Predigt Talkirche, Sonntag, 05.08.2018

GOTTESDIENST FÜR DEN ZEHNTEN SONNTAG NACH TRINITATIS

Text: Lk 16,10-13

Vor meiner Reise hatte ich für diesen Sonntag eine „normale“ Predigt zum Israel-Sonntag vorbereitet, der mir ansonsten auch sehr wichtig ist. Aber je länger meine Reise in Tansania dauerte, je mehr Begegnungen ich dort hatte, desto stärker wurde meine Überzeugung, dass ich meine Erfahrungen heute nicht außen vor lassen konnte. Also wird es nun doch eher eine Predigt über unsere Geschwister in Tansania und was wir von ihnen lernen können. In erster Linie wird es aber eine Predigt über folgende Worte Jesu aus Lukas 16:

Wer im Geringsten treu ist, der ist auch im Großen treu; und wer im Geringsten ungerecht ist, der ist auch im Großen ungerecht. Wenn ihr nun mit dem ungerechten Mammon nicht treu seid, wer wird euch das wahre Gut anvertrauen? Und wenn ihr mit dem fremden Gut nicht treu seid, wer wird euch geben, was euer ist? Kein Knecht kann zwei Herren dienen: Entweder er wird den einen hassen und den andern lieben, oder er wird an dem einen hängen und den andern verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon.

Das ist der Text, der für letzten Sonntag in der Ev.-luth. Kirche in Tansania vorgeschlagen war. Am Abend davor, gegen halb sieben, eröffnete mir der Pastor in Bagamoyo, dass man sich doch sehr freuen würde, wenn ich an diesem Sonntag noch mal die Predigt halten würde. Ich war eigentlich nur für den ersten Sonntag präpariert gewesen, und es kam mir etwas arg kurzfristig, zumal für den Abend auch noch eine Dinner-Einladung bei einem Gemeindeglied anstand. Trotzdem hatte ich das Gefühl, jetzt nicht Nein sagen zu dürfen. Also fragte ich nach dem Predigttext, eben jenen Worten aus Lukas 16, schmiss ihn mit meinen Erfahrungen der letzten Tage zusammen, und brachte vor und nach dem Dinner noch eben eine Predigt zu Papier, die anscheinend trotz (!) ihrer Kürze am nächsten Morgen gut ankam. Also ist meine Predigt heute sozusagen eine deutsche Version der englischen vom letzten Sonntag – natürlich nicht nur übersetzt, sondern auch auf andere Zuhörer umgeschrieben. Aber auch im Original kamen diese anderen Zuhörer schon vor.
“Kein Knecht kann zwei Herren dienen”, sagt Jesus. Ich denke, heute – jedenfalls in Deutschland – dienen viele Menschen mehr als zwei Herren. Sie dienen dem Mammon, dem Geld, weil Geld die Welt regiert und weil sie denken: Ohne Geld bist du nichts wert. Sie dienen dem Erfolg, denn der Gewinner kriegt alles und der Verlierer geht leer aus. Aber am allermeisten dienen sie sich selber: „Ich komm zuerst und als zweiter und als dritter, dann kommt lange nichts, und dann kommt irgendwann der Rest. Donald Trump hat diese Art Götzendienst zur Perfektion gebracht, denn auch, wenn er „America first“ sagt, meint er in Wirklichkeit „Donald Trump first“. Und dass so einer Präsident der Vereinigten Staaten werden kann, zeigt, wie sehr die Menschen der Ich-Sucht verfallen sind – nicht nur in Amerika. Und Gott? Der ist oft nicht mal einer der Herren, dem die Menschen dienen. Und wenn er es ist, dann ist sein Herr-Sein oft beschränkt auf ein paar Sonntagsgottesdienste im Jahr, vielleicht nur zu Weihnachten, und eine kleine Spende hier und da für irgendwelche guten Zwecke. Vielleicht denkt man sogar ein bisschen an „die armen Menschen in Afrika“, wie man so sagt, und gibt ein paar Euro für „Brot für die Welt“, aber in Wirklichkeit weiß man nichts über diese Menschen, und sie sind einem letztlich auch egal. Wo sind hier bei uns die treuen und engagierten Christen, die Gott wirklich an die erste Stelle setzen und ihm ihr ganzes Leben widmen? Gehören Sie dazu? Dann Gott sei Dank! Aber wenn schon Martin Luther wahre Christen für seltene Vögel hielt, dann sind sie es heute erst recht.
Nun gibt es sicher auch in Tansania Leute, die dem Gott namens Mammon dienen, auch wenn sie vielleicht viel weniger besitzen als die meisten Menschen in Deutschland. Und sicher denken auch in Tansania viele Leute am meisten an sich selbst und nicht an andere und daran, wie sie ihnen helfen können. Aber die Christen, die ich in Bagamoyo und in den anderen Partnergemeinden getroffen habe, die waren nicht von dieser Art. Jedenfalls war das mein Eindruck. Man konnte deutlich spüren, dass Gott bei ihnen nicht in einem kleinen Reservat ihres Verstandes oder ihres Gefühls lebt, so wie die Giraffen und Elefanten im Mikumi-Nationalpark. Nein: die Christen in diesen Gemeinden dienen Gott wirklich von ganzem Herzen und mit ganzer Seele; sie haben ihn im Sinn, auf der Zunge – und in ihren Beinen.
Wenn man sie singen hört und tanzen sieht, voller Schwung und Begeisterung, dann spürt man wirklich den Heiligen Geist, den Gott ihnen gesandt hat. Und ich wünschte mir, sie würden hierher kommen und der steifen und müden Christenheit ihre Art zu tanzen und zu singen beibringen.
Wenn man sieht, wie hart und entschlossen sie daran arbeiten, die Situation ihrer Gemeinden und der Menschen in ihnen zu verbessern, wie eifrig sie Geld und andere Gaben sammeln, um ihre neuen Kirchen fertig zu bekommen, wie sie ehrgeizige Projekte anpacken, um Armen und Benachteiligten zu helfen – zum Beispiel eine Vorschule für Kindergartenkinder in Bagamoyo, ein Hostel in Mlandizi für Mädchen, die sich keinen Platz in einem Internat leisten können, damit sie zur Schule gehen können, oder ein Berufsbildungszentrum für Behinderte, wenn man sieht, wie sie voller Gottvertrauen mit diesen Projekten beginnen, auch wenn das Geld für die Fertigstellung noch lang nicht beisammen ist, dann kann man spüren, dass Gott durch sie an seinem Reich baut. Und ich wünschte mir, mehr Menschen in unserer Kirche würden so eifrig darin sein, das Evangelium von Jesus Christus zu verbreiten in Worten und Taten.
Wenn man den starken, aufrechten Frauen von KILWAG begegnet und hört, wie sie es geschafft haben, auf eigenen Beinen zu stehen und ihren Lebensunterhalt zu verdienen, oder wenn man die Schülerinnen und Schüler der Mbwawa Secondary Shool erlebt, die auf gute Weise lernen, wie man im Leben zurechtkommt, dann kann man sehen, was für eine Stärke und was für ein Selsbtvertrauen der Glaube an Jesus Christus Frauen, Männern und Kindern geben kann. Und ich wünschte mir, die Menschen in Deutschland würden nicht ihre ganze Energie darein setzen, wie sie aus eigener Kraft ihr Leben optimieren können, sondern würden sich auf Gott verlassen, wie es der Apostel Paulus von sich sagte: „Ich vermag alles durch den, der mich mächtig macht“: durch unsern Herrn Jesus Christus. Dieser Vers aus dem Philipperbrief (4,13) stand auf den T-Shirts, die die Schüler der Mbwawa Secondary School trugen, als wir dort waren.
Ja, es ist gut, diesem einen Herrn zu dienen und keinem anderen. Das habe ich in Tansania wieder neu gelernt. Und ich habe den Geschwistern in Bagamoyo versprochen, dass ich das Gelernte mitnehme und allen Menschen davon erzähle, die ich erreichen kann. Hier und heute fange ich damit an, und ich hoffe, die Botschaft wird sich verbreiten, in- und außerhalb unserer Gemeinde. Und wenn mir irgendjemand mal wieder mit den „armen Menschen in Afrika“ kommt, ohne wirklich zu wissen, wovon er redet, dann werde ich ihm sagen: Ja, in der Tat, es gibt dort viele Menschen, die bitterarm sind. Davon hat die Wittgensteiner Delegation im abgelegenen Ngerengere noch mehr erfahren als wir im recht wohlhabenden Speckgürtel von Daressalam. Aber diese Menschen sind auch reich, sie sind stark und mächtig durch den Herrn, der ihnen so viele gute Gaben geschenkt hat. Und Geld – was ist das für eine armselige Sache gegenüber den Dingen, in denen unsere Geschwister in Afrika uns weit voraus sind!
Aber ich habe auch einen Wunsch an die Gemeinde dort gerichtet: “Bitte werdet nie so, wie viele Leute in Deutschland jetzt sind, sogar in unseren Gemeinden!“ Das könnte natürlich zynisch klingen, als ob ich den Menschen dort kein besseres Leben gönnen würde. Aber so ist es nicht gemeint. Selbstverständlich hoffe ich, dass Tansania eines Tages aus seiner Armut herausfindet: dass es dann nicht mehr so viele Abgehängte und Arbeitslose gibt und dass alle Kinder gleichermaßen die Chance bekommen, etwas zu lernen und etwas zu werden. Aber wir wissen es ja aus eigener Erfahrung: Je mehr wir haben, desto stärker wird die Versuchung, dass wir unser Herz daran hängen. Und umso wichtiger werden die Worte des Vaterunsers: „führe uns nicht in Versuchung“.
Also: Wenn unsere Geschwister in Tansania es mal besser haben – und bei gar nicht wenigen ist es schon so weit – dann hoffe ich, dass sie nicht die gleichen Fehler machen, die viele von uns gemacht haben. Dass sie nicht auf die Idee kommen, sie könnten auch ganz für sich allein glauben und würden die Gemeinschaft mit anderen Christen nicht brauchen – weder am Sonntag noch im Alltag. Dass sie nicht irgendwann vergessen, ihren Kindern christlichen Glauben und christliches Leben weiterzuvermitteln – nicht mit Druck, wie es bei uns lange versucht wurde, aber auch nicht mit falscher Scheu, wie es heute oft geschieht, sondern mit Liebe und Verständnis und dem eigenen guten Beispiel. Und dass sie niemals dem Denken verfallen, dass alles, was sie sind und haben, nur für den eigenen Gebrauch bestimmt ist, sondern dass sie in Erinnerung behalten, dass alles, was Gott uns gibt, dazu gedacht ist, es mit anderen zu teilen.
Sie merken: Ich habe viel gelernt in Tansania, und dazu gehört nicht zuletzt eine gewisse Demut. Es gab mal eine Zeit, da war es umgekehrt: Da waren es Missionare vor allem aus Deutschland, die den Menschen in Tansania den christlichen Glauben vermittelten und den Grund zu der evangelischen Kirche legten, die dort heute soviel Leben entfaltet. Und auch vor dreißig, vierzig Jahren noch waren es Menschen wie Magdalena Kröber aus Geisweid, die Begründerin des KILWAG-Projekts, die dort wichtige Impulse gaben. Das ist in Tansania nicht vergessen, und dafür ist man dort heute noch dankbar. Inzwischen, so fürchte ich, können die Tansanier von uns vor allem lernen, wie man es am besten nicht macht. Aber wie dem aus sei: das und nichts anderes ist der Sinn unserer Partnerschaft seit nunmehr 26 Jahren: dass wir voneinander lernen und dass wir so einander immer näher kommen. Es ist wahr: in den letzten Jahren haben wir uns etwas aus den Augen verloren, und das lag an beiden Seiten. Aber jetzt, denke ich, stehen die Chancen gut, das wir miteinander neu anfangen können. Also lasst uns daran arbeiten und dafür beten, dass unsere Verbindung nicht wieder abreißt, sondern fester wird und dass wir beisammen bleiben als Teile des großen Volkes Gottes, das er durch Jesus Christus um sich sammelt. Amen.

Pastor Martin Klein