Predigt Talkirche, Sonntag, 28.01.2018

GOTTESDIENST FÜR DEN SONNTAG SEPTUAGESIMAE

Text: Jer 9,22-23

So spricht der Herr: Ein Weiser rühme sich nicht seiner Weisheit, ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke, ein Reicher rühme sich nicht seines Reichtums. Sondern wer sich rühmen will, der rühme sich dessen, dass er klug sei und mich kenne, dass ich der Herr bin, der Treue, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden; denn solches gefällt mir, spricht der Herr.

„Eigenlob stinkt“, sagt der Volksmund. Wenn man das wörtlich nähme, dann dürfte man die nähere Umgebung vieler Zeitgenossen nur noch mit Gasmaske betreten. Denn wer in der Medienflut unserer Zeit noch Aufmerksamkeit finden möchte, der scheint ohne Loblieder auf sich selber nicht auszukommen. Eher selten kommt das Eigenlob so platt und plump daher wie bei Donald Trump („ich hab einen größeren roten Knopf als Kim Jong-Un“ oder „ich bin der beste Präsident, den Gott je erschaffen hat“). Nein, da gibt es geschicktere Methoden. Besonders die Weisen, die sich ihrer Weisheit rühmen, sind darin natürlich gut. Die sagen nie: „Entschuldigung, aber ich weiß das einfach besser.“ Sondern sie lassen sich als Experten in eine Talkshow einladen und spielen dort subtil aber deutlich ihre intellektuelle Überlegenheit aus. Aber auch die Starken, wenn sie gescheit sind, lassen nicht einfach ihre Muskeln spielen (die körperlichen oder die in den Waffenarsenalen), sondern sie erzählen davon, wie ihr steiniger Weg nach oben durch Krisen und Niederlagen sie stark gemacht hat. Und die wirklich Reichen protzen nicht mit fetten Klunkern oder rassigen Sportwagen, sondern sie gründen Stiftungen und lassen sich – am besten scheinbar widerwillig – als Wohltäter feiern.
Aber wir sollten nicht länger von anderen reden. Denn mal ehrlich: Wir helfen doch alle gern kräftig nach, um gut dazustehen vor uns selbst und vor den anderen. Wir wissen ganz genau, was die Regierenden in Stadt, Land und Bund dringend tun müssen und geben damit zu verstehen: Wenn wir da am Ruder wären, dann würde alles ganz anders laufen. Wir alle haben unsere kleinen Heldengeschichten, die wir gern erzählen, um durchblicken zu lassen, was wir für Kerle oder für starke Frauen sind (oder mal waren). Wir alle führen gern unsere neusten Besitztümer vor, damit alle sehen, was wir uns leisten können. Und wenn man uns lobt für unseren selbstlosen Einsatz oder unsere Spendenfreude – geben wir‘s zu: dann hören wir befriedigt zu und fühlen uns gern bestätigt, dass wir zu den Guten gehören.
Ja, das „sich selbst rühmen“ hat viele Facetten und Erscheinungsformen, und ich glaube, niemand ist ganz frei davon. Es ist ja auch gar nichts dagegen einzuwenden, wenn man mich verdientermaßen lobt und wenn das mein Selbstbewusstsein stärkt. Und falsche Bescheidenheit muss auch nicht sein. Aber wenn es bei all unserem Dichten und Trachten nur darum geht, dass wir in möglichst günstigem Licht erscheinen – vor uns selber, vor den anderen, auch vor Gott – dann stimmt etwas nicht. Denn das Bild, das wir dann von uns entwerfen, ist verkehrt. Es entspricht nicht unserem wahren Selbst. Denn das ist nie nur weise, sondern immer auch dumm. Es ist nie nur stark, sondern immer auch schwach. Es ist nie nur reich, sondern immer auch arm. Und deshalb bekommen wir es nie aus eigener Kraft hin, so zu sein, wie wir selbst und andere uns gern sehen. All die Enthüllungen über dunkle Affären von einst bewunderten Erfolgsmenschen, all die Heldengeschichten, die als Lügen enttarnt werden, zeigen uns das immer wieder. Und was unsere eigenen Schwachpunkte angeht, die unser erwünschtes Selbstbild durchkreuzen: die kennen wir selber am besten. Also Vorsicht mit erhobenen Zeigefingern und moralischer Entrüstung!
Aber genug davon. Nun wird es Zeit, uns dem zuzuwenden, was der Prophet Jeremia uns anstelle des Eigenlobs empfiehlt: „Wer sich rühmen will, der rühme sich dessen, dass er klug sei und mich kenne, dass ich der Herr bin, der Treue, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden; denn solches gefällt mir, spricht der Herr.“ Das heißt: Es gibt auch ein Eigenlob, das nicht stinkt. Eigenlob ist dann in Ordnung, sagt Jeremia, wenn es sich mit dem Gotteslob verbindet und ihm den Vorrang einräumt. Wenn ich mich irgendeiner Sache rühmen kann, dann der, dass ich Gott kenne und deshalb klug bin. Denn dann weiß ich, dass Gott treu und barmherzig ist und dass er dem Recht und der Gerechtigkeit auf Erden zum Durchbruch verhelfen will. Und nur darauf kann ich mich verlassen – nicht auf mich selbst und meine eigenen Kräfte.
So weit, so gut. Aber wie komme ich denn dazu, dass ich Gott kenne? Ich kann ihn ja nicht sehen, ich kann ihn nicht erfassen, ich werde nie fertig damit, mir eine angemessene Vorstellung von ihm zu machen. Vielleicht lobe ich mich auch deshalb lieber selber, denn mich kenne ich ja – oder glaube mich jedenfalls zu kennen.
Wenn wir dazu auf andere Stellen der Bibel achten, dann stellen wir fest: Gott können wir nur kennen, wenn er uns zuvor erkannt hat. Und „erkennen“, das geschieht in der Bibel nicht nur mit dem Verstand, sondern es umfasst die ganze Person. „Jemanden erkennen“, das heißt, mit ihm eine umfassende Beziehung einzugehen. Damit ist schon klar: Zu Gott können wir eine solche umfassende Beziehung nicht aufbauen. Dafür sind wir zu klein und begrenzt und Gott zu groß und unendlich. Aber umgekehrt geht es. Gott geht mit uns eine Beziehung ein und bleibt uns treu, weil er uns liebt. Das sagt schon das Alte Testament für die Beziehung zwischen Gott und seinem Volk Israel. Und das Neue Testament bestätigt das und weitet es aus, in dem es davon spricht, dass Gott selber Mensch wird. Wer das erkennt durch Gottes guten Geist, der kennt Gott. Das heißt nicht, dass er alles über ihn weiß, aber er weiß alles über Gott, was nötig ist, um bei ihm festen Halt zu finden im Leben und im Sterben.
Wer Gott auf diese Weise kennt, sagt Jeremia, der ist auch klug, der gewinnt Einsicht. Und zu dieser Klugheit dürfen wir uns nun in der Tat ungehemmt beglückwünschen und uns ihrer rühmen. Denn sie lässt uns die Welt im Licht Gottes sehen – das heißt: Nicht so, wie sie nach außen erscheint oder erscheinen möchte, sondern so, wie Gott sie sieht, also wie sie wirklich ist.
Das ist einerseits sehr ernüchternd. Denn Gott durchschaut alles Eigenlob, alles Schönreden und alle Selbstüberschätzung, und ohne sie stehen wir ziemlich nackt und bloß da. Wir müssen uns eingestehen, dass wir weder uns selbst optimieren, noch die Welt verbessern können – ja, dass es uns nicht einmal gelingt, die Welt so zu erhalten, wie Gott sie geschaffen hat. „Offenbarungseid“ nennt man so etwas im Konkursverfahren.
Aber solche Ernüchterung ist auch sehr heilsam. Denn sie wird uns künftig davor bewahren, unser Vertrauen auf menschliche Weisheit, menschliche Stärke und menschlichen Reichtum zu setzen – sei es bei den so genannten Großen dieser Welt, sei es bei uns selber. Wer klug ist und Gott kennt, der muss auf keinen angeblichen Heilsbringer mehr hereinfallen. Der kann die Illusionskünstler durchschauen, die mehr scheinen als sein wollen. Und der kann Nein sagen, wenn solche Gestalten ihn für ihre dubiosen Ziele vereinnahmen wollen. Hätte es vor 85 Jahren, als die Nazis sich die Macht griffen, bloß mehr von dieser Klugheit gegeben!
Und noch was: Wer klug ist und Gott kennt, der muss sich nicht mehr dessen rühmen, was er weiß und kann und hat, aber er kann all das einsetzen, um im Namen Gottes Recht und Gerechtigkeit in die Welt zu tragen. Der kann sich einsetzen für diejenigen, denen ihr Menschenrecht und damit Gottes Recht vorenthalten wird – und das, ohne dabei Unterschiede zu machen. Der kann sich engagieren für verfolgte Christen, aber dabei verfolgte Muslime und verfolgte Bürgerrechtler nicht vergessen. Der kann von Politik und Wirtschaft fordern, mehr gegen die Erderwärmung zu tun, aber dabei nicht vergessen, sich erst mal mit dem eigenen Energieverbrauch zu beschäftigen. Und der kann für mehr Lebensqualität im eigenen Stadtteil kämpfen, ohne zu vergessen, dass sehr viele Menschen noch ganz andere Probleme haben.
Ich belasse es bei diesen wenigen Beispielen. Wenn wir Gott kennen, dann sind wir ja klug genug, um selber zu wissen, wo gerade unser Einsatz möglich und gefragt ist. Wir haben viele Gaben, Gott sei Dank! Mögen wir sie einsetzen, nicht zur eigenen Ehre, sondern zum Lob und zum Ruhme Gottes. „Denn“, so sagt er uns durch Jeremia, „solches gefällt mir“. Amen.

Ihr Pastor Martin Klein