Predigt Talkirche, Sonntag, 6. Oktober 2013

Gottesdienst für das Erntedankfest

Text: Mt. 6,19-21

Ihr sollt euch nicht Schätze sammeln auf Erden, wo Motte und Holz­wurm sie verschwinden lassen und wo Diebe einbrechen und stehlen. Sammelt euch aber Schätze im Himmel, wo weder Motte noch Holz­wurm sie verschwinden lassen und wo Diebe nicht einbrechen und stehlen. Denn wo dein Schatz ist, da wird auch dein Herz sein.

Was Jesus hier vom Schätze-Sam­meln sagt, das mag uns beim ers­ten Hören ziemlich veraltet vorkommen. Wer legt schon heutzutage noch sein Geld in Textilien an und lässt sie dann von den Motten fressen? Kleidung ist für uns doch längst zur Ex-und-Hopp-Ware geworden. Sie wird angezogen, bis sie aus der Mode ist – was sehr schnell geht – oder Löcher bekommt – was meistens auch nicht viel länger dauert – und dann ab in die Tonne damit oder, wenn es hoch kommt, in den Rot-Kreuz-Sack. Wir bewahren unsere Schätze auch nicht mehr in gro­ßen Truhen auf, die in irgendwelchen feuchten Kellern langsam vor sich hin modern. Wenn was wurmstichig zu wer­den droht, dann landet es halt auf den Sperrmüll – oder besten­falls auf dem Flohmarkt. Diebe und Einbrecher gibt’s zwar immer noch zuhauf. Aber die interessieren sich mehr für Bargeld oder Schmuck – und so was muss man ja nicht einfach so rumliegen las­sen.

Nein, das Schätze-Sammeln kann man heute wirklich geschickter anstellen. Man kann Lebensversicherungen und Bausparverträge abschließen, in Immobilien investieren, Wertpapiere kaufen und so weiter. Und dann lässt man einfach das Geld für sich arbeiten und genießt mit den Erträgen das Leben – „mein Haus, mein Auto, meine Segel­yacht“. So jedenfalls wurde uns die schöne neue Welt des Kapitals lange Zeit in der Werbung präsentiert.

Aber beim zweiten Hören und mit den Erfahrungen der letzten Jahre im Hinterkopf müssen wir zugeben, dass Jesus immer noch Recht hat mit seiner Mahnung. Kreditkarten und Aktiendepots verrotten zwar nicht, aber ihr Wert ist eher noch vergänglicher als Schätze in Kisten und Truhen. Spätestens seit sechs Jahren, als die Investment-Bank Lehman Brothers pleiteging und damit die größte Wirtschafts­krise aller Zeiten auslöste, kann die Welt ein Lied davon singen. Wir mögen da hierzulande bis jetzt glimpflich davongekommen sein, aber anderswo leiden die Menschen immer noch ganz handfest un­ter den Folgen.

Wenn man das alles bedenkt, ist die Alternative, die Jesus uns an­bietet, so aktuell wie eh und je: Schätze im Himmel sammeln statt Schätze auf der Erde – ohne Verfallsdatum, krisenfest und diebstahlsi­cher. Weg von den materiellen, hin zu den ideellen, den ewigen Werten, das liegt durchaus im Trend der Zeit. Es fragt sich nur: Wie macht man das? Wie geht das mit der himmlischen Kapitalan­lage?

Im Mittelalter hat man es bekanntlich sehr wörtlich genommen: Geld und Stiftungen für die Kirche bringen Kredit für die Ewigkeit – „sobald das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt“. Über diesen platten Spruch fühlen wir uns natürlich seit Luthers Zeiten erha­ben – die Katholiken übrigens auch schon lange. Trotz­dem glaube ich, wir sind noch stärker in dieser Denkweise gefangen, als wir wahrhaben wollen. Vielleicht erwarten wir die Gewinnaus­schüt­tung nicht mehr so sehr im Jenseits. Aber warum es ihnen hier auf Erden so schlecht geht, wo sie doch immer so viel gespendet und Gutes getan haben, das fragen sich immer noch viele Men­schen. Und welcher kirchliche Mit­arbeiter – ob haupt-, neben- oder ehrenamtlich – hat sich nicht schon bei dem Gedanken er­tappt: Was habe ich eigentlich davon, dass ich in diese Arbeit so viel Zeit, Kraft, Nerven und, ja, auch Geld investiere? Kriege ich dafür irgendwas zurück? Oder heißt „für Gotteslohn“ schlicht „umsonst“?

Wir Menschen, auch wir Christenmenschen können da anscheinend nicht heraus aus unserer Haut. So sind wir nun mal gestrickt: Wenn kein Gewinn zu erwarten ist, wird auch nicht investiert – ganz egal ob es sich um materielle oder sogenannte „höhere“ Werte handelt. Selbst die Liebe geht zugrunde, wenn sie nicht irgendwann auf Ge­genliebe stößt. Echte Selbstlosigkeit hält keiner lange durch. Das mag bedauerlich sein, aber wir müssen uns wohl damit abfinden.

Aber wo ist dann der Unterschied zwischen dem Schätze-Sammeln auf Erden und dem Schätze-Sammeln im Himmel? Ich denke, er liegt im letzten Satz unseres Predigt-Textes: „Wo dein Schatz ist, da wird auch dein Herz sein.“ Und das ist für mich die entscheidende Frage: Woran hängt letzten Endes unser Herz? Denn – so hat es Martin Luther formuliert – „woran du dein Herz hängst und worauf du dich verlässt, das ist eigentlich dein Gott.“

Wir sollten unser Herz in dieser Sache ernstlich prüfen – gerade zum heutigen Erntedankfest. Hängt unser Herz wirklich an Gott, dem Schöpfer und Erhalter allen Lebens, dem Urheber aller guter Gaben, oder haben die muslimi­schen Fundamentalisten in all ihrer Verblen­dung doch Recht, wenn sie ihren Hass und ihren Terror immer wie­der auf Symbole des westlichen Kapitalismus richten – so wie jüngst auf ein Einkaufszentrum in Kenia? Dienen wir im einst christlichen Abendland nicht doch längst dem Mammon? Sind nicht die Börsen und die Banken und die Shopping-Malls unsere wahren Heiligtü­mer?

Gott möge uns davor bewahren – aber wie wäre es wohl, wenn das alles auch bei uns eines Tages zusammenbrechen würde? Wenn unsere Geldanlagen plötzlich nichts mehr wert wären? Wenn Staat und Wirtschaft Massen von Menschen entlassen müssten, um zah­lungsfähig zu bleiben? Wenn die Hälfte unserer jungen Leute keine Chance auf einen Job hätte? Wenn unser soziales Netz einfach nicht mehr zu finanzieren wäre? Und wenn dann Kommunisten und Nazis wieder aus der Versenkung auftauchen würden, so wie jetzt in Grie­chenland, um den Protest der Enttäuschten auf ihre Mühlen zu lei­ten? Hätten wir Christen dem etwas entgegenzusetzen? Hätte unser Glaube noch genug Substanz, um uns dann Zuflucht und Orientie­rung zu bieten? Oder hängt auch unser Herz so sehr an Geld und Gut, an Ruhe und Sicherheit, dass wir nur noch verzweifeln könnten, wenn sie uns genommen würden?

Es ist leicht gesagt, dass unser Herz nicht an dem hängt, was wir haben und besitzen. Es tut uns auch nicht weh, etwas davon abzuge­ben, solange immer noch genug für uns selber übrig bleibt. Aber was mit meinem Herzen passieren würde, wenn es eines Tages hart auf hart käme, das wage ich nicht vorherzusagen. In mancher Hinsicht wäre es da wohl leichter, so radikal zu sein wie Jesus und auf irdische Schätze ganz zu verzichten.

Es mag sein, dass wir das nicht schaffen. Denn wirklich radikal und konsequent sein, das können immer nur wenige. Aber wenn wir zu denen nicht gehören, dann möchte ich uns wenigstens an den Schatz im Himmel erinnern, der dort immer schon für uns bereit liegt. Und zwar ist das ein Schatz, den wir nicht selbst ge­sammelt haben, sondern den Gott für uns angelegt hat: einen Schatz an Gottver­trauen und Zuversicht, an Glaube, Hoffnung und Liebe. Von diesem Schatz können wir jederzeit abheben, so viel wie wir brau­chen – ohne Kreditkarte und ohne Rückzahlungspflicht. Und er wird reichen fürs ganze Leben und für alle Lebenslagen. Wenn unser Herz daran hängt, dann sind wir in guten Händen. Und mit unserem Be­sitz mögen wir dann verfahren, wie unser Herz es uns gebietet. Amen.

(Pfarrer Martin Klein)