Predigt Wenschtkirche, Sonntag, 1. Mai 2022

GOTTESDIENST FÜR DEN SONNTAG MISERIKORDIAS DOMINI

Text: Joh 21,15-19

„Sag mal: liebst du mich eigentlich noch?“ Wenn eine Frau ihrem Mann diese Frage stellt (umgekehrt kommt es wohl seltener vor), so aus heiterem Himmel beim gemütlichen Sonntagsfrühstück, dann gehen beim Be­ziehungskrisenwarndienst die roten Lampen an. Denn hinter diesen wenigen Worten steckt ja mehr als eine schlichte Frage. „Ich liebe dich sehr wohl noch“, besagen sie, „und diese Liebe ist mir wichtig und kostbar. Aber ich frage mich, ob du meine Liebe noch erwiderst, oder ob ich dir längst egal bin. Weil du dich beim Frühstück hinter der Zeitung vergräbst und nur das Nö­tigste mit mir redest. Weil du lieber Überstunden machst, statt dir mal einen Abend für mich Zeit zu nehmen. Weil du ständig anderen Frauen hinterher guckst, aber bei mir nicht mal eine neue Frisur be­merkst. Oder wa­rum auch immer. Aber immerhin: wer so fragt, hat noch Hoffnung. Will die gestörte Beziehung in Ordnung bringen. Möchte sich ver­gewissern, dass der Partner oder die Partnerin einen natürlich noch liebt und nur so selten dazu kommt.

Von daher ist auch die gewünschte Antwort klar: „Ja, ich liebe dich, und dabei wird es immer bleiben“, das möchte sie oder er gern hören. Aber natürlich nicht genervt oder genuschelt hinter der Zeitung her­vor. Und natürlich auch nicht, ohne dass entsprechende Taten folgen. In leichteren Fällen mag ein Lächeln und eine zärtliche Umarmung rei­chen – gefolgt von einem netten kleinen Geschenk bei nächster Gelegen­heit. Aber wenn die Frage öfter wiederkehrt, ist mehr gefor­dert. Da muss man dann doch mal seinen Alltag hinterfragen und einiges grundsätzlich anders machen, um der Liebe wirklich gerecht zu werden.

Im heutigen Predigttext bekommt auch jemand diese Frage gestellt, und das gleich dreimal, obwohl er gleich beim ersten Mal die richtige Antwort gibt. Klingt nach Beziehungskrise im fortgeschrittenen Sta­dium: kaum noch was zu retten! Aber es gelingt doch, und am Ende ist wieder alles in Ordnung. Wie das geht? Nun, hören Sie selbst, was da in Johannes 21 steht:

Da sie nun das Mahl gehalten hatten, spricht Jesus zu Simon Petrus: „Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich mehr, als mich diese lieb ha­ben?“ Er spricht zu ihm: „Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe.“ Spricht Jesus zu ihm: „Weide meine Lämmer!“ Spricht er zum zweiten Mal zu ihm: „Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb?“ Er spricht zu ihm: „Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe.“ Spricht Jesus zu ihm: „Weide meine Schafe!“ Spricht er zum dritten Mal zu ihm: „Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb?“ Petrus wurde traurig, weil er zum dritten Mal zu ihm sagte: Hast du mich lieb?, und sprach zu ihm: „Herr, du weißt alle Dinge, du weißt, dass ich dich lieb habe.“ Spricht Jesus zu ihm: „Weide meine Schafe! Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Als du jünger warst, gür­tetest du dich selbst und gingst, wo du hinwolltest; wenn du aber alt bist, wirst du deine Hände ausstrecken, und ein anderer wird dich gürten und führen, wo du nicht hinwillst.“ Das sagte er aber, um anzuzeigen, mit welchem Tod er Gott preisen würde. Und als er das gesagt hatte, spricht er zu ihm: „Folge mir nach!“

Natürlich geht es hier nicht um eine Ehekrise, aber um eine tiefe Be­ziehungskrise allemal. Als Jesus das erste Mal fragt, ist Petrus das vielleicht noch nicht so klar. „Liebst du mich mehr, als mich diese lieb haben?“ sagt Jesus – mehr als die anderen Jünger also. Denn diesen Anspruch hat Petrus ja mal erhoben. „Ich will mein Leben für dich lassen“, das sind seine Worte gewesen an jenem Abend, als sie das letzte Mal zusammengesessen haben. So hat das sonst keiner ge­sagt. Und Jesus hat kurz darauf bestätigt: „Niemand hat größere Liebe als die, dass er sein Leben lässt für seine Freunde.“ Aber Pet­rus überhört die Spitze in der Frage – bewusst oder unbewusst. „Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe“, lautet seine Antwort, und ich stelle mir vor, dass sie beim ersten Mal noch im Brustton der Über­zeugung daher kam.

Aber Jesus fragt noch einmal: „Hast du mich lieb?“ Und beim zwei­ten Mal mag Petrus schon etwas unsicher geantwortet haben. „Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe“, sagt er wieder und denkt vielleicht im Stillen: „Warum fragt er noch einmal? Glaubt er mir etwa nicht?“

Doch es kommt noch schlimmer: Jesus fragt auch noch ein drittes Mal: „Hast du mich lieb?“ Dieses Mal wird Petrus traurig, heißt es. Und wer das Evangelium aufmerksam gelesen hat, der kann sich denken, weshalb. „Der Hahn wird nicht krähen, ehe du mich dreimal verleugnet hast“ – das war Jesu nüchterne Entgegnung, als Petrus anbot, sein Leben für ihn zu lassen. Und genauso ist es gekommen im Hof des Hohen­priesters: „Bist du nicht auch einer von den Jün­gern dieses Men­schen? Sah ich dich nicht im Garten bei ihm?“ So haben sie gefragt, die Pförtnersmagd, die Bediensteten am Feuer, der Verwandte des Malchus, dem Petrus ein Ohr abgehauen hat. Und was hat er ge­antwortet? „Ich bin’s nicht“ – das war alles, was er mühsam heraus­brachte. Dabei hätte er für die Wahrheit gar nicht mal sterben müs­sen. Dem Hohenpriester reichte es ja, dass er Jesus hatte: „Schlag den Hirten, und die Schafe laufen von allein auseinander“. Und Pet­rus tat sein Bestes, um diesen Zynismus zu bestäti­gen. Dann krähte der Hahn.

Ziemlich kleinlaut wird Petrus bei seiner dritten Antwort geklungen haben – kleinlaut, aber ehrlich. „Herr, du weißt alle Dinge“, so be­ginnt er. Soll heißen: „Du weißt, wie schrecklich ich versagt habe und wie Recht du mit deiner Ansage hattest. Aber du weißt eben auch, wie lieb ich dich trotzdem habe und wie traurig ich deshalb über mein Versagen bin. Und du weißt, was ich dir damit sagen will: Vergib mir und fang mit mir neu an!“

Man kann also deutlich spüren, wie sich die Antwort des Petrus von Mal zu Mal verändert, obwohl sie immer fast den gleichen Wortlaut hat: von der Selbstsicherheit über den Zweifel bis hin zur Zerknir­schung. Umso erstaunlicher, dass die Entgegnung Jesu immer die gleiche bleibt: „Weide meine Schafe!“ Das klingt so lapi­dar, aber wenn Sie die Schriftlesung noch im Ohr haben, wissen Sie, was für ein gewaltiger Auftrag das ist: „Meine Schafe hören meine Stimme“, sagt Jesus dort von sich selber, „und ich kenne sie, und sie folgen mir; und ich gebe ihnen das ewige Leben.“ Was Jesus dem Petrus aufträgt, bedeutet also: „Ich, der gute Hirte, vertraue dir meine Schafe an. Du sollst meinen Leuten nun geben, was sie zum Leben und zum Glauben brauchen, und ich rüste dich dazu aus. Und schließlich wird auch das noch eintreten, was du neulich etwas vor­schnell versprochen hast: In treuer Ausübung deines Hirtenamtes wirst du dein Leben für mich lassen.“ Und das sagt Jesus eben nicht nur dem selbstbewussten Petrus mit seinem Freimut, seiner Tatkraft und seiner bedingungslosen Treue zu seinem Herrn. Sondern er sagt es auch dem traurigen Versager, dem verzagten Großmaul, dem un­beherrschten Draufgänger: „Weide meine Schafe – gerade du! Ich brauche keine Superhelden und keine Mega-Stars, sondern einfach Menschen, die mich lieb haben und von meiner Vergebung leben.“

Und wir? Was wäre, wenn der auferstandene Christus zu uns käme, wenn er uns an seinen Tisch lüde, mit uns äße und tränke und nach der Mahl­zeit mich fragen würde: „Du, Martin Klein, hast du mich lieb? Oder auch uns alle gemeinsam: „Ihr, Evangelisch-Reformierte Kirchen­gemeinde Klafeld, habt ihr mich lieb?“

Natürlich kennen wir die richtige Ant­wort, genau wie Petrus. Aber wie würde sie klingen? Selbstbewusst? Zweifelnd? Zerknirscht? Oder würden wir uns – moderne Menschen, die wir sind – der Ant­wort entziehen? Denn, so denken wir vielleicht, wie soll ich jeman­den lieb ha­ben, der mir gar nicht als Person gegenübertritt – jeden­falls nicht so, wie ich das sonst von Personen gewohnt bin? Und was heißt hier überhaupt „Liebe“? Schließlich kann Liebe sehr Verschie­denes sein – je nachdem, ob ich meine Frau liebe, meine Kinder, meine Eltern, meine Freunde, meine Nächsten, mein Glas Rotwein vor dem Schlafengehen, mein Lieblings-Irgendwas oder gar mein Vaterland!

Aber lassen wir das. Weichen wir mal nicht aus, sondern stellen uns Jesus, den Sohn Gottes, als Person vor, die neben uns sitzt und uns fragt: „Du – ja, genau, dich meine ich: Hast du mich lieb? Ist zwi­schen mir und dir alles in Ordnung? Oder gibt es da ein Problem zwischen uns? Du musst nämlich wissen, dass ich dich immer geliebt habe, von deinem ersten Tag im Mutterleib an bis zum heutigen Sonntagvormittag. Nie habe ich damit nachgelassen, ich werde es auch nie tun, und ich wünsche mir einfach, dass du meine Liebe er­widerst. Aber wie steht es damit? Hast du auch das Gespräch mit mir aufge­geben, weil deine Zeitung, dein Fernseher, dein Smartphone dich ablenkt mit all den Sensationen und Katastrophen, die dir dort ins Auge springen? Nimmst du dir noch Zeit für mich, im Gottes­dienst, im stillen Gebet, im Lesen der Bibel, da­mit ich dir Gutes tun und dir meine Liebe schenken kann? Oder ist dir alles andere wichti­ger: deine Arbeit, deine Ruhe, deine Alters­vorsorge, deine Altersge­bre­chen, deine Sorgen, dein Ärger, dein Vergnügen? Beachtest du mich noch: das, was du von mir lernen kannst, das, was ich dir geben will, oder schaust du dich lieber an­derweitig um: hier ein bisschen Astro­logie, dort ein wenig Esoterik, da ein Schuss Positives Denken, und das alles mit etwas fernöstlicher Mystik garniert? Oder gehörst du gar auch zu denen, die leugnen, mich je gekannt zu haben? Nicht dass ich beleidigt bin oder Wut auf dich habe, wenn du mich links liegen lässt. Ich finde es nur einfach schade. Denn es fing doch mal so gut an mit uns beiden: damals, als du getauft wurdest, als ich dich bei deinem Namen gerufen und dich in meine große Herde aufgenom­men habe. Wir haben doch so viel miteinander erlebt: im Kindergot­tesdienst, im Konfirmandenunter­richt oder damals, als du die ­gefährliche Krankheit überstan­den hast. Daran können wir doch an­knüpfen und alles vergessen, was uns einander entfremdet hat. Und wenn du dich fragst, wie du das machen sollst: mich lieb haben, dann mach es einfach wie Petrus: Weide meine Schafe! Gib meine Liebe weiter an die Menschen um dich herum. Kümmere dich um sie. Achte auf das, was sie brauchen und was gerade du ihnen geben kannst. Und erzähl ihnen von mir und von dem, was du mit mir er­lebt hast. Nein, keine Angst: Du musst nicht dein Leben für mich lassen – das habe ich schon für dich getan! Mir reicht es, wenn du dein Leben für mich – lebst. Denn dann ist es auch für dich ein gutes Leben, ein gelingendes Leben. Also, was ist? Hast du mich lieb? – Sag einfach Ja, und dann tu, was du willst!“ Amen.

Ihr Pastor Martin Klein