Predigt, Klafelder Markt, Christi Himmelfahrt, 25.05.2017

GOTTESDIENST FÜR CHRISTI HIMMELFAHRT

Text: 1. Kön 8,22-24.26-30 (leicht gekürzt)

Und Salomo trat vor den Altar des Herrn angesichts der ganzen Gemeinde Israel und breitete seine Hände aus gen Himmel und sprach: „Herr, Gott Israels, es ist kein Gott weder droben im Himmel noch unten auf Erden dir gleich, der du hältst den Bund und die Treue deinen Knechten, die vor dir wandeln von ganzem Herzen. Mit deinem Mund hast du es geredet, und mit deiner Hand hast du es erfüllt, wie es offenbar ist an diesem Tage. Nun, Herr, Gott Israels, lass dein Wort wahr werden, das du deinem Knecht, meinem Vater David, zugesagt hast.
Denn sollte Gott wirklich auf Erden wohnen? Siehe, der Himmel und aller Himmel Himmel können dich nicht fassen – wie sollte es dann dies Haus tun, das ich gebaut habe? Wende dich aber zum Gebet deines Knechts und zu seinem Flehen, Herr, mein Gott: Lass deine Augen offen stehen über diesem Hause Nacht und Tag, über der Stätte, von der du gesagt hast: Da soll mein Name sein. Du wollest hören das Gebet, das dein Knecht an dieser Stätte betet, und wollest erhören das Flehen deines Volkes Israel, wenn sie hier bitten werden an dieser Stätte; und wenn du es hörst in deiner Wohnung, im Himmel, wollest du gnädig sein.“

Ich nehme an, die meisten hier waren schon mal im Kölner Dom. Dann werden Sie mir sicher zustimmen, dass dieser gewaltige Kirchenbau niemanden unbeeindruckt lässt. Unwillkürlich zieht die himmelwärts strebende Architektur unsere Blicke nach oben, lässt uns – egal ob gläubig oder ungläubig – so etwas wie Erhabenheit und Ehrfurcht empfinden und vermittelt uns so etwas von dem Geist, aus dem heraus diese Kirche errichtet wurde. Besonders bewusst ist mir das geworden, als ich mit unserer damals fünfjährigen Tochter dort war. Staunend schaute sie sich um, folgte mit ihren Blicken den schier endlosen Strebepfeilern bis zum Deckengewölbe und fragte mich schließlich andächtig: „Hat den Gott gebaut?“
„Nein“, habe ich ihr geantwortet, „aber es waren Menschen, die Gott besonders nahe sein wollten.“ 600 Jahre lang haben sie an dieser Kirche gearbeitet, die uns mit jedem Stein die Botschaft vermittelt: Hier ist ein Ort, wo sich Himmel und Erde berühren. Ein Ort der herausgehoben ist aus dem Alltag der Welt, auch wenn er gleich neben dem Bahnhof und der Kölner Einkaufsmeile steht. Ein Ort, wo man Gott begegnen kann: mit ihm reden, auf ihn hören, ihn loben und preisen mit festlichen Gottesdiensten. Ein Ort, von dem man sich vorstellen kann, dass Gott hier unter den Menschen Wohnung nimmt.
Genauso war es schon mit dem Tempel von Jerusalem, bei dessen Einweihung König Salomo das Gebet sprach, das wir eben gehört haben. Er war längst nicht so eindrucksvoll wie der Kölner Dom – von der Grundfläche her gerade mal so groß wie die Wenschtkirche. Aber er war für Israel der Ort, an dem Gott wie nirgends sonst gegenwärtig war. Seine Wohnung bei den Menschen. Sichtbares Zeugnis seiner Zusage: „Ich bin euer Gott, und ihr seid mein Volk.“
Wir Evangelischen gehen ja etwas nüchterner mit den Räumen um, in denen wir uns versammeln. Uns kommt es auf die Gemeinde an, auf die Menschen, die miteinander Gottesdienst feiern. Ob das in einem klassischen Kirchenbau geschieht, in einem funktionalen Gemeindesaal oder auch – wie bei der DZM – in einem Zelt auf der grünen Wiese, das ist für uns eher eine praktische Frage. Wie man heute sieht, geht es auch mal ganz ohne Haus, direkt unter freiem Himmel. Und wenn’s geregnet hätte, wären wir halt in die Talkirche gegangen – weil die in der Nähe liegt und den meisten Platz hat.
So weit, so gut. Aber diese praktische Sicht der Dinge enthebt uns nicht der Frage, die letztlich hinter aller religiösen und kirchlichen Bautätigkeit steht: „Wo ist Gott? Wo können wir ihm begegnen? Wo begegnet er uns?“
Dass ein irdisches Gebäude, und sei’s der Kölner Dom, für Gott zwangsläufig zu klein ist, das wusste ja auch schon Salomo: „Sollte Gott wirklich auf Erden wohnen? Siehe, der Himmel und aller Himmel Himmel können dich nicht fassen – wie sollte es dann dies Haus tun, das ich gebaut habe?“ – „Seht ihr“, sagt uns da mancher Zeitgenosse, „deshalb muss ich sonntags auch nicht in die Kirche rennen, um Gott zu finden. Ich kann auch zu Hause im stillen Kämmerlein beten. Oder ich gehe raus in die Natur – da fühle ich mich meinem Schöpfer viel näher.“ So betrachtet machen wir es heute richtig, auch wenn hier zwischen Sparkasse und Spielhölle von der Natur nicht ganz so viel zu sehen ist.
Aber die Gott-in-der-Natur-Sucher haben Salomos Worte noch nicht zu Ende bedacht: „Der Himmel und aller Himmel Himmel können dich nicht fassen“ – modern formuliert: Selbst der Weltraum mit seinen unzählbaren Sternen und Galaxien ist zu klein für Gott. Wie soll ich ihm dann in einem Stück Wald auf diesem kleinen blauen Planeten, diesem Staubkörnchen in den unendlichen Weiten des Universums, begegnen können?
Kluge Menschen sagen deshalb gern: „Gott ist überhaupt nicht an einem bestimmten Ort. Weder in der Natur noch in einer Kirche, einer Moschee oder einem Tempel. Weder in dieser noch in jener Religion. Sondern Gott ist einfach überall. Im großen Universum wie im kleinsten Elementarteilchen. In Rom oder Wittenberg ebenso wie in Jerusalem oder Mekka. In jeder Glaubensgemeinschaft ebenso wie im Herzen jedes einzelnen Menschen. Und darum auch hier bei uns auf dem Klafelder Markt. Sagt das nicht schon Paulus den Athenern mit ihrer philosophischen Bildung: „Fürwahr, er ist nicht ferne von einem jeglichen unter uns. Denn in ihm leben, weben und sind wir“? (Apg 17,27-28)
Diese Antwort klingt sehr aufgeklärt und tolerant. Sie mag dem wünschenswerten Frieden zwischen den Religionen dienen. Und sie ist auch nicht ganz falsch. Aber erstens verfängt sie nur selten bei Menschen, die diese Ansicht nicht teilen und Gott doch exklusiv für sich und ihresgleichen beanspruchen. Und zweitens bleibt Gott so ziemlich nebulös und unverbindlich. Ich bin dann vielleicht überzeugt, dass es ihn gibt, aber ich kann nicht wirklich Verbindung mit ihm aufnehmen, nicht mit ihm in Beziehung treten. Denn wenn Gott überall ist, dann ist er nur zu leicht überall und nirgends.
Deshalb ist in Salomos Gebet der Tempel dann doch wichtig, auch wenn er Gott nicht fassen kann. Denn er ist ja nicht gebaut, um Gott darin einzufangen wie in einer Mausefalle. Um seiner habhaft zu werden und ihn sich gefügig zu machen. Sondern Gott selbst hat den Bau angeordnet mit der Zusage: „Da soll mein Name sein.“ Das heißt: „Da könnt ihr mir begegnen, weil ich das so will. Da könnt ihr zu mir beten, mich beim Namen rufen, und ich werde euch hören und euch Antwort geben, euch meine Gnade und Treue erweisen – nicht weil ihr einen Anspruch darauf hättet, sondern weil ich euch zu meinem Volk erwählt habe.“ Die Welt kann Gott nicht fassen, heißt das, aber Gott erfasst die Welt. Er wird von sich aus in ihr gegenwärtig, und das nicht allgemein und überall, sondern an einem bestimmten Ort, den er sich ausgesucht hat.
Was Salomo hier vom Tempel in Jerusalem sagt, das gilt im Neuen Testament für Jesus Christus. Ja, es gilt für ihn noch viel mehr. In ihm sucht Gott sich nicht nur einen Ort auf Erden aus, um dort Menschen zu begegnen, sondern er wird selber Mensch, und zwar dieser konkrete Mensch Jesus aus Nazareth in Galiläa. Ein Mensch wie du und ich, und doch „wohnt in ihm die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig“ (Kol 2,9). Gott, den aller Himmel Himmel nicht fassen können, macht sich so klein, dass er in den Bauch der Maria passt. Er, der Allmächtige, wird so schwach, dass man ihn mühelos ans Kreut schlagen kann. Er, der Lebendige, der alles Leben schuf, lässt sich für uns töten, damit wir das Leben haben. Und seit Christus auferstanden und zu seinem Vater im Himmel zurückgekehrt ist, seitdem hat die Menschheit nun ihren Platz an der Seite Gottes. Genau das ist es, was wir heute an Christi Himmelfahrt feiern.
So lautet also unsere christliche Antwort auf die Frage „Wo ist Gott?“. Er ist nicht exklusiv an einem bestimmten Ort oder an bestimmten Orten mehr als an anderen. Er ist auch nicht nur in der Natur oder nur im menschlichen Herzen. Und er ist auch nicht einfach überall. Sondern er ist in Jesus Christus. Überall wo Menschen sich zu Christus bekennen, wo sie in seinem Namen Gottesdienste feiern und in seinem Namen handeln, da ist Gott gegenwärtig. Deshalb ist er hier bei uns auf dem Klafelder Markt. Er ist aber auch da, wenn wir uns jeder für sich an seinem Ort in seinem Namen versammeln. Er ist in der großen und markanten Talkirche nicht lieber als in der Wohnzimmeratmosphäre der FeG Sohlbach – und umgekehrt. Er spricht sein Ja zu Menschen genauso gern dort, wo man Erwachsene tauft, wie dort, wo man es eher mit kleinen Kindern tut. Er hört moderne Lobpreislieder ebenso gern wie alte Choräle, freigesprochene Gebete ebenso wie vorformulierte. Und er freut sich an allem, was wir in Jesu Namen Gutes tun, egal zu welcher Kirche oder Gemeinde wir gehören.
Aber: Gott ist nicht nur da, wo etwas bewusst im Namen Jesu Christi geschieht. Denn wer einmal durch Christus Gott gefunden hat, der kann ihn nun tatsächlich überall entdecken. Er kann Gott in der Natur begegnen, denn die Welt wurde durch das gleiche Wort Gottes geschaffen, das in Jesus Fleisch geworden ist. Er kann staunen über die Wunder der Schöpfung und Gott dafür loben und preisen. Wer durch Christus Gott gefunden hat, der kann ihn auch im Tun von Menschen am Werk sehen, die nicht an Jesus Christus glauben. Denn weil Gott Mensch geworden ist, ist er überall, wo Menschen menschlich miteinander umgehen, wo sie Liebe üben, wo sie sich für Frieden und Gerechtigkeit einsetzen. Und wer durch Christus Gott gefunden hat, der weiß, dass der Weg zu Gott nun allen Menschen offensteht. Er wird seine Mitmenschen auf diesen Weg hinweisen und sie einladen, ihn mit zu gehen. Er kann aber auch Menschen anderen Glaubens zugestehen, dass sie zumindest in der gleichen Richtung unterwegs sind, auch wenn sie keine Christen werden. Also: Überall wo Menschen im Namen Jesu oder im Sinne Jesu unterwegs sind, da geschieht Gottes Wille – wie im Himmel so auf Erden, und hoffentlich auch durch uns. Amen.

Ihr Pastor Dr. Martin Klein