, „muss erhöht werden“, heißt es. „Erhöhung“ hat bei Johannes immer eine doppelte Bedeutung. Die näher liegende ist die: Jesus wird erhöht von der Erde, er fährt auf in den Himmel, er kehrt zurück zu seinem himmlischen Vater. Aber daneben gibt es noch eine andere Bedeutung: Jesus wird erhöht – ans Kreuz. Dort hängt er zwischen Himmel und Erde. Tiefer kann er nicht mehr sinken, mögen wir denken. Aber für Johannes beginnt hier am Kreuz auch schon die Erhöhung in ihrer ersten Bedeutung. „Es ist vollbracht“, sagt Jesus, bevor er stirbt. Also ist schon hier am Kreuz seine Mission erfüllt, nicht erst bei seiner Auferstehung. Und deshalb ist er schon am Kreuz auf seinem Weg zum Himmel.

Der Vergleich mit Moses eherner Schlange macht das deutlich: Giftige Schlangen waren über Israel in der Wüste hergefallen. Wer von ihnen gebissen wurde, musste sterben. Es sei denn, er schaute die Schlange aus Erz an, die Mose an eine Stange gehängt hatte. Die Schlangen hatte Gott geschickt, aber er hatte Mose auch dieses Zeichen gegeben. So kam beides von Gott: die gerechte Strafe für Israels Ungehorsam, aber auch die Rettung aus diesem Strafgericht. Johannes sieht darin das Urbild der Kreuzigung Jesu. Auch darin geschah von Gott her beides: Erniedrigung und Erhöhung, Gericht und Rettung, Strafe und Vergebung. Dazu gleich mehr.

Aber zunächst zum zweiten Stichwort: es lautet „eingeboren“. Es kommt in jedem Glaubensbekenntnis vor, das wir sprechen: „Und an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn, unsern Herrn“. Von hier, aus dem Johannesevangelium, ist dieses Wort ins Glaubensbekenntnis gewandert. Und wir sind es so gewohnt, dass wir über seine Bedeutung gar nicht mehr groß nachdenken. Mit den „Eingeborenen“ aus Kolonialzeiten hat es natürlich nichts zu tun. Es ist vielmehr eine Abkürzung für „einzig geboren“: Jesus ist der einzige Sohn, der Gott je geboren wurde. Und damit ist klar: er ist das Wichtigste, Wertvollste, Liebste, was er hat. Ein Teil von ihm selbst, mehr als nur ein Teil. Und diesen seinen einzigen, geliebten Sohn hat Gott gegeben, „auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“ Auch hinter dem Wort „gegeben“ steht unausgesprochen das Kreuz. Dort hat Gott seinen Sohn für uns hingegeben, in den Tod gegeben. Und das heißt nicht, dass er ihn kaltblütig preisgegeben hat. Es heißt auch nicht, dass er seinen Tod billigend in Kauf genommen hat, um ein höheres Ziel zu erreichen. Sondern es heißt, dass er sich selber den schlimmstmöglichen Schmerz zugefügt hat. Es heißt, dass er selber mitgelitten hat, ja, mitgestorben ist.

Deshalb ist das Kreuz Jesu unendlich viel mehr als die eherne Schlange des Mose. Die war nur ein Zeichen aus Erz, das Gott Israel gegeben hatte; nun aber gibt er sich selbst. Wenn also schon jenes Stück Erz Leben bedeutete für die, die es ansahen, wieviel mehr bedeutet das Kreuz Jesu dann Rettung für alle, die daran glauben. Mehr konnte Gott die Welt in der Tat nicht lieben. Die Welt, wohlgemerkt. Nicht nur ein paar Auserwählte. Nicht nur ein paar fromme Musterexemplare. Auch nicht nur die, die an ihn glauben. Sondern alle. Für alle hat er seinen Sohn gegeben. Allen gilt die Rettung, die dadurch geschehen ist. Denn alle haben sie nötig. Alle lieben die Finsternis mehr als das Licht. Alle haben das Böse in sich. Alle leben von Gott getrennt und kommen da aus eigener Kraft nicht heraus. Deshalb das Kreuz. Deshalb der Tod des Sohnes Gottes als Bindeglied zwischen Himmel und Erde. Deshalb nimmt Gott auf sich, was wir nicht tragen können, und geht den Weg, den wir nicht gehen können.

Und damit bin ich beim dritten und letzten Stichwort: dem „Gericht“. Ja wahrhaftig, diese Welt hätte das Gericht verdient. Was haben Menschen nicht schon alles angerichtet in Gottes guter Schöpfung! Was haben Menschen einander nicht schon alles angetan! Und wir hängen alle mit drin – keiner kann sich rausreden. Aber Gott will die Welt nicht richten. Er will sie retten. Denn er liebt sie, trotz allem, immer noch. Und deshalb nimmt er selber das Gericht auf sich. Er stirbt in seinem Sohn, er trägt die Konsequenzen unserer Schuld. Und er trägt sie weg, ein für alle Mal.

Glauben wir das? Dann sind wir gerettet, heißt es bei Johannes. Dann findet für uns kein Gericht mehr statt, denn es ist schon geschehen. Oder glauben wir es nicht? Auch dann ist das Gericht schon geschehen, aber der Freispruch kommt nicht bei uns an. Auch dann hat Gott uns geliebt wie alle Welt, aber wir haben nichts von seiner Liebe. Doch noch ist das letzte Wort darüber nicht gesprochen. Es muss nicht dabei bleiben. Allen steht der Glaube offen, alle können aus der Finsternis ins Licht treten. Nicht aus eigener Kraft, aber kraft der Liebe Gottes. Denn wenn Gott wirklich die Welt retten will, dann schafft er das auch. Im Zeichen des Kreuzes wird er siegen, und wir alle dürfen dabei sein. Amen.

Ihr Pastor Martin Klein