Predigt Tal- und Wenschtkirche, Sonntag, 08.12.2019

Gottesdienst für den 2. Advent

Text: Lk 21,25-33

Und es werden Zeichen geschehen an Sonne und Mond und Sternen, und auf Erden wird den Völkern bange sein, und sie werden verza­gen vor dem Brausen und Wogen des Meeres, und die Menschen werden vergehen vor Furcht und in Erwartung der Dinge, die kom­men sollen über die ganze Erde; denn die Kräfte der Himmel werden ins Wanken kommen. Und alsdann werden sie sehen den Menschen­sohn kom­men in einer Wolke mit großer Kraft und Herrlichkeit. Wenn aber dieses anfängt zu geschehen, dann seht auf und erhebt eure Häup­ter, weil sich eure Erlösung naht.

Und er sagte ihnen ein Gleichnis: Seht den Feigenbaum und alle Bäume an: wenn sie jetzt ausschlagen und ihr seht es, so wisst ihr selber, dass der Sommer schon nahe ist. So auch ihr: Wenn ihr seht, dass dies alles geschieht, so wisst, dass das Reich Gottes nahe ist. Wahrlich, ich sage euch: Dieses Geschlecht wird nicht vergehen, bis es alles geschieht. Himmel und Erde werden vergehen; aber meine Worte werden nicht vergehen.

„Wenn aber dieses anfängt zu geschehen“ – ist es nun soweit? Ja, diesen Eindruck kann man bekommen, wenn man sich in der Welt umschaut. Denn da ist so manches ins Wanken geraten, was bisher unverrückbar erschien.

Solange die Menschheit zurück denken kann, war zum Beispiel der Nordpol von Eis bedeckt. Jetzt ist er es vielleicht bald nicht mehr, und auch auf dem Festland schmelzen die Gletscher dahin. Da mag in der Tat bald manches Volk der Erde verzagen vor dem Brausen und Wogen des Meeres, dessen Spiegel immer höher steigt. Oder  vor der sommerlichen Dürre, die inzwischen sogar das Siegerland heimsucht.

Und noch ein Beispiel: Hierzulande galt immer die Gewissheit, dass es weit weg in Afrika oder Asien drunter und drüber gehen mag, wir aber weiter ein ruhiges und beque­mes Leben führen können. Doch jetzt bleiben die Pro­bleme der Welt nicht mehr da, wo sie nach unse­rer Gewohnheit hingehö­ren, sondern sie kommen zu uns, buch­stäb­lich bis vor die eigene Haustür. Rund eine Million Flüchtlinge hat Deutschland 2015 aufge­nommen; ihre Integration ist längst nicht abgeschlossen. Und weil die Verhältnisse in den Herkunftslän­dern sich nicht verbessert haben, machen sich immer noch Unzäh­lige auf den Weg, auch wenn nicht mehr so viele bei uns ankom­men. Der Druck wächst, und Abkommen, Zäune und Kontrol­len wer­den dage­gen auf Dauer nicht helfen – ganz abgesehen davon, dass man Men­schen nicht kaltherzig im Mittelmeer ertrinken lassen kann. Trotz­dem sind viele für Abschiebung und „Grenzen dicht“ und wählen eine rechtsextreme Partei, die ihnen genau das verspricht und inzwi­schen mehr als 20% holt. Was das alles an Gefahren für den inneren Frieden mit sich bringt, ist noch nicht abzusehen. Die Anschläge der letzten Zeit lassen jedenfalls Schlimmes befürchten – egal, ob sie von Islamisten oder von Rechtsradikalen verübt wurden.

Also geht jetzt alles den Bach runter? Ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis auch bei uns alles zusammenbricht und die Welt endgültig im Chaos versinkt? Hat der Kampf gegen den Klimawandel über­haupt noch Aussicht auf Er­folg? Wird im Nahen und Mittleren Osten jemals Frieden einkehren? Haben Freiheit und Demokratie noch eine Chance gegen skrupello­sen Egoismus und totalitäre Überwa­chung? Ich gebe zu: Wenn ich darüber nachdenke, ist mir immer öfter da­nach, zu verzagen und vor Furcht zu vergehen „in Erwartung der Dinge, die kommen sollen über die ganze Erde“. „Ich will, dass ihr die Panik kriegt“, sagt Greta Thunberg. Hat sie nicht Recht?

Nein, hat sie nicht – jedenfalls, wenn es nach unserem Predigttext geht. Denn der rät uns weder zur Panik noch zur Resignation, son­dern macht uns Hoffnung: „Wenn dieses anfängt zu gesche­hen“ heißt es da mit den Worten Jesu, „dann seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.“

Gut, das Muster glauben wir zu kennen – nicht nur aus der Bibel, sondern auch aus anderen Büchern und Filmen: Wenn’s am Aller­schlimmsten ist, dann naht die Rettung. Wenn der Kampf der Guten gegen die Bösen fast verloren ist, dann erscheinen die Adler, die Kavalle­rie, der rechtmäßige König oder wer auch immer, und bringt die entscheidende Wende. Ist so auch das Kommen des Men­schen­sohns zu verstehen? Befreit er uns vom Himmel her aus der hoffnungs­lo­sen Lage, in die wir uns hineinmanövriert haben? Und besteht der Vorteil für uns Christen da­rin, dass wir die­ses Happy-End schon kennen, im Unterschied zu allen anderen?

Nein, das wäre zu einfach gedacht. Denn wir sind ja im Blick auf die Geschichte unserer Welt nicht Leser oder Zuschauer, die schon wis­sen, wie’s ausgeht, und sich deshalb entspannt zurücklehnen kön­nen, sondern wir gehören zu den handelnden Personen. Wir stecken mitten­drin im Geschehen, und wir wissen noch nicht, ob es für uns gut oder böse endet. So ging es schon den Menschen, für die Lukas sein Evange­lium schrieb. Sie waren Christen in einer der großen Städte des römi­schen Reiches, lebten in bescheidenen Verhältnissen und mussten immer damit rechnen, dass missgünstige Nachbarn sie wegen ih­res Glaubens ans Messer lieferten. Und so geht es uns auch: Wir wissen noch nicht, ob es uns gelingt, die Folgen des Klimawan­dels auf ein erträgliches Maß zu begrenzen. Wir wissen nicht, ob wir für den Migrationsdruck menschliche und erträgliche Lösungen fin­den. Und wir wissen auch nicht, ob Frieden und Freiheit sich durchset­zen werden gegen Gewalt und Unterdrückung.

Trotzdem, sagt Jesus, müsst ihr eure Köpfe nicht hängen lassen. Ihr könnt aufrecht durchs Leben gehen. Denn die Erlösung, auf die ihr wartet und hofft, ist bereits Wirklichkeit. Schon in Lukas 1, im Lobge­sang des Zacharias heißt es: „Ge­lobt sei der Herr, der Gott Israels! Denn er hat besucht und erlöst sein Volk.“ In Lukas 2 sagt bekanntlich der Engel den Hirten: „Euch ist heute der Heiland, der Retter gebo­ren“. Und in Lukas 13 setzt Jesus ein Zeichen dafür: Er legt einer verkrümmten Frau die Hände auf, und die richtet sich auf, erhebt ihr Haupt und preist Gott. Die Erlösung, die sich naht, ist also keine an­dere als die, die schon da ist. Seit Gott Mensch geworden ist, sind die Mauern gefallen, die uns von Gott trennen. Seitdem sind wir erlöst aus dem Gefängnis der Gottverlassenheit. Es muss nichts an­deres mehr geschehen, als dass dies endlich aller Welt sicht­bar wird. Der Sommer naht, die Knospen sind schon am Baum; sie müssen nur noch aufgehen und ihre Schönheit entfalten.

Es ist klar: Wenn wir darauf hoffen, dann tun wir es gegen den Augen­schein. Und wir haben diese Hoffnung nie aus eigener Kraft, sondern als Gottes Geschenk. Wenn wir sie aber haben und wenn es so ist, wie sie es uns sagt, dann haben wir schon jetzt allen Grund, Angst und Verzweiflung abzulegen und erho­benen Hauptes durch die Welt zu laufen. Und wir haben den Blick und die Hände frei, um das zu tun, was nötig ist.

Wir müssen nicht resigniert aufgeben, weil die Schöpfung eh nicht mehr zu retten ist. Sondern wir können alle etwas tun, um weniger Energie zu verbrauchen und die Ressourcen unserer Erde zu scho­nen. Und als freie Bürger und Verbraucher haben wir auch Einfluss auf das, was Wirtschaftsunternehmen und Regierungen gegen den Klimawandel tun. Die jungen Leute von „Fridays for Future“ ma­chen es uns vor.

Wir müssen uns auch nicht ängstlich abschotten gegen Menschen, die bei uns Zuflucht suchen. Sondern wir können sie freundlich empfan­gen und ihnen beistehen, so gut wir können, damit sie bei uns heimisch werden. Und wenn sie uns fragen, warum wir das tun, dann können wir ihnen sagen, dass wir damit dem Gebot und Vor­bild Jesu folgen. So könnten wir unter Beweis stellen, dass das Abend­land es wirklich verdient hat, christlich ge­nannt zu werden. Und wir könnten damit denen das Wasser abgraben, die vom Abend­land reden und sich mit christlichen Symbolen schmücken, aber damit ein zutiefst unchristliches Denken und Verhalten übertün­chen.

Ob wir damit Erfolg haben? Ob es uns gelingt, dem Planeten Erde eine bessere, friedlichere und gerechtere Zukunft zu ermöglichen? Ich weiß es nicht. Ich halte es für möglich, aber es kann auch sein, dass es nicht gelingt. Aber die Erlösung, die kommt, weil sie schon da ist, die kann uns niemand nehmen. Weder Tod noch Leben, we­der Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Ho­hes noch Tiefes noch ein anderes Geschöpf kann uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Jesus Christus ist, unserm Herrn (Röm 8,38f). Eines Tages, sei er nah oder fern, wird er kommen, um das vor aller Welt sichtbar zu ma­chen. Und bis dahin möge er die Gebeugten aufrichten und den Verzag­ten Mut geben, damit sie ihn mit erhobe­nen Köpfen erwar­ten können. „Jesus kommt! Alles wird gut.“ Amen.

Ihr Pastor Martin Klein