Predigt Talkirche, 14. Juni 2015 „Diamantene Konfirmation“

Text: Jes 55,1-5

Wohlan, alle, die ihr durstig seid, kommt her zum Wasser! Und die ihr kein Geld habt, kommt her, kauft und esst! Kommt her und kauft ohne Geld und umsonst Wein und Milch! Warum zählt ihr Geld dar für das, was kein Brot ist, und sauren Verdienst für das, was nicht satt macht? Hört doch auf mich, so werdet ihr Gutes es­sen und euch am Köstlichen laben. Neigt eure Ohren her und kommt her zu mir! Höret, so werdet ihr leben! Ich will mit euch einen ewigen Bund schlie­ßen, euch die beständigen Gnaden Da­vids zu geben. Siehe, ich habe ihn den Völkern zum Zeugen be­stellt, zum Fürsten für sie und zum Gebieter. Siehe, du wirst Heiden rufen, die du nicht kennst, und Heiden, die dich nicht ken­nen, werden zu dir laufen um des Herrn willen, deines Gottes, und des Heiligen Israels, der dich herrlich gemacht hat.

Können Sie sich Gott den Herrn als Marktschreier vorstellen? Als Händler, der hinter seinem Stand steht und lauthals seine Ware an­preist? Ich denke, Sie würden das wohl für unter sei­ner Würde hal­ten. Gott irgendwo zwischen „Wurst-Achim“ und „Aale-Dieter“? Das geht doch nicht! Aber genauso klingt er in diesem Ab­schnitt aus dem Jesajabuch: „Kommt her, kauft und esst! Kommt her und kauft!“ – als ob es um einen Sack Kartoffeln ginge oder um ein Kilo Äpfel, und nicht um Heil und Leben. Seltsam mag uns das vorkom­men, aber so steht’s geschrieben.

Wenn man sich in unserer schönen neuen Welt umschaut, scheint der Text damit voll im Trend zu liegen. Denn heutzutage ist ja für Geld schlichtweg alles zu haben: eine Reise ins Weltall, eine neue Nase, ein Kind nach Katalog, eine Beisetzung im Tiefkühlfach zwecks späte­rer Wiederbelebung. Und wenn man bestimmten Leuten glaubt, dann muss man nur die richtigen Vorträge und Kurse besuchen – für viel Geld, versteht sich – damit auch in Sachen Glück und Erfolg alles gelingt.

Käufliches Lebensglück – gab es das eigentlich schon da­mals, als Sie konfirmiert wurden? In Ihrer Kindheit haben Sie ja noch Zeiten er­lebt, wo es weder mit noch ohne Geld viel zu kaufen gab. Aber 1955, da hatte das „Wirtschaftswunder“ schon Fahrt aufge­nommen. Da gab es jedenfalls wieder reichlich zu essen und zu trinken, so dass nicht nur die Zigarren von Ludwig Ehrhardt immer dicker wurden. Bei manchem reichte das Geld auch schon für ein Siedlungshäuschen im Wenscht oder für einen VW Käfer. Konfirmati­onsgeschenke gab es ebenfalls, wenn sie auch bescheide­ner ausfielen als heute. Und ein wenig glücklich konnte einen das alles durchaus machen.

Aber das große Lebensglück? Erfolg, Gelingen, Zufriedenheit? Wie dachten Sie darüber als Vierzehnjährige? Wovon erhofften Sie sich diese Dinge? Von einer ordentlichen Ausbildung und einem ordentli­chen Beruf mit ordentlichem Verdienst? Vom richtigen Ehemann, von der richtigen Ehefrau für ein glückliches Ehe- und Familienle­ben? Oder hatten Sie schon ganz persönliche Lebensträume, die Sie gern verwirklichen wollten, auch wenn sie vielleicht von der bürgerli­chen Norm abwichen? Und spielte Gott dabei eine Rolle? Bedeutete er Ihnen etwas, der Segen, der Ihnen bei der Konfirmation zugespro­chen wurde? Erwarteten Sie etwas davon für Ihren Lebens­weg?

Natürlich können Sie mir diese Fragen jetzt nicht alle beantworten. Aber vielleicht denken Sie mal in Ruhe darüber nach und versuchen sich zu erinnern. Und dann versuchen Sie ruhig auch mal Bilanz zu ziehen, was aus Ihren Erwartungen und Träumen eigentlich gewor­den ist. Ordentlich verdient haben wahrscheinlich die meisten – es waren ja gute Zeiten dafür. Und wahrscheinlich haben Sie sich im Lauf der Jahre für Ihr Geld mehr leisten können, als Sie damals ge­dacht hätten. Aber waren Sie auch abseits der Lohn- und Gehaltsabrech­nung zufrieden mit Ihrem Berufsleben? Hat das mit dem Ehe- und Familienglück geklappt, und hat es gehalten? Sind Ihre Träume wahr geworden oder trauern Sie Ihnen noch nach? Und hat der Segen Gottes Spuren hinterlassen in Ihrem Leben oder ist die Konfirmation für Sie ein leeres Ritual geblieben?

So unterschiedlich Ihre Bilanzen auch aussehen mögen, irgendwie gemischt sind sie vermutlich alle. Manches ist gelungen, manches missglückt, es gab erfüllte Wünsche und Enttäuschungen, Freude und Leid, Glück und Trauer. Und ich denke, Sie geben mir recht: die allerglücklichsten Momente, das waren solche, bei denen das Geld nicht die Hauptrolle spielte, sondern wo uns etwas oder jemand ge­schenkt wurde – ganz umsonst und ohne Verdienst. In solchen Momen­ten ist uns Gott besonders nah – bewusst oder unbewusst – denn das ist die Art und Weise, wie er uns glücklich machen will.

Damit bin ich wieder beim Predigttext Denn der ist eine Gegenrede gegen das „für Geld kriegt man alles“, auch gegen alle Versuche, aus eigener Kraft dem Leben Sinn zu geben: „Kommt her und kauft ohne Geld und umsonst! Warum zahlt ihr Geld für das, was kein Brot ist, und sauren Verdienst für das, was nicht satt macht? Hört doch auf mich, so werdet ihr Gutes es­sen und euch am Köstlichen laben. Hö­ret, so werdet ihr leben!“ Gott ist eben doch kein Marktschreier. Er hat es nicht nötig, sich an dem zu bereichern, was er zu bieten hat. Er liebt die Menschen und nicht ihr Geld. Was er zu geben hat, das gibt er um­sonst, und gerade deshalb ist es unendlich viel mehr.

Aber was ist das genau? Was gibt es bei Gott umsonst, das für alles Geld der Welt nicht zu kaufen ist? Der Text gibt uns dazu einige Hin­weise, die ich aufgreifen möchte:

„Ich will mit euch einen ewigen Bund schließen“, sagt Gott. Einen Bund schließen – das heißt in der Bibel immer: Ich bin euer Gott, und ihr seid mein Volk, meine Menschen. Ihr gehört zu mir, ihr seid meine Geschöpfe, ich hab euch lieb. Und das sagt er gerade denen, die keine Erfolgsmenschen sind. Er sagt es den Juden im Exil in Baby­lon. Die hatten sich auch maßlos überschätzt. Sie hatten ge­dacht, sie könnten mitmischen im Konkurrenzkampf der Groß­mächte. Sie hatten sich für unbesiegbar gehalten. Und sie hatten die Quittung dafür bekommen: Jerusalem war zerstört, Juda war von der Land­karte verschwunden, und sie selber hatten ihre Heimat verloren. Und ge­rade diesen Versagern verheißt Gott nun einen Neuanfang.

„Ich will euch die beständigen Gnaden Davids geben“, sagt Gott wei­ter. Das war damals etwas Neues, nie Gehörtes. Vor langer Zeit hatte Gott dem König David zugesagt, dass immer einer seiner Nach­kom­men in Jerusalem regieren würde. „Ich will sein Vater sein, und er soll mein Sohn sein“, hatte er gesagt (2.Sam 7,14). Aber dann hat­ten die Nachkommen Davids als Könige kläglich versagt. Sie hatten ihr Land ausgebeutet, statt für die Bedürftigen zu sorgen. Sie hatten es ruiniert, statt es zum Blühen zu bringen. Und schließlich hatten sie es zerstört durch ihre unkluge und verantwortungslose Po­litik. Damit hatten sie das Recht verwirkt, weiter Träger der Verhei­ßung Gottes zu sein. Aber die Verheißung selber war damit nicht erledigt. Des­halb sagt Gott jetzt: „Was ich damals David für seine Nachkommen versprochen habe, das soll nun für euch alle gelten. Ich will euer Va­ter sein, und ihr sollt meine Söhne und Töchter sein. Und ihr sollt allen anderen Völkern meine Macht bezeugen. Nicht mehr, indem ihr sie besiegt und unterwerft, wie David es getan hat. Sondern indem sie sehen, was ich für euch tue. Ich will euch be­freien, ich will euch nach Hause bringen, ich will euch Leben in Fülle schenken, und alle Völker sollen es sehen und staunen: Was für ein Volk und was für ein Gott!“

Was den Juden damals verheißen wurde, das ist für uns alle in Er­füllung gegangen durch Jesus Christus. Durch den, der in ganz be­sonderem Sinne Nachkomme Davids und Sohn Gottes war. Durch den, der Gott zu unserem Vater und uns zu seinen Geschwistern gemacht hat. Jetzt sind auch wir sein Volk, und er ist unser Gott. Auch jedem von Ihnen hat er das zugesprochen bei der Taufe, bei der Konfirmation: ein Bund fürs Leben.

Was heißt das nun für uns? Was heißt es für Sie, die heute ihre Diaman­tene Konfirmation feiern? Was heißt es für Ihre bisherige Lebensbilanz, was heißt es für Ihre Zukunft?

Ich denke es, heißt zuerst und vor allem, dass wir keine Einzelkämp­fer sein müssen. Denn vor Gott stehen wir weder einzeln da, noch müssen wir kämpfen, um zu erreichen, was er uns an­bietet.

Zunächst das Wichtigste: Wir sind nicht einzeln. Es ist eben nicht wahr, dass jeder selber seines Glückes Schmied ist – jedenfalls nicht allein. Wer das glaubt als junger Mensch, mag eine Weile gut damit fahren und sich bestätigt fühlen, aber irgendwann wird es sich doch als Illusion erweisen. Irgendwann, spätestens wenn das Alter uns zu drücken beginnt, werden wir merken: Wir kommen allein nicht klar, wir brauchen die anderen, wir brauchen Familie, Freunde, Gesprächs­partner und Hel­fer – und wir brauchen Gott. Denn was hilft es mir, eine erfolgreiche Laufbahn hinter mir zu haben, wenn ich alt und gebrechlich bin? Gute Pflege und medizinische Versor­gung kann ich mir dann vielleicht noch kaufen – aber menschliche Zuwendung wohl kaum. Was habe ich davon, wenn mein Reichtum wächst und wuchert, aber meine Seele dabei verkümmert? Wo wende ich mich hin, wenn ich merke, dass auch Erfolgsmenschen dem Tod kein Schnippchen schlagen können? Welcher Satz trägt wohl besser durchs Leben und durchs Sterben: „Ich fühle mich gut“ oder „ich weiß, dass mein Erlöser lebt?“ Deshalb wünsche ich Ihnen für die Lebenszeit, die noch vor Ihnen liegt, dass Sie erfahren und darauf ver­trauen können, dass sie nicht allein sind.

Und dann das andere: Ich muss nicht kämpfen, damit mein Leben gelingt. Nicht gegen mich selbst und meine Schwächen und erst recht nicht gegen andere. Dass das Leben ein steter Kampf ums Dasein ist, den nur die Starken gewinnen, das ist eine gottlose und menschen­verachtende Ideologie. Wir müssen nicht gierig zusammenraffen, was das Leben uns bietet, wir können es uns dankbar schenken las­sen. Gott gibt es uns umsonst. Und wer Gott dankbar sein kann für das Gute, das das Leben bereithält, der kann auch das Schlechte bes­ser ertragen, annehmen und überwinden. Der kann zufrieden sein, auch wenn er keine Millionen scheffelt, auch wenn er alt oder krank oder behindert ist. Der wird auch besser von sich selber absehen und auf andere schauen können. Der wird sich über anderer Leute Glück freuen, ihnen im Leid bestehen und ihnen in ihrer Not helfen können. Weil er weiß, dass Gott sie genauso liebt wie ihn selbst.

Manche, die heute hier sitzen, werden sagen: Ja, das stimmt, das habe ich selber erfahren, und danach habe ich immer gelebt oder es wenigstens versucht. Andere werden skeptisch sein und es mit ihrer Lebenserfahrung nur schwer zusammenbringen. Aber egal, wie Sie zu dem stehen, was ich gesagt habe, heute dürfen Sie alle einfach der Einladung Gottes folgen, seine Gäste sein, seinen Segen mitnehmen auf Ihren Weg: „Wohlan, alle, die ihr durstig seid, kommt her zum Wasser! Und die ihr kein Geld habt, kommt her, kauft und esst!“ – „Kommt her zu mir alle, die ihr müh­selig und beladen seid; ich will euch erquicken!“ Amen.

Pfarrer Dr. Martin Klein