Predigt Wenschtkirche, Montag, 26.12.2016

GOTTESDIENST FÜR DEN ZWEITEN WEIHNACHTSTAG

Text: Joh 8,12-16

Da redete Jesus abermals zu ihnen und sprach: „Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finster­nis, sondern wird das Licht des Lebens haben.“ Da sprachen die Pharisäer zu ihm: „Du gibst Zeugnis von dir selbst; dein Zeugnis ist nicht wahr.“ Jesus antwortete und sprach zu ihnen: „Auch wenn ich von mir selbst zeuge, ist mein Zeugnis wahr; denn ich weiß, woher ich gekommen bin und wohin ich gehe; ihr aber wisst nicht, woher ich komme oder wohin ich gehe. Ihr richtet nach dem Fleisch, ich richte niemand. Wenn ich aber richte, so ist mein Richten wahr, denn ich bin’s nicht allein, sondern ich und der Vater, der mich gesandt hat.

inden Sie das düstere Wetter nicht auch schrecklich? Dezember – die dunkelste Zeit des Jahres. Nur acht von vierundzwanzig Stunden ist es Tag. Die Sonne steht tief am Himmel. Oft reicht ihre Kraft nicht aus, um Nebel und Wolken zu vertreiben. Dann wird es den ganzen Tag nicht richtig hell, und ich muss mich warm anziehen ge­gen Nässe und Kälte. Manchmal schlägt mir das ganz schön aufs Ge­müt. Ich behelfe mich mit Heizung und elektrischem Licht – wenn ich’s gern romantisch hätte, auch mit Kerzenschein. Aber ganz lässt sich die Dunkelheit nicht vertreiben. Dann sehne ich mich zu­rück oder voraus in den Sommer. Und ich hätte Lust, nach Gran Canaria oder auf die Malediven zu flüchten, wie so manche. Ich denke, gelegentlich geht es Ihnen auch so.

Tja, und ausgerechnet in dieser finsteren Jahreszeit feiern wir Weih­nachten. Würde uns ein schöner Sommertag denn nicht viel eher in Festlaune bringen? Sicher, man muss die Feste feiern, wie sie fallen. Aber beim Geburtstag Jesu zieht dieses Argument nicht. Denn das genaue Datum kennen wir gar nicht. „Mitten im kalten Winter“ war es jedenfalls nicht, wenn man der Weihnachtsgeschichte trauen kann. Dann wären die Schafe nämlich im Stall und nicht auf dem Feld gewe­sen. Erst um 350 nach Christus hat der Bischof von Rom das Weih­nachtsfest auf den 25. Dezember festgelegt.

Trotzdem: dieses Datum ist eine gute Wahl. Denn das, was es mit Weihnach­ten auf sich hat, das passt besonders gut in die dunkle Jah­reszeit. Das kann man schon daran sehen, wie in der Bibel davon er­zählt wird. Ich weiß nicht, ob es Ihnen schon mal aufgefallen ist: Fast das gesamte Geschehen um die Geburt Jesu findet bei Nacht statt. In der Nacht erscheint ein Engel dem Josef im Traum und kündigt ihm die Geburt des Kindes an. Bei Nacht kommt Jesus zur Welt, bei Nacht erscheint der Engel den Hirten, und bei Nacht kom­men sie zur Krippe. Am nächtlichen Himmel entdecken die Wei­sen aus dem Osten den neuen Stern, und auf nächtlichen Reisen führt er sie bis nach Bethlehem. Und bei Nacht und Nebel flieht Josef mit seiner Familie vor den Häschern des Herodes nach Ägypten. Sie se­hen: die Nacht ist in dieser Geschichte allge­genwärtig. Da drängt sich mir der Gedanke auf, diese Nacht als ein Symbol zu verstehen. Sie ist für mich ein Bild dafür, wie die Welt beschaffen ist, in der Gott Mensch wird. Sicher, diese Welt besteht aus Licht und Dunkelheit, aus Freud und Leid, aus Gut und Böse. Aber oft habe ich den Eindruck, dass die Dunkelheit überwiegt. Es wimmelt von zwielichtigen Affären, finsteren Machen­schaften und raben­schwarzen Zukunftsaussichten. Es gibt Bomben­nächte, Pogromnächte, Schreckensnächte, Todesnächte, und manch­mal ist es auch Nacht in mir selbst.

Aber mitten in dieser Finsternis scheint nun das Licht Gottes: die Klarheit des Herrn umleuchtet die Hirten, der Stern über Bethlehem zeigt den Weisen den Weg. Die Quelle dieses Lichtes, das ist das kleine Menschenkind in der Futterkrippe. Das ist Weihnachten. Und später, als Erwachsener, wird dieses Kind von sich sagen:

Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wan­deln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.

Ein Satz, der es in sich hat. Das gilt schon für die ersten beiden Wör­ter, so un­scheinbar sie sind. „Ich bin“: so stellt sich Gott im Alten Testament seinem Volk vor. Als Mose Gott nach seinem Namen fragt, da be­kommt er zur Antwort: „Ich bin, der ich bin“ (Ex 3,14). Und als Is­rael, verbannt nach Babel, an seinem Gott irre zu werden droht, da lässt der ihm sagen: „Ich bin der Erste und der Letzte, und außer mir ist kein Gott.“ (Jes 44,6) Das müssen wir mithören, wenn wir im Neuen Testament ein „Ich-bin“-Wort Jesu lesen. Als Mose Gott nach seinem Namen fragte, da bekam er als Antwort gerade kei­nen Namen, sondern eine Zusage: „Ich bin, der ich bin“, das heißt: „ich bin und bleibe für euch da; ich führe euch in die Freiheit und gehe mit euch in ein neues Land.“ Bei dieser Zusage bleibt es, auch im Neuen Testament. Aber dort bekommt sie nun wirklich einen Na­men: den Namen Jesus. Gott stellt sich uns vor in diesem Menschen aus Nazareth in Galiläa. Wer Gott ist und wie er ist, das erfahren wir durch ihn und nirgendwo sonst.

„Ich bin das Licht der Welt“, sagt Jesus weiter. Das Licht wohlge­merkt – nicht irgendeine der mehr oder weniger großen „Lichtgestal-ten“, die wir als Wissenschaftler, Künstler oder Sportler bewundern. Er ist sozusagen die Sonne, vor der all die Stars und Sternchen unse-rer Welt verblassen müssen. Alles, was uns das Licht bedeutet, das finden wir bei ihm wieder: Wärme und Leben, aber auch Durchblick und Orientierung. Dinge, die wir dringend brauchen in der Finsternis, in der wir leben: Wärme gegen die Kälte, die sich zwischen uns und unsere Mitmenschen schleicht, Leben gegen das Absterben unserer Gefühle, Orientierung gegen die Ratlosigkeit, wem wir noch glauben und was wir noch tun können.

Alles das verheißt uns Jesus: „Wer mir nachfolgt, der wird nicht wan­deln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.“ Wer mir nachfolgt – das sind diejenigen, die sich vom Licht der Welt be­scheinen lassen. Ohne Bild gesprochen: Es sind diejenigen, die Jesus zutrauen, dass es stimmt, was er sagt. Diejenigen, die Ja dazu sagen können, dass uns in diesem einen Menschen tatsächlich Gott selbst begegnet. Wenn ich dazu gehöre, dann wird die Nacht für mich zwar nicht gleich zum Tage, aber sie verliert ihren Schrecken. Ich sehe vielleicht nicht gleich meinen ganzen Lebensweg hell erleuchtet vor mir, aber ich habe genug Licht für den nächsten Schritt. Und vor al­lem weiß ich eins: ich bin im Dunkeln nicht allein. In Jesus Christus ist Gott bei mir, ganz nah. „Wenn ich auch gleich nichts fühle von seiner Macht, er führt mich doch zum Ziele, auch durch die Nacht.“

Wenn Sie jetzt nicken, kann das zweierlei bedeuten. Entweder Sie haben mir gut zugehört und stimmen mir zu – wahrscheinlich, weil Sie ähnlich denken und ähnliche Überzeugungen haben wie ich selbst. Oder Ihr Nicken ist ein Ein-Nicken – weil die vielen Feiertage müde machen und meine Worte Sie nicht zu fesseln vermochten.

Vielleicht ist Ihnen aber auch nicht nach Nicken, sondern nach Kopf­schütteln. Vielleicht hätten Sie mir gern widersprochen oder kritische Fragen gestellt, aber dann haben Sie es jedenfalls nicht laut getan. Macht man ja auch nicht während einer Predigt, ich weiß. Die from­men Leute zur Zeit Jesu allerdings, die sahen das noch anders. Die Pharisäer in unserem Text finden das, was Jesus sagt, weder gut noch langweilig, sondern schlicht ungeheuerlich. Und sie sagen auch, was sie denken: „Du zeugst von dir selbst; dein Zeugnis ist nicht wahr.“

Ich kann diesen Protest verstehen. Denn man muss sich das ja mal vorstellen: Da stellt sich ein junger Mann aus einem Kaff in Galiläa hin und behauptet von sich: „Ich bin das Licht der Welt“ – und das mitten im Tempel von Jerusalem, an dem Ort auf Erden, wo für Israel Gott gegenwärtig ist. Entweder, der Kerl ist völlig übergeschnappt („Jeru­salem-Syndrom“ nennt man das heute), oder er hat sich gerade der schlimm­sten Gotteslästerung schuldig gemacht, die man sich über­haupt nur vorstellen kann. Wahrscheinlich hätten die Pharisäer sich nicht ge­wundert, wenn sich sofort die Erde aufgetan hätte, um diesen Frevler zu verschlingen. Hat er denn auch nur den geringsten Beweis für das was er sagt, irgendeinen Zeugen, der seine Behauptung bestä­tigen kann?

Wir sollten den Pharisäern dankbar sein für ihre Reaktion. Denn sie erinnert uns daran: Das was von Jesus in der Bibel steht und was wir von ihm glauben, ist keineswegs so selbstverständlich, wie es unter Gleichgesinnten hinter dicken Kirchenmauern klingt. Nehmen wir mal an, ich würde mich mit einem zufälligen Passanten auf der Straße über meine Predigt unterhalten – einem, der nicht zu den christlichen Insi­dern gehört. Der würde mit seiner Kritik wohl nicht hinterm Berg halten: „Gott wird Mensch in Jesus Christus; er ist das Licht der Welt – schön für dich, dass du das alles glauben kannst! Aber wenn ich es auch glauben soll, dann musst du mir schon irgendwie plausibel ma­chen, dass es auch wahr ist!“ Tja, und dann stehe ich ziemlich dumm da. Denn wenn ich mich auf diese Nach­frage einlasse, habe ich schon verloren. Es ist ja schon nicht zu be­weisen, dass es überhaupt einen Gott gibt. Und wenn es einen gibt, ist es keineswegs plausibel, dass dieser Gott Mensch wird. Und wenn Gott Mensch wird, wieso soll dieser Mensch dann ausgerechnet Jesus heißen und aus der tiefsten galiläischen Provinz kommen? Sie merken schon: So kann die Sache nur schief gehen. Aber wie macht es denn Jesus selber? Wie geht er mit dem Protest der Pharisäer um?

Er lässt sich auf keine Debatte ein und bleibt einfach bei dem, was er gesagt hat: „Auch wenn ich von mir selbst zeuge, so ist mein Zeugnis wahr; denn ich weiß woher ich gekommen bin und wohin ich gehe.“ Jesus kann so reden. Aber kann ich das nachmachen? Kann ich mei­nem Gesprächspartner auch einfach sagen: „Ich kann dir nichts be­weisen, aber es stimmt trotzdem. Punkt“? Wenn es beim Glauben nur darum ginge, etwas für wahr zu halten, dann wäre diese Antwort ge­nauso arrogant wie hilflos. Aber Glaube ist ja viel mehr. Glaube ist vor al­lem eine feste Bindung an den menschgewordenen Gott. Glaube ist Vertrauen darauf, dass Gott mir nahe ist und es gut mit mir meint und dass ich das an der Person Jesu Christi festmachen kann. Diesen Glauben kann ich nicht selber hervorbringen. Ich kann mich nicht dazu entschließen und ich kann mich auch nicht durch vernünftige Argumente davon überzeugen lassen. Ich kann ihn nur annehmen als ein Geschenk, das Gott mir macht. Aber dann mache ich Erfahrungen mit diesem Glauben. Und von diesen Erfahrungen kann ich reden. Ich kann davon reden, wie mein Glaube mir hilft, die Welt in einem ande­ren Licht zu sehen, wie er mir hilft, das zu bewältigen, was mir Kum­mer und Schmerz bereitet. Ich kann davon reden, dass mein Glaube mich in eine Gemeinschaft von Glaubenden hineinstellt, die mir Halt gibt. Und ich kann davon reden, wie mein Glaube mir Ori­entierung für mein Handeln bietet. Wohlgemerkt: Auch damit werde ich meinen Gesprächspartner nicht überzeugen. Aber vielleicht macht es ihn neu­gierig. Vielleicht lässt er sich einladen, mehr davon zu er­fahren. Und vielleicht begegnet ihm dann irgendwann Jesus Christus selbst und lässt ihm sein Licht aufgehen. Und je mehr das „Licht der Welt“ um sich greift – in uns drin und um uns herum – desto heller wird die Nacht, in der wir leben und desto näher rückt der Tag. Amen.

Pastor Dr. Martin Klein