Predigt Talkirche, 1. Advent, 29. November 2015

Text: Jeremia 23, 5-8

Es ist Advent. Unübersehbar. Am Adventskranz brennt die erste Kerze. Der Stall von Bethlehem steht hier im Chorraum. Er wartet auf das, was kommen soll. Es ist Advent. Unüberhörbar. Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch. Es kommt der Herr der Herrlichkeit.

Kommen ist das Hauptwort des Advent. Komm, o mein Heiland Jesu Christ… haben wir gerade gesungen. Seht die gute Zeit ist nah, Gott kommt auf die Erde. Kommt und ist für alle da. Kommt, dass Friede werde.

Die Welt kann nicht, sie darf nicht so bleiben wie sie ist: immer mehr gerät sie aus den Fugen. Schon eine einzige Ausgabe der Tagesschau lässt uns erschaudern, wenn wir die Bilder und Bedrohungen an uns heranlassen.

Wer kann sie sich schon vom Leibe halten – all’ die Bedrängnis von Terror und Krieg, von Gier und Gewalt, von Flüchtlingselend und Brandstiftung, von Erderwärmung, Überschwemmungen und Dürren? Ist unsere Erde ein Planet ohne Hoffnungslicht? Ist sie ein Tunnel ohne Ausgang?

Die Adventslieder halten dagegen: Die Nacht ist vorgedrungen, der Tag ist nicht mehr fern. Sie singen vom Kommen Gottes. Sehnsüchtig singen unsere Lieder: O komm, o komm, du Morgenstern… Vertreib die Dunkelheit der Nacht. Und voller Zuversicht: Ich lag in schweren Banden, du kommst und machst mich los… Voller Vertrauen wie der Kinderchor Singsalabim: Freut euch, der Herr ist nah.

Der Advent gibt dem Glauben Zuversicht: Es kommt die Zeit. Die Welt wird nicht so bleiben, wie sie ist. Es kommt die Zeit, da die Träume sich erfüllen. Es kommt die Zeit…

Diesen Ton stimmte schon Jeremia an, vor 2600 Jahren in Jerusalem. Heute mischt sich der Prophet mit seiner Botschaft in diesen Adventsgottesdienst ein – auf seine Weise. Lasst uns auf seinen Ton hören, aufgeschrieben im Buch Jeremia, Kapitel 23:

Siehe, es kommt die Zeit, spricht der HERR, dass ich dem David einen gerechten Spross erwecken will. Der soll ein König sein, der wohl regieren und Recht und Gerechtigkeit im Lande üben wird.

Zu seiner Zeit soll Juda geholfen werden und Israel sicher wohnen.

Und dies wird sein Name sein, mit dem man ihn nennen wird: Der HERR unsere Gerechtigkeit.

(Darum siehe, es wird die Zeit kommen, spricht der HERR, dass man nicht mehr sagen wird: So wahr der HERR lebt, der die Israeliten aus Ägyptenland geführt hat! sondern: So wahr der HERR lebt, der die Nachkommen des Hauses Israel herausgeführt und hergebracht hat aus dem Lande des Nordens und aus allen Landen, wohin er sie verstoßen hatte. Und sie sollen in ihrem Lande wohnen.)

Damals war in Juda Wirklichkeit geworden, was der Prophet befürchtet hatte. Gewarnt hatte Jeremia vor dem Weiter so – in Lebensstil und Politik. Groß hatte man sich gewähnt, mächtig und klug. Was konnte schon passieren, wenn man auf der richtigen Seite stand, mit starken Verbündeten im Rücken?

Nun schauten die Menschen auf die Trümmer Jerusalems. Das Heiligtum war ausgeraubt und zerstört, die Stadt entvölkert, der König und die führenden Leute weggeschleppt ins Exil, weit weg nach Babylon. Die Ordnung war im Chaos untergegangen, die wirtschaftliche Lage aussichtslos. Über Jerusalem und ganz Juda war es so finster wie in einem Land ohne Licht. Die Menschen saßen fest – in einem Tunnel ohne Ausgang.

Jeremia hatte es angekündigt, hatte das kommende Unheil bei Namen genannt. Schonungslos.

Doch mitten in dieser Ausweglosigkeit stimmt Jeremia eine neue Melodie an, kommt ein unüberhörbar anderer Ton unter’s Volk: Siehe, es kommt die Zeit, spricht der HERR, dass ich dem David einen gerechten Spross erwecken will. Der soll ein König sein, der wohl regieren und Recht und Gerechtigkeit im Lande üben wird.

Siehe, es kommt die Zeit, da wird das Volk wieder heimgeführt aus der Gefangenschaft. Mehr noch: Ein König aus dem Hause Davids wird Recht und Gerechtigkeit üben. In ihm wird Gott selber wirken. Ja, das wird sein Name sein: Gott ist unsere Gerechtigkeit.

Was sagt uns dieser alte Text am 1. Advent 2015 hier in Geisweid?

Erst einmal: Der Text gehört uns Christen nicht. Was Jeremia ausspricht, ist jüdische Hoffnung. Hier nimmt die Hoffnung des Gottesvolkes auf das Kommen des Messias Gestalt an. Gott ist unsere Gerechtigkeit.

Siehe, es kommt die Zeit… Welche unbezwingbare Kraft hat diese Verheißung entfaltet durch die Zeiten jüdischer Geschichte! Aller Wirklichkeit zum Trotz. Auch als Jerusalem zerstört war (70 n.Chr) und das jüdische Volk zerstreut wurde in alle Lande – jahrhundertelang – hielten Juden in der Fremde fest an ihrer Hoffnung auf Gottes Gerechtigkeit. Siehe es kommt die Zeit. Der Unaussprechliche – Gott – ist unsere Gerechtigkeit. Mit dieser Verheißung haben Juden klagend noch Gott in den Ohren gelegen in der Shoa, in den KZs und Vernichtungslagern.

Nein, wir Christen dürfen uns nicht einfach an die Stelle des jüdischen Gottesvolkes setzen und Jeremia vereinnahmen. Und doch sprechen Jeremias Worte auch uns Christen an. Sie sprechen uns an in Jesus Christus. Jesus reitet in Jerusalem ein. Und wird mit Jubel begrüßt als Davidssohn. Willkommen geheißen als der verheißene König. Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn. Wird angefleht: Hoschia Na! Das heißt: Hilf doch. Gott ist unsere Gerechtigkeit.

Das ist der Advent Gottes. Gott, unsere Gerechtigkeit, kommt. Sie reitet ein. In Jesus Christus. Kommt in ihm zu allen Menschen und Völkern der Welt. Nicht hoch zu Roß. Nein, auf einem Esel. Auf Gottes Lieblingstier. Mit Bodenberührung. Dem Tier, das Lasten trägt. Und das den Stallgeruch kennt.

Einen Stall habe ich mitgebracht heute zum 1. Advent. Nur den Stall, nicht die ganze Krippe. Nicht das Kind, nicht Maria und Josef, nicht Hirten noch Engel. Nicht den Stern. Nicht den Glanz. Nicht himmlische Chöre. Nur den Stall.

Damit wir vor Augen haben, am 1. Advent: Gott, unsere Gerechtigkeit, kommt. Kommt in diese Welt.

Wohin genau kommt er? In einen Stall. Nach ganz unten. Wo Unbehauste Unterschlupf finden: Ohne Dach über dem Leben. Einsam, krank, verbraucht. Auf der Flucht, unsäglichem Grauen entronnen. Oder arm und unbefugt. Ohne Chance auf Teilhabe.

Armut heute – hinsehen und handeln. So haben Sie in Klafeld hingeschaut. Und gehandelt. Jetzt gibt’s einen Mittagstisch, seit dem 19. November – mittendrin.

Der Erlös des Weihnachtsmarktes wird der Küche des Gemeindehauses zugute kommen, auf dass alle satt werden. Der Kirchmeister, Männer, Frauen, Konfirmanden, Erzieherinnen mit den Jungen und Mädchen aus den Kitas, Kindergottesdiensthelfer, Schülerinnen, die Kinderchöre mit ihrer Kantorin, die Bläserchöre, Techniker und noch viel mehr wirken mit rund um die Talkirche, lassen sich anstecken von der Botschaft des Mannes auf dem Lastentier: Gott, unsere Gerechtigkeit, kommt.

Wie auch die vielen Helferinnen und Helfer derzeit in unserem Land. Sorgen dafür, dass Flüchtlinge endlich ankommen können.

Wo solches geschieht, da breitet sich die Stallwärme von Bethlehem aus. Wenn alle zusammenrücken und füreinander da sind, selbst Ochs und Esel dazugehören. Dann fällt schon ein Lichtschein vom Kind in der Krippe in diesen 1. Advent.

Gott, unsere Gerechtigkeit, kommt. Diese Verheißung spornt an, verleiht so vielen Flügel.

Und spüren doch: Wir haben nur eine kleine Kraft. Können’s nur etwas gerechter machen. Mehr nicht.

Weltweit ist Gigantisches zu stemmen. Morgen beginnt der Klimagipfel in Paris. Die Klimagase müssen reduziert werden, auf dass die Lebensgrundlagen erhalten bleiben. Für unsere Kindeskinder. Für die Artenvielfalt. Schon heute leiden am meisten unter dem Klimawandel, die ihn am wenigsten verursacht haben. In den armen Ländern des Südens. Schon heute ist der Klimawandel eine der Hauptursachen für die vielen Flüchtlinge weltweit. Wo bleibt da die Gerechtigkeit? Und: Würden alle Menschen so leben wie wir – hierzulande – brauchte es vier Erdplaneten.

Als Christen einen jüdischen Rabbi davon überzeugen wollten – so wird erzählt – dass in Christus Gottes Gerechtigkeit in die Welt gekommen sei, da habe er schweigend das Fenster geöffnet und lange dem Getriebe und Getöse der Welt gelauscht. Und schließlich den Kopf geschüttelt: Das kann nicht sein.

Manchmal bin ich geneigt, dem Rabbi Recht zu geben. Dafür reicht schon das Fenster nur einer Tagesschau mit dem Getriebe und Getöse der Welt.

Doch sehe ich dann auf den Stall, fällt ein Lichtstrahl in mein Herz. Dort ist Gott zur Welt gekommen – in Christus. Zwischen Krippe und Kreuz wendet er sich dem Verlorenen zu. Seitdem gibt es keinen gottlosen Ort mehr auf der Erde. Auch nicht in Elend und Tod. Es gibt keinen Ort der Verdammnis, wo Gott nicht wäre. Das Leben verläuft nicht im Sande, geht nicht ins Leere. In Christus ist Neuanfang, Auferstehung und Leben.

So bricht sich Gottes Gerechtigkeit Bahn mitten im Getriebe und Getöse der Welt. So beginnt Gottes Reich mitten unter uns. Christus weckt in uns wieder den Geschmack für das wahre Leben – in einem Stück Brot, in einem Schluck Wein. Seht die Vögel unter dem Himmel, seht die Lilien auf dem Felde. Volle Genüge habt ihr im Genug und nicht im Immer Mehr!

Und Christus weckt in uns die Sehnsucht nach dem umfassenden Frieden Gottes, nach Gottes gerechter Welt. Darum betet er mit uns: Dein Reich komme. In Jesus von Nazareth teilen wir die alte Sehnsucht und Hoffnung des jüdischen Gottesvolkes auf die Vollendung der Welt. Juden und Christen sind eine Hoffnungsgemeinschaft. Gemeinsam bekennen wir: Gott, unsere Gerechtigkeit, kommt.

Wenn aber Gott die Welt vollenden wird, so glauben wir Christen, wird der wiederkommen, der im Stall von Bethlehem zur Welt kam. Gott sei Dank. Darum endet das Neue Testament mit dem Sehnsuchtsruf: Ja, komm, Herr Jesus. Da können wir nur adventlich einstimmen: Ja, komm, Herr Jesus! Amen

Alfred Buß, Präses i.R. der Evangelischen Kirche von Westfalen