Predigt Talkirche, Sonntag, 10. Juni 2018

GOTTESDIENST ZUR DIAMANTENEN UND EISERNEN KONFIRMATION

Text: Lk 14,15-24

Liebe Jubel-Konfirmanden, liebe übrige Gemeinde!

Schön, dass wir den 60. oder 65. Jahrestag Ihrer Konfirmation heute feiern können! Es gab ja ein paar Anlaufschwierigkeiten dabei: Erst fand sich niemand aus Ihrem Kreis, der die Organisation in die Hand nehmen wollte und konnte – so etwas wird ja auch immer beschwerlicher, wenn man älter wird und nicht mehr so gesund ist. Und als wir dann von der Kirchengemeinde aus das Einladen übernommen hatten, da lief es mit den Anmeldungen erst einmal schleppend. Aber jetzt ist ja doch eine recht große Runde von Diamantenen und Eisernen zusammengekommen, und wir werden hoffentlich noch einen schönen Tag miteinander verbringen.
Wie lief das eigentlich damals, als Sie konfirmiert wurden? Wie haben Sie da nach dem Gottesdienst weitergefeiert? Wahrscheinlich eher selten im Restaurant, sondern überwiegend zu Hause im Kreis der Familie: mit Eltern, Geschwistern, Oma und Opa, Patenonkel und Patentante. Es gab was Gutes Selbstgekochtes zu essen, und vielleicht durften Sie als Frischkonfirmierte ein erstes Gläschen Wein dazu trinken. Nachmittags wurde sicher reichlich Kuchen aufgetischt, und zwischendurch ging man sich ein bisschen die Beine vertreten – aber bloß nicht zu weit in den unbequemen neuen Schuhen! Und wenn der Geld- und Geschenkesegen damals auch sicher noch bescheidener ausfiel, gab es doch das eine oder andere auszupacken: ein eigenes Gesangbuch oder eine Bibel, eine neue Uhr, ein paar „gute Bücher“ und wahrscheinlich auch schon den ewigen 5-Mark-Gutschein von der Sparkasse. Am frühen Abend war die Feier dann vorbei, und man ging etwas zu satt, aber hoffentlich zufrieden ins Bett.
Aber nun stellen Sie sich mal vor, Sie bzw. Ihre Eltern hätten gekocht und gebacken, geputzt und gedeckt – und dann hätten alle abgesagt! Oma und Opa hätten gemeint, sie müssten heute bei dem guten Wetter unbedingt Kartoffeln setzen. Der Patenonkel hätte gerade einen neuen VW Käfer gekauft und damit dringend eine Spritztour machen müssen. Der Patentante täte es sehr leid, aber sie habe doch gerade geheiratet und sei zu den Flitterwochen im Schwarzwald. Was dann? Die Feier abblasen? Den ganzen Kuchen selber essen? Oder einfach andere Leute einladen? Aber wen? Die ungeliebten Nachbarn, mit deren Kindern man nie was anfangen konnte? Die eingebildete Cousine aus der „Stadt“? Oder gar den Pastor, wo man doch eigentlich froh war, den erst mal nicht mehr sehen zu müssen? Oder einfach die erstbesten, die man gerade fand?
Wer unter Ihnen einigermaßen bibelfest ist, ahnt wahrscheinlich längst, auf welche Geschichte ich mit dieser Einleitung hinauswill. Es ist das Evangelium des heutigen Sonntags, das Gleichnis Jesu vom großen Gastmahl aus Lukas 14:

Es war ein Mensch, der machte ein großes Abendmahl und lud viele dazu ein. Und er sandte seinen Knecht aus zur Stunde des Abendmahls, den Geladenen zu sagen: „Kommt, denn es ist schon bereit!“ Da fingen sie alle an, sich zu entschuldigen. Der erste sprach zu ihm: „Ich habe einen Acker gekauft und muss hinausgehen und ihn besehen; ich bitte dich, entschuldige mich.“ Und ein andrer sprach: „Ich habe fünf Joch Ochsen gekauft und ich gehe jetzt hin, sie zu besehen; ich bitte dich, entschuldige mich.“ Wieder ein andrer sprach: „Ich habe eine Frau geheiratet; darum kann ich nicht kommen.“ Und der Knecht kam zurück und sagte das seinem Herrn. Da wurde der Hausherr zornig und sprach zu seinem Knecht: „Geh schnell hinaus auf die Straßen und Gassen der Stadt und führe die Armen und Verkrüppelten und Blinden und Lahmen herein.“ Und der Knecht sprach: „Herr, es ist geschehen, was du befohlen hast; es ist aber noch Raum da.“ Und der Herr sprach zu dem Knecht: „Geh hinaus auf die Landstraßen und an die Zäune und nötige sie hereinzukommen, dass mein Haus voll werde. Denn ich sage euch: Keiner der Männer, die eingeladen waren, wird mein Abendmahl schmecken.“

Dieses Gleichnis ist nicht schwer zu deuten. Wenn man weiß, dass Jesus immer vom Reich Gottes redet, wenn er Gleichnisse erzählt, dann erkennt man hinter dem Hausherrn unschwer Gott selbst, der durch Jesus zu sich einlädt. Und hinter dem großen Festmahl verbirgt sich Gottes neue Welt, die mit Jesus anbricht und die uns Frieden, Gerechtigkeit und Leben in Fülle bringt. Die Erstgeladenen, die sich erst entschuldigen lassen, das sind die Frommen, Sesshaften und Wohlhabenden in Jesu Umgebung. Ihnen war der umherziehende Prediger und Heiler eher suspekt, und für sie gab es Wichtigeres als seiner Einladung zu folgen. Die Ersatzgäste, die aber für Jesus eben nicht als zweite Wahl galten, das waren die Armen, die Ausgestoßenen, die Randfiguren. Ihnen kam Jesus nahe mit seiner einfachen und klaren Botschaft und mit seiner Absage an alle gesellschaftlichen und religiösen Schranken. Und sie ließen sich gern zu Gottes großem Fest einladen. Als dann Lukas das Gleichnis aufschrieb, blickte er schon auf fünfzig Jahre christliche Mission zurück. Deshalb fügte er als zweite Runde noch die „Landstraßen und Zäune“ hinzu: die Welt der Heiden außerhalb Israels. Sie sind durch Jesu Tod und Auferstehung nun auch eingeladen, zum Volk Gottes zu gehören. Und diese Einladung ist immer noch unterwegs: noch ist das Haus nicht voll.
Sowohl Jesus als auch Lukas konnten also auf das zurückgreifen, was um sie herum tatsächlich geschah: die Armen in Israel ließen sich in großer Zahl zu Jesus rufen, und viele Heiden kamen zum Glauben.
Bei uns hier und heute scheint es dagegen umgekehrt zu sein: Wenn noch jemand zur Kirche kommt, dann sind es gerade die, die sich zu Jesu Zeiten entschuldigen ließen: Die Frommen, für die der Gottesdienst noch zur guten Gewohnheit gehört. Die Sesshaften, die schon immer in Klafeld, Geisweid und Umgebung zu Hause waren und den Glockenklang der Talkirche von klein auf kennen. Die Wohlsituierten, die eine Familie, eine Arbeit, ein Haus haben und denen dabei noch Zeit bleibt, sich in der Kirche zu engagieren. Ich denke, auch unter denen, die unserer Einladung für heute gefolgt sind, stellen diese Menschen die deutliche Mehrheit.
Aber wo sind eigentlich die anderen? Diejenigen, denen ihre Siegerländer Heimat immer zu eng und zu stur war und die deshalb von hier weg sind, sobald sie konnten? Diejenigen, die vielleicht schon damals mit Widerwillen zum Konfirmandenunterricht gegangen sind und danach mit Kirche nichts mehr zu tun haben wollten? Diejenigen, die durch schlechte Erfahrungen mit Pastoren und Kirchentreuen alles Interesse an Kirche und Glauben verloren haben? Diejenigen, denen das Leben übel mitgespielt hat und denen Gott deshalb fremd geworden sind? Einige von denen mögen heute trotzdem da sein, aber die meisten wohl eher nicht.
Aber auch diejenigen, die immer da oder wenigstens in der Nähe waren, sitzen heute vielleicht mit gemischten Gefühlen hier. Natürlich ist es ein Grund zur Dankbarkeit, wenn man seine Diamantene oder Eiserne Konfirmation erleben darf. Viele Ihrer Mitkonfirmierten sind schließlich schon nicht mehr am Leben oder sie sind zu krank, um kommen zu können. Und es ist schön, mit vielen Altersgenossen zusammen zu sein, die man vielleicht lange nicht gesehen hat. Aber man erschrickt ja immer auch ein bisschen, wenn so ein Jubiläum ansteht; Ist das wirklich schon so lange her – 60, 65 Jahre? Bin ich wirklich schon so alt geworden? Wo ist die Zeit bloß geblieben? Ist die Goldene Konfirmation nicht gerade erst vorbei und waren nicht vor Kurzem die Kinder noch klein? Jetzt sind womöglich die Enkel schon groß, und die verbleibende Lebenszeit wird immer kürzer. Wie soll ich damit umgehen? Woher bekomme ich die Kraft, die Geduld und den Mut, um es mit dem Alter aufzunehmen, das ja bekanntlich nichts für Feiglinge ist?
Ich kann Ihnen dazu heute nur eins sagen, und denen, die heute nicht hier sind, sagt es hoffentlich auch jemand: Gottes Einladung steht, sie gilt immer noch. Allen Menschen. Allen, die 1953 oder 1958 in der Talkirche konfirmiert wurden. Ihnen allen gilt die Aufforderung Jesu, die uns der Wochenspruch weitergibt: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken.“ In Gottes Festsaal ist immer noch Platz. Auch wenn ich ewig nicht dagewesen bin, setzt er mir nicht den Stuhl vor die Tür. Ich darf mitfeiern, und das ganz ohne Bedingungen. Es gibt keinen Eintritt, keine Kleiderordnung und keinen Gastgeschenke-Zwang. Ich kann und muss mir den Himmel nicht verdienen. Das hat Gott in Christus schon für mich getan. Ich muss deshalb auch nicht befürchten, dass ich in meiner verbleibenden Lebenszeit nicht mehr nachholen kann, was ich vorher versäumt habe. Und wenn mir das Alter velleicht nicht viel lässt, worüber ich mich noch freuen kann, dann kann mir doch die Vorfreude auf das große Fest im Gottes Reich niemand nehmen.
Das wünsche ich Ihnen also für Ihren weiteren Weg: Dass Sie dankbar zurückschauen können auf alles, was gut war. Dass Sie ohne Bitterkeit an das denken können, was misslungen ist. Dass sie das, was auf ihnen lastet, bei Gott ablegen können. Dass Sie trotz aller Mühsal, die das Alter mit sich bringt, immer noch Dinge entdecken, die das Leben lebenswert machen. Dass Sie nie allein sind, wenn Sie Hilfe brauchen, dass es aber immer auch Menschen gibt, denen ihr Rat, ihre Hilfe und ihre Erinnerungen noch etwas wert sind. Und wenn Sie das Gefühl überkommt, dass Sie Ihre besten Zeiten längst hinter sich haben, dann möge sich immer wieder die Erkenntnis durchsetzen: Das Beste kommt noch. Am Ende steht nicht das Nichts, sondern Gottes großes Fest.
Möge unser kleines Fest heute ein Vorgeschmack darauf sein. Mögen wir hier im Gottesdienst Gottes Gegenwart erfahren: in seinem Wort und in Brot und Wein beim Abendmahl. Und möge auch das weitere Beisammensein unter Gottes Segen stehen, damit wir froh und gestärkt nach Hause gehen in dem Bewusstsein: Gott geht mit, und nichts kann uns von ihm trennen. Amen.

Ihr Pastor Martin Klein