Predigt, Tal- und Wenschtkirche, Sonntag, 12.03.2017

GOTTESDIENST FÜR DEN SONNTAG REMINISZERE

Text: Mt 12,38-42

Vielleicht kennen Sie die Geschichte: Ein großer Fluss tritt über die Ufer und überschwemmt das flache Land ringsum. Ein frommer Mann, der dort wohnt, kann sich auf das Dach seines Hauses retten, aber das Wasser steigt unaufhörlich. Da richtet der Mann ein Stoßgebet gen Himmel: „Herr, ich habe dir immer treu gedient. Ich bitte dich: Rette mich vor dem Ertrinken!“ Und sogleich überkommt ihn die Gewissheit: „Ja, mein Gebet ist erhört – der Herr wird mich retten!“

Kurz darauf – der Mann bekommt schon nasse Füße – treibt eine ausgehängte Tür vorbei, auf der einer seiner Nachbarn sitzt. „Komm, spring rüber“, ruft der ihm zu, „die Tür kann uns beide tragen!“ Aber der fromme Mann winkt ab. „Nein, sie wird bestimmt mit uns beiden untergehen. Ich bleibe lieber hier. Ich bin ganz sicher, dass der Herr mich retten wird!“ Da ist die Tür auch schon vorbei getrieben.

Eine Weile später – das Wasser reicht dem Mann schon bis an die Knie – kommt ein Rettungsboot vorbei. „Kommen Sie, steigen Sie ein“, drängt der Bootsführer, „wir haben noch einen Platz frei!“ Aber wieder schüttelt der Mann den Kopf. „Nein, das ist mir viel zu wackelig. Ich bleibe lieber hier. Der Herr wird mich ganz bestimmt retten!“ – „Dann eben nicht“, sagt der Bootsführer und fährt weiter, denn er sieht von einem anderen Haus schon jemand winken.

Schließlich, als der Mann schon bis zum Bauch in den Fluten steht, kommt auch noch ein Hubschrauber. Aber auch in den will der Mann nicht einsteigen. „Nein, nein“, sagt er, „ich hab viel zu viel Angst vorm Fliegen – aber ich weiß genau, dass der Herr mich retten wird!“

Als der gute Mann schließlich ganz versinkt, verliert er das Bewusstsein und wacht im Himmel wieder auf. „Nanu, denkt er, bin ich etwa gestorben?“ Und vorwurfsvoll fragt er Gott: „Ich hab so fest auf dich vertraut! Warum hast du mich denn nicht gerettet?“ – „Was hast du denn erwartet?“ fragt der Herr zurück. „Ich hab dir den Nachbarn auf der Tür geschickt, das Rettungsboot und schließlich sogar einen Hubschrauber. Was hätte ich denn sonst noch tun sollen, um dich zu retten?“

Diese Geschichte kam mir beim Nachdenken über den heutigen Predigttext in den Sinn. Er steht beim Evangelisten Matthäus in Kapitel 12 und lautet folgendermaßen:

Da antworteten Jesus einige von den Schriftgelehrten und Pharisäern und sprachen: „Meister, wir wollen ein Zeichen von dir sehen.“ Er aber antwortete und sprach zu ihnen: „Ein böses und abtrünniges Geschlecht fordert ein Zeichen, und es wird ihm kein Zeichen gegeben werden außer dem Zeichen des Propheten Jona. Denn wie Jona drei Tage und drei Nächte im Bauch des Fisches war, so wird der Menschensohn drei Tage und drei Nächte im Herzen der Erde sein. Die Leute von Ninive werden auftreten beim Gericht mit diesem Geschlecht und werden es verdammen; denn sie taten Buße nach der Predigt des Jona. Und siehe, hier ist mehr als Jona. Die Königin vom Süden wird auftreten beim Gericht mit diesem Geschlecht und wird es verdammen; denn sie kam vom Ende der Erde, Salomos Weisheit zu hören. Und siehe, hier ist mehr als Salomo.“

Was die Schriftgelehrten und Pharisäer hier machen, ist im Grunde das Gleiche wie bei dem Mann aus der Geschichte. Auch sie können hören, was Jesus sagt, sie können sehen, was er tut, und sie könnten erkennen, dass er von Gott gesandt ist. Aber wie bei dem frommen Mann ist es gerade ihr Glaube, der ihnen den Blick verstellt – ein fehlgeleiteter Glaube, auch wenn er sich auf den Gott Israels beruft und sich damit an die richtige Adresse richtet. Deshalb reicht es ihnen nicht, dass Jesus in unerhörter Vollmacht von Gott redet. Es reicht ihnen nicht, dass er Kranke heilt und Dämonen austreibt. All das ist ihnen zu unsicher und zu zweideutig. Ein geschickter Verführer, der womöglich mit dem Teufel im Bunde steht, könnte das in ihren Augen auch. Ihnen fehlt ein unwiderlegbares Zeichen vom Himmel her. Denn hatte Gott nicht solche Zeichen angekündigt für das Kommen des Messias und das Ende der Welt? Hätte Jesus wie Mose die Fluten des Meeres geteilt oder wie Elia Feuer vom Himmel herabfallen lassen, dann wären sie zufrieden gewesen. Hätten sie alle die Stimme bei Jesu Taufe gehört: „Das ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe“ – das hätte sie überzeugt. Aber so? So passt Jesus einfach nicht mit dem zusammen, was sie glauben. Und alles, was an ihm Eindruck macht, können sie auch anders erklären.

Der Evangelist ist natürlich überzeugt, dass es Jesus ein Leichtes gewesen wäre, die Forderung der Schriftgelehrten und Pharisäer zu erfüllen. Aber er tut es nicht. Was er dem Teufel verweigert hat – „Bist du Gottes Sohn, dann mach aus diesen Steinen Brot!“ –, das verweigert er den Pharisäern erst recht. Denn das einzige Zeichen, das er ihnen verspricht, ist in Wahrheit auch keins. Jona, drei Tage und drei Nächte im Bauch des Fisches, der Menschensohn, drei Tage und drei Nächte im Herzen der Erde – das spielt für die Leser des Evangeliums deutlich auf Tod und Auferstehung Jesu an. Aber die Auferstehung geschah eben auch nicht vor den Augen der Gegner Jesu, und sein Verbrechertod am Kreuz ist für sie ja gerade der Beweis, dass er auf gar keinen Fall von Gott sein kann. Dass sein Grab leer war und die Jünger behaupteten, Jesus sei auferstanden und ihnen erschienen, dafür gab es wieder jede Menge andere Erklärungen. Es bleibt also für Matthäus dabei: Wer glauben will, dass Jesus Gottes Sohn ist, der muss sich an das halten, was er gesagt und getan hat. Er muss sich daran orientieren, wie er gelebt hat und gestorben ist. Mehr gibt es nicht.

Aber hätten die frommen Juden damals denn wirklich erkennen können, wer Jesus war – auch ohne das geforderte Zeichen? Matthäus ist überzeugt, dass sie das gekonnt hätten und dass es deshalb ihre eigene Schuld ist, wenn sie es nicht getan haben – so wie bei dem Mann in der eingangs erzählten Geschichte. Schließlich hat den Leuten von Ninive doch auch die schlichte Predigt Jonas gereicht, um Buße zu tun und umzukehren. Und der Königin von Saba war das Hörensagen von Salomos Weisheit auch genug, um die weite Reise nach Jerusalem zu anzutreten. Zeichen vom Himmel waren in beiden Fällen nicht erforderlich. Also werden sie im Weltgericht als Belastungszeugen auftreten gegen Jesu jüdische Zeitgenossen. Denn die waren doch fromme Israeliten und keine Heiden, und bei Jesus gab es doch viel mehr zu hören und zu sehen als bei Jona oder Salomo, aber trotzdem haben sie nicht geglaubt. Das Verdammungsurteil trifft sie also zu Recht.

Dass Matthäus und seine Gemeinde so gedacht haben, kann ich verstehen. Denn sie waren ja selber geborene Juden. Es hat ihnen ganz persönlich wehgetan, dass die meisten ihrer jüdischen Landsleute von Jesus nichts wissen wollten und dass die jüdischen Oberen sie aus der Gemeinschaft der Juden ausgeschlossen hatten. Wir Heutigen dagegen müssen mit den jüdischen Gegnern Jesu barmherziger sein. Denn so, wie sie nun mal dachten und glaubten, konnten sie gar nicht anders über Jesus urteilen, als sie es getan haben. Paulus sieht es so, dass Gott ihnen den Zugang zum Glauben bewusst verschlossen hat, damit das Evangelium erst einmal zu den Heiden gelangen konnte. Er gibt ihnen also nicht die Schuld daran, und wir sollten es deshalb erst recht nicht tun – nach allem, was Christen in der Zwischenzeit den Juden angetan haben.

Stattdessen sollten wir uns lieber an die eigene Nase packen: Wo machen wir denn unseren Glauben von „Zeichen“ abhängig? Wo fordern wir von Gott Beweise seiner Gegenwart? Über den Mann, der ertrinken musste, weil ihm Gottes Rettungsmittel nicht wunderbar genug waren, können wir vielleicht noch schmunzeln. So dämlich ist natürlich in Wirklichkeit keiner. Aber trotzdem stehen wir alle in der Gefahr, unseren Glauben von Dingen abhängig zu machen, die für unsere Sinne und unseren Verstand wahrnehmbar sind. Und dann geraten wir ins Schwimmen, wenn diese Dinge nicht da sind. Dann denken wir: Ich spüre gar nichts von Gottes Nähe – dann gibt es ihn ja vielleicht doch nicht, oder mir fehlt immer noch der echte Glaube. Oder wir schauen auf all die schrecklichen Ereignisse um uns herum: Auf die Menschen in Somalia oder im Südsudan, die seit Jahrzehnten unter Bürgerkrieg und Staatszerfall leiden und nun dazu noch unter einer furchtbaren Hungersnot, der sie hilflos ausgeliefert sind. Auf einen skrupellosen Diktator, der seit Jahren das eigene Volk bombardiert, um seine Macht zu retten. Auf genauso skrupellose Terroristen, die die Lage schamlos ausnutzen. Auf Regierungen in Europa und Amerika, die so gut wie nichts nichts dagegen tun, sich abschotten oder gar noch Öl ins Feuer gießen. Und wir fragen uns: Warum greift Gott nicht ein? Warum lässt er zu, was Menschen anderen Menschen antun oder fahrlässig in Kauf nehmen?

Natürlich dürfen wir so fragen. Und erst recht dürfen es die, die anders als wir direkt betroffen sind. Aber wir müssen uns trotzdem damit abfinden, dass uns Beweise für die Wahrheit unseres Glaubens nicht verheißen sind. Auch wir haben nur das Zeichen das Jona: Dass Gott sich in Jesus ganz tief nach unten begeben hat. Dass er sich von dem Ungeheuer unserer Schuld und Gottesferne hat verschlingen lassen wie Jona von dem großen Fisch. Dass er die Hölle des Leidens und des Todes durchschritten hat – nicht um darin unterzugehen, sondern um sie zu besiegen. Und dass er deshalb da ist, wenn wir uns fühlen wie Jona im Bauch des Fisches, wenn uns das Chaos dieser Welt zu verschlingen droht, wenn wir orientierungslos im Finstern sitzen, abgeschnitten vom Leben, fern von Gott. Wir glauben, dass Gott uns liebt und es gut mit uns meint. Aber es gibt nichts, was diesen Glauben zur Selbstverständlichkeit macht. Wir müssen uns nicht darüber wundern, dass so viele Menschen das nicht glauben können, sondern wir können das Wunder nicht hoch genug preisen, wenn uns dieser Glaube geschenkt ist. Denn ein unverdientes Geschenk ist und bleibt er. Deshalb preist Jesus diejenigen selig, die keinen Anstoß an ihm nehmen. Denn an ihm Anstoß nehmen, das ist das Normale, das kann jeder. An ihn glauben, ihm vertrauen, das kann nur der, dem Gott Auge, Ohr und Herz öffnet. Das aber will er tun bei jedem, der ihn darum bittet.

Also lasst uns nicht auf Zeichen von oben warten. Denn sie werden nicht kommen. Es wird uns keine Erleuchtung zuteil werden, die uns nie mehr an Gott zweifeln lässt. Es wird weiter Dürrekatastrophen geben, und es werden immer wieder Menschen dadurch umkommen. Kein Assad wird sich plötzlich zum Guten bekehren. Und Friede und Gerechtigkeit werden nicht vom Himmel fallen. Aber Gott wird bei uns sein, selbst im Bauch des Fisches, selbst in der Hölle auf Erden. Und im Vertrauen darauf lasst uns anpacken, was wir mit unseren Kräften tun können. Lasst uns die ganz irdischen Gelegenheiten ergreifen, die Gott uns zufallen lässt. Dann kann sich vieles ändern. Dann kann viel Leid verhindert oder zumindest gelindert werden. Und dann kann aus dieser Welt ein besserer Ort werden – bis eines Tages Gott selbst Himmel und Erde neu macht. Vor seinem Urteil im Gericht muss uns dann nicht bange sein. Amen.

Ihr Pastor Dr. Martin Klein